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Die Hungersnot in Kasachstan von 1930 1933 war ein Teil der Hungersnot in der Sowjetunion der 1930er Jahre welcher in der Kasachischen Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik ab 1930 mehr als eine Million Menschenleben kostete Die genaue Opferzahl ist umstritten und die Feststellung der Verlustzahlen wird durch Chaos in der sowjetischen Burokratie Massenemigration der hungernden Bevolkerung und die Einwanderung der Opfer der osteuropaischen Entkulakisierung zusatzlich erschwert Besonders Kasachen und Ukrainer waren uberdurchschnittlich von der Hungersnot betroffen Die kasachische Hungersnot wurde wie die etwas spateren ukrainischen Holodomor und sudwestrussischen Hungersnote durch stalinistische Wirtschafts und Agrarpolitik ausgelost Inwiefern sie gezielt eingesetzt wurden um die nationale Identitat der betroffenen Lander zu brechen ist gegenwartig Forschungsthema 1 2 In Kasachstan spielte vor allem die stalinistische Politik der Sedentarisierung eine Rolle unter welcher die nomadischen Viehzuchter Kasachstans in die Sesshaftigkeit gezwungen wurden Den Nomaden wurden Getreideabgabenquoten aufgezwungen die sie ohne Verkauf ihres Viehs nicht erfullen konnten Das Getreide fur welches sie ihr Vieh abgaben erhielt wiederum die Staatsmacht Ohne Vieh und Getreide waren die Nomaden dem Hungertod ausgesetzt In der heutigen Republik Kasachstan seit Dezember 1991 unabhangig gibt es erst seit den 2010er Jahren eine wachsende Erinnerungskultur an die Hungersnot Die politische Fuhrung des autokratischen Machthabers Nursultan Nasarbajew ist bedacht die enge Beziehung zur Russischen Foderation nicht durch einen zu grossen nationalen Fokus auf die Hungersnot aufs Spiel zu setzen so wie es etwa im Fall der Ukraine passiert ist Inhaltsverzeichnis 1 Politische Zugehorigkeit Kasachstans in den fruhen 1930er Jahren 2 Geschichtlicher Hintergrund 3 Verlauf der Hungersnot 4 Unterschiede zu den anderen Hungerregionen der UdSSR 5 Demographische Folgen 5 1 Todeszahlen 5 2 Emigration 6 Erinnerungskultur in Kasachstan 7 Historische Aufarbeitung 8 Siehe auch 9 EinzelnachweisePolitische Zugehorigkeit Kasachstans in den fruhen 1930er Jahren BearbeitenKasachische ASSR 1925 36 nbsp Karte KASSR 1925 29 nbsp Flagge der KASSR Kasachstan war zwischen 1920 und 1936 als ASSR innerhalb der Russischen SFSR organisiert Zwischen 1920 und 1925 hiess die Teilrepublik Kirgisische ASSR auch erste Kirgisische ASSR genannt In der russischen Sprache werden die Kasachen veraltet auch Kirgisen und die Kirgisen stattdessen Karakirgisen genannt 1925 erfolgte auf Wunsch der kasachischen Fuhrung die Umbenennung in Kasachische ASSR KASSR Erst mit der Sowjetischen Verfassung von 1936 wurde Kasachstan als eigenstandige Kasachische SSR aus dem Verbund der RSFSR herausgelost 3 ixIm Jahr 1933 grenzte die KASSR im Norden an den Rest der RSFSR im Suden an die ebenfalls der RSFSR zugehorigen Karakalpakische ASSR bis 1932 als Karakalpakische Autonome Oblast Teil der Kasachischen ASSR ab 1936 Teil der Usbekischen SSR im aussersten Sudwesten an die Turkmenische SSR und im Sudosten an die Kirgisische ASSR auch zweite Kirgisische ASSR genannt aus der im Jahr 1936 die Kirgisische SSR wurde 3 xivGeschichtlicher Hintergrund BearbeitenZentralasien unterschied sich in den 1920er Jahren infrastrukturell stark vom europaischen Teil der Sowjetunion Wahrend der Zeit des Russischen Kaiserreiches wurden in Zentralasien zwar zum Zwecke des Ackerbaus viele Russen Ukrainer und Deutsche Kasachstandeutsche angesiedelt aber die einheimischen Kasachen blieben ebenso wie die anderen zentralasiatischen Volker Kirgisen Tadschiken Turkmenen Usbeken ihrer eigenen Lebensweise grosstenteils treu Statt sesshaften Ackerbau zu betreiben lebten diese Volksgruppen grosstenteils von nomadischer oder halbnomadischer Viehzucht Lediglich 23 der kasachischen Bevolkerung waren in den spaten 1920er Jahren komplett sesshaft In Kasachstan waren in den 1920er Jahren die grossen Bais machtige und wohlhabende Nomadenfuhrer immer noch ahnlich einflussreich wie in der Zarenzeit 4 In den 1920er Jahren bestand die Bevolkerung Kasachstans aus 57 1 Kasachen 19 6 Russen und 13 2 Ukrainern Die anderen Volksgruppen Usbeken Deutsche etc waren wesentlich kleiner 5 nbsp Josef Stalin fuhrte mit seinen radikalen Reformen ab 1928 die Hungersnot herbei Zwischen 1916 und 1922 hatte Kasachstan unter einer schweren Landwirtschaftskrise gelitten in Folge derer hunderttausende Kasachen zu Tode kamen 1921 1922 war der Nordwesten Kasachstans ausserdem von der sowjetrussischen Hungersnot betroffen Die sowjetrussische Fuhrung der Regierung Lenin setzte unter dem Wirtschaftssystem des Kriegskommunismus 1917 bis 1921 Getreidezwangsabgaben durch die unter der darauffolgenden Neuen Okonomischen Politik NEP 1921 bis 1928 gelockert wurden Dennoch waren die ethnischen Kasachen durch die 1920er Jahre hindurch vom Sowjetsystem entfremdet Schulbesuch war selten der Analphabetismus war weit verbreitet und die Wehrpflicht unbeliebt auch wenn die meisten ethnischen Kasachen aufgrund der hohen Armut und der grossen regionalen Autonomie ohnehin von der Wehrpflicht befreit waren 4 Im Ersten Weltkrieg hatte der zaristische Versuch im Jahr 1916 die allgemeine Wehrpflicht in Zentralasien durchzusetzen zum Aufstand der Basmatschi gegen den Zaren und seine Wehrpflichts und Kolonistenpolitik gefuhrt und 1 000 000 Kasachen und Kirgisen das Leben gekostet oder zur Flucht uber die chinesische Grenze bewegt 6 Kasachstan war fur die Fuhrung der Sowjetunion als mogliches Getreideanbaugebiet interessant und besonders der Norden und Osten Kasachstans sollten in den Planungen der Sowjetfuhrung fur den Ackerbau erschlossen werden Ab 1928 wurde aggressiv die Politik der Sedentarisierung vorangetrieben auch wenn diese Politik erst ab Winter 1929 1930 explizit so genannt wurde 4 Die Sedentarisierung gehorte zu den sozialistischen Offensiven der Regierung Stalin welche die teilweise marktwirtschaftliche NEP durch eine radikale staatsgetriebene und wirtschaftlich zentralisierte Industrialisierungspolitik ersetzten 7 nbsp Oberhaupt der KASSR von 1925 und 1933 war Filipp Goloschtschokin Der fuhrende regionale Politiker in der KASSR war zwischen 1925 und 1933 Filipp Issajewitsch Goloschtschokin 4 Die Sowjetpolitik zur Eingliederung Kasachstans und der kasachischen Lebensweise in die UdSSR verlief in vier Schritten 4 Beschlagnahmung des Land Geld und Viehbesitzes der grossen Bais Debaiisierung Grossere Eingliederung junger mannlicher Kasachen als Wehrdienstleistende in den sowjetischen Militardienst Die Einfuhrung der Kategorie der Traditionsverbrechen um einheimische Lebensweisen zu kriminalisieren Ansiedlung europaischer Kolonisten ab April 1929 Bereits im ersten Winter der Sedentarisierungspolitik Winter 1927 1928 begann die Emigration vieler Nomaden aus Kasachstan die ab 1930 in einen gewaltigen Menschenstrom anschwellen wurde 4 Ab Februar 1929 begann die Zwangskollektivierung in der Sowjetunion um die sowjetischen Bauern in Kolchosen und Sowchosen einzuteilen 8 In Kasachstan waren von der Zwangskollektivierung zunachst die europaischen Kolonisten betroffen die sesshaften Ackerbau betrieben und die besonders im Norden und Osten Kasachstans lebten Im Winter 1929 1930 sahen sich viele Bauern gezwungen in die Kolchosen zu ziehen Es kam daraufhin in Kasachstan und anderen Teilrepubliken zu Unruhen der Landbevolkerung 4 Stalin verfasste in Reaktion auf die unionsweiten Bauernunruhen den Artikel Vor Erfolgen von Schwindel befallen Zu den Fragen der kollektivwirtschaftlichen Bewegung veroffentlicht am 2 Marz 1930 in der Prawda 9 Stalins Reformversprechen fuhrte in Kasachstan wiederum zu einem Massenexodus aus den Kolchosen im Fruhjahr 1930 Es kam unter Parteifunktionaren zu einem temporaren Ruckzug von den Kollektivierungsmassnahmen da sie durch Stalins Erklarung in der Prawda verunsichert worden waren 4 Es gab ab 1930 einen rapiden Bevolkerungszuwachs in Kasachstan da ukrainische und russische Opfer der Entkulakisierung ostwarts deportiert wurden Etwa 200 000 bis 300 000 entkulakisierte Bauern wurden zwischen 1930 und 1934 Bewohner Kasachstans 4 Verlauf der Hungersnot BearbeitenDie KASSR war der Teil der Sowjetunion wo die sowjetische Hungersnot der 1930er Jahre zuerst sichtbar wurde 4 Nach den unionsweiten Bauernunruhen des Winters 1929 1930 wurde ab April 1930 durch die kasachischen Funktionare der KPdSU festgestellt dass es sich vor allem in den Nomadenregionen etabliert hatte das fur die Abgabenquoten benotigte Getreide zu kaufen und dafur als Wahrung Vieh zu benutzen In einigen Distrikten der KASSR waren im April 1930 die Viehzahlen bereits um 35 gesunken 4 Im September 1930 kam es unter den Nomaden im Kasalinsk Gebiet der Region Kysyl Orda zu Unruhen nachdem fast die Halfte der Getreideabgaben der Region dem Kasalinsk Gebiet aufgeburdet worden waren 4 Zu den ersten lokalen Lebensmittelengpassen war es schon 1928 und 1929 gekommen aber mit der wachsenden Zahl der Nomadenunruhen des Jahres 1930 verstarkten sich auch Harte und Anzahl der lokalen Hungersnote in Kasachstan 4 Im Verlauf des Jahres 1930 gab es einen drastischen Anstieg der Zahl der Emigranten die seit Winter 1927 1928 die KASSR verliessen 4 Ende 1930 urteilte eine Moskauer Kommission dass die im Winter 1929 1930 offentlich angeordnete Politik der Sedentarisierung seit Mitte 1930 zum Stillstand gekommen war Der Sedentarisierungsplan hatte vorgesehen bis Ende 1933 544 000 Menschen im Umkreis der sogenannten Sedentarisierungspunkte anzusiedeln aber bis Winter 1932 1933 waren lediglich 70 000 Familien diesem Aufruf gefolgt 4 Es gab mehrere Grunde fur das Scheitern der Sedentarisierungspolitik 4 Unter den Nomaden herrschte ein generelles Misstrauen gegenuber der Regierung und der Sedentarisierungspolitik Viele Nomaden verliessen die Sedentarisierungspunkte nachdem Hunger und ansteckende Krankheiten sowohl fur Menschen als auch fur Vieh dort zu einem kritischen Problem wurden Geldmittel und Baumaterialien die von der Sowjetregierung fur den Bau von dauerhaften Unterkunften vorgesehen waren waren begrenzt Die meisten Sedentarisierungspunkte waren vor ihrer Designierung nicht ausreichend auf ausreichende Wasserversorgung und ausreichendes Weideland gepruft worden Ethnische Kasachen unter den KPdSU Funktionaren hielten die Sedentarisierung schnell fur eine Todesfalle fur ihre Landsleute und sabotierten den Prozess Im Winter 1930 1931 kam es zu einer neuen Welle von Zwangskollektivierungen aber diesmal ohne einen Ruckzug der Staatsautoritat wie es ihn im Marz 1930 gegeben hatte im Fruhjahr 1931 Wie bereits im Vorjahr gab es auch diesmal einen Ruckgang der Ernteertrage Der Anteil des beschlagnahmten Getreides an der Gesamternte stieg von 33 auf 39 5 Gleichzeitig kam es durch die Entkulakisierungskampagne zusatzlich zu einem Anstieg der Konsumentenzahlen da zwischen 1930 und 1931 mindestens 200 000 entkulakisierte Bauern die meisten von ihnen Russen nach Kasachstan deportiert worden waren 4 Ab 1931 gab es regelmassig Nomadenunruhen gegen die Kollektivierungskampagnen 4 Manche der Aufstande umfassten vierstellige Zahlen von Rebellen und wurden durch die Rote Armee niedergeschlagen 5 Die Landnutzungsverhaltnisse in Kasachstan waren in stetigem Wandel und den kasachischen Nomaden wurde aufgrund ihrer geringeren wirtschaftlichen Bedeutung fur die Staatsziele oft das schlechteste Land zugewiesen Auch die Volkszugehorigkeit der KPdSU Funktionare spielte eine grosse Rolle Die slawischen Parteifunktionare hielten es fur die Aufgabe ihrer kasachischen Genossen die Sedentarisierung voranzutreiben Die kasachischen Funktionare hingegen sabotierten den Sedentarisierungsprozess Oft rieten sie es ihren Landsleuten Kasachstan zu verlassen statt sich der Sedentarisierung zu unterwerfen 4 Anfang 1931 bestatigte das territoriale Parteikomitee Kraikom den finalen Angriff auf die unabhangigen Viehzuchter in Kasachstan Ziel war es Viehbesitz von den freien Zuchtern zu den Kolchosen umzuschichten Im Jahr 1931 kam es bei der Beschlagnahmungsrate des bauerlichen Viehs in der KASSR zu einem Rekordwert von 68 5 Das meiste beschlagnahmte Vieh wurde zur Versorgung der Grossstadte der KASSR benutzt oder ganz aus Kasachstan herausgebracht um stattdessen Kolchosen in anderen Teilen der Sowjetunion zugefuhrt zu werden Viele Nomaden toteten und verzehrten ihr Vieh statt es der Staatsmacht zu uberlassen Zwischen 1928 und 1934 sank der Anteil den das kasachische Vieh am Gesamtbestand der UdSSR ausmachte von 18 auf 4 5 4 Die Zwangskollektivierungen des Jahres 1931 und die darauf folgenden Nomadenunruhen leiteten die Hauptphase der Hungersnot in der KASSR ein Im Herbst 1931 litt ein grosser Teil der nomadischen Bevolkerung an der Hungersnot Ab Fruhling 1932 kamen zusatzlich noch die europaischen Kolonisten in Hungersnot Die hungergeplagte Bevolkerung wurde von Typhus Skorbut und Pocken heimgesucht Wahrend die Hungerprobleme des Jahres 1930 noch lokal und regional gewesen waren herrschte im Jahr 1931 in ganz Kasachstan flachendeckend Hungersnot 4 Am 9 September 1931 wurde erlassen zumindest 37 des beschlagnahmten Viehbestands in Kasachstan zu belassen um die Wiederaufstockung der Viehwirtschaft zu ermoglichen 4 Mit der Emigrationswelle 1931 1932 wurde es zum Massenphanomen dass die Auswanderer ihr Vieh zuruckliessen Dadurch wurden die Fluchtlingszuge aus der KASSR nun selbst zunehmend zu einer weiteren Todesfalle 4 Es kam zu immer grosseren Konflikten zwischen den Fluchtlingen und den sesshaften Bauern in den Gegenden in denen sich Fluchtlinge aufhielten Diebstahl durch Fluchtlinge Hunger auf allen Seiten ansteckende Krankheiten und Rassismus zwischen Europaern und Zentralasiaten so etwa der weitverbreitete Glaube der Russen die Kasachen wurden mit Vorliebe russische Kinder essen erzeugten Streitigkeiten Rassismus zeigte sich auch auf den Kolchosen wo die Europaer oft die Zentralasiaten aus den Bauernhofen ausstiessen Wenn sich Direktoren zu Entlassungen gezwungen sahen waren besonders die kasachischen Nomaden das bevorzugte Opfer der Entlassung sowohl aus rassistischen Grunden als auch aus wirtschaftlichem Kalkul die schlechter ausgebildeten Arbeiter zuerst zu entlassen 4 Wie auch im Rest der UdSSR kam es ab 1932 zu einer partiellen Kehrtwende in der Vernichtung privatwirtschaftlicher Initiativen durch die Sowjetregierung Am 17 September 1932 wurde es Nomaden und Kolchosenarbeitern wieder erlaubt kleine Mengen Vieh als Privatbesitz zu halten 4 5 Diese Zahl wurde durch einen Befehl des Kraikom vom 19 Oktober 1932 auf 100 Schafe und 5 Kuhe spezifiziert ab 19 Dezember 1934 150 Schafe und 7 Kuhe in den Viehzuchtregionen mit kleineren Mengen fur Ackerbauregionen Da es zu diesem Zeitpunkt wohl keine einzige Kolchose in der KASSR gab die genug Nutztiere hatte diese Begrenzungen relevant werden zu lassen kam dieser Beschluss einer Privatisierung der gesamten Viehzucht in der KASSR gleich Dieser Kompromiss zwischen Kollektivierung und Privatwirtschaft war ein wichtiger Schritt zur Beendigung der Hungersnot 4 nbsp Lewon Mirsojan wurde Januar 1933 Erster Parteisekretar in der KASSR Im Januar 1933 unter immer lauter werdenden Protesten der Parteifunktionare in der KASSR wurde Goloschtschokin von der Zentralregierung seines Amtes enthoben Er wurde durch den Armenier Lewon Issajewitsch Mirsojan ersetzt welcher das Amt des Ersten Sekretars in der KASSR ab Dezember 1936 KSSR bis 1938 bekleiden wurde 4 5 Mirsojan hatte zuvor in der Aserbaidschanischen SSR gewirkt Die Position in der KASSR hatte er vermutlich erhalten da er bei Stalins engem Vertrauten Sergei M Kirow hoch im Kurs stand Mirsojans neue Kraikom fand eine desastrose Situation vor Die Halfte der ethnischen Kasachen war bis Februar 1933 entweder tot oder emigriert und ein grosser Teil der Viehzucht war durch die Ausfuhrung und Totung des Grossteils der Viehbestande der KASSR in desolaten Zustanden 4 In der zunehmenden Verzweiflung wurde das Aussetzen von Kindern zu einem haufigen Ergebnis der Hungersnot Im Jahr 1933 wurde die Zahl einsamer Kinder in der KASSR entweder verwaist oder ausgesetzt von sowjetischen Behorden auf 61 000 geschatzt 4 Wie auch im Rest der UdSSR lautete die einigermassen erfolgreiche Ernte des Jahres 1933 die Endphase der Hungersnot in der KASSR ein Dazu kam die Entscheidung der Zentralregierung eine massive Importaktion fur Vieh zu unternehmen Besonders aus China wurden grosse Zahlen Nutztiere in die KASSR eingefuhrt 4 Unterschiede zu den anderen Hungerregionen der UdSSR BearbeitenInnerhalb der grosseren allsowjetischen Hungersnot der 1930er Jahre zu der auch der Holodomor in der Ukraine und die Hungersnot in Sudwestrussland gehoren ist die kasachische Hungersnot durch einige Merkmale einzigartig Zwar wurden alle drei Hungergebiete Kasachstan Ukraine Sudwestrussland durch die Kollektivierungsmassnahmen in der Landwirtschaft in die Krise gestossen doch waren die Opfer in Kasachstan nicht vornehmlich Bauern und Landarbeiter wie es in der Ukraine und in Russland der Fall war sondern hauptsachlich Nomaden und Viehzuchter 5 Auch die Fluchtbewegungen waren in Kasachstan wesentlich grosser als in der Ukraine und in Russland da der Lebensstil der Fluchtlinge weniger sesshaft und die weitlaufigen Gegenden Kasachstans schwieriger zu kontrollieren waren als die infrastrukturell besser vernetzten Agrargebiete in Osteuropa 5 Demographische Folgen BearbeitenTodeszahlen Bearbeiten Im Jahr 1934 war die Bevolkerung der KASSR seit 1926 von 6 5 Millionen auf 4 8 Millionen gesunken Der Bevolkerungsverlust von 1 7 Millionen ist aber nicht komplett durch die Todeszahlen der Hungersnot zu erklaren da auch die Massenauswanderung der kasachischen Bevolkerung in andere Teile der Sowjetunion und uber die Unionsgrenzen in der Zahl des Bevolkerungsverlusts inbegriffen ist Dazu kommt dass Neugeburten sowie Todesfalle ohne Bezug auf die Hungersnot zwischen 1926 und 1937 zusatzlich die Bevolkerungszahl verandern 4 Fur die Todeszahlen wahrend der kasachischen Hungersnot gibt es verschiedene Schatzungen Wolowyna et al 2016 1 258 000 10 Sergei Maksudov 1999 1 450 000 11 Sarah Cameron 2016 sowie 2018 1 500 000 3 2 5 davon 1 300 000 Kasachen 5 nbsp Bevolkerungsverlauf in Kasachstan nach Volksgruppe 1897 bis 1970 57 1 der Bevolkerung waren vor der Hungersnot Kasachen 5 danach nur noch 38 4 Nur nach der staatlichen Unabhangigkeit wurden die Kasachen erneut eine Mehrheit in ihrem eigenen Nationalstaat 12 Zwischen 1926 und 1939 wuchs der Anteil der Russen an der Bevolkerung der KASSR KSSR von 21 2 auf 40 3 13 501 Der Anteil der Kasachen uberstieg in einer Volkszahlung den Anteil der Russen erst wieder im Jahr 1989 als die KSSR von 39 7 Kasachen und 37 8 Russen bevolkert war Erst seit der kasachischen Volkszahlung 1999 ist der Anteil der Kasachen in Kasachstan wieder uber 50 3 2Die sowjetische Volkszahlung 1937 wurde von den Sowjetbehorden vertuscht nachdem die Ergebnisse die Bevolkerungsverluste akkurat widerspiegelten 14 Emigration Bearbeiten Ab Winter 1927 1928 kam es zu immer grosseren Migrationsstromen aus Kasachstan heraus 200 000 Kasachen uberquerten die sowjetische Aussengrenze und flohen nach Xinjiang damals Teil der Republik China 4 Uber 1 000 000 Kasachen migrierten landesintern und wechselten in eine andere Teilrepublik der UdSSR 4 15 Eine kleine Zahl Kasachen floh in den Iran 16 Zwischen 1930 und 1931 verliessen 286 000 Familien insgesamt uber 1 000 000 Menschen die KASSR 1932 folgten weitere 78 000 Familien gefolgt von weiteren 31 000 Familien im Jahr 1933 4 Die meisten Emigranten waren kasachische Nomaden aber auch europaische Kolonisten verliessen in steigenden Zahlen die KASSR Die meisten fluchtenden Europaer versuchten in ihre Heimatregionen in der Ukrainischen SSR oder im Nordkaukasus zuruckzukehren aber manche gingen auch uber die Unionsgrenze nach China 4 Ab 1934 kam es zu sowjetischen Anstrengungen die geflohenen Kasachen per Deportation nach Kasachstan zuruckzubewegen 4 Erinnerungskultur in Kasachstan BearbeitenDenkmaler an die kasachische Hungersnot nbsp Denkmal an die Opfer der kasachischen Hungersnot Almaty nbsp Denkmal an die Opfer der kasachischen Hungersnot QaraghandyBesonders im Vergleich zur Erinnerungskultur in der Ukraine wo der Holodomor ein zentrales Element der nationalen Identitat geworden ist 17 18 19 ist die Erinnerungskultur an die Hungersnot der 1930er Jahre in Kasachstan eher schwach ausgepragt Wahrend die Ukraine das Risiko einer diplomatischen Konfrontation mit Russland akzeptiert ist Kasachstan im Vergleich politisch zu stark an Russland angelehnt und auf Russland angewiesen Kasachstans autoritarer Machthaber Nursultan Nasarbajew ist seit der Regierung Jelzin ein enger Verbundeter Moskaus was sich mit den Regierungen Putin und Medwedew nicht geandert hat 20 Das gesellschaftliche Interesse am Thema der Hungersnot ist in Kasachstan durchaus vorhanden aber die kasachische Fuhrung ist vorsichtig die russisch kasachischen Beziehungen sowie die Stimmung der russischen Minderheit in Kasachstan nicht durch gesellschaftliche Diskussionen der Hungersnot aufs Spiel zu setzen Seit den 1990er Jahren ist die Zahl der wissenschaftlich Publikationen uber die kasachische Hungersnot in Kasachstan rucklaufig 12 Nasarbajew hatte 1992 angekundigt eine Einstufung der kasachischen Hungersnot als Volkermord anzustreben aber verkundete im Jahr 2012 dass man die Katastrophe nicht politisieren solle 5 Denkmaler an die Opfer der Hungersnot werden vermehrt seit den 2010er Jahren errichtet so etwa in Astana im Jahr 2012 oder in Almaty im Jahr 2017 20 Historische Aufarbeitung BearbeitenIn der westlichen Geschichtsschreibung ist die kasachische Hungersnot in vielerlei Hinsicht von der Erforschung des ukrainischen Holodomor uberschattet Besonders das Ziel der Ukraine und der ukrainischen Diaspora in westlichen Staaten den Holodomor als Volkermord an den Ukrainern anerkannt zu sehen fuhrte in westlichen Historiographien zu einem verstarkten Fokus auf dem Holodomor und einem verringerten historischen Interesse an den anderen Hungerregionen der sowjetischen Hungersnot der 1930er Jahre 3 5Einige westliche Historiker die sich in bedeutenden Werken mit der Hungersnot in Kasachstan befasst haben sind folgend aufgelistet 5 Martha Brill Olcott USA 1981 21 Robert Conquest Grossbritannien 1986 22 Isabelle Ohayon Frankreich 2006 23 Niccolo Pianciola Italien 2009 24 Robert Kindler Deutschland 2014 25 Sarah Cameron USA 2018 3 In der Historiographie der Sowjetunion in der Kritik an der Vergangenheit von Staat und Partei verpont war wurde Filipp Issajewitsch Goloschtschokin der Parteichef in der KASSR zwischen 1925 und Januar 1933 zum Sundenbock der wenigen Fehler deren Eingestandnis wahrend der Sowjetzeit erlaubt war In der russischsprachigen und kasachischsprachigen Historiographie ist aus diesem Grund der Begriff Goloschtschokins Genozid Goloschtschokin Genozid oder Goloschtschokin als seltener Alternativname fur die kasachische Hungersnot moderat verbreitet 5 Siehe auch BearbeitenHungersnot in Sowjetrussland 1921 1922 Hungersnot in der Sowjetunion in den 1930er Jahren Holodomor Hungersnot in der Sowjetunion 1946 1947Einzelnachweise Bearbeiten Andreas Graziosi The uses of hunger Stalin s solution of the peasant and national questions in Soviet Ukraine 1932 to 1933 Norman Naimark Stalin s Genocides a b c d e f Sarah Cameron The Hungry Steppe Famine Violence and the Making of Soviet Kazakhstan Cornell University Press Ithaca 2018 ISBN 978 1 5017 3045 0 englisch a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v w x y z aa ab ac ad ae af ag ah ai aj ak Niccolo Pianciola The Collectivization Famine in Kazakhstan 1931 1933 In Harvard Ukrainian Studies Band 25 Nr 3 4 2001 ISSN 0363 5570 S 237 251 englisch a b c d e f g h i j k l Sarah Cameron The Kazakh Famine of 1930 33 Current Research and New Directions In East West Journal of Ukrainian Studies Band 3 Nr 2 10 September 2016 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