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polysynthetisch ist eine Weiterleitung auf diesen Artikel Fur den Kristallographiebegriff polysynthetischer Zwilling siehe Kristallzwilling In polysynthetischen Sprachen wird ein Satz oder Satzteil gebildet indem ein zentrales lexikalisches Morphem meist das Verb mit einer Vielzahl gebundener Morpheme Affixe kombiniert wird Mehrere lexikalische und grammatische Elemente werden dadurch zu einem komplexen Wort verbunden das im Extremfall einem ganzen Satz in Sprachen anderer Typen entsprechen kann Unter polysynthetischem Sprachbau wurde fruher auch der inkorporierende oder einverleibende Sprachbau verstanden Dieser ist das zentrale Merkmal amerikanischer Sprachen im Sinne der Sprachtypologie von Wilhelm von Humboldt und August Wilhelm Schlegel Inhaltsverzeichnis 1 Grammatische Merkmale 2 Herkunft des Begriffs 3 Polysynthese und Inkorporation 4 Welche Sprachen sind polysynthetisch 4 1 Der Synthese Index 5 Literatur 6 QuellenGrammatische Merkmale BearbeitenTypischerweise haben polysynthetische Sprachen eine grosse Anzahl an gebundenen Morphemen Insbesondere haben sie eine sehr hohe Anzahl von Morphemen pro Wort hoher Synthesegrad z B Yupik tuntussuqatarniksaitengqiggtuq tuntu ssur qatar ni ksaite ngqiggte uq Rentier jagen FUT sagen NEG nochmal 3SG IND Er hat nicht nochmal gesagt dass er Rentiere jagen geht Ausser dem Morphem tuntu Rentier kann hier keines der anderen Morpheme isoliert stehen Insbesondere ssur ist hier nicht das Verbum jagen sondern ein denominales Wortbildungselement mit der Bedeutung N jagen Viele polysynthetische Sprachen markieren zudem obligatorisch die zentralen Aktanten pronominal am Verb Polypersonalitat Andere Sprachen erlauben auch die Inkorporation eines Nomens in den Verbalkomplex wie etwa in dem bei Humboldt gegebenen Beispiel aus dem klassischen Aztekischen ninacacua ni naca cua 1sSUBJ Fleisch essen Ich esse Fleisch im Sinne von Ich bin Fleischesser Ein weiteres Beispiel aus der athapaskischen Sprache Koyukon 1 kk oaɬts eeyhyee oyh kk o aɬts eeyh y ee oyh umher Wind es OBJEKT IMPERFEKTIV einen kompakten Gegenstand bewegen Der Wind weht es herum Hier ist im Gegensatz zum Yupik Beispiel oyh ein finites Verb mit der Bedeutung einen kompakten Gegenstand bewegen und aɬts eeyh Wind steht fur das Agens der Handlung Herkunft des Begriffs BearbeitenDer Begriff polysynthetisch wurde 1819 von Peter Stephen Du Ponceau 1760 1844 zur Beschreibung amerikanischer Sprachen gepragt die eine Vielzahl von Ideen in wenigen Wortern vereinigen 2 Da Ideen hier die europaischen Vorstellungen zum allgemeingultigen Massstab erhebt von dem in anderen Kulturen abgewichen wird handelt es sich in diesem Stadium der vergleichenden Sprachforschung um eine noch eurozentristische Perspektive auf fremde Sprachen Wilhelm von Humboldt spricht in Uber die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts 1836 hingegen von einverleibenden Sprachen und nennt dafur zwei Beispielsatze aus dem klassischen Aztekischen die die Nominalinkorporation eines direkten Objekts demonstrieren Die Ausdrucke synthetisch und polysynthetisch wurden als Gegensatzpaar erstmals 1921 von Edward Sapir verwendet 3 Polysynthese und Inkorporation BearbeitenDie Begriffe Polysynthese und Inkorporation werden heute oft falschlicherweise synonym gebraucht Die Verwirrung beruht darauf dass Humboldt den Begriff einverleibend benutzte im Englische als incorporating wiedergegeben und dafur zur Illustration lediglich zwei Beispielsatze verwendete die Nominalinkorporation und demgegenuber die Verwendung eines gebundenen Objektpronomens demonstrieren niccua in nacatl ni c cua in naca tl 1sSUBJ 3sOBJ essen ART Fleisch NOM Ich esse das Fleisch ninacacua ni naca cua 1sSUBJ Fleisch essen Ich esse Fleisch d h ich bin Fleischesser Da er die Beispiele nicht kommentierte wurde in der Rezeption nicht klar was genau Humboldt mit Einverleibung meinte dasjenige Phanomen das heute oft Polysynthese genannt wird die Nominalinkorporation oder die Verwendung eines gebundenen Objektpronomens Inkorporation bezeichnet heute nur noch die Nominalinkorporation die auf keinen Fall mit Polysynthese selbst zu identifizieren ist Welche Sprachen sind polysynthetisch BearbeitenNominalinkorporation findet sich vor allem in Nordamerika Bis auf die Penuti Sprachen Kaliforniens sind alle indigenen nordamerikanischen Sprachen inkorporierend Nominalinkorporation kommt aber auch in anderen Gebieten vor z B in Sibirien im Fall der tschuktschischen und niwchischen Sprache oder in Papua Neuguinea z B Yimas Polysynthese ohne Nominalinkorporation findet sich hingegen in den Eskimo Sprachen Ein weiteres Gebiet mit polysynthetischen Sprachen ohne Nominalinkorporation ist der nordwestliche Kaukasus reprasentiert durch nordwestkaukasische Sprachen wie z B die abchasische Sprache Der Synthese Index Bearbeiten Einen Versuch polysynthetische Sprachen gegenuber agglutinierenden Sprachen abzugrenzen stellt der Synthese Index dar Polysynthetische Sprachen zeichnen sich durch besonders lange Worter aus bzw durch Worter in denen eine Vielzahl semantischer und syntaktischer Relationen durch gebundene Morpheme kodiert sind Man kann also die Wortlange zum Beispiel definieren als die durchschnittliche Zahl von Morphen oder Morphemen 4 pro Wort Anhand dieses Kriteriums kann man Sprachen miteinander vergleichen Greenberg 5 wahlte als Kriterium fur seinen Synthese Index degree of synthesis or gross complexity of the word die Zahl der Morpheme M dividiert durch die Zahl der Worter W eines Textes oder Textausschnittes Der Synthesegrad ist dann S M W Die folgende Tabelle gibt die Werte dieses Index fur 31 Sprachen an so wie sie von Georgi Georgijewitsch Silnizki 6 veroffentlicht wurden Die Sprachen wurden nach abnehmenden Werten M W geordnet Am Anfang der Tabelle stehen also die starker polysynthetischen am Ende die starker analytischen Sprachen Sprache Synthesegrad Sprache SynthesegradArabisch 3 14 Urdu 1 68Japanisch 2 71 Tadschikisch 1 67Telugu 2 61 Persisch 1 67Sanskrit 2 60 Deutsch 1 57Swahili 2 51 Chinesisch 1 56Tschuktschisch 2 33 Franzosisch 1 54Koreanisch 2 31 Indonesisch 1 50Turkisch 2 15 Khmer 1 50Russisch 2 11 Thai 1 46Mongolisch 2 10 Vietnamesisch 1 46Mari 2 02 Tagalog 1 42Jiddisch 2 00 Tangutisch 1 32Mandschurisch 1 85 Englisch 1 30Tibetisch 1 75 Altchinesisch 1 26Burmesisch 1 73 Maninka 1 16Hindi 1 70Beim Arabischen zahlt er Wortformen auf Basis eines Wurzelkonsonanten als unterschiedliche Morpheme was umstritten ist Einen noch wesentlich hoheren Wert nennt Greenberg 7 mit S 3 72 fur Eskimo Maninka eine afrikanische Sprache steht am anderen Ende als besonders analytische Sprache stark analytisch ist auch Englisch Deutsch zeigt in dieser Tabelle ebenfalls keinen besonders hohen Wert der eine komplexe Wortstruktur anzeigen wurde Hierbei spielt die Auswahl der untersuchten Texte eine grosse Rolle Horne 8 gibt fur Neuhochdeutsch S 1 58 fur die Lyrik an fur Prosa S 1 71 Fur drei wissenschaftliche Texte nennt Greenberg 9 als Werte des Synthese Index 1 90 1 92 und 2 11 letzteren Wert fur einen philosophischen Text Je nach Stil Textsorte fallt der Synthesewert zumindest fur das Deutsche also sehr unterschiedlich aus Literatur BearbeitenMichael Fortescue Morphology Polysynthetic In R E Asher J M Y Simpson Hrsg The Encyclopedia of Language and Linguistics Pergamon Oxford 1994 Michael Fortescue The typological position and theoretical status of polysynthesis In Tidsskrift for Sprogforskning 2007 5 S 1 27 PDF Mark C Baker The Polysynthesis Parameter Oxford University Press Oxford 1996 ISBN 0 19 509308 9 Polysynthese aus generativer Sicht Nicholas Evans Hans Jurgen Sasse Hrsg Problems of Polysynthesis Akademieverlag Berlin 2002 ISBN 3 05 003732 6 Quellen Bearbeiten aus Fortescue 1994 2602 siehe Literatur Duponceau Peter S 1819 Report of the corresponding secretary to the committee of his progress in the investigation committed to him of the general character and forms of the languages of the American Indians Read 12th Jan 1819 Transactions of the Historical amp Literary Committee of the American Philosophical Society held at Philadelphia for promoting useful knowledge Vol 1 pp xvii xlvi I have explained elsewhere what I mean by a polysynthetic or syntactic construction of language It is that in which the greatest number of ideas are comprised in the fewest words This is done principally in two ways 1 By a mode of compounding locutions which is not confined to joining two words together as in the Greek or varying the inflection or termination of a radical word as in the most European languages but by interweaving together the most significant sounds or syllables of each simple word so as to form a compound that will awaken in the mind at once all the ideas singly expressed by the words from which they are taken 2 By an analogous combination of various parts of speech particularly by means of the verb so that its various forms and inflections will express not only the principal action but the greatest possible number of the moral ideas and physical objects connected with it and will combine itself to the greatest extent with those conceptions which are the subject of other parts of speech and in other languages require to be expressed by separate and distinct words Their most remarkable external appearance is that of long polysyllabic words which being compounded in the manner I have stated express much at once S xxx xxxi Edward Sapir Language An introduction to the study of speech New York Harcourt Brace and company 1921 ISBN 0 246 11074 0 1 Der Unterschied zwischen Morph und Morphem wird hier vernachlassigt Joseph H Greenberg A quantitative approach to the morphological typology of language In International Journal of American Linguistics XXVI 1960 S 178 194 Synthese Index S 185 187f George Silnitsky Typological Indices and Language Classes A Quantitative Study In Gabriel Altmann Hrsg Glottometrika 14 Wissenschaftlicher Verlag Trier Trier 1993 ISBN 3 88476 081 5 S 139 160 Tabelle Seite 141 Joseph H Greenberg A quantitative approach to the morphological typology of language In International Journal of American Linguistics XXVI 1960 S 178 194 Synthese Index S 193 Kibbey Minton Horne A Critical Evaluation of Morphological Typology with Particular Emphasis on Greenberg s Quantitative Approach as Applied to the Three Historic Stages of German University Microfilms Ann Arbor Michigan Georgetown University Ph D 1966 S 117ff Ubersicht Seite 162 Joseph H Greenberg A quantitative approach to the morphological typology of language In International Journal of American Linguistics XXVI 1960 S 178 194 Synthese Index S 194 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Polysynthetischer Sprachbau amp oldid 233325160