Kydonia oder Kydonien (mykenisch đđđđ ku-do-ni-ja / KudĆniÄ; altĂ€gyptisch Kutunaja, lateinisch Cydonia) war eine wichtige minoische Siedlung und spĂ€ter ein altgriechischer Stadtstaat (Polis) am nordwestlichen Ufer der Insel Kreta, auf dem Boden der heutigen griechische Stadt Chania. Zumindest in der klassischen Antike war es laut Strabon nĂ€chst Knossos und Gortyn die mĂ€chtigste Stadt Kretas.
Laut kretischer Sage war Minos oder König Kydon, Sohn des Hermes und der Minos-Tochter Akakallis, GrĂŒnder der Stadt. Nach arkadischer Auffassung grĂŒndeten hingegen Leute aus Tegea Kydonia, denn Kydon sei ein Sohn des Tegeates gewesen. Bereits Homer gibt an, die Kydonen seien eines der fĂŒnf alten Völker Kretas gewesen und hĂ€tten beidseits des Flusses Iardanos gesiedelt. Die Kydonen werden auch einmal im 12. Buch der Aeneis von Vergil als gute BogenschĂŒtzen erwĂ€hnt.
Fassbarer wird die Geschichte Kydonias erst fĂŒr die zweite HĂ€lfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. Nach einer gescheiterten Rebellion gegen Polykrates geflohene Samier grĂŒndeten die Stadt um 520 v. Chr. neu. FĂŒnf Jahre spĂ€ter aber wurden die samischen Kolonisten von den vereinigten Aigineten und Kretern in einer Seeschlacht geschlagen und versklavt; die Aigineten selbst besiedelten nun Kydonia. Seitdem war die Stadt dorisch geprĂ€gt. WĂ€hrend des Peloponnesischen Kriegs verheerten 429 v. Chr. Athener, die auf Betreiben der Einwohner von Kydonias Nachbarort Polichna mit 20 Schiffen nach Kreta gesegelt waren, das Gebiet Kydonias. Um 342 v. Chr. wurde die Stadt vom Phoker Phalaikos belagert, der hier seinen Tod fand.
In hellenistischer Zeit war Kydonia zu Anfang des 3. Jahrhunderts v. Chr. mit Aptera alliiert. Um 219 v. Chr. gehörte Kydonia zum mit den Aitolern verbĂŒndeten knossischen Bund; es wurde von den durch makedonische und achaiische Hilfstruppen unterstĂŒtzten Polyrrheniern belagert und trat gezwungen vom knossischen zum polyrrhenischen Bund ĂŒber. DreiĂig Jahre spĂ€ter fĂŒhrte Kydonia Krieg gegen Gortyn und Knossos. 184 v. Chr. wurden die Kydoniaten durch den römischen Gesandten Appius Claudius Pulcher veranlasst, das Gebiet von Phalasarna aufzugeben, wo sie sich festgesetzt hatten. 171/70 v. Chr. hĂ€tten sie ihre Stadt fast an die Gortynier verloren, gegen die sie sich aber durch die Hilfe der Truppen des pergamenischen Königs Eumenes II. behaupten konnten. Der Gefahr kaum entronnen, begingen sie einen Vertragsbruch, indem sie Apollonia ĂŒberfielen, die dortigen MĂ€nner töteten und deren Habe unter sich verteilten.
Im Rahmen des dritten Krieges, den die Römer gegen König Mithridates VI. von Pontos fĂŒhrten, kĂ€mpfte Marcus Antonius Creticus, der Vater des Triumvirn Marcus Antonius, 72/71 v. Chr. wenig glĂŒcklich gegen die Kreter, darunter wohl auch gegen Einheiten aus Kydonia. 69 v. Chr. gewann Quintus Caecilius Metellus Creticus gegen die Kreter unter ihrem Feldherrn Lasthenes eine Schlacht bei Kydonia, woraufhin Lasthenes nach Knossos floh; Kydonia ergab sich Metellus. Octavian, der spĂ€tere Kaiser Augustus, erklĂ€rte die Stadt 30 v. Chr. fĂŒr autonom, weil sie ihn gegen seinen Kontrahenten Marcus Antonius unterstĂŒtzt hatte. In der SpĂ€tantike war Kydonia ein christlicher Bischofssitz.
Die exakte Lage von Kydonia wurde zunĂ€chst nur aufgrund der historischen Quellen von Robert Pashley festgestellt, da Ausgrabungen Anfang des 19. Jahrhunderts noch nicht möglich waren. Diese wurden systematisch erst ab den spĂ€ten 1960ern durchgefĂŒhrt, groĂe Teile des vorgeschichtlichen und antiken Kydonias sind allerdings durch die Errichtung von Befestigungen wĂ€hrend der Araber- und TĂŒrkenherrschaft weithin verbaut. Ăstlich des alten Hafens von Chania wurden einige minoische GebĂ€ude freigelegt und u. a. auch Linear-B-Dokumente entdeckt. Aus hellenistischer und römischer Zeit gibt es nur geringe Ăberreste. Es wurden auch zahlreiche von der Stadt geprĂ€gte MĂŒnzen entdeckt, die aus dem Zeitraum vom 4. Jahrhundert v. Chr. bis zum Beginn des 3. Jahrhunderts n. Chr. stammen. ArchĂ€ologische Funde aus Kydonia, die bis ins Neolithikum zurĂŒckreichen, werden im archĂ€ologischen Museum der Stadt Chania bewahrt. Der wohl berĂŒhmteste Sohn der Stadt war der Bildhauer Kresilas.
Literatur Bearbeiten
- Robert Pashley: Travels in Crete. J. Murray, 1837.
- Ludwig BĂŒrchner: Kydonia 1. In: Paulys RealencyclopĂ€die der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band XI,2, Stuttgart 1922, Sp. 2306 f.
- Stefan Hiller: Das minoische Kreta nach den Ausgrabungen des letzten Jahrzehnts (= Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Klasse. Band 330). Verlag der Ăsterreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1977, ISBN 978-3-7001-0176-5, Chania/Kydonia, S. 146â157.
- Holger Sonnabend: Kydonia. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 6, Metzler, Stuttgart 1999, ISBN 3-476-01476-2, Sp. 959.
- C. Michael Hogan: Cydonia. In: Modern Antiquarian. 23. Januar 2008 themodernantiquarian.com
- Maria Andreadaki-Vlazaki: Khania (Kydonia). In: Eric H. Cline (Hrsg.): The Oxford Handbook of the Bronze Age Aegean. Oxford University Press, New York 2010, ISBN 978-0-19-987360-9, S. 518â528 (englisch, Leseprobe in der Google-Buchsuche).
Weblinks Bearbeiten
- Ian Swindale: Chania / Kydonia. Minoan Crete, 12. Juli 2015, abgerufen am 14. Juli 2018 (englisch).
Einzelnachweise Bearbeiten
- Fritz Gschnitzer: FrĂŒhes Griechentum: Historische und sprachwissenschaftliche BeitrĂ€ge. In: Kleine Schriften zum griechischen und römischen Altertum. Band 1. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2001, ISBN 3-515-07805-3, S. 142/143 (books.google.de).
- Strabon: Geographika. 10, 4, 7, S. 476.
- Diodor: Bibliothéke historiké 5, 78, 2; Parische Chronik 21 f.; Pausanias: Beschreibung Griechenlands. 8, 53, 4.
- Pausanias, Beschreibung Griechenlands 8, 53, 4.
- Homer: Odyssee. 3, 292 und 19, 176.
- Strabon: Geographika. 8, 6, 16, S. 376; Herodot, Historien 3, 44; 3, 59.
- Thukydides: Peloponnesischer Krieg. 2, 85, 5Â f.
- Diodor: Bibliothéke historiké. 16, 63, 2 ff.; Pausanias: Beschreibung Griechenlands. 10, 2, 7.
- Angelos Chaniotis: Die VertrÀge zwischen kretischen Poleis in der hellenistischen Zeit. 1996, Nr. 2.
- Polybios: HistorĂai. 4, 55, 4.
- Titus Livius: Ab urbe condita. 37, 60.
- Polybios: HistorĂai. 22, 19.
- Polybios: HistorĂai. 28, 15.
- Polybios: HistorĂai. 28, 14; Diodor: BibliothĂ©ke historikĂ©. 30, 13.
- Florus: Epitoma de Tito Livio. 2, 42; Appian: Sikelike. 6, 1.
- Appian: Sikelike. 6, 2; Velleius Paterculus: Historia Romana. 2, 34, 1; Livius: periochae. 98; Florus: Epitoma de Tito Livio. 2, 42; u. a.
- Cassius Dio: Römische Geschichte. 51, 2, 3.
- Pashley, 1837
- Hogan, 2008
Koordinaten: 35° 31âČ 2,4âłÂ N, 24° 1âČ 10,6âłÂ O