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Der Reichsburgerrat wurde am 5 Januar 1919 in Berlin als Spitzenorganisation der Burgerrate die im Zuge der Novemberrevolution als Gegengrundungen zu den Arbeiter und Soldatenraten in zahlreichen deutschen Stadten entstanden waren ins Leben gerufen Inhaltsverzeichnis 1 Entwicklung 1 1 Hintergrund 1 2 Organisation und politische Praxis 2 Literatur 3 EinzelnachweiseEntwicklung BearbeitenHintergrund Bearbeiten Die Burgerrate waren Ausschusse und Komitees deren Zweck zunachst die Sammlung der durch die revolutionare Krise vorubergehend an den Rand gedrangten burgerlichen Politiker und sonstiger stadtischer Honoratioren war Diese Gremien entstanden im November und Dezember 1918 in vielen deutschen Stadten und bezeichneten sich in Anlehnung an die Arbeiter und Soldatenrate meist selbst als Rate Wesentliche Anreger dieser Grundungen waren mit Curt Kohler und Jacob Riesser zwei fuhrende Funktionare des Hansa Bundes Die Burgerrate widmeten sich anfanglich vor allem der Propaganda fur die rasche Einberufung einer Nationalversammlung von der sie sich die Delegitimierung und Entmachtung der Arbeiter und Soldatenrate erhofften Grosses Augenmerk legten viele Burgerrate auf die Beeinflussung der heimkehrenden Frontsoldaten Im Dezember gingen einzelne Burgerrate dazu uber die Aufstellung von Freikorps zu initiieren bzw zu finanzieren darunter der Berliner Burgerrat unter Leitung von Salomon Marx Der Leipziger Burgerrat kooperierte mit einem Kreis ehemaliger und aktiver Offiziere der sich selbst Weisse Garde nannte Der Burgerrat Munchen beteiligte sich zusammen mit Offizieren und rechtsradikalen Zirkeln an der Vorbereitung eines gescheiterten Staatsstreichs vgl Buttmann Verschworung der Bremer Burgerausschuss hatte die Absicht mit Hilfe des zuruckgekehrten Infanterie Regiments 75 gegen den Arbeiter und Soldatenrat zu putschen 1 Im Fruhjahr 1919 spielten die Burgerrate in vielen Stadten und Gemeinden durch Aussendung von bestellten Hilferufen Aufstellung von Verhaftungslisten und zum Teil auch selbstandiges bewaffnetes Vorgehen eine bedeutende Rolle bei der Zerschlagung der Arbeiterrate 2 Organisation und politische Praxis Bearbeiten Am 5 Januar 1919 traten Vertreter von etwa 300 Burgerraten auf Einladung des Berliner Burgerrates in der Aula der Berliner Universitat zusammen um einen Reichsburgerrat zu grunden Friedrich Naumann sprach ein Grusswort Erster Vorsitzender wurde der Berliner Pfarrer Ludwig Wessel Stellvertreter waren die Vorsitzenden des Munchner und des Danziger Burgerrates Rudolf Meyer Absberg und Julius Jewelowski Der Reichsburgerrat stellte seine Propaganda zunachst unter das Schlagwort der Gleichberechtigung des Burgertums eine gesetzlose Klassenherrschaft der Arbeiterklasse wurde rhetorisch inszeniert und entschieden abgelehnt Revolutionare Linke wie Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg wurden als machtlusterne Minderheit dargestellt Wessel sprach auf der Grundungsversammlung vom wahnwitzigen Ideologentum undeutscher russischer uns so wesensfremder Menschen 3 Nach anfanglichem Selbstverstandnis war der Reichsburgerrat eine uberparteiliche Sammlungsbewegung in der Politiker von der DDP bis hin zur DNVP zusammenarbeiteten Von Anfang an waren jedoch Differenzen unubersehbar vor allem hinsichtlich der Frage ob man die SPD bekampfen oder mit ihr zusammenarbeiten solle Vereinzelte linksliberale Stimmen verwarfen die Novemberrevolution zudem nicht in Bausch und Bogen und anerkannten sie als tief in unseren eigenen Verhaltnissen 4 angelegt eine Mehrheit sah in ihr jedoch eine sinnlose Kopie der russischen Vorgange 5 Die zugige Reorganisation der burgerlichen Parteien nahm dem Reichsburgerrat schon kurz nach seiner Grundung einiges an Bedeutung Mit der im Fruhjahr 1919 weitgehend durchgefuhrten Entmachtung und dem schliesslichen Verschwinden der Arbeiter und Soldatenrate schwand zudem das Interesse an einem einheitlichen politischen Burgerblock zumindest auf der Ebene der Reichspolitik Dennoch konnte sich der Reichsburgerrat nach einer zweiten Reichskonferenz am 30 Marz 1919 als Organisation stabilisieren Er stiess die Grundung von regionalen Landesburgerraten an von denen im Fruhjahr 1920 13 existierten die wiederum etwa 330 lokale Burgerrate anleiteten Grosse Bedeutung erlangte vor allem der bayerische Landesburgerrat der als Bayerischer Burgerblock firmierte den Ausbau der regionalen Einwohnerwehren vorantrieb und spater enge Beziehungen zur Organisation Escherich unterhielt Die ortlichen Burgerrate entwickelten sich vielerorts zu zusammenfassenden Koordinationszentren bereits bestehender burgerlicher Organisationen und Interessengruppen Dem Bremer und dem Dortmunder Burgerrat gehorten Vertreter von 90 Vereinen und Korperschaften dem Leipziger etwa 200 Vereine und 7000 Individualmitglieder an Dem Reichsburgerrat traten korporativ unter anderem bei 6 Bund der Handwerker Reichsausschuss der akademischen Berufsverbande Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbande Bund der Landwirte Deutscher Landbund Schutzverband fur deutschen Grundbesitz Hansa Bund fur Gewerbe Handel und Industrie Deutscher Offiziersbund Kartell der freien technischen Berufe Hauptgemeinschaft des deutschen Einzelhandels Zentralverband des deutschen Grosshandels Deutschnationaler Handlungsgehilfenverband Deutscher ArbeiterbundUmgekehrt trat der Reichsburgerrat anderen Organisationen korporativ bei darunter der Antibolschewistischen Liga die er auf diese Weise mitfinanzierte 7 Ausserdem schloss er verschiedene Arbeitsgemeinschaftsabkommen etwa mit dem Kyffhauserbund 8 Am 26 Juli 1919 trat der Reichsburgerrat mit einem Aktionsprogramm an die Offentlichkeit in dem folgende Ziele und Forderungen genannt wurden Erziehung des Volkes zum Gemeinschaftsgefuhl und zur Hingabe an den Staat Forderung der Bestrebungen zur Errichtung von Einwohnerwehren Unterstutzung der antibolschewistischen Propaganda Uberbruckung der Klassengegensatze Abbau der Zwangswirtschaft Erhaltung eines gesunden Handwerker und Kleingewerbetreibenden Standes 9 nbsp Friedrich Wilhelm von Loebell der langjahrige 1 Vorsitzende des Reichsburgerrates 1931 Ende 1919 ubernahmen die Krafte die die temporare Kooperation mit der Sozialdemokratie bereits wieder aufkundigen wollten und ohne das offen auszusprechen die Restauration der Monarchie fur moglich hielten in Gestalt des ehemaligen preussischen Innenministers Friedrich Wilhelm von Loebell die Fuhrung des Reichsburgerrates Loebell legte ein an das Aktionsprogramm angelehntes Reichsburgerprogramm vor in dem nun Forderungen nach Revision des Versailler Vertrages eine Broschure uber die Schuldluge wurde mit einer Auflage von 4 5 Millionen Exemplaren verbreitet 10 und nach Beseitigung der innenpolitischen Folgen des Zusammenbruchs in den Vordergrund geruckt wurden Streiks der Arbeiter sollten fortan wie hier und da schon geschehen mit burgerlichen Gegenstreiks bekampft werden Stark betont wurde hier und in der Folge ausserdem die Notwendigkeit einer freien Wirtschaft politische und wirtschaftliche Massregeln die selbige einschrankten sollten beseitigt werden darunter der Achtstundentag und der Anspruch auf Erwerbslosenfursorge 11 Der 2 Vorsitzende Meyer Absberg sah im Reichsburgerrat die Keimzelle einer burgerlichen Einheitsfront die nur einen Feind zu bekampfen hat und zwar in jeder Form seines Auftretens den Marxismus im Ergebnis seien Rechtssozialisten Bolschewisten Syndikalisten und Kommunisten 12 gleichermassen auszuschalten Das strukturelle Problem der Burgerrats Bewegung legte der Kapp Putsch offen Einige Rate sprachen sich offen fur andere so in Leipzig Frankfurt am Main Bochum und Stuttgart gegen den Staatsstreich aus Eine Mehrheit darunter auch der Reichsburgerrat wandte sich gegen den Generalstreik propagierte die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung und unterstutzte den Putsch damit passiv 13 Loebell suchte Kapp am Abend des 14 Marz auf und informierte ihn uber die zunachst abwartende Haltung der meisten Burgerrate was auf diesen starken Eindruck gemacht haben soll 14 Nach dem Abgang Kapps bemuhte sich der Reichsburgerrat vordringlich darum die sich kurzzeitig abzeichnende Bildung einer reinen Arbeiterregierung aus SPD USPD und Gewerkschaftsvertretern zu verhindern Zu diesem Zweck organisierte er mehrere Eingaben von Wirtschaftsverbanden Er befurwortete hier und in den Folgejahren ein standisch orientiertes Prasidialkabinett 15 als politischen Hauptgegner sah er die KPD 16 Nach dem Putsch ging die Bedeutung des Reichsburgerrates und der einzelnen Burgerrate schnell und drastisch zuruck da sich die unterschiedlichen strategischen Konzeptionen der verschiedenen Fraktionen und Stromungen burgerlicher Politik mit dem Wegfall der revolutionaren Bedrohung nicht mehr stabil sammlungspolitisch organisieren liessen 17 Eine Rolle spielte hierbei auch dass nun eine prinzipielle Kritik am Politik und Organisationskonzept des Reichsburgerrates einflussreiche Anhanger fand Vor allem linksliberale und jungkonservative Ideologen die zum Teil selbst mit Propagandakonzepten eines deutschen oder nationalen Sozialismus experimentierten sprachen sich gegen die vom Reichsburgerrat verkorperte ostentative Selbstinszenierung des Burgertums als Klasse aus da es ihrer Meinung nach gerade die Hauptaufgabe der burgerlichen Politik war der Arbeiterklasse das Bewusstsein zu nehmen selbst Klasse zu sein bzw einen Klassengegner zu haben der so Max Hildebert Boehm offentliche Kampf fur das burgerliche Klassenbewusstsein 18 festige lediglich das Klassenbewusstsein der Arbeiter sei indirekter Marxismus und deshalb zu unterlassen Obwohl selbst entschieden antisozialistisch lehnten sie die Burgerrats Rhetorik in der es von aggressiven Schlagworten wie sozialistische Seuche antisozialistischer Massenblock staatsburgerliche Einheitsfront und Gewalt gegen Gewalt 19 wimmelte ab Die Zeitschrift des Reichsburgerrates Der Reichsburger stellte 1921 ihr Erscheinen ein nach 1922 wurden keine Reichskonferenzen mehr veranstaltet Der Reichsburgerrat bestand indes fort und gab seit 1924 eine neue Zeitschrift heraus den Deutschenspiegel Aus der von ihm 1921 mit angeregten Grundung des Arbeitsausschusses Deutscher Verbande zur Schaffung einer Einheitsfront zur Bekampfung der Schuldluge entwickelte sich in diesen Jahren eine der umtriebigsten und einflussreichsten nationalistischen Propagandaorganisationen 20 1925 spielte der Reichsburgerrat bei der Lancierung der Kandidatur Paul von Hindenburgs zur Reichsprasidentenwahl eine wesentliche Rolle ebenso im Folgejahr bei der Agitation gegen die entschadigungslose Enteignung der deutschen Furstenhauser Die Wahl Hindenburgs und das Scheitern des Volksentscheids gelten als letzte spektakulare Erfolge der vom Reichsburgerrat mit den Methoden burgerlich adliger Honoratiorenpolitik vorangetriebenen Sammlungspolitik traditionellen Stils 21 Zusammen mit dem alten rechtskonservativen Lager an dessen Agitation gegen die politische Linke die Erfullungspolitik den Volkerbund die Locarno Vertrage und den Young Plan der Reichsburgerrat ohne erkennbare eigene Akzente teilnahm geriet er nach 1926 in eine strukturelle Krise 22 In der Phase des Aufstiegs der NSDAP hatte sich seine politische Funktionalitat erschopft 1933 soll der Reichsburgerrat noch existiert haben uber seine weitere Entwicklung ist nichts bekannt Literatur BearbeitenHans Joachim Bieber Burgertum in der Revolution Burgerrate und Burgerstreiks in Deutschland 1918 1920 Hamburg 1992 ISBN 3 7672 1148 3 Erwin Konnemann Reichsburgerrat In Dieter Fricke Hrsg Die burgerlichen Parteien in Deutschland Handbuch der Geschichte der burgerlichen Parteien und anderer burgerlicher Interessenorganisationen vom Vormarz bis zum Jahre 1945 Bd 2 Leipzig 1970 S 507 Einzelnachweise Bearbeiten Siehe Bieber Hans Joachim Burgertum in der Revolution Burgerrate und Burgerstreiks in Deutschland 1918 1920 Hamburg 1992 S 76f Siehe Bieber Burgertum S 201ff Zitiert nach Bieber Burgertum S 78 Zitiert nach Bieber Burgertum S 79 Zitiert nach Bieber Burgertum S 79 Siehe Konnemann Erwin Reichsburgerrat in Fricke Dieter Hrsg Die burgerlichen Parteien in Deutschland Handbuch der Geschichte der burgerlichen Parteien und anderer burgerlicher Interessenorganisationen vom Vormarz bis zum Jahre 1945 Leipzig 1970 Band 2 S 507 Siehe Konnemann Erwin Einwohnerwehren und Zeitfreiwilligenverbande Ihre Funktion beim Aufbau eines neuen imperialistischen Militarsystems November 1918 bis 1920 Berlin 1971 S 236 Siehe Bieber Burgertum S 345 Siehe Konnemann Reichsburgerrat S 507 Siehe Bieber Burgertum S 346 Siehe Bieber Burgertum S 345 Zitiert nach Konnemann Reichsburgerrat S 508 Siehe Prasidium des Reichsburgerrates an alle Landesburgerrate Berlin 23 Marz 1920 abgedruckt in Konnemann Erwin Schulze Gerhard Hrsg Der Kapp Luttwitz Ludendorff Putsch Dokumente Munchen 2002 S 374 377 Siehe Beratung der Unterstaatssekretare und Minister mit Vizekanzler Schiffer uber die Situation Berlin 16 Marz 1920 abgedruckt in Konnemann Schulze Kapp Luttwitz Ludendorff Putsch S 228 234 S 233 Bieber Burgertum S 343 Siehe Bieber Burgertum S 344 Siehe Bieber Burgertum S 343 Zitiert nach Bieber Burgertum S 244 Zitiert nach Bieber Burgertum S 243 Siehe Bieber Burgertum S 347 387 Bieber Burgertum S 387 Siehe Bieber Burgertum S 386f Normdaten Korperschaft GND 112214 9 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Reichsburgerrat amp oldid 234829903