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Die finnische Verfassung von 1919 war die erste Verfassung der seit dem 6 Dezember 1917 unabhangigen Republik Finnland Sie trat am 17 Juli 1919 in Kraft und ersetzte die noch aus schwedischer Zeit stammende gustavianische Verfassung von 1772 Sie blieb in ihren wesentlichen Zugen unverandert bis sie am 1 Marz 2000 durch eine neue Verfassung abgelost wurde Als Resultat eines langen Streits zwischen republikanischen und monarchistischen Stromungen sah die republikanische Verfassung ein Staatsoberhaupt mit umfassenden Rechten vor die an die fruheren Monarchenrechte angelehnt waren Inhaltsverzeichnis 1 Entstehungsgeschichte 1 1 Zugehorigkeit zu Russland als Verfassungsfrage 1 2 Unter Parlamentsmacht zur Unabhangigkeit 1 3 Monarchistische Entwicklung des Jahres 1918 1 4 Republik mit monarchistischem Einschlag 1 5 Weitere Verfassungsgesetze und Geltungsdauer 2 Grundzuge der finnischen Verfassungsordnung 1919 2000 2 1 Parlament 2 2 Prasident und Regierung 2 3 Verfassung und Gesetzgebung 2 4 Grundrechte 3 Ablosung 4 Literatur 5 Einzelnachweise 6 WeblinksEntstehungsgeschichte BearbeitenDer zur Verabschiedung der Verfassung von 1919 fuhrende Prozess wurde durch die Abdankung des russischen Zaren Nikolaus II eingeleitet Die folgenden Verfassungsdebatten drehten sich in erster Linie um das Verhaltnis zu Russland die Frage der Staatsform und die Position des Parlaments Politische Entwicklungen im Inneren und Ausseren gaben der Debatte immer wieder neue Richtungen bis schliesslich am 17 Juli 1919 eine republikanische Verfassung mit einem ungewohnlich starken Prasidentenamt in Kraft trat und die Republik Finnland entstand Zugehorigkeit zu Russland als Verfassungsfrage Bearbeiten Finnland war seit 1809 ein autonomes Grossfurstentum im russischen Zarenreich Wahrend dieser Zeit hatte die Verfassung aus der fruheren schwedischen Zeit im Wesentlichen fortgegolten Sie bestand in erster Linie aus der unter Konig Gustav III erlassenen Verfassung von 1772 erganzt durch die 1789 durch den sogenannten Vereinigungs und Sicherheitsbrief gemachten Anderungen Die aus der schwedischen Zeit hergebrachte Volksvertretung der standische Reichstag wurde mit der Reichstagsordnung von 1906 durch ein in gleicher Wahl gewahltes Einkammerparlament ersetzt Das oberste Verwaltungsorgan stellte in Finnland der Senat dar dessen Mitglieder durch den Zaren bestimmt und diesem verantwortlich waren Der Senat bestand aus zwei Abteilungen der Rechts und der Wirtschaftsabteilung Erstere fungierte als oberstes Gericht letztere war eine Art Regierung Zar Nikolaus II Staatsoberhaupt des Grossfurstentums wie des Gesamtreiches verzichtete am 15 Marz 1917 als Folge der Februarrevolution auf den Thron Die Regierungsgewalt wurde von einer parlamentarisch ernannten Provisorischen Regierung ubernommen Dies warf in Finnland umgehend die Verfassungsfrage auf nachdem die uberlieferte schwedische Verfassung zentral auf dem Vorhandensein eines Monarchen aufbaute Politisch wie juristisch war zunachst vor allem umstritten wie sich der Wegfall des Grossfursten auf die Zugehorigkeit Finnlands zum Russischen Reich auswirkte Die Provisorische Regierung beharrte rigoros auf dem Standpunkt dass die Union zwischen Russland und Finnland weiterhin bindend sei und sie nur durch ausdrucklichen Vertrag gelost werden konne Die Mehrheit der finnischen Politiker in allen Parteien sah dagegen fur eine Union ohne den gemeinsamen Monarchen keine Grundlage Allerdings befurwortete die Mehrheit in den burgerlichen Parteien eine Verhandlungslosung mit der russischen Regierung Dieser kooperative Standpunkt wurde gestutzt durch juristische Gutachten des Staatsrechtlers und Politikers Rabbe Axel Wrede denen zufolge auch ohne den Zaren zwischen Finnland und dem Russischen Reich eine legitime staatsrechtliche Bindung bestehe Die radikaleren Verfechter der Unabhangigkeit konnten sich auf das staatsrechtliche Gutachten des namhaften Professors Rafael Erich stutzen nach dessen Ansicht die Beziehung zu Russland eine reine Personalunion war die nach der Abdankung des Zaren ohne Weiteres als aufgelost zu betrachten sei 1 Unter Parlamentsmacht zur Unabhangigkeit Bearbeiten nbsp Pehr Evind Svinhufvud ubernahm im Mai 1918 als Reichsverweser die verwaisten monarchischen Rechte als Staatsoberhaupt Die juristische Diskussion wurde bald von der politischen Entwicklung uberrollt Das von einer sozialdemokratischen Mehrheit gefuhrte Finnische Parlament verabschiedete am 18 Juli 1917 das Staatsgesetz mit dem es erklarte die oberste Macht in Finnland nunmehr selbst auszuuben Die zwischenzeitlich wieder erstarkte russische Provisorische Regierung loste im Einverstandnis mit den finnischen Burgerlichen das Parlament auf und der paritatisch mit Sozialdemokraten und Burgerlichen besetzte Senat beugte sich dieser Entscheidung gegen den Widerstand der Sozialisten In der Neuwahl im Oktober verloren Letztere ihre Mehrheit Gleichzeitig sturzte in Russland die Provisorische Regierung und die Bolschewiki ergriffen die Macht Auch die zuvor auf eine Kooperation mit Russland drangenden burgerlichen Politiker Finnlands wollten Lenins Regierung nicht als Erben der kaiserlichen Macht ansehen Zum zentralen Streitpunkt wurde nun die Frage in wessen Hande die zuvor dem Zaren zugestandene Macht gelegt werden solle Wahrend die Sozialdemokraten darauf bestanden dass entsprechend dem Staatsgesetz die oberste Staatsgewalt durch das Parlament ausgeubt werde beriefen sich die Konservativen auf 38 der Verfassung von 1772 Diese fur den Fall des Erloschens eines Herrscherhauses geschaffene Vorschrift sah vor dass fur die Ubergangszeit ein Reichsverweserausschuss die koniglichen Befugnisse halten solle In der Sitzung des Parlaments am 9 November standen sich drei Vorschlage gegenuber Die Sozialdemokraten verlangten die ruckwirkende Inkraftsetzung des Staatsgesetzes was gleichzeitig die Ungesetzlichkeit des neuen Parlaments bedeutet hatte Die konservativen Parteien beantragten die Einsetzung eines Reichsverweserausschusses Der Kompromissvorschlag von Santeri Alkio vom Landbund sah die Ratifizierung des Staatsgesetzes ohne Ruckwirkung vor Die Tagesordnung sah vor dass im ersten Abstimmungsgang zwischen den beiden Varianten des Staatsgesetzes gewahlt werden und der Sieger dieser Abstimmung gegen die Reichsverweservariante antreten solle Die Konservativen konnten an diesem Tag erreichen dass sich ihr Vorschlag durchsetzte indem sie im ersten Abstimmungsgang fur den sozialdemokratischen Antrag stimmten und so sicherstellten dass als Gegenvorschlag im zweiten Wahlgang nur eine Variante zur Verfugung stand welcher der Landbund nicht zustimmen konnte 2 Die endgultige Bestimmung der Reichsverweser wurde jedoch verschoben Unterdessen waren die Unruhen im Land immer bedrohlicher geworden Am 14 November rief die Arbeiterbewegung einen Generalstreik aus Unter dem Eindruck des Streiks und zahlreicher damit zusammenhangender Gewalttaten trat am 15 November das Parlament erneut zusammen Mit den Stimmen der Sozialdemokraten und gemassigter Konservativer verabschiedete es schliesslich einen erneuten Kompromissvorschlag Alkios 3 Da der Reichsverweserausschuss in dessen Hande das Parlament die hochste Regierungsgewalt Finnlands zu legen beschlossen hat noch nicht gewahlt werden konnte beschliesst das Parlament die Gewalt die nach den geltenden Vorschriften dem Zaren und Grossfursten zugestanden hat vorlaufig selbst auszuuben Finnland blieb damit vorlaufig ohne formelles Staatsoberhaupt hatte sich aber gleichzeitig faktisch von Russland gelost Die formliche Unabhangigkeitserklarung des finnischen Parlaments vom 6 Dezember 1917 und die Anerkennung der Souveranitat Finnlands durch Sowjetrussland am 4 Januar 1918 vollendeten den Ablosungsprozess Monarchistische Entwicklung des Jahres 1918 Bearbeiten nbsp Prinz Friedrich Karl von Hessen wurde im Oktober 1918 zum Konig von Finnland gewahlt trat dieses Amt jedoch nie an Abgesehen von der Ubernahme der Monarchenrechte durch das Parlament blieben die alten Institutionen zunachst bestehen Die Regierung bildete der Senat dessen Wirtschaftsabteilung als Regierungschef Pehr Evind Svinhufvud vorstand Die weitere Klarung der verfassungsrechtlichen Fragen wurde durch die inneren Spannungen und den am 27 Januar 1918 ausbrechenden Burgerkrieg in den Hintergrund gedrangt Als der Burgerkrieg schliesslich zu Ende war trat das Parlament am 15 Mai mit einem neuen Gesicht zusammen Bis auf einen Abgeordneten fehlten alle sozialdemokratischen Volksvertreter 4 Die so unter sich gebliebenen burgerlichen Parteien waren sich einig dass es mit der weiterhin geltenden gustavianischen Verfassung nicht vereinbar sei dass die Volksvertretung die oberste Staatsgewalt ausube Stattdessen verlangte die Verfassung die Wahl eines neuen Konigs Als Ubergangslosung orientierte sich das Parlament an der in der ausgehenden Kalmarer Union ublichen Praxis als Stellvertreter des Konigs einen Reichsverweser einzusetzen Ohne diesen Titel offiziell zu verwenden bestimmte das Parlament den Senatsvorsitzenden Svinhufvud zum Trager der obersten Staatsgewalt Zum neuen Senatsvorsitzenden berief dieser Juho Kusti Paasikivi Sowohl Svinhufvud als auch Paasikivi waren entschiedene Monarchisten Der neue Senat begann mit der Vorbereitung einer neuen monarchistischen Verfassung Fur diese Richtungsentscheidung sprachen neben der staatspolitischen Uberzeugung der Protagonisten auch aussenpolitische Grunde Die Regierung der burgerlichen Seite hatte im Burgerkrieg substanzielle Hilfe der deutschen Armee erhalten und sich in diesem Zuge auch vertraglich eng an Deutschland gebunden Auch der neue finnische Konig sollte der deutschen Kaiserfamilie entstammen Nachdem Prinz Oskar von Preussen Sohn des Kaisers Wilhelm II abgelehnt hatte fiel die Wahl auf den mit der Kaiserfamilie verschwagerten Friedrich Karl von Hessen 5 Die monarchistische Richtung war unter den Parlamentsparteien jedoch nicht unumstritten Insbesondere der Landbund unter Santeri Alkio war nachdrucklich republikanisch eingestellt aber auch Teile der Jungfinnischen Partei fuhrend unter ihnen Kaarlo Juho Stahlberg zahlten zum republikanischen Lager Dieses konnte sich besonders auf die Unabhangigkeitserklarung vom 6 Dezember 1917 berufen in welcher ausdrucklich eine republikanische Verfassung angekundigt worden war Der Senat legte dem Parlament im Juni den Entwurf fur eine monarchistische Verfassung vor die starke republikanische Opposition verhinderte aber in drei Wahlgangen bis zum August das Zustandekommen der notwendigen Funfsechstelmehrheit Daraufhin berief sich der Senat auf die weiterhin gultige Verfassung von 1772 und liess auf deren Grundlage eine Konigswahl durchfuhren So wurde Friedrich Karl am 9 Oktober 1918 zum Konig Finnlands gewahlt 6 Republik mit monarchistischem Einschlag Bearbeiten nbsp Die erste Seite der Verfassung auf Schwedisch Erneut wurde die Verfassungsdebatte von den ausseren Ereignissen uberholt Der Zusammenbruch der deutschen Kriegfuhrung und die Abdankung des Kaisers Wilhelm II am 9 November 1918 entzogen der finnischen Krone des Deutschen Friedrich Karl den Boden Svinhufvud und Paasikivi wandten sich nun an den ehemaligen Oberbefehlshaber der Armee Carl Gustaf Emil Mannerheim der im Mai unter anderem wegen seiner kritischen Haltung an der Deutschlandorientierung der Regierung seinen Rucktritt eingereicht hatte und nun die Beziehungen zu den Ententemachten verbessern sollte Paasikivis Senat wurde am 27 November durch eine neue Regierung unter Lauri Ingman ersetzt Erstmals wurde die Regierung nicht mehr Senat sondern Staatsrat valtioneuvosto genannt und Ingman fungierte als Ministerprasident Am 12 Dezember trat Svinhufvud zuruck Mannerheim wurde neuer Reichsverweser Zwei Tage spater verzichtete Friedrich Karl offiziell auf seine Krone 7 Zur gleichen Zeit fuhrten die fundamentalen Differenzen in der Frage der Staatsform zu einer Neusortierung der burgerlichen Parteienlandschaft Der Grossteil der Jungfinnischen Partei sowie die kleine Volkspartei gingen in der republikanischen Nationalen Fortschrittspartei auf die jungfinnischen Monarchisten und der Grossteil der Finnischen Partei grundeten die Nationale Sammlungspartei Republikanisch gesinnt waren auch der Landbund sowie die Sozialdemokraten Auf Druck der Ententemachte wurden im Marz 1919 Parlamentswahlen abgehalten die den republikanischen Parteien eine uberwaltigende Mehrheit bescherten Zum neuen Ministerprasidenten bestimmte der Reichsverweser Kaarlo Castren von der Fortschrittspartei In dieser politischen Lage war es nunmehr offensichtlich dass die neue Verfassung Finnlands eine republikanische sein wurde Die Parlamentsmehrheit aus Sozialdemokraten Landbund und Fortschrittspartei befurwortete eine die Volkssouveranitat betonende Losung in welcher die Macht auf das Parlament konzentriert ware Die bisherigen Monarchisten verlangten dagegen dass dem Staat ein starkes Staatsoberhaupt vorstehen musse ob dies nun ein Konig oder ein Prasident sei Sie stutzten sich auf die Montesquieu sche Lehre von der Gewaltenteilung und auf die Ansicht dass ein unabhangiges Staatsoberhaupt eigensuchtige und ubersturzte Entscheidungen verhindern konne 8 Die Reichstagsordnung sah vor dass ein verfassungsandernder Beschluss mit einfacher Mehrheit gefasst werden und nach einer weiteren Parlamentswahl vom nachsten Parlament mit Zweidrittelmehrheit bestatigt werden musse Ohne eine zwischenzeitliche Wahl bedurfte der Beschluss einer Funfsechstelmehrheit Daher konnten die Monarchisten mit ihren rund 50 der 200 Abgeordneten die Verfassungsgebung bis nach einer weiteren Parlamentswahl aufschieben Bis dahin wurde nicht einmal ein Prasident gewahlt werden konnen Da die labile aussenpolitische Lage einen solchen Schwebezustand gefahrlich erscheinen liess wurden den Monarchisten bedeutende Zugestandnisse gemacht Am 21 Juni 1919 verabschiedete das Parlament eine Verfassung die auf dem bereits 1917 von einer Kommission unter der Leitung von Kaarlo Juho Stahlberg erarbeiteten Entwurf sowie auf dem Kompromissvorschlag von Heikki Ritavuori beruhte und mit dem starken Prasidenten an der Spitze monarchistische Zuge erkennen liess Nach kurzem Zogern unterzeichnete der monarchistisch gesinnte Reichsverweser Mannerheim am 17 Juli die Verfassung die damit in Kraft trat 9 Weitere Verfassungsgesetze und Geltungsdauer Bearbeiten Das Tauziehen um die richtige Verfassung und die letztlich eilige Verabschiedung der Verfassung hatten zur Folge dass nicht alle sachlich zur Staatsverfassung gehorenden Regelungen im 1919 verabschiedeten Verfassungsgesetz wie in Schweden Regierungsform hallitusmuoto genannt niedergelegt wurden Die Reichstagsordnung valtiopaivajarjestys von 1906 die zum verfassungsrechtlichen Kernbereich gehorende Regelungen wie das Gesetzgebungsverfahren enthielt blieb unverandert in Kraft bis sie 1928 erneuert und den Bedurfnissen der Republik angepasst wurde Einige weitere Bereiche waren 1919 ungeregelt geblieben und so wurde die Verfassung 1922 durch zwei weitere Gesetze erganzt eines betreffend die Kontrolle und Verantwortlichkeit von Regierungsmitgliedern das andere betreffend den Staatsgerichtshof Diese vier Gesetze hatten gleichermassen Verfassungsrang und ihre Anderung konnte nur im verfassungsgebenden Verfahren erfolgen Es gehorte damit wahrend der gesamten Geltungsdauer der Verfassung von 1919 zu den mit dem benachbarten Schweden geteilten Besonderheiten des finnischen Verfassungsrechts dass die Verfassung nicht in einem sondern in vier Gesetzesdokumenten enthalten war Sie blieb mit vereinzelten Anderungen in Kraft bis sie mit Wirkung zum 1 Marz 2000 von der neuen finnischen Verfassung abgelost wurde Grundzuge der finnischen Verfassungsordnung 1919 2000 BearbeitenDie durch die Verfassung von 1919 geschaffene Verfassungsordnung hatte in ihren wesentlichen Zugen bis ins Jahr 2000 Bestand Sie fusste auf der Gesetzgebungsmacht des Parlaments einerseits und einer starken administrativen Stellung des Prasidenten andererseits Viele der wesentlichen Zuge der Verfassungsordnung lehnten sich an die im Grossfurstentum Finnland geltenden Institutionen an Parlament Bearbeiten nbsp Seit 1931 tagt das finnische Parlament im von Johan Sigfrid Siren entworfenen Parlamentsgebaude Die oberste Gewalt im Staat sprach die Verfassung von 1919 der Volksvertretung zu welche im Finnischen den 1906 angenommenen Namen Parlament eduskunta wortlich Vertreterschaft in der schwedischen Sprache dagegen weiterhin den aus der Zeit von Konig Gustav I Wasa stammenden Namen Reichstag riksdag fuhrte Das Parlament war das zentrale Gesetzgebungsorgan Gesetzesinitiativen konnten vom Staatsrat aber auch von einzelnen Abgeordneten ausgehen Die Legislaturperiode des Parlaments betrug ursprunglich drei Jahre Sie wurde 1954 um ein Jahr verlangert Die Wahl des aus 200 Abgeordneten bestehenden Parlaments erfolgte in allgemeiner und gleicher Wahl durch alle mannlichen und weiblichen Staatsburger ab dem Alter von 24 Die Altersgrenze wurde 1945 auf 21 1970 auf 20 und schliesslich 1975 auf 18 Jahre gesenkt Alle Wahlberechtigten waren auch passiv wahlberechtigt Das Wahlsystem beruhte auf einer Einteilung in Wahlkreise aus denen jeweils im Verhaltniswahlrecht eine dem Bevolkerungsanteil des Wahlkreises entsprechende Zahl von Abgeordneten gewahlt wurde Seit 1948 bildete die autonome Provinz Aland einen eigenen Wahlkreis der unabhangig von der Einwohnerzahl einen Abgeordneten entsandte In den Wahlen gab der Wahler seine Stimme nicht einer Partei sondern unmittelbar individuellen Kandidaten Die Gesamtsumme der an Kandidaten einer Partei gegebenen Stimmen in einem Wahlkreis entschied uber die Zahl der von dieser Partei aus dem Wahlkreis zu entsendenden Abgeordneten wobei die Verteilung nach dem D Hondt Verfahren erfolgte Die Sitze der Partei wurden von den Kandidaten mit den meisten individuellen Stimmen eingenommen Prasident und Regierung Bearbeiten Die starke Stellung des finnischen Prasidenten die deutliche Zuge des bisherigen monarchistischen Systems trug gehorte zu den pragenden Eigenschaften der finnischen Verfassung von 1919 Der Prasident war der Oberbefehlshaber der Armee In Kriegszeiten konnte er den Befehl an eine andere Person ubertragen war hierzu aber nicht verpflichtet Die Aussenpolitik unterstand der Autoritat des Prasidenten fur Entscheidungen uber Krieg und Frieden bedurfte er jedoch der Zustimmung des Parlaments Er hatte das jederzeitige Recht das Parlament nach eigenem Ermessen aufzulosen und Neuwahlen anzusetzen Vom Parlament beschlossene Gesetze bedurften grundsatzlich der Unterschrift des Prasidenten Verweigerte er die Ausfertigung konnte das Gesetz erst nach den nachsten Parlamentswahlen durch das neue Parlament erneut beschlossen werden In diesem Fall trat es auch ohne die Ausfertigung des Prasidenten in Kraft Die Regierung des Landes stellte der Staatsrat dar Dieser stand in der Kontinuitat der Wirtschaftsabteilung des Senats aus der Zeit des Grossfurstentums Der Vorsitz wurde vom Ministerprasidenten gefuhrt Ebenso wie fruher der Senat wurde der Staatsrat nicht vom Parlament gewahlt sondern vom Prasidenten ernannt Die neue Verfassung sah vor dass der Staatsrat das Vertrauen des Parlaments geniessen musse In der Verfassungspraxis wurde es als ausreichend angesehen dass das Parlament dem Staatsrat kein ausdruckliches Misstrauensvotum aussprach Seiner Natur nach war der Staatsrat damit vor allem ein Hilfsorgan der prasidentialen Verwaltung 10 In der Praxis schwankte das Ausmass der Einflussnahme des Prasidenten auf die Regierungsbildung ebenso wie die Ausubung seiner sonstigen Befugnisse erheblich Die Wahl des Prasidenten erfolgte vermittels eines direkt vom Volk gewahlten mit 300 Personen besetzten Wahlmannergremiums In zwei Wahlgangen erforderte die Wahl die absolute Mehrheit der Wahlmanner Soweit kein Kandidat diese Mehrheit erreichte fand zwischen den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen ein Stichentscheid im dritten Wahlgang statt Dieses System wurde 1988 durch ein gemischtes Verfahren ersetzt Das Volk stimmte direkt uber die Prasidentschaftskandidaten ab wahlte aber zugleich 300 Wahlmanner Das Wahlmannergremium fuhrte die Wahl durch wenn nicht einer der Prasidentschaftskandidaten vom Volk die absolute Mehrheit der Stimmen erhalten hatte Ab 1994 wurde die Prasidentenwahl schliesslich auf eine direkte Volkswahl umgestellt notfalls mit einem Stichentscheid im zweiten Wahlgang Damit das staatliche Leben der neuen Republik Finnland ohne weitere Verzogerungen in Gang kommen konnte sah die Verfassung fur die Wahl des ersten Prasidenten eine Ausnahmeregelung vor Dieser wurde bereits am 27 Juli 1919 unmittelbar durch das Parlament gewahlt Der Kandidat des linken und mittleren politischen Spektrums Kaarlo Juho Stahlberg setzte sich mit 143 zu 50 Stimmen gegen den fur die Konservativen angetretenen Gustaf Mannerheim durch Die Amtszeit des Prasidenten betrug sechs Jahre Ursprunglich konnte der amtierende Prasident beliebig oft erneut antreten Im Jahr 1994 wurde durch Verfassungsanderung die Amtsinhaberschaft auf zwei aufeinanderfolgende Amtsperioden begrenzt Verfassung und Gesetzgebung Bearbeiten Die Anderung der in den vier Verfassungsgesetzen niedergelegten Bestimmungen setzte ein besonderes Gesetzgebungsverfahren voraus Nachdem das Parlament das Gesetz in dritter Lesung mit einfacher Mehrheit beschlossen hat musste das Gesetz uber die nachste Parlamentswahl hinaus ruhen und sodann vom neuen Parlament mit Zweidrittelmehrheit bestatigt werden Im Eilverfahren konnten verfassungsandernde Gesetze ohne zwischenzeitliche Wahl mit einer Funfsechstelmehrheit verabschiedet werden Als verfassungsrechtliches Erbe aus der Zeit des Grossfurstentums brauchten verfassungsandernde Gesetze nicht den Text der Verfassungsgesetze zu andern Vielmehr konnte jedes regulare Gesetz Vorschriften enthalten die mit der Verfassung in Konflikt standen Ein solches als Ausnahmegesetz bezeichnetes Gesetz musste im gleichen Gesetzgebungsverfahren beschlossen werden wie ein unmittelbar verfassungsanderndes Gesetz Das Institut der Ausnahmegesetze hatte sich in der Zeit der russischen Herrschaft entwickelt da damals die alten schwedischen Verfassungsgesetze fortgalten diese aber nach seinerzeitigem Verstandnis durch finnische Staatsorgane nicht unmittelbar geandert werden konnten So mussten sich die finnischen Gesetzgeber mit der mittelbaren Anderung der Vorschriften durch Ausnahmegesetze behelfen 11 Die Kontrolle der Verfassungsmassigkeit von Gesetzen wurde bereits in der russischen Zeit durch einen Gesetzesausschuss der finnischen Stande ausgeubt Diese Tradition setzte sich im unabhangigen Finnland im Verfassungsausschuss des Parlaments fort Dieses aus Parlamentsabgeordneten gebildete Gremium gab im jeweiligen Gesetzgebungsverfahren Stellungnahmen zu Verfassungsfragen ab Dabei war Zielrichtung der Vorabkontrolle vornehmlich die Findung des richtigen Gesetzgebungsverfahrens Solange das Ausnahmegesetzverfahren eingehalten wurde konnte ein Gesetz nach finnischem Verstandnis nicht gegen die Verfassung verstossen Erst im letzten Jahrzehnt des Bestehens der Verfassung von 1919 verschob sich die Praxis in Richtung auf eine inhaltliche Anpassung der Gesetze 12 Der Verfassungsausschuss war in der Verfassung von 1919 nicht ausdrucklich vorgesehen und wurde erst 1995 im Zuge der Grundrechtsreform in den Verfassungstext aufgenommen Nichtsdestoweniger stellte er die einzige Kontrollinstanz dar Weder sah die Verfassung ein Verfassungsgericht vor noch hatten die finnischen Gerichte die Kompetenz einfache Gesetze wegen eines Verstosses gegen die Verfassung zu verwerfen oder unangewendet zu lassen Grundrechte Bearbeiten Das zweite Kapitel der Verfassung von 1919 enthielt eine Reihe von Grundrechten unter ihnen die Freiheit der Person der Gleichberechtigungsgrundsatz Meinungs und Pressefreiheit Versammlungs und Vereinigungsfreiheit sowie die Glaubensfreiheit Die Regelungen zu den Grundrechten waren knapp und beschrankten sich in vielen Fallen auf die Aufzahlung des Rechts und die Feststellung dass uber den Gebrauch des Grundrechts durch Gesetz bestimmt wird In der Praxis haben sich daher nur schwerfallig konkrete Anwendungsgrundsatze herausgebildet vornehmlich durch die Tatigkeit des Verfassungsausschusses In den Gerichten blieb die direkte Anwendung der Grundrechte ein seltener Ausnahmefall Im Jahr 1995 wurden die Grundrechte in einer umfassenden Reform neu gefasst und internationalen Standards angepasst Auch nach der Reform blieb es jedoch dabei dass die Grundrechte keinen individuellen Schutz gegen grundrechtswidrige formelle Gesetze des Parlaments gewahrten 13 Die Verfassung legte fest dass die finnische und die schwedische Sprache gemeinsam Landessprachen sind und sich grundsatzlich gleichberechtigt gegenuberstehen Die Verfassung stellte damit einen ersten Schlusspunkt hinter den uber Jahrzehnte erbittert gefuhrten Sprachenstreit dar Ablosung BearbeitenSeit den Siebzigerjahren des 20 Jahrhunderts war die finnische Verfassung zunehmendem Modernisierungsdruck ausgesetzt Viele Einzelreformen die bedeutendste unter ihnen die Grundrechtsreform wurden im Wege der Anderung einzelner Verfassungsvorschriften durchgefuhrt Zunehmend gewann aber die Auffassung Oberhand dass die in verschiedene Grundgesetze verstreute Verfassung auf Dauer nicht in zufriedenstellender Weise modernisiert werden kann Das Parlament forderte die Regierung 1990 zur Vorbereitung eines neuen Grundgesetzes auf Im Folgejahr schloss sich die Verfassungskommission diesem Standpunkt an 1992 brachte das Parlament zum Ausdruck dass es insbesondere eine starkere Bindung des Prasidenten an das Parlament fur erforderlich halt 14 Der Staatsrat legte 1998 den Entwurf fur die neue Verfassung vor die in modifizierter Form am 1 Juni 1999 verabschiedet wurde Sie trat am 1 Marz 2000 in Kraft und hob damit alle vier bisherigen Verfassungsgesetze auf Literatur BearbeitenHelen Endemann Das Regierungssystem Finnlands die finnische Regierungsform von 1919 im Vergleich mit der Weimarer Reichsverfassung Lang Frankfurt am Main 1999 Europaische Hochschulschriften Reihe 2 Rechtswissenschaft ISBN 3 631 34568 2 Martin Scheinin Valtiosaantooikeus ja ihmisoikeudet In Pekka Timonen Hrsg Johdatus Suomen oikeusjarjestelmaan Nide 2 Rikos ja prosessioikeus seka julkisoikeus Lakimiesliiton Kustannus Helsinki 1999 ISBN 952 14 0001 3 S 234 274 zitiert Scheinin Pentti Virrankoski Suomen historia 2 SKS Helsinki 2001 ISBN 951 746 342 1 zitiert Virrankoski Ingrid Bohn Finnland Von den Anfangen bis zur Gegenwart Verlag Friedrich Pustet Regensburg 2005 ISBN 3 7917 1910 6 Einzelnachweise Bearbeiten Virrankoski S 705 Anthony F Upton Vallankumous Suomessa 1917 1918 I osa Kirjayhtyma Helsinki 1980 ISBN 951 26 1828 1 S 268 274 zitiert nach Anthony F Upton Vallankumous Suomessa 1917 1918 I osa Kirjayhtyma Helsinki 1980 ISBN 951 26 1828 1 S 296 Ubersetzung durch den Verfasser Virrankoski S 754 Virrankoski S 756 f Virrankoski S 756 f Virrankoski S 764 766 Virrankoski S 770 Virrankoski S 770 f 773 Scheinin S 249 Scheinin S 241 Scheinin S 241 f Scheinin S 254 f Gesetzesvorlage zur neuen Verfassung HE 1 1998 Weblinks BearbeitenFinnische Verfassung von 1919 und spatere Anderungen finnisch Erste Fassung der Verfassung schwedisch Deutsche Ubersetzung des finnischen und schwedischen Verfassungstextes von 1919 nbsp Dieser Artikel wurde am 22 September 2007 in dieser Version in die Liste der exzellenten Artikel aufgenommen Normdaten Werk GND 4154443 2 lobid OGND AKS VIAF 191701706 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Finnische Verfassung von 1919 amp oldid 195015239