www.wikidata.de-de.nina.az
Gunther Rolf Fleischel 1 Juni 1903 in Berlin 5 September 1943 in Riga war ein deutscher Handelsvertreter Mitglied der SA und des Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps sowie Judenaltester im Ghetto Riga Inhaltsverzeichnis 1 Herkunft und Familie 2 Schule und Berufsweg 3 Politik 4 Haft wegen Rassenschande 5 Zwischen Haft und Deportation 6 Deportation und Stellung im Ghetto Riga 7 Schicksal von Verwandten 8 Literatur 9 Weblinks 10 EinzelnachweiseHerkunft und Familie BearbeitenFleischel kam als Sohn des Verlagsbuchhandlers Egon Fleischel und dessen Frau Alice geborene Rossin 1 zur Welt Die Familienverhaltnisse galten als grossburgerlich Der Vater betatigte sich als Kompagnon von Friedrich Fontane in dessen Verlag Friedrich Fontane amp Co Werke Theodor Fontanes Georg von Omptedas und Ernst von Wolzogens erschienen 1897 liessen sich die Eltern beide judisch taufen und wurden Mitglieder der evangelischen Kirche 1903 zahlte Egon Fleischel zu den Mitgrundern des Verlags Egon Fleischel amp Co in dem unter anderem Das literarische Echo angesiedelt war 1921 verkaufte er dieses Unternehmen an die Deutsche Verlags Anstalt 2 1927 heiratete Gunther Fleischel die katholische Ilse Lessel Aus der Ehe ging ein Sohn hervor Die Familie wohnte in Wiesbaden Am 1 Oktober 1937 erfolgte auf Bitten von Fleischels Arbeitgeber ein Umzug nach Hannover 3 4 Schule und Berufsweg BearbeitenGunther Fleischel evangelisch erzogen besuchte in Berlin Grunewald das Realgymnasium bis zur Oberprima 1919 entschied er sich fur eine Mitgliedschaft in der katholischen Kirche Seine kaufmannische Lehre machte er in einem Hamburger Exportunternehmen Von 1923 bis 1926 fuhrten ihn Auslandsreisen nach Argentinien Guatemala Kuba Mexiko und in die Vereinigten Staaten Anschliessend erreichte er fuhrende Stellungen in verschiedenen Unternehmen So war er Exportleiter des Wiesbadener Zementherstellers Dyckerhoff amp Widmann und zuletzt Verkaufsleiter der Germania Deutsche Nahrmittel Fabrik Berlin 2 Politik BearbeitenGunther Fleischel verstand sich als Angehoriger des national konservativen Spektrums Eigenen Angaben zufolge beteiligte er sich am Kapp Putsch und am Ruhrkampf Ab dem 15 Januar 1933 gehorte er dem Stahlhelm Bund der Frontsoldaten an Im Oktober 1934 folgte seine Uberweisung vom Stahlhelm an die SA Auf eigenen Antrag wechselte er im Mai 1935 von der SA zum Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps NSKK dort erreichte er den Rang eines Scharfuhrers 3 Haft wegen Rassenschande BearbeitenGunther Fleischel erfuhr Anfang 1936 von der judischen Herkunft seines Vaters Nach dessen Tod fand sich in den hinterlassenen Unterlagen der Taufschein von Egon Fleischel Erkundigungen bei seiner Mutter bestatigten seine judische Herkunft 3 Fleischel versuchte nach Bekanntwerden dieser Tatsache mit Hinweis auf Arbeitsuberlastung aus dem NSKK auszutreten Dieser Wunsch wurde abschlagig beschieden Fleischel vermied daraufhin zu NSKK Diensten anzutreten Im Marz 1937 erklarte er seinen Austritt Moglicherweise war dem NSKK in der Zwischenzeit etwas uber die Herkunft Fleischels bekannt geworden denn im Mai 1937 verlangten NSKK Stellen seinen Ariernachweis Die Geruchte stammten mutmasslich aus der beruflichen Sphare des Handelsreisenden Fleischel hatte auf Dienstreisen aussereheliche Affaren 1937 wurde er von seinem Vorgesetzten und in Anwesenheit von zehn Zeugen zu entsprechenden Geruchten und zu seiner Herkunft befragt Wahrscheinlich denunzierte ihn einer seiner beruflich Bekannten wegen Rassenschande bei den Behorden Am 10 Dezember 1937 wurde Fleischel verhaftet 5 Das Landgericht Hannover verurteilte Fleischel am 28 Februar 1938 zu einer dreieinhalbjahrigen Zuchthausstrafe und zum funfjahrigen Verlust der burgerlichen Ehrenrechte 5 Seine Haft verbrachte er bis zum 29 Marz 1938 im Gefangnis Hannover anschliessend im Zuchthaus Hameln vom 19 Oktober 1939 bis zum 20 Januar 1940 im Zuchthaus Celle und anschliessend bis zu seiner Haftentlassung am 12 Juni 1941 erneut im Zuchthaus Hameln 6 Wahrend seiner Haft plante Fleischel seine Auswanderung nach Sudamerika Insbesondere Bolivien und Brasilien schienen ihm geeignete Ziellander zu sein Seine Ehefrau unterstutzte diese Plane kaum Stattdessen wollte ihn seine Mutter begleiten Fleischel wandte sich im Zuge seiner Emigrationsplane an den St Raphaels Verein in Hamburg die Apostolische Nuntiatur in Berlin sowie an Kardinal Mercati mit der Bitte um Unterstutzung Die Zuchthausbeamten erschwerten und blockierten entsprechende Korrespondenzen indem sie darauf bestanden dass Fleischel im Schriftverkehr seinen Zwangsvornamen Israel zu benutzen habe was Fleischel nach Moglichkeit vermeiden wollte 7 Fleischel ging wahrend der Haft davon aus dass die Juden nach Kriegsende zwangsweise und geschlossen umgesiedelt werden wurden dieses Kollektivschicksal galt es seiner Ansicht nach zu umgehen Den fur die Wehrmacht erfolgreichen Frankreichfeldzug bewunderte der Haftling und wunschte sich er hatte mitkampfen konnen 8 Zwischen Haft und Deportation BearbeitenFleischels Haftentlassungsunterlagen schrieben ihm vor sich wieder in Hannover niederzulassen Ilse Fleischel entschied sich in Wiesbaden zu bleiben wo sie bereits wahrend der Haft ihres Ehemanns zusammen mit ihrem Sohn bei Verwandten lebte 6 Gunther Fleischel zog zunachst in eine von judischen Besitzern gefuhrte Pension Dort lernte er die 1912 geborene Zahnarzthelferin Deborah Ferche 9 kennen und lebte mit ihr fortan zusammen Im September 1941 veranlasste Gauleiter Hartmann Lauterbacher die Einrichtung von Judenhausern in Hannover Am 9 Oktober 1941 musste Fleischel im Zuge der Aktion Lauterbacher in eine solche Herberge Herschelstrasse 31 einziehen 10 11 Deportation und Stellung im Ghetto Riga BearbeitenAm 15 Dezember 1941 wurde Fleischel zusammen mit Deborah Ferche und weiteren 999 als Juden geltenden Personen nach Riga deportiert 12 Sie wurden dort zusammen mit anderen Reichsjuden im kleinen Ghetto interniert das zuvor durch Massenexekutionen von lettischen Juden freigemacht worden war Nach Ankunft der Deportierten wurde Fleischel vom Ghettokommandanten Kurt Krause noch auf dem Bahnhof Riga Skirotava zum Judenaltesten bestimmt 11 war also Teil der von den Deutschen erzwungenen und befehligten judischen Selbstverwaltung im Ghetto Womoglich wurde Fleischel aufgrund seiner politischen Praferenzen sowie aufgrund seiner Statur der damals 38 Jahrige wurde als intellektuell stattlich Korpergrosse 197 cm und schlank wahrgenommen 13 14 fur diese Funktion ausgewahlt Im Ghetto heiratete er Deborah Ferche die spater zu den 69 Uberlebenden des Transportes aus Hannover gehorte 11 Er verstand sich gut mit Ghettokommandant Krause Sein Einfluss wuchs als er infolge von Massenexekutionen auch zum Ghettoaltesten fur den Berliner und den Wiener Transport ernannt wurde 15 Fleischel bestand auf Zucht und Ordnung 16 setzte die Instruktionen der Ghettokommandantur um und schreckte auch vor Tatlichkeiten nicht zuruck Gleichzeitig versuchte er Spielraume fur judische Wunsche und Interessen zu nutzen Dies fand Ausdruck in der Errichtung eines zusatzlichen Wohnheims fur junge elternlose Manner in der Errichtung von Schulen fur Ghettokinder oder in der bei Krause erfolgreich vorgetragenen Bitte zu Pessach 1942 Matzen backen zu konnen 17 18 In den Augen der SS bewahrte sich Fleischel Nach seinem Tod der am 5 September 1943 infolge einer Magenkrebserkrankung eintrat hiess es im Ghetto Kommandant Krause habe uber Fleischels Grab drei Salven abfeuern lassen 15 Schicksal von Verwandten BearbeitenSeine Mutter Alice Fleischel wurde im Rahmen der Wagner Burckel Aktion am 22 Oktober 1940 von der Gestapo in Radolfzell am Bodensee verhaftet wo sie in einem Hotelzimmer zuruckgezogen lebte Sie wurde noch am selben Tag in das sudfranzosische Internierungslager Camp de Gurs deportiert dort starb sie am 26 April 1941 19 8 In Radolfzell erinnert seit 2014 ein Stolperstein an Alice Fleischel Gunther Fleischels Bruder Erich Fleischel geboren am 16 Juli 1897 in Charlottenburg fluchtete nach Frankreich Sein Fluchtzeitpunkt ist nicht bekannt Vom deutschen Besatzungsregime ebenfalls in Gurs interniert wurde er am 4 Marz 1943 mit dem 50 Transport uber Drancy ins Vernichtungslager Majdanek deportiert und dort ermordet Sein Name ist in Paris auf der Mauer der Namen des Memorial de la Shoah verzeichnet 20 Literatur BearbeitenHerbert Obenaus Vom SA Mann zum judischen Ghettoaltesten in Riga Zur Biographie von Gunther Fleischel In Jahrbuch fur Antisemitismusforschung Bd 8 1999 S 278 299 Uta Schafer Richter Im Niemandsland Christen judischer Herkunft im Nationalsozialismus Das Beispiel der hannoverschen Landeskirche Wallstein Gottingen 2009 ISBN 978 3 8353 0469 7 Weblinks BearbeitenAlice und Gunther Fleischel 1940 die Haftlingsakte Gunther Fleischels und die Briefe an seine Mutter in Radolfzell 1940 dort auch eine Fotografie Gunther Fleischels Einzelnachweise Bearbeiten Zu Alice Fleischel siehe die Informationen uber ihren Aufenthalt in Radolfzell und ihre Deportation nach Gurs 1940 a b Herbert Obenaus Vom SA Mann zum judischen Ghettoaltesten in Riga S 282 a b c Herbert Obenaus Vom SA Mann zum judischen Ghettoaltesten in Riga S 283 Uta Schafer Richter Im Niemandsland S 288 a b Herbert Obenaus Vom SA Mann zum judischen Ghettoaltesten in Riga S 283 285 a b Herbert Obenaus Vom SA Mann zum judischen Ghettoaltesten in Riga S 285 und S 290 f Herbert Obenaus Vom SA Mann zum judischen Ghettoaltesten in Riga S 287 290 a b Herbert Obenaus Vom SA Mann zum judischen Ghettoaltesten in Riga S 289 Zu ihr siehe Uta Schafer Richter Im Niemandsland S 288 294 Herbert Obenaus Vom SA Mann zum judischen Ghettoaltesten in Riga S 291 a b c Biografische Stichworte zu Gunther Fleischel geschichte bewusst sein de Stiftung niedersachsische Gedenkstatten Abruf am 2 Januar 2017 Zahl nach Hannover gedenkt der nach Riga deportierten Juden Memento vom 6 Januar 2014 im Internet Archive Hannoversche Allgemeine Zeitung 14 Dezember 2011 Abruf am 5 Januar 2014 Herbert Obenaus Vom SA Mann zum judischen Ghettoaltesten in Riga S 285 Uta Schafer Richter Im Niemandsland S 290 a b Herbert Obenaus Vom SA Mann zum judischen Ghettoaltesten in Riga S 280 f Obenaus nennt ihn einen Mann von Law and Order Herbert Obenaus Vom SA Mann zum judischen Ghettoaltesten in Riga S 293 Herbert Obenaus Vom SA Mann zum judischen Ghettoaltesten in Riga 281 f und S 292 f Uta Schafer Richter Im Niemandsland S 293 f Angaben uber Alice Fleischel in der Datenbank von Yad Vashem Abruf am 3 Januar 2017 Siehe ferner Torsten Lucht Vom grausamen Hintergrund einer Karteikarte Sudkurier 13 Juni 2007 Abruf am 3 Januar 2017 Markus Wolter Deportation badischer Juden vor 75 Jahren Radolfzell als letzter Ort einer Hoffnung Sudkurier 22 Oktober 2015 auch unter Alemannia Judaica PDF Angaben uber Erich Fleischel in der Datenbank von Yad Vashem Abruf am 3 Januar 2017 nbsp Dieser Artikel wurde am 12 Januar 2017 in dieser Version in die Liste der lesenswerten Artikel aufgenommen Normdaten Person GND 121290360 lobid OGND AKS VIAF 22993669 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Fleischel GuntherALTERNATIVNAMEN Fleischel Gunther Rolf vollstandiger Name KURZBESCHREIBUNG deutscher Handelsvertreter Mitglied der SA und des Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps sowie Judenaltester im Ghetto RigaGEBURTSDATUM 1 Juni 1903GEBURTSORT BerlinSTERBEDATUM 5 September 1943STERBEORT Riga Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Gunther Fleischel amp oldid 239305957