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Als Fabrikaktion wird die Verhaftung der bis dahin von der Deportation verschonten letzten Berliner Juden bezeichnet die bis zum 27 Februar 1943 noch in Berliner Rustungsbetrieben oder von der judischen Kultusvereinigung zwangsbeschaftigt waren Der Begriff Fabrikaktion wurde erst nach 1945 von Opfern gepragt Die Gestapo selbst bezeichnete die Razzia die sich nicht auf Berlin beschrankte intern als Grossaktion Juden im Verkehr mit den Betrieben wurde sie Evakuierungsaktion genannt Die Fabrikaktion loste den Rosenstrassen Protest aus bei dem nichtjudische Angehorige die Freilassung von Verhafteten verlangten Inhaltsverzeichnis 1 Situation 2 Durchfuhrung der Razzia 3 Entlassungen und Deportationen 4 Flucht und Rettung 5 Siehe auch 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseSituation BearbeitenIm September 1942 waren noch 75 800 judische Deutsche in rustungswichtigen Betrieben zur Zwangsarbeit eingesetzt gewesen Hitler drangte am 22 September 1942 darauf die verbliebenen Juden in den Rustungsbetrieben durch andere Zwangsarbeiter zu ersetzen Daraufhin wurde das Reichssicherheitshauptamt RSHA tatig und veranlasste mehrere Transporte nach Riga und ins KZ Auschwitz Birkenau Wegen einer kriegsbedingten Transportsperre wurden die Deportationen im Dezember nicht fortgefuhrt die Betriebe jedoch schon benachrichtigt dass ihre judischen Zwangsarbeiter bis spatestens Ende Marz 1943 evakuiert wurden Anfang 1943 waren noch rund 15 100 judische Zwangsarbeiter in Berlin registriert Ausserhalb der Hauptstadt waren weitere 5 300 Juden erfasst die in Grossstadten oder Arbeitslagern lebten Am 20 Februar 1943 gab das Referat IV B 4 des Reichssicherheitshauptamtes in dem Adolf Eichmann tatig war nahere Anweisungen fur die technische Durchfuhrung der Evakuierung von Juden nach dem Osten 1 Danach sollten vorerst bestimmte Gruppen von Juden von der Deportation ausgenommen werden Dies waren judische Partner aus Mischehen unter bestimmten Umstanden auch nach Scheidung der Mischehe verheiratete Geltungsjuden die mit arischen Verwandten zusammenlebten Juden im Alter von uber 65 Jahren sofern diese nicht mit einem Juden unter 65 Jahren verheiratet waren Inhaber bestimmter Orden und genau aufgefuhrter Auszeichnungen ferner Personen die durch besondere Erlasse des RSHA zuruckgestellt worden waren Diese Gruppen sollten zwar vorerst nicht deportiert werden aber auch nicht weiter in rustungswichtigen Betrieben arbeiten sondern anderweitig als Zwangsarbeiter eingesetzt werden Damit waren sie jederzeit rasch abzurufen ohne auf Einspruche der Rustungsbetriebe reagieren und Widerstande und Verzogerungen erwarten zu mussen Durchfuhrung der Razzia BearbeitenIn mehreren Stadten wurden die Juden am 26 Februar 1943 aufgefordert sich am nachsten Tag zur Uberprufung ihrer Arbeitspapiere bei der Gestapo einzufinden In Breslau wo eine grossere Anzahl Juden lebte wurden die Opfer ohne Vorwarnung am fruhen Morgen des 27 Februars in ihren Wohnungen oder in den Fabriken verhaftet und auf dem Gelande der Synagoge festgehalten In Dresden wurde das sogenannte Judenlager Hellerberg zum Sammellager umfunktioniert Die Aktionen im Grossreich waren nach zwei Tagen abgeschlossen In Berlin war die Razzia auch wegen der grosseren Personenzahl nicht so rasch durchzufuhren und dauerte rund eine Woche Auch hier hatte man anders als bei vorhergehenden Deportationen keinerlei Hinweis auf ein Datum der Evakuierung gegeben Gestapo und bewaffnete SS Angehorige riegelten am Morgen des 27 Februars schlagartig etwa 100 Betriebe ab und transportierten die Verhafteten auf offenen Lastkraftwagen zu vorbereiteten Sammelstellen Andere Juden die durch den Judenstern kenntlich waren wurden von der Schutzpolizei auf offener Strasse verhaftet Spater durchsuchte die Gestapo Wohnungen und nahm die judischen Bewohner mit Insgesamt wurden bei dieser Grossrazzia in Berlin etwa 11 000 Juden inhaftiert 2 Als Sammellager in Berlin 3 dienten u a der Saal im Konzerthaus Clou in der Mauerstrasse im Bezirk Mitte eine Fahrzeughalle der Hermann Goring Kaserne im damaligen Bezirk Wedding Pferdestalle der Rathenower Kaserne in der Feldzeugmeisterstrasse in Moabit die Synagoge in der Levetzowstrasse in Moabit das judische Altersheim in der Grossen Hamburger Strasse im Bezirk Mitte das Gebaude der Judischen Gemeinde in der Rosenstrasse im Bezirk MitteEntlassungen und Deportationen BearbeitenOffenbar wurden alle in Mischehe lebenden Haftlinge sowie viele Geltungsjuden und einige judische Mischlinge zur weiteren Uberprufung in das Sammellager Rosenstrasse uberfuhrt wo schliesslich bis zu 2 000 Personen festgehalten wurden Vor dem Gebaude versammelten sich tagelang Angehorige der Verhafteten und liessen sich auch von der Schutzpolizei dort nicht vertreiben Mehrere Manner aus privilegierten Mischehen wurden bereits am 1 Marz aus der Rosenstrasse entlassen In den folgenden Tagen bis zum 12 Marz wurden nach und nach die meisten der eingehend uberpruften Personen mit der Auflage aus der Haft entlassen sich beim Arbeitsamt zur Einweisung als Zwangsarbeiter zu melden Die meisten der in den anderen Sammellagern inhaftierten Juden wurden zwischen dem 1 und dem 6 Marz 1943 in funf Transporten nach Auschwitz deportiert Am 9 Marz wurden die bislang zuruckgestellten volljudischen Angestellten der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland mit ihren Angehorigen verhaftet und am 12 Marz ebenfalls nach Auschwitz deportiert Ein weiterer Transport mit Geltungsjuden verliess Berlin am 17 Marz mit dem Fahrziel Theresienstadt Sehr wahrscheinlich wurden zwei Drittel der Deportierten unmittelbar nach ihrer Ankunft in Auschwitz ermordet Fur zwei dieser Transporte sind die Zahlen durch ein Dokument belegt Transport aus Berlin Eingang 5 Marz 43 Gesamtstarke 1128 Juden Zum Arbeitseinsatz gelangten 389 Manner Buna und 96 Frauen Sonderbehandelt wurden 151 Manner und 492 Frauen und Kinder Transport aus Berlin Eingang 7 Marz 43 Gesamtstarke 690 Sonderbehandelt wurden 30 Manner und 417 Frauen und Kinder gez Schwarz Obersturmfuhrer 4 Flucht und Rettung BearbeitenEtwa 4000 der Gesuchten konnten sich der Verhaftung wahrend der Fabrikaktion entziehen Verargert notierte Goebbels am 2 Marz 1943 im Tagebuch Leider hat sich auch hier wieder herausgestellt dass die besseren Kreise insbesondere die Intellektuellen unsere Judenpolitik nicht verstehen und sich zum Teil auf die Seite der Juden stellen Infolgedessen ist unsere Aktion vorzeitig verraten worden so dass uns eine Menge von Juden durch die Hande gewischt sind Aber wir werden ihrer doch noch habhaft werden Tatsachlich berichten uberlebende Zeitzeugen sie seien kurzfristig von Bekannten und Vorarbeitern in einem Fall sogar von einem Schutzpolizisten gewarnt worden Andererseits gab es bereits in den ersten Tagen Denunziationen die zur Verhaftung von Untergetauchten fuhrten Die Gestapo setzte zudem einen Fahndungsdienst ein bei dem judische Greifer als Denunzianten kollaborierten 5 Schatzungen gehen davon aus dass sich in Berlin insgesamt nur etwa 1500 Juden bis zur Kapitulation verborgen halten konnten Die zahlreichen nicht judischen Helfer setzten dabei zwar nicht ihr Leben aufs Spiel doch konnten sie das Strafrisiko kaum vorher einschatzen Ab dem 24 Oktober 1941 war bereits fur offentlich gezeigte freundschaftliche Beziehungen zu Juden eine Schutzhaft von drei Monaten angedroht Oft wurden weitere Delikte wie Urkundenfalschung Rundfunkverbrechen Feindbegunstigung oder Verbreitung zersetzender Nachrichten herangezogen und fuhrten zu erheblich hoheren Strafen Nach dem Kriege wurden Hilfeleistungen fur untergetauchte Juden nicht als aktive Widerstandshandlung gewertet und galten daher nach dem Bundesentschadigungsgesetz nicht als entschadigungswurdig Siehe auch BearbeitenJudenretterLiteratur BearbeitenWolf Gruner Widerstand in der Rosenstrasse Die Fabrik Aktion und die Verfolgung der Mischehen 1943 fibu 16883 Frankfurt 2005 ISBN 3 596 16883 X Beate Kosmala Missgluckte Hilfe und ihre Folgen Die Ahndung der Judenbegunstigung durch NS Verfolgungsbehorden In B Kosmala C Schoppmann Hrsg Solidaritat und Hilfe fur Juden wahrend der NS Zeit Band 5 Uberleben im Untergrund Berlin 2002 ISBN 3 932482 86 7 Antonia Leugers Hrsg Berlin Rosenstrasse 2 4 Protest in der NS Diktatur Neue Forschungen zum Frauenprotest in der Rosenstrasse 1943 Annweiler 2005 rezensiert von Nicole Priesching fur sehepunkte 6 2006 Nr 3 15 Marz 2006 1 Claudia Schoppmann Die Fabrikaktion in Berlin Hilfe fur untergetauchte Juden als Form des humanitaren Widerstandes In Zeitschrift fur Geschichtswissenschaft 53 2005 H 2 S 138 148 Diana Schulle Gebt unsere Manner frei In Beate Meyer Hermann Simon Hrsg Juden in Berlin 1938 1945 Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung in der Stiftung Neue Synagoge Berlin Centrum Judaicum Mai bis August 2000 Berlin 2000 S 159 168 Nathan Stoltzfus Widerstand des Herzens Der Aufstand der Berliner Frauen in der Rosenstrasse 1943 Frankfurt a M Wien 2000 ISBN 978 3763249855 Weblinks BearbeitenTopographie des Terrors Dokumente Memento vom 25 Februar 2005 im Internet Archive 11 Verordnung zum Reichsburgergesetz vom 25 November 1941Einzelnachweise Bearbeiten Abgedruckt in Wolf Gruner Widerstand in der Rosenstrasse Die Fabrik Aktion und die Verfolgung der Mischehen 1943 Frankfurt M 2005 ISBN 978 3 596 16883 5 S 50 Susanne Heim Bearb Die Verfolgung und Ermordung der europaischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933 1945 Quellensammlung Band 6 Deutsches Reich und Protektorat Bohmen und Mahren Oktober 1941 Marz 1943 Berlin 2019 ISBN 978 3 11 036496 5 S 76 Akin Jah Die Berliner Sammellager im Kontext der Judendeportationen 1941 1945 In Zeitschrift fur Geschichtsforschung 61 2013 H 3 S 211 231 korr uberarb Version online Reinhard Rurup Hrsg Topographie des Terrors Gestapo SS und Reichssicherheitshauptamt auf dem Prinz Albrecht Gelande Eine Dokumentation 15 uberarb Aufl Berlin 2004 ISBN 3 922912 21 4 S 121 Doris Tausendfreund Judische Fahnder In Wolfgang Benz Uberleben im Dritten Reich dtv Munchen 2006 ISBN 3 423 34336 2 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Fabrikaktion amp oldid 235684605