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Das Kunstwort Grammatologie bezeichnet die Wissenschaft von der geschriebenen Schrift Im engeren Sinne bezeichnet Grammatologie einen Ansatz des franzosischen Philosophen Jacques Derrida in dem er dem abendlandischen Logozentrismus bzw Phonozentrismus seine Theorie der Schrift entgegenstellt Am ausfuhrlichsten breitet er diesen poststrukturalistischen Ansatz in seinem Hauptwerk De la grammatologie von 1967 aus In dem epochemachenden Werk strebt Derrida keine Beschreibung der historischen Genese der Kulturtechnik Schrift an sondern mochte durch ein neuartiges Verstandnis des von ihm weitgefassten Phanomens Schrift zu einer Uberwindung alle r technischen und epistemologischen Hindernisse 1 und einer Abstreifung alle r theologischen und metaphysikalischen Fesseln 2 gelangen die seiner Ansicht nach die abendlandische Philosophie seit ihrem Beginn gepragt haben Dabei wendet er das durch ihn bekannt gewordene Lekture und Analyseverfahren der Dekonstruktion an Davon abzugrenzen ist die stellenweise ebenfalls als Grammatologie bezeichnete Schriftlinguistik die sich mit der Geschichte der Schrift der Geschichte der Schriftmedien den Schriften der Welt der Schriftkultur oder Ahnlichem befasst Inhaltsverzeichnis 1 Semiotische Grundlagen 1 1 Das Zeichen 1 2 Signifikat und Signifikant 1 3 Das Missverstandnis vom Referenten 2 Grammatologie nach Derrida 2 1 Logozentrismus Phonozentrismus 2 2 Derridas Schriftbegriff 2 3 Von der Grammatologie zur Dekonstruktion Die differance 2 4 Verwandte Konzepte 3 Grammatologie Literatur und Dekonstruktion 3 1 Polysemie und Dissemination 3 2 Das Supplement 3 3 Metapher 3 4 Die Dekonstruktion als literaturwissenschaftliches Paradigma 4 Wirkung und Kritik 5 Literatur 5 1 Quellen 5 2 Einfuhrungen 5 3 Internetquellen 5 4 Weiterfuhrende Literatur 5 5 Weiterfuhrende Weblinks 6 EinzelnachweiseSemiotische Grundlagen BearbeitenDieser Abschnitt soll lediglich einer fur das weitere Verstandnis benotigten kurzen Einfuhrung dienen Fur weitergehende Informationen siehe die Artikel Semiotik Zeichen und den insbesondere hinsichtlich Derrida interessanten Abschnitt zur Theorie Saussures Die Grammatologie bedient sich vornehmlich des Vokabulars des Strukturalismus um es infolgedessen zu verwerfen oder zu radikalisieren Derrida bezieht sich dabei namentlich auf die strukturalistischen Vordenker Ferdinand de Saussure Charles Sanders Peirce und Louis Hjelmslev aber auch auf Vertreter des Russischen Formalismus wie Roman Jakobson und die Opojaz Fur das Gros dieser Autoren stand das sprachliche Zeichen im Fokus der theoretischen Betrachtungen Das Zeichen Bearbeiten Ein Zeichen ist nach dem Semiotiker Umberto Eco e ine physikalische Form die fur den Empfanger auf etwas verweist was diese physikalische Form denotiert bezeichnet nennt aufzeigt und was nicht die physikalische Form selber ist 3 oder einfacher Ein Zeichen ist etwas das fur etwas anderes steht Fur die Kommunikation ist das Zeichen unentbehrlich denn aufgrund der Unubertragbarkeit geistiger Zustande kann der Austausch von Gedanken Ideen oder Empfindungen nur mit Hilfe eines Mediums geschehen eines vermittelnden Zeichens Man verwendet das Zeichen um eine Information zu ubermitteln um jemandem etwas zu sagen 4 Sprachliche Zeichen wie z B Morpheme sind durch kleinere paradigmatische Einheiten in diesem Fall durch Phoneme voneinander unterschieden Diese kleinstmoglichen distinktiven Merkmale treten aus einem System von Oppositionen hervor 5 Zeichen sind also die Resultante sukzessiver und gleichzeitiger Verbindungen von Unterelementen 6 die Korrelation von Ausdrucks und Inhaltsebene wird durch einen Code gewahrleistet 7 Signifikat und Signifikant Bearbeiten In der Linguistik wird vornehmlich das Modell des semiotischen Dreiecks zur Veranschaulichung der Beziehungen zwischen den Zeichen und der aussersprachlichen Welt verwendet Meist sind in diesem triadischen Modell folgende Elemente vertreten Ein physisches Zeichen zum Beispiel ein Wort oder ein Symbol Ein Begriff der zwischen einem Ding in der Welt und dem Zeichen vermittelt Ein Ding in der Welt worauf sich das Zeichen und der Begriff beziehenFolgende Abbildung zeigt zwei mogliche Fassungen des semiotischen Dreiecks Bei Modell 1 sind die Ecken mit gemeinsprachlichen Begriffen beschriftet Modell 2 bedient sich der klassischen semiotischen Nomenklatur Modell 1 Modell 2 Begriff Signifikat Zeichen Gegenstand Signifikant Referent Wort Ding Jede physische Gegebenheit also etwa ein gesprochenes oder geschriebenes Wort eine Gebarde oder ein akustisches Signal kann als Zeichen interpretiert werden und zwar dann und genau dann wenn sie auf einen Begriff im Sinne einer Vorstellung im menschlichen Geist verweist So lost die Buchstabenkette birne oder die Lautkette ˈbɪʁne bei einem deutschsprachigen Rezipienten das mentale Bild einer Birne aus Um dieses gedankliche Bild zu aktivieren muss keine echte Birne vorhanden sein da mittels eines Zeichens im engeren Sinne auf sie auf eine bestimmte auf die Gesamtheit der Birnen verwiesen werden kann Die zum Zeichen gewordene physische Gegebenheit nennt man Signifikant das Bezeichnende die Vorstellung nennt man Signifikat das Bezeichnete Der Signifikant steht dabei allerdings in keinerlei oder einer ausserst schwachen Beziehung zum Referenten dem Ding in der Welt was die gestrichelte Linie in den Schaubildern abzubilden sucht Im Gegensatz dazu ist die Verbindung zwischen Referent und Signifikat gemass dem Schaubild eine direkte Oftmals wird dies so gedeutet dass der Referent der Bezugspunkt ist der das mentale Bild erst formt und mit Inhalt fullt sodass es zum Vermittler zwischen Zeichen und Ding wird indem es beiden Sinn gibt Wie jedoch der durchgezogene Strich in obigem Schema nahelegt stehen der Signifikant und das Signifikat ebenfalls in direkter Beziehung zueinander Diese bilaterale Struktur zwischen Ausdrucks und Bedeutungsseite wird im Strukturalismus Saussurescher Pragung als Einheit verstanden ein vollstandiges Zeichen bestehe demzufolge immer aus Lautbild oder Schriftbild und Vorstellung aus Signifikant und Signifikat Fur Saussure verweist erst ebendieses vollstandige Zeichen auf einen Referenten Zwei mogliche Modelle fur ein vollstandiges Zeichen nach Saussure Vorstellung Signifikat Lautbild Signifikant Das Missverstandnis vom Referenten Bearbeiten Durch das semiotische Dreieck wird der Anschein erweckt die Bedeutung eines Signifikanten habe auch etwas mit dem Ding in der Welt dem Referenten zu tun Allerdings ist der Ruckgriff auf eine aussersemiotische Dingwelt nicht notwendig um die Funktionsweise von Zeichen zu erklaren Der Referent ist bereits bei Saussure aus gutem Grund aus dem sprachlichen Zeichen ausgeschlossen obwohl seine Argumentation noch nicht weit genug ging Laut Saussure verweise ein ganzes Zeichen bestehend aus Signifikant und Signifikat auf einen Gegenstand in der Welt In der Semiotik entsteht durch das Festhalten am Referenten allerdings das Problem dass der Signifikant weiterhin vom Gegenstand abhangig bleibt wodurch sein Wahrheitswert als Zeichen vom Gegenstand bestimmt wird ausserdem musste bei jedem Sprechakt aufs Neue der konkrete Bezugsgegenstand des Signifikanten deiktisch oder metasprachlich identifiziert werden was zu einer unauflosbaren Aporie fuhrt 8 Der Sinn bzw das Signifikat eines Signifikanten ist jedoch nicht oder zumindest nicht primar von realen Gegebenheiten abhangig So verleitet die Aussage Deine Schnursenkel sind offen den Rezipienten zu der Handlung auf seine Schuhe zu blicken unabhangig davon ob die Aussage wahr oder falsch ist denn das Problem der Luge oder der Falschheit das fur die Logiker von Bedeutung ist ist pra oder post semiotisch 9 Der Inhalt der Aussage ist sogar weiterhin verstandlich wenn der Horer Sandalen oder uberhaupt keine Schuhe tragt Vielmehr findet eine Semiotisierung des Referenten statt in der das Ding in der Welt selbst zum Signifikanten wird der sich auf das gleiche oder ein sehr ahnliches Signifikat wie der aus sprachlichen Symbolen bestehende Signifikant bezieht Der Gegenstand wird nicht als Individuum wahrgenommen sondern unter einem bereits bekannten System subsumiert 10 Um es wieder durch ein Beispiel zu verdeutlichen Die Buchstabenkette birne vergegenwartigt beim Horer die Vorstellung einer Birne doch der Anblick einer echten Birne tut dies ebenfalls Die real existierende Frucht wird als ein Vertreter der kulturellen Einheit Birne zu einem Signifikanten fur das dazugehorige Signifikat das kraft seiner bestimmten semantischen Extension eine individuelle Konnotation tragt Grammatologie nach Derrida BearbeitenDie Unterscheidung zwischen Signifikant und Signifikat die als zwei Seiten eines Blattes gedacht werden ist Derrida zufolge nicht haltbar Der Ursprung des Signifikats bleibe weiterhin im Verborgenen ausserdem zeitige die blosse Verweisfunktion des Signifikanten eine im Metaphysischen verhaftete Hierarchisierung durch die das Signifikat ohne den Signifikanten gedacht werden konne 11 Dieses unendliche oder auch transzendentale Signifikat das unabhangig von einem Zeichentrager existieren konnen soll wird zum entscheidenden Kritikpunkt in Derridas Grammatologie Logozentrismus Phonozentrismus Bearbeiten Die Kritik am Logos agr logos einem bereits seit der Zeit der Vorsokratiker verwendeten Kernbegriff der abendlandischen Philosophie ist zugleich der Ausgangspunkt und das Ziel von Derridas Betrachtung uber die Sprache und die Schrift Das Zeichen muss die Einheit einer Heterogenitat darstellen denn das Signifikat Sinn oder Ding noema oder Realitat ist nicht an sich Signifikant Spur sein Sinn konstituiert sich jedenfalls nicht durch sein Verhaltnis zur moglichen Spur Das formale Wesen des Signifikats ist die Prasenz und das Privileg seiner Nahe zum Logos als phone ist das Privileg der Prasenz 12 Damit eng verbunden sei das Primat der phone das Derrida bereits bei Platon Aristoteles Rousseau Hegel und Husserl verwirklicht sieht und das auch die semiotische und linguistische Forschung seit Ferdinand de Saussure bestimmte Eine gesprochene Ausserung sei seit jeher mit der Reprasentation von inneren oder auch seelischen Zustanden verknupft In der Stimme sei das Signifikat am unmittelbarsten ausgedruckt ihre Funktion sei die der unmittelbaren naturlichen und direkten Bezeichnung des Sinns des Signifikates der Vorstellung des idealen Gegenstandes oder wie immer man will 13 Dieses Privileg der lautlichen Sprache fuhre zu einer Zuruckdrangung der Schrift denn das gesprochene Wort sei dem Sinn des Logos naherstehend 14 Das zweiseitige Zeichenmodell selbst sei nach wie vor dem als metaphysisch abgekanzelten Logozentrismus der abendlandischen Philosophie verhaftet es verschmelze mit dem Phonozentrismus zu einer absolute Nahe der Stimme zum Sein der Stimme zum Sinn des Seins 15 und somit zu einer Metaphysik der Prasenz in der ein jedes sprachliches Zeichen isoliert und kommunikativ weitergegeben werden konne ohne in seiner Substanz oder auch in der oὐsia verandert zu werden Als Argument gegen den Phonozentrismus fuhrt Derrida unter anderem die mathematische Schrift an die nicht an eine phonetische Produktion und damit auch nicht an das Prasenzdenken gebunden sei Dieser Phonozentrismus und das binare Zeichenkonzept das sich im Wesentlichen auf das transzendentale Signifikat stutzt sei Ursache fur die Prasenzmetaphysik und somit auch fur den Logozentrismus in dem die Schrift aus dem inneren Sprachsystem ausgeschlossen werde 16 Derridas Schriftbegriff Bearbeiten Wir werden zu zeigen versuchen dass es kein sprachliches Zeichen gibt das der Schrift vorherginge 17 Die Schrift erfuhr in der Geschichte des Denkens laut Derrida eine ungerechtfertigte Abwertung als Reprasentant des gesprochenen Wortes Ihr sei lediglich eine zweitrangige Funktion zugesprochen worden da der Hauptzweck agr telos der Schrift immer schon auf die Konservierung von phonetischer Sprache reduziert wurde Dagegen sei die Schrift nicht nur Hilfsmittel der Wissenschaft sondern eine notwendige Moglichkeitsbedingung wissenschaftlicher Objektivitat 18 Durch die Umkehrung des Verhaltnisses zwischen Signifikat und Signifikant wird letzterem eine entscheidendere Rolle fur die Theoriebildung zugewiesen die Schrift wird als Vertreterin der Signifikanten schlechthin zum Hyperonym fur alle Formen der Sprache auch der gesprochenen ausserdem auch fur alle weiteren Zeichensysteme 19 Die Grammatologie Wissenschaft von der Schrift ersetzt somit die Semiologie Wissenschaft vom Zeichen 20 Derrida versteht die Schrift nicht wie die strukturalistische Schule als ein vom menschlichen Reprasentationswillen abhangiges Zeichen sondern als hinterlassene Spur die innerhalb eines Systems von Verweisungen wie der Sprache ad infinitum weiter auf Positionen innerhalb dieses Systems verweist 21 Demzufolge gelte es das von der sprachlichen Seite unabhangige Signifikat des Strukturalismus zu hinterfragen das kraft seiner Verwurzelung in Theologie und Metaphysik die Rolle des primum signatum als transzendentale vom Bewusstsein unabhangige real seiende Entitat annehme 22 Anstatt der zweiseitigen Signifikat Signifikant Verbindung sei jeder Signifikant der Signifikant eines weiteren Signifikanten Das transzendentale Signifikat ist somit also obsolet geworden denn es sei ohnehin schon seit jeher in den Prozess der ewigen Verweisungen eingeschrieben Das Signifikat fungiert darin seit je als ein Signifikant von Anfang von Beginn des Spieles an Es gibt kein Signifikat das dem Spiel aufeinander verweisender Signifikanten entkame das die Sprache konstituiert und sei es nur um ihm letzten Endes anheimzufallen 23 Von der Grammatologie zur Dekonstruktion Die differance Bearbeiten Durch die Abschaffung der transzendentalen Signifikate tritt an die Stelle des zweiseitigen Zeichens das Modell des unendlichen Verweises der aufgewerteten Signifikanten jedes Signifikat werde wegen der differance in deutschsprachigen Ubersetzungen als Differenz oder Differanz wiedergegeben wiederum zu einem Signifikanten Die nicht als theoretisches Konzept sondern vielmehr als seit jeher wirkende Kraft verstandene differance ist als realer Prozess die Ursache als von Derrida geschaffener Neologismus dagegen das vorlaufige Ergebnis der Reflexionen uber das Zeichen und die Schrift Derrida rekurriert auf die beiden unterschiedlichen Bedeutungen die die Verben differer im Franzosischen und differre im Lateinischen tragen nicht jedoch das griechische Verb diaferein Wahrend letzteres lediglich die Bedeutung der herkommlichen Differenz also der Nicht Identitat und des inhaltlich Unterschiedenen besitzt bezeichne das Verb im Franzosischen und Lateinischen zudem die Tatigkeit des zeitlichen Verschiebens der sogenannten Temporisation 24 Der von Derrida geschaffene Neologismus differance soll dabei sowohl den Vorgang der Verraumlichung als uber tragene agr dia ferein Bedeutung als auch den Vorgang der Verzeitlichung des Zeichens einschliessen Das sprachliche Zeichen hatte also nicht nur eine verweisende Stellvertreterfunktion gegenuber dem Signifikaten oder dem Referenten sondern schiebe den Moment der Begegnung mit der Sache selbst im Sinne der ontologischen Prasenz auf Das zeitliche und raumliche Sich Bewegen der differance ist kein zielgerichteter Prozess sondern lasst sich im Gegenteil nur vom Ergebnis her verstehen Der Vorgang des Entspringens von Bedeutung bleibt im Dunkeln die Einfuhrung der Kategorie der temporalen Dilatation fuhre namlich dazu dass das intra inter und paratextuelle Spiel der Verweise niemals zu einem Ende findet Daraus musse allerdings auch geschlossen werden dass jedweder Versuch eine Metasprache zu erschaffen zum Scheitern verurteilt sei ja sogar die Geschichte der Philosophie musse aufgrund ihres fehlerhaften Umgangs mit Schrift und Text umgeschrieben werden Da das Sein immer nur Sinn gehabt hat immer nur als im Seienden Verborgenes gedacht oder gesagt wurde ist die differance auf eine gewisse und ausserst sonderbare Weise alter als die ontologische Differenz oder als die Wahrheit des Seins 25 Verwandte Konzepte Bearbeiten Eng verwandt mit der differance ist das Konzept der unendlichen Semiose das von Charles Sanders Peirce entwickelt und von Umberto Eco aufgegriffen kritisiert und weiterentwickelt wurde Laut Eco und Peirce wird im Bewusstsein jedes Signifikat zu einem erneuten Signifikanten eines weiteren Signifikaten das wiederum zu einem Signifikanten wird ohne dass dieser Prozess jemals beendet sein konnte ahnlich argumentieren auch Hjelmslev und Barthes 26 Diese neuentstandenen Zeichen nennen sie Interpretanten 1 Grades 2 Grades usw die Summe der Interpretanten sind die Konnotationen des ursprunglichen Zeichens weiteres Signi Signifikant fikat so weiter ad infinitum Interpretant Signifikant Signifikat 1 Ordnung Signifikant Signifikat ursprungliches Zeichen Eco Zeichen 1977 S 100 Der klassischen Tradition des einspurigen Baum Denkens wird im Rhizom Modell von Gilles Deleuze und Felix Guattari ein dezentralisiertes asignifikantes und antigenealogisches Denken entgegengestellt dessen durch Knotenpunkte immer weiter vernetzbare Verweisstruktur einem wildwachsenden und wuchernden Wurzelknollengeflecht gleicht Des Weiteren ist das Modell der semantischen Netze von M Ross Quillian das zwar auf verschiedenen Annahmen basiert aber zu einem ahnlichen Ergebnis gelangt wiederum mit dem Rhizom verwandt Grammatologie Literatur und Dekonstruktion Bearbeiten Wenn wir den Text vom Buch abheben dann wollen wir damit sagen dass der Untergang des Buches wie er sich heute in allen Bereichen ankundigt die Oberflache des Textes blosslegt 27 Die Grammatologie schafft die Grundlage fur die literaturtheoretischen Betrachtungen Derridas die verstandlicherweise eng mit seinem Schrift und Textbegriff verknupft sind Polysemie und Dissemination Bearbeiten Der hermeneutische Ansatz die Vieldeutigkeit eines literarischen Textes zu postulieren und darauf aufbauend eine Vielzahl von Interpretationsansatzen und ergebnissen zuzulassen geht Derrida nicht weit genug Er stellt diesem polysemischen Verstandnis der Interpretation sein Konzept der disseminalen Lekture entgegen Der Text sei semantisch unbestimmbar eine Bedeutung und sei es auch nur eine unter endlich vielen sei im Sinne einer verstehenden oder sinnverstehenden Deutung nicht rekonstruierbar 28 Da die Dissemination einen absoluten Bruch mit dem gegebenen Text vollziehe sei sie gegenuber der Polysemie der Hermeneutik der vorzuziehende Lektureansatz da ebenjener absolute Bruch wiederum eine absolut disseminierte Vielstimmigkeit der moglichen Lesarten ermogliche 29 Begrundet wird dies mit der semantischen Unterdeterminiertheit des Textes und seiner Einheiten Worter Satze etc da der Text selbst notwendigerweise seine Ganzheit und seine Autarkie postulieren musse 30 Daraus folgt dass literarische Texte per se uneindeutig seien weswegen alle Interpretationsanstrengungen und Versuche einer nachvollziehenden Lekture scheitern mussen Um seine eigene Widerspruchlichkeit aufzudecken und seine sinnstutzende Struktur zu schwachen musse der Text prazise und genau gelesen und durch eine neuerliche problematisierende Textproduktion verdoppelt werden 31 Das Supplement Bearbeiten Da jeder Begriff in eine Kette oder in ein System eingeschrieben ist in dem er durch das systematische Spiel von Differenzen auf andere Begriffe verweist ist er nie an sich gegenwartig 32 Der Begriff des Supplements ist elementar fur das Verstandnis der Grammatologie und hatte entscheidenden Einfluss auf die Literaturwissenschaft Das Supplement hangt entscheidend mit dem bereits oben angesprochenen endlosen Spiel der Verweise und Derridas Textverstandnis zusammen das sich in dem mittlerweile vielzitierten Ausspruch Ein Text Ausseres gibt es nicht orig frz Il n y a pas de hors texte 33 manifestiert Der Ursprungspunkt eines Signifikanten sei keineswegs ausserhalb der Schrift zu suchen da damit immer das Denken eines transzendentalen Signifikaten oder eines realen Referenten einhergehen musse vielmehr trete am fehlenden Ursprung ein Supplement auf das zu einer endlosen Kette oder Serie von Substitutionen gehorig ist 34 Diese Kette der immer weiterverweisenden Supplemente die end und ursprungslose Verweispraxis eines jeden Textes verzogere eine endgultige Bedeutung bis ins Unendliche denn der Moment der Ankunft an einem Anfangs oder Endpunkt des Sinns des Seins oder einer ontologisch absoluten Gegenwart werde niemals erreicht 35 Bei der Lekture eines Textes soll deswegen mittels einer doppelten Taktik vorgegangen werden Einerseits soll sie sich nur innerhalb des Textes bewegen und vor allem niemals auf ein textausseres Signifikat berufen um jegliche Interpretation oder ein Abrucken in die Transzendenz zu vermeiden 36 Andererseits sollen die dem Autor nicht bewussten und nicht beherrschten Sprachschemata also der implizite Supplementaritatscharakter seines Textes am Text selbst aufgezeigt werden da jedwedem Text stets seine eigene unendliche Widerspiegelung immanent sei und er sich somit immer als Reprasentation als Reprasentation einer Reprasentation usw geriert 37 Metapher Bearbeiten Ausgehend von seiner Supplementtheorie beschaftigte sich Derrida auch mit der literarischen Metapher Eine Metapher stellt zwischen zwei Sachverhalten die eigentlich nicht einander zugehorig sind eine sprachliche Verbindung her die einer Veranschaulichung des eigentlichen Gegenstandes dienen soll Ihr kommt dabei als analysierbares Objekt und Instrument der Analyse eine doppelte Funktion zu da die fur sie idiosynkratische Erklarungs und Ersetzungsbewegung die Kernannahme der differance widerspiegele 38 Die Metapher hatte zwar verandernde Wirkung und sei in der Philosophie notwendig um ein System zu errichten doch sei sie auch semantisch notorisch unzuverlassig und untergrabe ebenjenes System das sie zu errichten vorgibt 39 In der Literatur sei ein Uberschuss an Metaphern vorhanden in denen sich die gesuchte Bedeutung zuruck und damit entzieht aber auch zuruckkehrt als Supplement des vorherigen 40 Diese doppelnde Eigenschaft sei konstitutiv fur die Metapher und markiere das supplementare Uberschussverhaltnis des Textprozesses indem sie als Metapher eine Metapher fur den Text selbst sei 41 Durch die Veranschaulichung der Textoperation werde alles metaphorisch und es gabe hinter dem Text keinen ergrundbaren Sinn und auch keine Metapher mehr 42 Diese Nichtentscheidbarkeit von Bedeutung fasst Derrida als die Ursache fur die Deutungswut der Hermeneutik auf 43 Die Dekonstruktion als literaturwissenschaftliches Paradigma Bearbeiten Aus den in der Grammatologie getroffenen Unterscheidungen und den damit einhergehenden Konsequenzen fur das Verstandnis von Sprache Text und Schrift erwuchs ein literaturanalytisches Verfahren das als Dekonstruktion bekannt wurde Die Dekonstruktion wird in der zeitgenossischen Literaturwissenschaft als ausserst prazises Lektureverfahren rezipiert mit dem sich die textinterne Sinnkonstitution in zuvor ungeahntem Masse blosslegen lasst 44 Unter Dekonstruktion versteht man jedoch keine einheitliche Theorie vielmehr versteht sie sich selbst als Praxis die mittels eines Dreischritts metaphysisch verknocherte Oppositionssysteme aufbrechen will 45 In dem Dreischritt wird in den zu untersuchenden Texten zunachst eine hierarchische Bedeutungsachse aufgespurt in der der abgewertete Begriff in einer Opposition zum primar verwendeten steht 46 Als nachstes folgt der Beweis dass sich Merkmale des abgewerteten Begriffs auch bei dem anderen finden die inhaltliche Differenz zwischen ihnen wird dadurch eliminiert und der zuvor abgewertete Terminus wird im letzten Schritt fur die weitere Beschreibung der unzulassigen metaphysischen Hierarchie verwendet 47 In der Grammatologie sind diese Begriffe die Stimme und die Schrift Das Verfahren der Dekonstruktion wurde z B von Roland Barthes als progressive Form der Literaturanalyse angewandt in der der Text mittels produktiver Strukturation der Lekture von jedweder Vergegenwartigung ferngehalten werden soll 48 Weitere wichtige Figuren der Dekonstruktion sind Paul de Man und sein Umfeld an der Yale School Wirkung und Kritik BearbeitenDie erste Kritik an dem Begriff Grammatologie ubt Derrida bereits zum Abschluss des ersten Hauptteils des gleichnamigen Werkes selbst Grammatologie Denken das noch eingemauert bliebe in der Prasenz 49 Der Einfluss des Logos ist in seiner Theorie noch allseits prasent aber wenn er durch die unermudliche Dekonstruktion zwar nicht gebannt wird so wird er doch kontinuierlich in Schach gehalten siehe auch Metapher Die ostentativ anmutende Verunklarung des Vorhabens wird durch Derridas artifiziellen teils assoziativ wirkenden Stil noch verstarkt was jedoch gerade dem Kernpunkt der These sehr nahesteht Eine letztgultige Bedeutung ist ohnehin nicht auffindbar die Vergegenwartigung des Anscheins von Sinn muss gestort werden Unter dem gleichen Gesichtspunkt ist die Vermischung linguistischer ontologischer und epistemologischer Begrifflichkeiten und Konzepte zu sehen Mogen sie zunachst den Eindruck eines methodologischen Eklektizismus erwecken sind sie doch innerhalb Derridas Hermetik durch ihren Logozentrismus untrennbar miteinander verknupft und fallen aufgrund ihrer Verwurzelung in der Sprache der Prasenzmetaphysik allesamt unter das gleiche Kritikparadigma Jedoch liesse sich der flottierenden Bedeutungsebene Derridas die in der Sprachwissenschaft gebrauchliche Merkmals bzw Komponentenanalyse entgegenstellen die keinerlei ontologisch oder metaphysisch verwurzelte Unterscheidung von gesprochener und geschriebener Sprache aufweist Der Ontologie die er selbst so sehr zu zerschlagen sucht ist er noch weitaus eher verhaftet als die sprachanalytischen Philosophien eines Frege Russell Wittgenstein oder Austin die bereits vor dem Erscheinen der Grammatologie die linguistische Wende einleiteten Der US amerikanische Sprachphilosoph John Searle attestierte in einem vielbeachteten Artikel in der Zeitschrift The New York Review of Books Derrida und seinen Epigonen auch aus eben genanntem Grund eine atemberaubende Implausibilitat in ihren Behauptungen ein krasses Missverstehen von Ursache und Wirkung und vergleicht sie mit dem Kaiser ohne Kleider 50 Derridas Thesen seien noch in der pra wittgensteinschen Auffassung verhaftet und seien den sprachphilosophischen Arbeiten von Austin Chomsky Quine und vielen anderen an Verstandlichkeit und intellektuellem Gehalt weit unterlegen 51 Vor allem letzteres Argument ist nicht sehr stichhaltig Derrida beweist in seinen Texten ab den 70er Jahren seine Kenntnis der seinerzeit aktuellen Beitrage von Philosophen aus dem angelsachsischen Raum siehe die Debatte mit Searle auch einen Bezug auf Wittgenstein findet man in mehreren Texten darunter in Derridas klassisch gewordenen Werk Gesetzeskraft 52 Wie aktuell die Kritik und wie weitreichend das Unverstandnis fur Derridas Denken in Fachkreisen auch heute noch ist veranschaulicht eine kleine Randbemerkung des deutschen Sprachwissenschaftlers Anatol Stefanowitsch Stefanowitsch stimmt darin Noam Chomsky zu der in einem Interview polemisch bemerkt die Arbeiten von Derrida Althusser und Lacan bestunden zu zehn Prozent aus Binsenweisheiten und vom Rest verstehe er kein Wort 53 Literatur BearbeitenQuellen Bearbeiten Jacques Derrida Grammatologie Ubersetzt von Hans Jorg Rheinberger und Hanns Zischler Frankfurt am Main 1983 Jacques Derrida Die differance In Peter Engelmann Hrsg Postmoderne und Dekonstruktion Texte philosophischer Autoren der Gegenwart Stuttgart 1990 S 76 111 Jacques Derrida Semiologie und Grammatologie Gesprach mit Julia Kristeva In Peter Engelmann Hrsg Postmoderne und Dekonstruktion Texte philosophischer Autoren der Gegenwart Stuttgart 1990 S 140 164 Einfuhrungen Bearbeiten Johanna Bossinade Poststrukturalistische Literaturtheorie Stuttgart 2000 Umberto Eco Einfuhrung in die Semiotik Munchen 1972 Umberto Eco Zeichen Einfuhrung in einen Begriff und seine Geschichte Munchen 1977 Jorg Lagemann Klaus Gloy Dem Zeichen auf der Spur Derrida eine Einfuhrung Aachen 1998 Heinz Kimmerle Derrida Eine Einfuhrung Hamburg 2000 Caroline Pross Gerald Wildgruber Dekonstruktion In Heinz Ludwig Arnold Heinrich Detering Hrsg Grundzuge der Literaturwissenschaft Munchen 1996 S 409 429 Internetquellen Bearbeiten John Searle The Word Turned Upside Down In The New York Review Of Books New York 1983 Stand 24 Februar 2014 hinter Paywall der Text ist hier zuganglich Anatol Stefanowitsch Presseschau vom 10 Februar 2007 In Bremer Sprachlog Bremen 2007 2010 Stand 13 Marz 2014 Weiterfuhrende Literatur Bearbeiten Jonathan Culler Dekonstruktion Derrida und die poststrukturalistische Literaturtheorie Reinbek bei Hamburg 1999 Jacques Derrida Die Schrift und die Differenz Ubersetzt von Rodolphe Gasche Frankfurt am Main 1976 Jacques Derrida Die Stimme und das Phanomen Ein Essay uber das Problem des Zeichens in der Philosophie Husserls Ubersetzt von Jochen Horisch Frankfurt am Main 1979 Jacques Derrida Randgange der Philosophie Ubersetzt von Peter Engelmann u a Wien 1988 Peter Engelmann Dekonstruktion Jacques Derridas semiotische Wende in der Philosophie Wien 2013 Klaus Englert Jacques Derrida Paderborn 2009 Sarah Kofman Derrida lesen Wien 1987 Tore Langholz Das Problem des immer schon in Derridas Schriftphilosphie Wien 2016 Robert Stockhammer 1967 Pop Grammatologie und Politik Paderborn 2017 Weiterfuhrende Weblinks Bearbeiten Dekonstruktion In Online Worterbuch Philosophie Derrida Jacques In Online Worterbuch Philosophie Wiki das sich mit Derridas Grammatologie beschaftigt und nach dem Prinzip seiner Philosophie aufgebaut istGift fur den Geist In Der Spiegel 16 1992 13 April 1992 zum Protest gegen die Verleihung der Ehrendoktorwurde an der Universitat Cambridge Crashkurs zu Jacques Derrida auf YouTubeEinzelnachweise Bearbeiten Derrida Grammatologie 1983 S 14 Derrida Grammatologie 1983 S 14 Eco Semiotik 1972 S 30 Eco Zeichen 1977 S 25 Vgl Eco Zeichen 1977 S 80 Eco Zeichen 1977 S 84f Eco Zeichen 1977 S 85f vgl Eco Semiotik 1972 S 71 Eco Semiotik 1972 S 73 Vgl Eco Semiotik 1972 S 81ff Vgl Lagemann Gloy Zeichen 1998 S 93f Derrida Grammatologie 1983 S 35 Derrida Grammatologie 1983 S 54 Vgl Derrida Grammatologie 1983 S 24 Derrida Grammatologie 1983 S 25 Vgl Lagemann Gloy Zeichen 1998 S 121 Derrida Grammatologie 1983 S 29 Vgl Derrida Grammatologie 1983 S 50 Vgl Lagemann Gloy Zeichen 1998 S 121 Vgl auch Derrida Gesprach 1990 148ff Vgl Kimmerle Einfuhrung 2000 S 43f vgl Derrida Grammatologie 1983 S 27 S 38 Derrida Grammatologie 1983 S 17 Derrida Differance 1990 S 83 Derrida Differance 1990 S 104 Vgl u a Eco Zeichen 1977 S 99f Derrida Grammatologie 1983 S 35 Vgl Bossinade Poststrukturalistische Literaturtheorie 2000 S 158f Vgl Bossinade Poststrukturalistische Literaturtheorie 2000 S 158f Vgl u a Derrida Grammatologie 1983 S 275 Vgl Bossinade Poststrukturalistische Literaturtheorie 2000 S 161 Derrida Differance 1990 S 83 Derrida Grammatologie 1983 S 274 Vgl Derrida Grammatologie 1983 S 274f Vgl Derrida Grammatologie 1983 S 274f Vgl Derrida Grammatologie 1983 S 276f Vgl Derrida Grammatologie 1983 S 281 Vgl Bossinade Poststrukturalistische Literaturtheorie 2000 S 107 Vgl Bossinade Poststrukturalistische Literaturtheorie 2000 S 108 Vgl Bossinade Poststrukturalistische Literaturtheorie 2000 S 109 Vgl Bossinade Poststrukturalistische Literaturtheorie 2000 S 110 Vgl Bossinade Poststrukturalistische Literaturtheorie 2000 S 110 Vgl Bossinade Poststrukturalistische Literaturtheorie 2000 S 110 Vgl Pross Wildgruber Dekonstruktion 1996 S 407 Vgl Pross Wildgruber Dekonstruktion 1996 S 421f Vgl Pross Wildgruber Dekonstruktion 1996 S 421f Vgl Pross Wildgruber Dekonstruktion 1996 S 421f vgl Pross Wildgruber Dekonstruktion 1996 S 423 Derrida Grammatologie 1983 S 169 Vgl Searle Upside Down 1983 Vgl Searle Upside Down 1983 Jacques Derrida Gesetzeskraft Der mystische Grund der Autoritat Suhrkamp Frankfurt am Main 1991 S 28 Vgl Stefanowitsch Presseschau 2007 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Grammatologie Derrida amp oldid 239307221