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Differance difeʀɑ s nach frz difference Unterschied absichtlich falsch mit a geschrieben was die Aussprache aber nicht beeinflusst ist eine Wortschopfung des franzosischen Philosophen Jacques Derrida 1930 2004 und ein zentraler Begriff in der von ihm entwickelten philosophischen Idee der Dekonstruktion Besonders einflussreich war der Terminus in der Hermeneutik des Poststrukturalismus und in den Gender Studies Im schulischen Bereich wurde der Begriff in den Ansatzen des produkt und handlungsorientierten Literaturunterrichts aufgenommen Teilweise wird er auch in sprachpolitischen Konzepten verwendet Im Deutschen wurde der Terminus Differanz konstruiert um das franzosische Wortspiel zu ubertragen haufig wird aber der Originalbegriff gebraucht Inhaltsverzeichnis 1 Begriff 1 1 Schreiben und Lesen 1 2 Spur und Bundel 1 3 Unabschliessbarkeit des Sinns 2 Begrundungsfigur 2 1 Kontrollverlust und Identitat 3 Einzelnachweise 4 Literatur 5 WeblinksBegriff BearbeitenMit dem Wort differance wird veranschaulicht dass es wesentliche Unterschiede zwischen dem Lesen und der Schrift geben kann die beim Sprechen nicht bemerkt oder vernachlassigt werden Das Wort macht selbst einen Unterschied in der Art wie es mit dem gleichnamigen Konzept untersucht wird Auf diese Weise illustriert Derrida seine Auffassung dass dem Sprechen grundsatzlich eine oft ignorierte Schrift zugrunde liege Derridas Kritik am Logozentrismus die er in seiner einflussreichen Grammatologie ausbreitet erhebt das materielle Zeichen den Buchstaben uber die mundliche Sprache und uber das Gemeinte Schreiben und Lesen Bearbeiten Der Begriff ist ein Neologismus Derridas Er bezeichne eigentlich nichts und doch alles Er offne den Blick fur Phanomene der Sprache und gebe diesen einen Raum des Erforschens franzosisch espace de recherche 1 Die differance erscheine so als unverzichtbares Phanomen von Sprache das zugleich fur einen Mangel stehe Die beiden Bedeutungen des franzosischen Worts differer namlich unterscheiden einerseits und aufschieben andererseits verdeutlichen diesen Zusammenhang Der Autor eines Textes kann sein Thema nur nacheinander mit gleichen oder verschiedenen Wortern in unterschiedlichen Bedeutungen darstellen So kommt es zu Unterschieden des Sinns die zeitlich versetzt entstehen Die scheinbar unproblematische Prasenz des Sprechens lost sich in eine Vielzahl von Bezugen auf wenn man die Bewegungen des Schreibens und des Lesens berucksichtigt Statt einer behaupteten Uberzeitlichkeit bestimmter Bedeutungen gibt es immer wieder Hemmungen beziehungsweise Verzogerungen des Verstehens Dieses Phanomen wird von manchen Autoren z B von Gunter Grass als Stilmittel verwendet 2 Was beim Verfassen eines Textes erfolgt wird beim Lesen nachvollzogen Erst wenn der Leser die Worter nacheinander erfasst und aufeinander bezogen hat wird das Dargestellte fur ihn verstandlich Die unterschiedlichsten Assoziationen und Interpretationen wirken sich als Verstehen Missverstehen Klarheit oder Unklarheit aus Diese Bewegung werde ignoriert und damit etwas Wesentliches ausgeblendet wenn Differenz nur auf die Unterschiede zwischen den sprachlichen Elementen bezogen wird als gehe es dabei um Schriftzeichen obwohl nur von lebendiger Sprache die Rede ist wie dies Ferdinand de Saussure praktiziert hat Worter so folge daraus stehen dann fur sich unterscheiden sich voneinander und reprasentieren unterscheidbare Dinge in der Welt Es wird auf diese Weise etwas festgeschrieben was eigentlich standig in Bewegung ist Literarische und philosophische Texte im Prinzip jedoch jeder Text bis hin zum bloss Gesagten werden so zu einem Spiel des fortwahrenden Sich Unterscheidens durch Aufschube und Widerspruche und des gegenseitigen Verweisens der Signifikanten aufeinander Das Spiel der Differanzen hat kein erkennbares Zentrum und keine klar auszumachende Hierarchie Bedeutung ist daher immer relational niemals absolut Spur und Bundel Bearbeiten Der Charakter der differance als Bewegung die Verstehen bewirkt wird prazisiert durch Derridas Terminus Spur Kein Wort kein sprachliches Element steht fur sich alleine sondern es zieht immer Spuren anderer Worter mit sich die Moglichkeiten von Lesen Schreiben Horen und Sprechen bedingen Diese Spuren werden dem Text jedem Wort hinzugefugt eingespurt ohne sie zu nennen Derrida radikalisiert diese Aussage indem er behauptet es gebe keine Worter sondern nur Spuren Jede Spur ist Spur einer Spur Kein Element ist jemals irgendwo anwesend auch nicht einfach abwesend es gibt nichts als Spuren 3 In diesem Sinne steht differance fur eine Art Kraft die vielfaltige Moglichkeiten des Schriftlichen hervorbringt und diese Vielfalt bewaltigt 4 Die Kraft der vielen Moglichkeiten scheint auch in dem Wort Bundel zu stecken mit dem Derrida die Okonomie der differance benennt Es sei geeignet um die Bewegungen des Bindens Webens und Einflechtens fur den Sinn eines Textes und weitere seiner Wirkungen deutlich zu machen 5 Unabschliessbarkeit des Sinns Bearbeiten Abgesehen von dieser Differenzierungswillkur mit Willkur ist die linguistische Arbitraritat gemeint also nichts Abschatziges weist Derrida energisch auf die grundsatzliche Unabschliessbarkeit von Textsinn hin So sei die Bedeutung eines Wortes Satzes oder Textes grundsatzlich unabgeschlossen denn solange gesprochen wird verandere sich permanent auch der Sinn des bisher Gesprochenen Beim Sprechfluss treten immer neue Worter und Bezeichnungen miteinander in Beziehung und bilden dabei neuen Sinn Daher kann Sinn nur ein vorlaufiger Sinn sein der davon abhangt was dem Gesagten vorausgeht und was dem Gesagten folgen wird Textsinn ist daher nicht nur willkurlich im Sinne der Differenzierungswillkur sondern obendrein temporar und relativ weil er in einer permanenten Schleife der Aufschiebung zirkuliert 6 Das Konzept der Differance betrifft also sowohl die Ontologie der Schrift als auch die Ontologie der Lekture ist jedoch nicht hierauf beschrankt sie geht vielmehr jeder Formation von Termen und Identitaten voraus 7 Dekonstruktion kann zeigen dass ein Text seinen eigenen Aussagen widerspricht oder mit ihnen in Konflikt steht was oft als unnotige Problematisierung des Einfachen und Offensichtlichen wahrgenommen wird Andererseits ermoglicht die dekonstruktive Lekture von Texten eine textanalytische Spurensuche die dem Leser produktive Freiheiten offne und den Text letzten Endes starke 8 Begrundungsfigur BearbeitenDerridas Theorie stellt eine radikale Sprach und Erkenntniskritik dar Indem er bekannte Texte immer wieder interpretierend durchquert notigt er dieselben Texte etwas ganzlich anderes zu sagen als das was sie immer zu sagen schienen 9 In der Praxis gehe man von einem wahren Kern eines Textes aus der durch andere Texte Kommentare und Erklarungen dargestellt werden konne Die vielen unterschiedlichen Interpretationen irrtumlich auch Darstellungen genannt weisen darauf hin dass in Wirklichkeit Pluralitat bewirkt werde Die differance sei am Werk Die gangige Auffassung hange damit zusammen dass Texte dem platonischen Dualismus von Geist und Materie folgten und auf Wahrheit ausgerichtet seien Diesen erkenntnistheoretischen Aspekt seiner Theorie verbindet Derrida mit dem Terminus Dekonstruktion Linguisten im Gefolge Saussures denken sich die Sprache als ein Konstrukt von Elementen das nach logisch bestimmbaren Regeln richtige Interpretationen bewirke was von Kritikern Logozentrismus genannt wird 10 Nach Derrida ist Sprache dagegen ein endloses netzartiges Hyphen oder Wurzelgeflecht in dem die einzelnen Elemente sich standig austauschen verwandeln und zirkulieren Innerhalb dieses Netzes konne es deshalb niemals ein Signifikat als absoluten Sinn geben es gebe nur das Spiel der Signifikanten 11 Warum dieses Spiel der Signifikanten nicht als solches erkannt wird begrundet Derrida mit der abendlandischen Bevorzugung der Sprache vor der Schrift Kontrollverlust und Identitat Bearbeiten In der Regel gingen Autoren nach Derridas Auffassung davon aus dass Texte nur die schriftliche Darstellung von Gedanken seien dass aber die dargestellte Idee den Text uberschreite Texte und Worte reprasentierten etwas was ihnen nicht zu entnehmen sei Beim Sprechen und Schreiben wurden das Aussprechen das Schreiben und das Sich Zuhoren sowie das Lesen zusammenfallen zum Sich Sprechen Horen beziehungsweise zum Sich Selber Lesen wahrend des Schreibens Dieser Vorgang erzeuge eine Regression das heisst ein Zuruckfuhren des Gehorten oder Geschriebenen auf einen sich selbst bestatigenden Intellekt Das Ergebnis einer solchen Selbstreferenzierung fuhre zum Kontrollverlust uber das eigene Denken das sich selbst zerfasere in Welten der Illusion des Phantasmas und der Halluzination 12 So komme es dazu dass jedes Wort und jedes Zeichen sich unbemerkt von der Welt ablose und inhaltslos in der Differanz der standigen Aufschiebung und willkurlichen Differenzierung verloren gehe Dies sei ein Charakteristikum metaphysischer Texte 13 Aufgabe der Dekonstruktion sei es daher der Spur des Signifikanten zu folgen und seine differance nachzuweisen Derrida selber sah in der differance eher etwas Unsagbares weder ein Wort noch einen Begriff 14 Er schlagt aber vor sie als das Gegenstuck zur Differenz bei Hegel zu sehen fur den die Unterschiede aufgehoben werden mussen um Identitat entstehen zu lassen Konnte man die differance definieren so musste man sagen dass sie sich der Hegelschen Aufhebung uberall wo sie wirkt als Grenze Unterbrechung und Zerstorung entgegenstellt 15 Identitat kann nicht durch Aufhebung durch die Uberwindung von Widerspruchen erreicht werden die Unterschiede sind stets da die differance lasst sich nicht uberwinden Einzelnachweise Bearbeiten Derrida Die Differance In Peter Engelmann Postmoderne und Dekonstruktion Stuttgart 2015 S 80f Die Kunst des Aufschiebens bei Gunter Grass in Arnd Flugel Mit Wortern das Ende aufschieben Konzeptualisierung von Erfahrung in der Rattin von Gunter Grass Bern 1995 Geoffrey Bennington Jacques Derrida Ein Portrait Suhrkamp Frankfurt am Main 2001 S 83 ISBN 978 3 518 29150 4 Vgl Anne Brenner Leseraume Untersuchungen zu Lektureverfahren und funktionen in Gottfried Kellers Roman Der grune Heinrich Wurzburg 2000 S 20 23 Derrida Die differance In Peter Engelmann Postmoderne und Dekonstruktion Stuttgart 2015 S 77 Geoffrey Bennington Jacques Derrida Ein Portrait Suhrkamp Frankfurt am Main 2001 S 79 106 Vgl zu diesem Abschnitt Derrida Die Differance In Peter Engelmann Postmoderne und Dekonstruktion Stuttgart 2015 S 82 90 Gerald Posselt Kommentiert Derrida Jacques 1988 Die differance kommentiert D in Derrida Jacques Hg Randgange der Philosophie Wien Passagen 29 52 wiederabgedruckt in Postmoderne und Dekonstruktion Texte franzosischer Philosophen der Gegenwart hg von Peter Engelmann Stuttgart 1990 76 113 Uni Wien Dieter Kafitz Literaturtheorien in der textanalytischen Praxis Wurzburg 2007 S 86 Geoffrey Bennington Jacques Derrida Ein Portrait Suhrkamp Frankfurt am Main 2001 S 15 Geoffrey Bennington Jacques Derrida Ein Portrait Suhrkamp Frankfurt am Main 2001 S 21 44 Christer Petersen Der postmoderne Text Rekonstruktion einer zeitgenossischen Asthetik Ludwig Verlag Kiel 2003 S 204 Michael Eggers Texte die alles sagen Erzahlende Literatur des 18 und 19 Jahrhunderts Wurzburg Konigshausen amp Neumann 2003 S 56 Geoffrey Bennington Jacques Derrida Ein Portrait Suhrkamp Frankfurt am Main 2001 S 46 47 Jacques Derrida Die differance In Peter Engelmann Hrsg Postmoderne und Dekonstruktion Texte franzosischer Philosophen der Gegenwart Reclam Ditzingen 2004 S 82 Jacques Derrida Positionen Wien 1986 S 91 Literatur BearbeitenJacques Derrida Die differance In Randgange der Philosophie Passagen Wien S 29 52 frz La differance in Marges de la philosophie Paris Minuit 1972 Erste Verwendung des Begriffs Jacques Derrida Die differance In Peter Engelmann Hrsg Postmoderne und Dekonstruktion Texte franzosischer Philosophen der Gegenwart Reclam Ditzingen 2004 76 113 ISBN 3 15 018338 3 Wiederabdruck desselben Beitrags Weblinks BearbeitenProduktive differenzen la differance Literaturwissenschaft online differance Alex Gruber Postmoderner Apriorismus Zur Anthropologie Judith Butlers PDF Datei Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Differance amp oldid 238928153