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Die Einteilung der Lebewesen in Systematiken ist kontinuierlicher Gegenstand der Forschung So existieren neben und nacheinander verschiedene systematische Klassifikationen Das hier behandelte Taxon ist durch neue Forschungen obsolet geworden oder ist aus anderen Grunden nicht Teil der in der deutschsprachigen Wikipedia dargestellten Systematik Strahlentierchen oder Radiolarien Radiolaria lat radiolus kleiner Strahl 1 sind eine Gruppe einzelliger Lebewesen mit einem Endoskelett aus Opal Siliciumdioxid SiO2 die zu den Eukaryoten gehort Die Radiolarien haben radial abstehende Cytoplasma Fortsatze Axopodien die von innen mit dunnen starren Stacheln aus Siliciumdioxid und von aus Protein bestehenden Bundeln von Mikrotubuli gestutzt werden Die Siliciumdioxid Stutzen gehen strahlenformig von einem ebenfalls aus Siliciumdioxid bestehenden Endoskelett aus das aus einer spharischen durchlocherten Kapsel oder mehreren konzentrisch angeordneten derartigen Kapseln besteht Radiolarien besitzen also ein kieseliges Skelett das aber neben Siliciumdioxid auch organische Bestandteile enthalt Arten der Gruppe der Acantharea bilden eine Ausnahme sie bilden die Stacheln aus Strontiumsulfat 2 Tafel mit Radiolarien aus Haeckels Kunstformen der NaturSehr bekannt wurden die Zeichnungen von Radiolarienskeletten die Ernst Haeckel angefertigt und 1862 in der Monographie Die Radiolarien veroffentlicht hat 3 Inhaltsverzeichnis 1 Merkmale 2 Okologie und Stammesgeschichte 3 Geologische Bedeutung 4 Systematik 5 Forschungsgeschichte 6 Kommerzielle Bedeutung 7 Einzelnachweise 8 Literatur 9 WeblinksMerkmale BearbeitenDie Grosse der kugeligen oder mutzenformigen Skelette liegt meist zwischen 50 und 500 mm 4 Die Axopodien dienen dem Schweben im Wasser und zur Nahrungsaufnahme Radiolarien sind heterotroph und nehmen geloste Nahrstoffe aus dem Wasser auf oder partikulare Nahrstoffe die sich an den Axopodien verfangen Es gibt Formen die mit einer Gallerte zusammengehaltene Kolonien bilden Innerhalb der Skelettkapsel liegen die Mitochondrien das Cytoplasma ausserhalb der Kapsel enthalt Vakuolen durch eine Cytoplasmamembran abgegrenzter mit Flussigkeit erfullter Raum Im ausseren Cytoplasma werden manchmal auch einzellige Algen als phototrophe Symbionten aufgenommen Okologie und Stammesgeschichte BearbeitenRadiolarien kommen als Plankton ausschliesslich im Meer vor 4 und zwar vor allem in oberflachennahen Bereichen warmerer Meeresteile des Pazifiks und Indiks selten im Atlantik Eindeutige erste fossile Belege der Gruppe stammen aus dem Mittelkambrium Australiens aus der 507 bis 505 Millionen Jahre alten Inca Formation des Georgina Beckens in Queensland ihr Ursprung liegt aber wahrscheinlich im Neoproterozoikum 5 Im Verlauf des Palaozoikums waren die vorherrschende Radiolarienordnung bzw unterordnung die Entactinaria Mit Beginn der Trias wurden sie dann allmahlich von den Spumellaria verdrangt um dann an der Trias Jura Grenze beinahe auszusterben 6 Ab dem Pennsylvanium erlangten neben den Entactinaria Albaillellaria ebenfalls eine sehr bedeutende Stellung unter den Radiolarien die sie bis zum Beginn der Obertrias dem Zeitpunkt ihres Aussterbens beibehalten sollten Auch die Spumellaria hatten bei diesem Massenaussterben stark gelitten und rund zwei Drittel ihrer Taxa verloren Davon profitierten die Nassellaria die einen enormen Aufschwung in ihrer Artenvielfalt erlebten und bis zur Kreide Tertiar Grenze dann die vorherrschende Radiolarienordnung bildeten Die Nassellaria wurden jedoch an der K T Grenze in ihrer Artenzahl zu uber zwei Drittel reduziert und ermoglichten somit den endgultigen Aufstieg der Spumellaria welche die aktuell artenreichste Radiolarienordnung darstellen Geologische Bedeutung Bearbeiten nbsp Kleine kugelformige Radiolarien mit grossen Foraminiferen aus einer ca 12000 Jahre alten Sedimentprobe vom antarktischen Kontinentalhang Mittlerer Durchmesser der Radiolarien 0 5 mmRadiolarien gehoren neben Schwammen und Kieselalgen zu den gesteinsbildenden Organismen mit Opalskelett Opal A Sind ihre Ablagerungen massenhaft angereichert bilden sie kieselige biogene Sedimente 7 Radiolarien kommen in den Meeren in sehr grossen Mengen vor und entnehmen dem Wasser Siliciumdioxid zum Bau ihrer Skelette Nach ihrem Absterben sinken sie ab wobei die organischen Bestandteile zersetzt werden und nur das Skelettmaterial erhalten bleibt Am Meeresboden bildet sich ein rotbrauner grunlicher oder grauschwarzer Radiolarienschlamm 4 aus Skelettopal wasserhaltiges amorphes SiO2 Radiolarienschlamme bedecken etwa 2 6 der Meeresboden Hauptverbreitungsgebiet im aquatorialen Westpazifik und bestehen zu 30 80 aus Radiolarienskelettmaterial durchschnittlich enthalten sie etwa 55 kieselige Bestandteile der restliche Sedimentanteil besteht uberwiegend aus Kalk der zum grossten Teil aus den Schalen von Foraminiferen stammt Unter dem Druck der auflagernden Schichten verfestigt sich das Sediment und der organisch entstandene instabile Opal wird mit fortschreitender Diagenese Gesteinsbildung schrittweise zu Opal CT und schliesslich zu stabilem Mikroquarz umgewandelt Es entstehen Radiolarite auch Hornstein genannt Schwarzer Hornstein wird haufig als Lydit oder etwas irrefuhrend als Kieselschiefer bezeichnet 4 Systematik BearbeitenVor der Ara der Phylogenomik erschienen die Radiolaria aufgrund der Merkmale des Skeletts als gut abgesicherte Gruppe Seit Stammbaume auf Basis des Vergleichs homologer DNA Sequenzen als neuem Merkmal aufgestellt werden konnen wurde die traditionelle Gruppe zunehmend in Zweifel gezogen Zunachst erwies es sich 2004 dass die Phaeodarea naher mit den Cercozoa verwandt sein mussen als mit den anderen Radiolaria Thomas Cavalier Smith zog daraus die Konsequenz die Phaeodarea auszugliedern das verbleibende Taxon aus den verbleibenden beiden Gruppen in der klassischen Systematik im Rang von Klassen den Acantharea und Polycystinea fasste er als neues Taxon unter dem Namen Radiozoa Die Radiozoa bildeten dieser Theorie zufolge gemeinsam mit den Foraminifera Kammerlingen die Abteilung Retaria 8 Spatere Untersuchungen haben dann aber ergeben dass auch die Radiozoa im Sinne von Cavalier Smith moglicherweise kein monophyletisches Taxon sind Es erwies sich als Moglichkeit dass die selbst monophyletischen Foraminiferen mit kalkigen Skeletten nicht die Schwestergruppe der Acantharea und der Polycystinea zusammen bilden sondern in diese eingeschachtelt sind Dieses Ergebnis war zwar schon langer bekannt es wurde aber immer noch vermutet dass es sich um ein Datenartefakt aufgrund unterschiedlicher Evolutionsgeschwindigkeiten sog Long branch attraction handeln konnte Die Gruppierung zeigte sich aber auch in Analysen unter Verwendung zahlreicher Gene Moglicherweise sind die Foraminiferen die Schwestergruppe der Acantharea Damit wurden auch die beiden ubrigen Klassen der ehemaligen Radiolaria kein gemeinsames Taxon mehr bilden sondern eine paraphyletische Zusammenfugung 9 10 Auch dieses Ergebnis wurde aber von anderen Untersuchern wieder in Zweifel gezogen 11 Zahlreiche neuere Systeme etwa WoRMS 12 oder das Handbook of the Protists 13 halten daher an einer monophyletischen Gruppe die den Radiozoa entspricht fest Alle moderneren Analysen stimmen zumindest darin uberein dass es sich bei den Rhizaria den Retaria und den Foraminifera um monophyletische Taxa handelt Ob ein Phylum Radiozoa existiert oder wie die hierher gehorenden Gruppen alternativ geordnet werden konnen ist bis in jungste Zeit umstritten alle veroffentlichten Phylogenien sind instabil und untereinander widerspruchlich Das System hier nach Cavalier Smith 2018 sahe als eine Moglichkeit etwa so aus Infraphylum Radiozoa Cavalier Smith 1987 Klasse Polycystinea Ehrenberg 1838 Ordnung Collodarida Haeckel 1881 alternativ Collodaria geschrieben Ordnung Nassellaria Ehrenberg 1875 Ordnung Spumellaria Ehrenberg 1875 Klasse Acantharia Haeckel 1881 stat n Cavalier Smith 1993 auch Acantharea geschrieben Skelett besteht aus Strontiumsulfat Ordnung Arthracanthida Schewiakoff 1926 hier unter Einschluss der Symphyacanthida Schewiakoff 1926 Ordnung Chaunacanthida Schewiakoff 1926 Ordnung Holacanthida Schewiakoff 1926 Ordnung Acanthoplegmida Rechetniak 1981 Infraphylum Sticholonchia Cavalier Smith 2018 mit der Ordnung Taxopodida und der einzigen Art Sticholonche zanclea Hertwig 1877 fruher zu den Sonnentierchen gerechnet Die Gliederung der Polycystinea entspricht derjenigen im Handbook of the Protists 2016 Einige Autoren halten fur die umstrittene Klade aus Polycystinea und Acantharia sogar den alten Namen Radiolaria aufrecht 14 In der Ozeanologie und der marinen Okologie wird ofters eine Gruppe der Radiolarien als Formtaxon und okologische Gruppe aufrechterhalten Auch bei den fossilen Taxa die ausschliesslich nach Skelettmerkmalen klassifiziert werden konnen ist die Gruppierung noch gangig Forschungsgeschichte BearbeitenRadiolarien wurden 1834 von Franz Julius Ferdinand Meyen zum ersten Mal beschrieben darunter die Gattung Sphaerozoum gleichzeitig lieferte er drei Abbildungen Ab 1838 fuhrte Christian Gottfried Ehrenberg bedeutende Arbeiten uber Radiolarien durch bis 1875 detaillierte er mehrere hunderte lebender bzw fossiler Taxa des Kanozoikums Die Bezeichnung Radiolarie wurde 1858 von Johannes Muller etabliert er war auch der erste der Radiolarien als Einzeller erkannte In einer Synthese erstellte er 1879 anhand der Kapselmorphologie eine erstmalige Unterteilung in verschiedene Gruppen Ihm folgte Ernst Haeckel mit seinem Monumentalwerk das im Jahr 1887 veroffentlicht wurde auf 1800 Seiten und 140 Abbildungstafeln beschrieb er 785 neue Arten Ausserdem errichtete er mittels der Ausformung des Kieselskeletts eine neue geometrisch inspirierte Klassifikation die noch bis in die 1970er Verwendung fand Mit seiner zytologischen Studie Histologie der Radiolarien aus dem Jahr 1876 hatte Richard von Hertwig eine bahnbrechende Untersuchung uber den Gewebebau der Radiolarien veroffentlicht Zwischen dem Beginn des Ersten Weltkrieges und den fruhen 1950ern war die Radiolarienforschung ins Stocken geraten bedingt teilweise durch das Festhalten an Haeckels Klassifikationssystem Erst 1952 wurden mit William Riedel wieder neue wissenschaftliche Fortschritte erzielt Riedel konnte anhand von Profilen verdeutlichen dass sich die Radiolarien wahrend des Kanozoikums genau wie andere Protisten evolutiv verandert hatten und daher ebenfalls wertvolle stratigraphische Indikatoren darstellten Riedels Arbeiten waren durch die Tiefseebohrungen des DSDP bzw ODP wesentlich gefordert worden 1962 schliesslich begrundete Maria Petrushevskaya eine von Haeckel abweichende naturliche Klassifizierung der Radiolarien welche auf dem Innenskelett und dessen Evolution basierte In den 1970ern wurden dann biostratigraphisch die ersten Radiolarienzonen ausgewiesen anfangs fur die Kreide spater dann auch fur den Jura und die Trias nbsp Wetzsteinkalk aus dem Ammergebirge mit Radiolarienresten Dunnschliff Kommerzielle Bedeutung BearbeitenIm Ammergebirge und besonders bei dem Ort Unterammergau treten in den Alpen jurassische Kalksteine auf die bis zu 12 5 Siliziumdioxid in Form von Radiolarienskeletten enthalten Diese Gesteine wurden bis in die Mitte des 20 Jahrhunderts als Rohstoff fur die ortlichen Wetzsteinschleifereien abgebaut 15 Der abrasive Effekt der daraus hergestellten Wetzsteine ergibt sich aus der gleichmassigen Verteilung der harten Radiolarienskelette in der weichen Kalksteinmatrix In der Steinzeit wurde Radiolarit ahnlich wie Feuerstein oft fur Steinwerkzeuge verwendet Einzelnachweise Bearbeiten Erwin J Hentschel Gunther H Wagner Zoologisches Worterbuch 6 Auflage Gustav Fischer Verlag Jena Jena 1996 S 507 Rieger Reinhard Westheide Wilfried Spezielle Zoologie Teil 1 Einzeller und Wirbellose Tiere Spektrum Stuttgart 2006 ISBN 3 8274 1575 6 Ernst Haeckel Die Radiolarien 1862 Abgerufen am 12 April 2021 a b c d Peter Rothe Gesteine Entstehung Zerstorung Umbildung 1 Auflage Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1994 S 94 Won M Z amp Below R Cambrian Radiolaria from the Georgina Basin Queensland Australia In Micropaleontology Band 45 4 1999 S 325 363 Kozur H amp Mostler H Entactinaria subordo nov a new radiolarian suborder In Geol Palaontol Mitt Innsbruck Band 11 12 1982 S 399 414 zobodat at PDF Peter Rothe Gesteine Entstehung Zerstorung Umbildung 1 Auflage Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1994 S 93 Thomas Cavalier Smith 2003 Protist phylogeny and the high level classification of Protozoa European Journal of Protistology 39 338 348 doi 10 1078 0932 4739 00002 Roberto Sierra Mikhail V Matz Galina Aglyamova Loic Pillet Johan Decelle Fabrice Not Colomban de Vargas Jan Pawlowski 2013 Deep relationships of Rhizaria revealed by phylogenomics A farewell to Haeckel s Radiolaria Molecular Phylogenetics and Evolution 67 53 59 doi 10 1016 j ympev 2012 12 011 Roberto Sierra Silvia J Canas Duarte Fabien Burki Arne Schwelm Johan Fogelqvist Christina Dixelius Laura N Gonzalez Garcia Gillian H Gile Claudio H Slamovits Christophe Klopp Silvia Restrepo Isabelle Arzul Jan Pawlowski 2016 Evolutionary Origins of Rhizarian Parasites Molecular Biology and Evolution 33 4 980 983 doi 10 1093 molbev msv340 Thomas Cavalier Smith Ema E Chao Rhodri Lewis 2018 Multigene phylogeny and cell evolution of chromist infrakingdom Rhizaria contrasting cell organisation of sister phyla Cercozoa and Retaria Protoplasma 255 5 1517 1574 doi 10 1007 s00709 018 1241 1 phylum Radiozoa World Register of Marine Species abgerufen am 26 November 2018 Demetrio Boltovskoy O Roger Anderson Nancy M Correa Radiolaria and Phaeodaria In J M Archibald A G B Simpson C H Slamovits Hrsg Handbook of the Protists 2nd edition 2016 Springer Verlag Berlin Heidelberg etc doi 10 1007 978 3 319 32669 6 19 1 Jean David Grattepanche Laura M Walker Brittany M Ott Daniela L Paim Pinto Charles F Delwiche Christopher E Lane Laura A Katz 2018 Microbial Diversity in the Eukaryotic SAR Clade Illuminating the Darkness Between Morphology and Molecular Data BioEssays 40 4 12 Seiten doi 10 1002 bies 201700198 Stefan Glaser Ulrich Lagally Georg Loth Hubert Schmid Klaus Schwerd Geotope in Oberbayern In Bayerisches Landesamt fur Umwelt Hrsg Erdwissenschaftliche Beitrage zum Naturschutz Band 6 Augsburg 2008 ISBN 978 3 940009 94 4 S 128 129 Literatur BearbeitenJohannes Muller Uber die Thalassicollen Polycystinen und Acanthometren des Mittelmeeres Abhandlungen der Koniglichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1858 S 1 62 David Rust Beitrage zur Kenntniss der fossilen Radiolarien aus Gesteinen des Jura von Dr Rust T Fischer 1885 David Rust Beitrage zur Kenntniss der fossilen Radiolarien aus Gesteinen der Kreide von Dr Rust E Koch 1887 David Rust Beitrage zur Kenntniss der fossilen Radiolarien aus Gesteinen der Trias und der palaeozoischen Schichten von Dr Rust E Koch 1891 David Rust Neue Beitrage zur Kenntniss der fossilen Radiolarien aus Gesteinen des Jura und der Kreide von Dr Rust E Naegele 1898Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Strahlentierchen Radiolaria Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Biodiversity Heritage Library Die Radiolarien Rhizopoda radiaria eine Monographie Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Strahlentierchen amp oldid 236844093