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Der Sachsenhausen Prozess in russischer Sprache offiziell als Berlinskij Prozess Berliner Prozess bezeichnet war ein Kriegsverbrecherprozess der UdSSR der in der Sowjetischen Besatzungszone vor einem Sowjetischen Militartribunal SMT gegen Angehorige des ehemaligen Lagerpersonals des Konzentrationslagers Sachsenhausen durchgefuhrt wurde Dieser Prozess fand vom 23 Oktober bis zum 1 November 1947 im Rathaus Pankow auf der Rechtsgrundlage des Kontrollratsgesetzes Nr 10 statt Angeklagt waren der letzte Lagerkommandant des KZ Sachsenhausen sowie zwolf Angehorige seines Stabes ein Zivilbeamter und zwei ehemalige Funktionshaftlinge aufgrund von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit Das Verfahren endete mit 16 Schuldspruchen neben 14 lebenslangen Freiheitsstrafen wurden zwei funfzehnjahrige Haftstrafen verhangt Der Sachsenhausen Prozess eines der wenigen offentlichen SMT Verfahren war ein stalinistischer Schauprozess Prozessort Das Pankower Rathaus als Sitz der sowjetischen Kommandantur 1946Inschriften auf den Transparenten Es lebe die Verfassung der UdSSR Ruhm den Stalinschen Feldherren zwischen den Fensterreihen und Ruhm dem grossen Stalin Mittelteil uber dem Portrat Inhaltsverzeichnis 1 Vorbereitungen 2 Rechtsgrundlagen 2 1 Anklage 2 2 Gericht 3 Prozessdurchfuhrung 3 1 Die 16 Urteile im Einzelnen 4 Vollzug der Urteile 5 Wertungen und Wirkungen 6 Weitere Prozesse 7 Weitere Prozessinformationen 8 Literatur 9 Weblinks 10 EinzelnachweiseVorbereitungen BearbeitenNach der Befreiung vom Nationalsozialismus ubergaben die britischen Militarbehorden bis September 1946 mindestens zwolf der Angeklagten die sich in ihrem Gewahrsam befanden einschliesslich umfangreichem Beweis und Ermittlungsmaterials den sowjetischen Behorden Zwei beschuldigte Funktionshaftlinge sowie ein beschuldigter Zivilist befanden sich bereits seit 1945 in sowjetischem Gewahrsam Insgesamt befanden sich schliesslich mindestens 30 Angehorige des Sachsenhausener Lagerpersonals in sowjetischer Internierung 1 Da es zunachst unklar war ob der Prozess nicht auch vor einem deutschen Gericht durchgefuhrt werden wurde strengte auch die brandenburgische Generalstaatsanwaltschaft diesbezugliche Ermittlungen an 2 Zudem fuhrten die sowjetischen Behorden noch umfassende Ermittlungen durch insbesondere zu der Erschiessung tausender sowjetischer Kriegsgefangener im KZ Sachsenhausen Am 10 Dezember 1946 wurde schliesslich entschieden gegen 16 Angeklagte einen offentlichen Hauptprozess vor einem SMT zu fuhren und gegen die anderen Beschuldigten nicht offentliche Verfahren durchzufuhren Hintergrund dieser Entscheidung auf hochster sowjetischer Ebene fur die Angeklagtenauswahl fur einen offentlichen Prozess war wohl neben der Schwere der Taten auch Funktion und Bekanntheit der Angeklagten Noch im Dezember 1946 wurden die Prozessvorbereitungen intensiviert und die Beschuldigten verstarkt verhort 1 Zuvor wurde der Film Todeslager Sachsenhausen im ehemaligen Konzentrationslager erstellt der spater im Prozess als Beweisstuck dienen sollte 3 Vor Beginn des Sachsenhausen Prozesses waren die spateren Angeklagten als Untersuchungshaftlinge im Speziallager Sachsenhausen interniert 4 Die Beschuldigten wurden im Zuge der Prozessvorbereitungen intensiv verhort Zeugen gegenubergestellt und fur ihre Aussagen vor Gericht durch sowjetische Verhorspezialisten prapariert um einen reibungslosen Prozessablauf nach sowjetischen Vorstellungen zu gewahrleisten 5 Rechtsgrundlagen BearbeitenUrsprunglich war geplant den Prozess nach Ukas 43 durchzufuhren Aufgrund der aussenpolitischen Wirkung wurde jedoch auf Empfehlung des sowjetischen Justizministeriums eine Verfahrensdurchfuhrung nach dem Kontrollratsgesetz Nr 10 festgelegt 6 Anklage Bearbeiten nbsp Ankunft sowjetischer Kriegsgefangener im KZ Sachsenhausen auf einer Aufnahme von 1941 Mehr als 10 000 sowjetische Kriegsgefangene wurden im KZ Sachsenhausen erschossen Angeklagt waren u a 13 ehemalige Angehorige des SS Lagerpersonals des KZ Sachsenhausen der letzte Lagerkommandant der Lagerarzt der zweite und dritte Schutzhaftlagerfuhrer der Arbeitseinsatzfuhrer der Zellenbauleiter der Leiter des Aussenlagers Klinkerwerk ein Rapportfuhrer sowie funf Blockfuhrer 7 Daruber hinaus waren noch zwei Sachsenhausener Funktionshaftlinge und der Zivilist Brennscheid angeklagt der als Beamter des Reichswirtschaftsministeriums die Schuhprufstelle im Lager leitete In dieser Funktion war er fur das 180 kopfige Schuhlaufer Kommando zustandig dass taglich elf Stunden schwerbeladen 40 km weit Wehrmachtsschuhe einlaufen musste Unter diesen Strapazen kamen viele Haftlinge vor Erschopfung um oder brachen zusammen woraufhin Brennscheid sie misshandelte Der Funktionshaftling Sakowski galt als Henker von Sachsenhausen da er bei Exekutionen von Mithaftlingen anwesend war und der brutale Kapo Zander war im Lagerkrematorium eingesetzt 7 Die Anklage basierte auf den Tatbestanden Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit Die Angehorigen des SS Lagerpersonals waren grosstenteils insbesondere der Teilnahme an der Ermordung sowjetischer Kriegsgefangener beschuldigt und allen Beschuldigten wurde daruber hinaus die Mitverantwortung fur das verbrecherische Lagerregime vorgeworfen 3 Der Standortarzt Baumkotter war zudem an medizinischen Experimenten an Haftlingen beteiligt 7 Gericht Bearbeiten Das Sowjetische Militartribunal setzte sich aus prozesserfahrenen sowjetischen Militarjuristen zusammen Den Vorsitz des Sowjetischen Militartribunals im Sachsenhausen Prozess ubernahm der Oberstleutnant Majorow Die Anklagevertreter waren der Staatsanwalt F Beljaev und dessen Stellvertreter Nikolaj Kotljar Den Angeklagten wurden sowjetische Rechtsanwalte zur Seite gestellt 6 Prozessdurchfuhrung BearbeitenAm 23 Oktober 1947 begann im Rathaus Pankow gegen 16 Angeklagte vor einem Sowjetischen Militartribunal der Sachsenhausen Prozess der in russischer Sprache offiziell als Berlinski prozess Berliner Prozess bezeichnet wurde Dieser Prozess war eines der wenigen offentlich gefuhrten SMT Verfahren Unter den Zuschauern befanden sich neben internationalen Pressevertretern auch Personlichkeiten wie Wilhelm Pieck Anna Seghers und Otto Grotewohl zugegen 8 Im Mittelpunkt des Verfahrensgegenstandes Verbrechen im KZ Sachsenhausen stand der Massenmord an mehr als 10 000 sowjetischen Kriegsgefangenen im Herbst 1941 9 Insgesamt waren 27 Zeugen geladen von denen 17 im Verfahren aussagten Innerhalb weniger Prozesstage wurde das Verfahren durchgefuhrt nach der Anklageerhebung folgten die Beweisaufnahme Pladoyers und schliesslich am 1 November 1947 Urteilsverkundung 8 Die Urteile lauteten auf 14 lebenslange Haftstrafen mit Zwangsarbeit und zwei funfzehnjahrige Haftstrafen ebenfalls mit der Pflicht zur Zwangsarbeit Die Urteile basierten hauptsachlich auf den umfangreichen Gestandnissen der Angeklagten und weniger auf den Ermittlungsergebnissen 10 Zu ihrer Entlastung beriefen sich die Angeklagten auf einen Befehlsnotstand Die 16 Urteile im Einzelnen Bearbeiten Angeklagter Funktion Rang UrteilAnton Kaindl Lagerkommandant SS Standartenfuhrer Lebenslang mit der Pflicht zur ZwangsarbeitHeinz Baumkotter Standortarzt SS Hauptsturmfuhrer Lebenslang mit der Pflicht zur ZwangsarbeitAugust Hohn 2 Schutzhaftlagerfuhrer SS Untersturmfuhrer Lebenslang mit der Pflicht zur ZwangsarbeitMichael Korner 3 Schutzhaftlagerfuhrer SS Obersturmfuhrer Lebenslang mit der Pflicht zur ZwangsarbeitGustav Sorge Rapportfuhrer SS Hauptscharfuhrer Lebenslang mit der Pflicht zur ZwangsarbeitKurt Eccarius Zellenbauleiter SS Hauptscharfuhrer Lebenslang mit der Pflicht zur ZwangsarbeitHorst Hempel Blockfuhrer und Lagerschreiber SS Hauptscharfuhrer Lebenslang mit der Pflicht zur ZwangsarbeitLudwig Rehn Leiter Abteilung Arbeitseinsatz SS Hauptscharfuhrer Lebenslang mit der Pflicht zur ZwangsarbeitFritz Ficker Blockfuhrer SS Oberscharfuhrer Lebenslang mit der Pflicht zur ZwangsarbeitWilhelm Schubert Blockfuhrer SS Oberscharfuhrer Lebenslang mit der Pflicht zur ZwangsarbeitHeinrich Fressemann Direktor des Klinkerwerkes SS Scharfuhrer Lebenslang mit der Pflicht zur ZwangsarbeitManne Saathoff Blockfuhrer SS Unterscharfuhrer Lebenslang mit der Pflicht zur ZwangsarbeitMartin Knittler Blockfuhrer SS Rottenfuhrer Lebenslang mit der Pflicht zur ZwangsarbeitPaul Sakowski Kapo Funktionshaftling Lebenslang mit der Pflicht zur ZwangsarbeitKarl Zander Blockaltester Funktionshaftling 15 Jahre Haft mit der Pflicht zur ZwangsarbeitErnst Brennscheid Leiter Schuhprufstelle Beamter des Reichswirtschaftsministeriums 15 Jahre Haft mit der Pflicht zur ZwangsarbeitVollzug der Urteile BearbeitenNach der Verkundung der Urteile wurden die Verurteilten zur Verrichtung von Zwangsarbeit im Dezember 1947 in den Gulag Workuta verbracht Im Verlauf des Jahres 1948 verstarben Korner Ficker Fressemann und Saathoff und spater auch Kaindl 11 Die Uberlebenden wurden als sogenannte Nichtamnestierte spatestens nach dem Staatsbesuch von Konrad Adenauer in der Sowjetunion 1955 im Januar 1956 in die Bundesrepublik Deutschland zur weiteren Strafverbussung entlassen Zunachst mussten diese Heimkehrer ihre Resthaft nicht antreten aber etliche von ihnen mussten sich spater erneut vor Gericht verantworten und auch Haftstrafen antreten so Sorge Schubert Hohn Hempel Baumkotter und Eccarius Als einziger wurde der ehemalige Kapo Paul Sakowski der sogenannte Henker von Sachsenhausen in die DDR uberstellt Dort musste er in verschiedenen Strafanstalten seine Haft bis 1970 weiter verbussen Wertungen und Wirkungen BearbeitenDer Sachsenhausen Prozess der analog zu sowjetischen Schauprozessen zentral von Moskau aus gelenkt wurde diente insbesondere propagandistischen Zwecken So legten etliche Angeklagte die Anklage stutzende umfangreiche Gestandnisse ab und kritisierten dabei auch das Monopolkapital welches fur Ausbeutung der Arbeitskraft der KZ Haftlinge verantwortlich gemacht wurde Auf westliche Prozessbeobachter wirkten daher einige Aussagen der Angeklagten einstudiert 5 Im Gegensatz zu den in den westlichen Besatzungszonen durch Militargerichte ergangenen Urteilen erschienen die im Sachsenhausen Prozess verkundeten Urteile eher milde weil die Sowjetunion die Todesstrafe im Mai 1947 abgeschafft hatte 9 Weitere Prozesse BearbeitenIn der DDR fanden weitere Prozesse gegen Angehorige der Lagermannschaft des KZ Sachsenhausen statt so z B gegen Arnold Zollner der 1966 wegen seiner im Lager begangenen Taten von dem Bezirksgericht in Rostock zu lebenslanglichem Zuchthaus verurteilt wurde In der Bundesrepublik Deutschland wurden ebenfalls Prozesse gegen Angehorige der Lagermannschaft des KZ Sachsenhausen durchgefuhrt so z B die Kolner Sachsenhausen Prozesse in den 1960er Jahren Weitere Prozessinformationen BearbeitenWahrend des Sachsenhausen Prozesses wurde durch ein sowjetisches und ostdeutsches Filmteam eine Prozessreportage gedreht die 1948 fertiggestellt wurde 12 Zur Erinnerung an den Sachsenhausen Prozess befand sich seit 1989 eine Gedenktafel im Rathaus Pankow Nachdem diese Gedenktafel im Sommer 2008 entwendet worden war wurde eine neu gestaltete und inhaltlich uberarbeitete Gedenktafel im November 2008 im Rathaus Pankow angebracht 13 Literatur BearbeitenHermann Wentker Die juristische Ahndung von NS Verbrechen in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR in Kritische Justiz Heft 1 2002 Wolfgang Benz Der Sachsenhausen Prozess in Bundeszentrale fur politische Bildung Heft 259 Deutschland 1945 1949 Andreas Hilger Ute Schmidt Mike Schmeitzner Hrsg Sowjetische Militartribunale Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945 1955 Band 2 Schriften des Hannah Arendt Institut fur Totalitarismusforschung Koln 2003 ISBN 3 412 06801 2 Todeslager Sachsenhausen ein Dokumentarbericht vom Sachsenhausen Prozess SWA Verlag 1948 in der Deutschen Nationalbibliothek als freizugangliches Digitalisat Volltext einsehbar https nbn resolving org urn nbn de 101 1 201204259587 Winfried Meyer Britischer oder sowjetischer Sachsenhausen Prozess Zur Vorgeschichte des Berliner Prozesses vom Oktober 1947 in Zeitschrift fur Geschichtswissenschaft 45 1997 S 965 991 Winfried Meyer Stalinistischer Schauprozess gegen KZ Verbrecher Der Berliner Sachsenhausen Prozess vom Oktober 1947 in Dachauer Hefte Studien und Dokumente zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager 13 1997 S 153 180 Weblinks BearbeitenWolfgang Schorlau Sachsenhausen Sibirien Bautzen Erst heute lebt Paul Sakowski in Freiheit Die Geschichte des so genannten Henkers von Sachsenhausen der 32 Jahre lang eingesperrt war in Stuttgarter Zeitung Wochenendbeilage 19 Marz 2005 Die Angeklagten im Sachsenhausen Prozess auf jewishvirtuallibrary orgEinzelnachweise Bearbeiten a b Andreas Hilger Ute Schmidt Mike Schmeitzner Hrsg Sowjetische Militartribunale Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945 1955 Band 2 Koln 2003 S 187f Dieter Pohl Justiz in Brandenburg 1945 1955 Gleichschaltung und Anpassung in einer Landesjustiz Munchen 2001 ISBN 3 486 56532 X S 90 a b Petra Haustein Geschichte im Dissens Die Auseinandersetzungen um die Gedenkstatte Sachsenhausen nach dem Ende der DDR Leipzig 2006 S 203 Petra Haustein Geschichte im Dissens Die Auseinandersetzungen um die Gedenkstatte Sachsenhausen nach dem Ende der DDR Leipzig 2006 S 76 a b Andreas Hilger Ute Schmidt Mike Schmeitzner Hrsg Sowjetische Militartribunale Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945 1955 Band 2 Koln 2003 S 188 a b Andreas Hilger Ute Schmidt Mike Schmeitzner Hrsg Sowjetische Militartribunale Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945 1955 Band 2 Koln 2003 S 189 a b c Wolfgang Benz Der Sachsenhausen Prozess in Bundeszentrale fur politische Bildung Heft 259 Deutschland 1945 1949 a b Petra Haustein Geschichte im Dissens Die Auseinandersetzungen um die Gedenkstatte Sachsenhausen nach dem Ende der DDR Leipzig 2006 S 76f a b Andreas Hilger Ute Schmidt Mike Schmeitzner Hrsg Sowjetische Militartribunale Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945 1955 Band 2 Koln 2003 S 187 Andreas Hilger Ute Schmidt Mike Schmeitzner Hrsg Sowjetische Militartribunale Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945 1955 Band 2 Koln 2003 S 186f Gunter Agde Sachsenhausen bei Berlin Speziallager Nr 7 1945 1950 Aufbau Verlag 1994 ISBN 3 7466 7003 9 S 246 Gunter Agde Falls zusatzliche Aufnahmen gewunscht werden medienstrategische und filmhistorische Aspekte zweier fruher Sachsenhausenfilme In Klaus Marxen Annette Weinke Inszenierungen des rechts Schauprozesse Medienprozesse und Prozessfilme in der DDR BWV Verlag Berlin 2006 ISBN 3 8305 1243 0 S 109 Neue Gedenktafel zu Sachsenhausen Prozess im Rathaus Pankow auf www berlin deBitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Sachsenhausen Prozess amp oldid 234422551