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Kriegskommunismus bezeichnet die Wirtschaftspolitik Sowjetrusslands im Zeitraum des Burgerkriegs von 1918 bis 1921 Der Begriff selbst wurde erstmals nach Einfuhrung der NEP 1921 von den Bolschewiki verwendet um ihre wirtschaftspolitischen Massnahmen zu rechtfertigen die laut Enzyklopadie der Sowjetunion Erste Auflage 1926 ihre Ursachen im Burgerkrieg und in der wirtschaftlichen Verwustung hatten Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Wirtschaftliche Prinzipien des Kriegskommunismus 3 Interpretationsmodelle 4 Weblinks 5 Literatur 6 EinzelnachweiseGeschichte BearbeitenUm eine sozialistische Planwirtschaft zu errichten verabschiedeten die Bolschewiki ab Oktober 1917 zahlreiche Gesetze und Dekrete zur Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln Neben dem privaten Grundbesitz wurde u a auch das Erbrecht abgeschafft und stadtischer Grundbesitz enteignet Die Bolschewiki hatten durch die Oktoberrevolution auch schwerwiegende Probleme ubernommen Sie trafen Massnahmen gegen Hunger und Lebensmittelknappheit die durch den Weltkrieg verursacht und danach durch den Russischen Burgerkrieg verfestigt wurden Mit Sondervollmachten leitete das im November 1917 gegrundete Volkskommissariat fur Ernahrung eine Versorgungsdiktatur ein die einen Eckpfeiler des Kriegskommunismus bildete Durch einen Beschluss des Rates der Volkskommissare am 15 Januarjul 28 Januar 1918greg wurde die Rote Armee gegrundet um die Macht der Bolschewiki gegen Widerstande zu verteidigen Sie ging aus der bereits vorher existierenden Roten Garde hervor Leo Trotzki Volkskommissar fur Militarwesen von 1918 bis 1924 gilt als Grunder der Roten Armee Die Armee sollte an der fruheren Ostfront des Ersten Weltkrieges zunachst ein weiteres Vordringen der Deutschen und der anderen Mittelmachte nach Russland verhindern Kurz darauf wurde sie im Burgerkrieg gegen die aufstandischen Weissen und die auslandischen Interventionstruppen eingesetzt Ab Mai 1918 halfen Teile der Armee zudem bei Zwangsrequirierungen von Getreide die im Rahmen der Versorgungsdiktatur vorgenommen wurden Ziel war es vor allem die gesamte Wirtschaft unter eine zentrale Verwaltung zu bringen Dies erfolgte vor allem durch Verstaatlichung der Produktionsmittel und der Unternehmen Der private Handel sollte komplett unterbunden werden und durch ein staatliches Verteilungssystem ersetzt werden Ebenso sollte das Geld als Tauschmittel abgeschafft werden In der Verfassung der Russischen Sozialistischen Foderativen Sowjetrepublik RSFSR vom Juli 1918 wurde auch die Arbeitspflicht mit dem Leitsatz eingefuhrt Wer nicht arbeitet hat kein Daseinsrecht 1 Seinen vollen Umfang erreichte der Kriegskommunismus im Jahre 1920 21 Als Hauptinstrument zur Umsetzung der wirtschaftspolitischen Massnahmen also der Zentralisierung der Volkswirtschaft wurde im Dezember 1917 der Oberste Volkswirtschaftsrat WSNCh unter der Fuhrung von Juri Larin eingesetzt Der Wirtschaftsrat erliess ab Sommer 1918 Dekrete nach denen private Firmeninhaber sowie Aktiengesellschaften ohne Entschadigung enteignet wurden und das Vermogen dem Staat unterstellt wurde In den Firmen selbst wurde die Unternehmensfuhrung von Einzelpersonen auf Fabrikkomitees umgestellt Im monetaren Bereich sollten laut Parteiprogramm der KP Geld und Finanzen vollstandig abgeschafft werden und die russische Volkswirtschaft mittelfristig in eine Verteilungswirtschaft uberfuhrt werden Ab Mai 1919 setzte eine Hyperinflation ein als die russische Zentralbank begann Geldscheine nach Bedarf zu drucken Nach dem Zusammenbruch des Steuersystems und dem Wegfall jeglicher Staatseinnahmen bei gleichzeitiger Aufblahung der staatlichen Verwaltung u a durch den Wirtschaftsrat mussten die Bolschewiki enorme Ausgaben bewaltigen Dies sollte durch die Neuemissionen geschehen Noch wahrend des anhaltenden Burgerkrieges gab es Versuche die Landwirtschaft zu kollektivieren was bei den Bauern auf Widerstand stiess In der Folge ging die landwirtschaftliche Produktion erheblich zuruck Dies trug zu einer Verscharfung der Lebensmittelknappheit in den Stadten bei welche die Bolschewiki durch Zwangsrequirierungen von Getreide zu beheben versuchten Dabei ubten beide Burgerkriegsparteien gleichermassen Repressionen gegenuber den Bauern und Plunderungen der Getreidevorrate aus Unter dem Motto Alle Macht den Sowjets keine Macht der Partei fuhrten Matrosen am 23 Februar 1921 in Kronstadt einen Aufstand durch Dieser wurde unter Trotzkis Kommando niedergeschlagen Zur selben Zeit entwickelten die Bolschewiki die Neue Okonomische Politik NEP die eine teilweise Dezentralisierung der Wirtschaft brachte Der zerstorerische Erste Weltkrieg und der sich anschliessende Russische Burgerkrieg der diese Zerstorung fortfuhrte hatten den Wirtschaftsorganismus des Landes das grosstenteils noch ein Agrarland war schon sehr weit beschadigt Der Kriegskommunismus fuhrte nun durch eine fehlerhafte theoretische Grundlage und eine praktische Umsetzung durch Zwangsmassnahmen zu weiteren verheerenden wirtschaftlichen Folgen Statistiken zufolge soll das Bruttosozialprodukt im Jahre 1920 nur noch 33 des Vorkriegsniveaus betragen haben ebenso war der Lebensstandard insbesondere derjenige der Arbeiter auf ein Drittel von 1913 abgesunken In den meisten Wirtschaftszweigen war die Produktion drastisch abgesunken Wirtschaftliche Prinzipien des Kriegskommunismus BearbeitenAufhebung des Privateigentums an den wesentlichen Produktionsmitteln Industrie Grossgrundbesitz Banken Verkehrswesen Zentralismus in der Wirtschaft zentrale Bewirtschaftung der knappen Ressourcen zentrale Lenkung von Produktion Verteilung und Verbrauch Konzentration aller wirtschaftlichen Krafte auf ein Ziel damals die Versorgung der Roten Armee Burokratisierung und Militarisierung der Wirtschaft Gewalt Terror als Mittel zur Durchsetzung wirtschaftlicher Ziele Am Ende der Periode des Kriegskommunismus hatte Lenin sein Ziel erreicht die Partei war an der Macht geblieben und damit war die Chance gewahrt die Ziele der Revolution weiter zu verfolgen oder die Zeit bis zur erhofften Weltrevolution zu uberstehen 2 Interpretationsmodelle BearbeitenUber den russischen Burgerkrieg und den Sinn und Zweck des Kriegskommunismus gibt es unter Historikern verschiedene Interpretationsmodelle Ein solches Modell orientiert sich an der Totalitarismus Theorie Der Kriegskommunismus sei dabei eine konsequente Verwirklichung des Sozialismus Projekts der Bolschewiki gestutzt auf Lenins vorrevolutionare Ideen Der Stalinismus habe laut dieser Interpretation den Kriegskommunismus konsequent fortgesetzt Ein Vertreter dieses Interpretationsmodells ist der Oxford Professor Orlando Figes Von ihm wird die These der Kriegskommunismus sei als Notwendigkeit des Burgerkrieges entstanden abgelehnt Er ist vielmehr der Auffassung die Massnahmen des Kriegskommunismus hatten den Burgerkrieg hervorgebracht und seien ein Mittel des Kampfes gegen die inneren Feinde gewesen Die Einfuhrung des Kriegskommunismus 1918 sei aber eine Reaktion auf die Hungerkrise der Stadte gewesen 3 Richard Pipes weist darauf hin dass Lenin im April 1921 behauptete die bolschewistischen Massnahmen des Kriegskommunismus seien durch Krieg und Ruin erzwungen gewesen und damit die Verantwortung fur die katastrophalen Ereignisse jener Zeit den allgemeinen Umstanden und nicht den eigenen Massnahmen zuschob Pipes bezeichnet dies als unglaubwurdigen Rechtfertigungsversuch Lenins und zitiert Trotzki der offen zugegeben habe dass die Politik des Kriegskommunismus keineswegs nur eine Reaktion auf Ereignisse der Zeit war sondern die Bolschewiki mehr damit erreichen wollten namlich vom Kriegskommunismus allmahlich zum echten Kommunismus uberzugehen Pipes fuhrt ausserdem L Kritsman und L N Jurowskij an der gesagt habe Der Kriegskommunismus war nicht nur das Produkt der Kriegsbedingungen und anderer spontan wirkender Krafte Er war auch das Ergebnis einer bestimmten Ideologie die Realisierung eines bestimmten gesellschaftspolitischen Entwurfs das Wirtschaftsleben des Landes auf ganzlich neuen Prinzipien zu errichten 4 Ein anderes Interpretationsmodell sieht den Kriegskommunismus als eine vorubergehende Abweichung von den Grundsatzen des Aufbaus des Sozialismus wie sie von Lenin ursprunglich konzipiert worden waren Der Kriegskommunismus sei dabei ein vorubergehender und erzwungener pragmatischer politischer Kurs der auf die ausserordentlichen Umstande der Revolution und des Burgerkrieges reagierte Der Historiker Wolfgang Leonhard vertritt ein verbreitetes Erklarungsmuster fur den Kriegskommunismus Der Burgerkrieg zwischen 1918 und 1921 habe dazu gefuhrt dass wirtschaftliche militarische und politische Macht zentralisiert manche revolutionare Errungenschaften des Jahres 1917 darunter die Arbeiterkontrolle beseitigt wurden und sich das diktatorische Element des Bolschewismus verstarkte 5 Unabhangig von diesen beiden Interpretationen ist historisch klar dass Lenin mit dem Kriegskommunismus den Burgerkrieg uberstanden hat Die Partei der Bolschewiki hatte ihr Ziel erreicht und war an der Macht geblieben Nach dem Ende des von den Bolschewiki gewonnenen Burgerkrieges wurde zunachst eine wirtschaftliche Liberalisierung eingeleitet Laut dem Historiker Igor Narski zeichnete sich in der internationalen Historiographie eine Tendenz ab beide Interpretationsmodelle als ungenugend produktiv zu betrachten Die Politik des Kriegskommunismus werde zumeist als eine merkwurdige Kombination von Grundsatzen bolschewistischer Doktrin und der Notwendigkeit auf die bittere Realitat zu reagieren beschrieben weshalb es widerspruchliche Auslegungen unerwartete Wendungen Konflikte in der politischen Fuhrung und Bedenken bei der Bestimmung der potentiellen Anhanger und Gegner gegeben habe 6 Weblinks BearbeitenLeo Trotzki uber den Kriegskommunismus aus Verratene Revolution Literatur BearbeitenHelmut Altrichter Staat und Revolution in Sowjetrussland 1917 1922 23 Reihe Ertrage der Forschung Bd 148 Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1981 Michail Heller Alexander Nekrich Geschichte der Sowjetunion 2 Bande Athenaum Konigstein 1981 82 Darstellung der Geschichte der Sowjetunion aus der Sicht zweier aus der UdSSR emigrierter Historiker reichlich Quellenmaterial darin vorhanden Edgar Hosch Hans Jurgen Grabmuller Daten der sowjetischen Geschichte Von 1917 bis zur Gegenwart Deutscher Taschenbuch Verlag Munchen 1981 ausfuhrliche chronologische Datensammlung mit Erlauterungen Manfred Hildermeier Die russische Revolution 1905 1921 Edition Suhrkamp 1534 Frankfurt am Main 1981 L N Jurowskij Deneschnaja politika sowjetskoj wlasti 1917 1927 Die Geldpolitik der Sowjetmacht 1917 bis 1927 Moskau 1928 Leo Kritsman Die heroische Periode und der Grossen Russischen Revolution Versuch einer Analyse des sogenannten Kriegskommunismus Wien 1971 Nachdruck von 1929 Richard Lorenz Sozialgeschichte der Sowjetunion I 1917 1945 Edition suhrkamp 654 Frankfurt am Main 1976 Silvana Malle The Economic Organization of War Communism 1918 1921 Uberarbeitete Neuauflage Cambridge University Press 2002 ISBN 0 521 52703 1 Evan Mawdsley The Russian Civil War Birlinn Edinburgh 2005 ISBN 1 84341 024 9 Gunther Stokl Russische Geschichte Von den Anfangen bis zur Gegenwart Kroners Taschenausgabe Band 244 5 erweiterte Auflage Kroner Stuttgart 1990 ISBN 3 520 24405 5 chronologische Darstellung der Geschichte Russlands und der Sowjetunion Standardwerk in deutscher Sprache mit umfangreichem Verzeichnis wissenschaftlicher Literatur Einzelnachweise Bearbeiten Die Kodifizierung des Staatsrechts Von der Verfassung der RSFSR zur Verfassung der UdSSR In Munchner Digiltalisierungszentrum Abgerufen am 16 Marz 2023 Informationen zur politischen Bildung 182 1979 Die Sowjetunion Bundeszentrale fur politische Bildung Orlando Figes Die Tragodie eines Volkes Die Epoche der russischen Revolution 1891 bis 1924 Berlin Verlag Berlin 1998 ISBN 3827002435 Richard Pipes Die russische Revolution Band 2 Rowohlt 1992 S 557 ISBN 3871340251 Wolfgang Leonhard Was ist Kommunismus Bertelsmann Verlag GmbH 1976 S 37 Der Historiker Igor Narskij uber die Interpretationsmodelle Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Kriegskommunismus amp oldid 233349800