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Der nationalsozialistische Begriff Geltungsjude kommt zwar wortlich weder in den Nurnberger Gesetzen des nationalsozialistischen Deutschen Reiches noch in der Ersten Verordnung zum Reichsburgergesetz vom 14 November 1935 vor war aber gebrauchlich und beschreibt jenen Teil der Mischlinge die im Unterschied zu den Personen die nach der Verordnung als judische Mischlinge bezeichnet wurden per Definition rechtlich als Juden galten Inhaltsverzeichnis 1 Definition 2 Konsequenzen 3 Ausnahmegenehmigungen 3 1 Deutschblutigkeitserklarungen und Besserstellungen 3 2 Ehrenarier 4 Literatur 5 EinzelnachweiseDefinition BearbeitenIn der genannten Ersten Verordnung zum Reichsburgergesetz wird die Gruppe der spater so genannten Geltungsjuden in 5 2 definiert Als Judegiltauch der von zwei judischen Grosseltern abstammende judische Mischling a der der judischen Religionsgemeinschaft angehort b der beim Erlass des Gesetzes mit einem Juden verheiratet war c der aus einer Ehe mit einem Juden stammt die nach dem 15 September 1935 geschlossen ist Anmerkung Dadurch war eine Umgehung durch Eheschliessung im Ausland unmoglich fur Osterreich galt ein anderer Stichtag d der aus dem ausserehelichen Verkehr mit einem Juden stammt und nach dem 31 Juli 1936 ausserehelich geboren wird dd Jede dieser so definierten Personen galt fur die Nationalsozialisten als Jude daher ist die Bezeichnung Geltungsjude zu erklaren Der Begriff Geltungsjude wird in einer Meldung aus dem Reich vom 2 Februar 1942 die uber die Auswirkungen der Kennzeichnungspflicht der Juden mit dem Judenstern berichtet so definiert 1 I Gekennzeichnet 1 Volljuden mit 4 oder 3 judischen Grosselternteilen 2 Halbjuden im mosaischen Glauben erzogene Mischlinge ersten Grades sog Geltungsjuden dd Der gesetzliche Begriff des judischen Mischlings war jenen Halbjuden und Vierteljuden vorbehalten die nicht zum Judentum tendierten Dies war der Fall wenn der judische Ehepartner in einer Mischehe nicht der judischen Religionsgemeinschaft angehorte und die ehelichen Kinder christlich erzogen wurden Derartige Ehen wurden als privilegierte Mischehen bezeichnet deren volljudischer Teil dann vom Tragen des Judensterns freigestellt war sofern Kinder vorhanden waren Im Protektorat Bohmen und Mahren wurden Mischlinge ersten Grades auch unabhangig von ihrer Zugehorigkeit zu einer judischen Kultusgemeinde als Geltungsjude eingestuft wenn sie das 14 Lebensjahr erreicht hatten 2 Konsequenzen BearbeitenJuden und die ihnen rechtlich gleichgestellten Geltungsjuden konnten nach den Bestimmungen des Reichsburgergesetzes von 1935 nicht Reichsburger werden und hatten nach diesem Gesetz auch kein politisches Wahlrecht Geltungsjuden unterlagen denselben diskriminierenden Bestimmungen und Sanktionen wie Volljuden Eine Eheschliessung mit einem Vierteljuden war Geltungsjuden untersagt Geltungsjuden wurden bei der Deportation deutscher Juden meist zuruckgestellt sofern sie nicht mit einem Volljuden verheiratet waren 1942 wurde bei der Wannseekonferenz daruber gestritten ob alle Geltungsjuden zu vernichten seien Wilhelm Stuckart verwies darauf dass inzwischen mehr als 3000 Geltungsjuden auf ihren Antrag hin zum judischen Mischling umgestuft worden seien Diese von Hitler gemass 7 der Ersten Verordnung zum Reichsburgergesetz genehmigten Entscheidungen wurden ganzlich unverstandlich wirken wenn nunmehr alle Geltungsjuden ausnahmslos wie Volljuden deportiert wurden 3 Weiterhin bewahrte ein arischer Elternteil den judischen Ehegatten wie auch die als Geltungsjude eingestuften Kinder vor der Deportation alleinstehende Geltungsjuden wurden nicht in die Vernichtungslager sondern ins Altersghetto Theresienstadt verschleppt 4 Ausnahmegenehmigungen Bearbeiten1939 lebten in Deutschland noch rund 330 000 von den Nationalsozialisten aufgrund ihrer Abstammung als Juden eingestufte Menschen und 64 000 judische Mischlinge ersten Grades 7 000 Geltungsjuden und 42 000 judische Mischlinge zweiten Grades mit nur einem judischen Grosselternteil 5 Schatzungsweise wurden im Altreich etwa 7 000 Menschen als Geltungsjuden eingestuft etwa 1 500 weitere durften aus Osterreich hinzukommen 6 Nach 7 der Ersten Verordnung zum Reichsburgergesetz 7 hatte sich Hitler personlich die Zustimmung vorbehalten wenn von den Kriterien einer Einstufung als Jude beziehungsweise Geltungsjude und judischer Mischling abgewichen wurde Deutschblutigkeitserklarungen und Besserstellungen Bearbeiten Entsprechende Antrage auf Besserstellung oder Einstufung als Arier wurden von mehreren Instanzen gepruft bevor vom Reichsinnenministerium im Einvernehmen mit dem Stab des Stellvertreters des Fuhrers nachmalig Partei Kanzlei uber die Weiterleitung an die Reichskanzlei entschieden wurde 8 Hans Heinrich Lammers legte die Gesuche dem Fuhrer personlich vor 9 Von mehr als 10 000 Antragen zur Besserstellung waren nur wenige erfolgreich 10 Dabei waren die Teilnahme der Bittsteller am Weltkrieg und politische Verdienste um die Bewegung ihr rassisches Erscheinungsbild und ihre charakterliche Beurteilung wesentliche Kriterien Bis zum Jahre 1941 erreichten 260 Antragsteller ihre Gleichstellung mit einem Deutschblutigen Derartige Deutschblutigkeitserklarungen Bescheinigung uber die Einordnung im Sinne der ersten Verordnung zum Reichsburgergesetz vom 14 November 1935 wurden am Ende des Verfahrens von der Reichsstelle fur Sippenforschung ausgefertigt allerdings im Gegensatz zu anderen derartigen Abstammungsbescheiden auf blauem Papier geschrieben 11 Zahlenmassig hatten solche Gleichstellungen den geringsten Anteil Nur in zwei Fallen wurden Volljuden begunstigt und erreichten eine Besserstellung In 1 300 Fallen wurden Bittsteller vom Geltungsjuden zum judischen Mischling umgestuft 12 Die Historikerin Beate Meyer halt hohere Zahlen fur wahrscheinlich 13 Uwe Dietrich Adam zitiert aus einem Schreiben Wilhelm Stuckarts aus dem Jahre 1942 in dem er anfuhrt es seien bislang 3 000 Geltungsjuden mit den Halbjuden judischen Mischlingen ersten Grades gleichgestellt worden 14 Beate Meyer verweist auf eine Anordnung zur Vereinfachung der Verwaltung vom 26 August 1942 Danach sollten derartige Gesuche um gunstigere Einstufung fur die Dauer des Krieges nicht mehr entgegengenommen und bearbeitet werden 15 Offenbar wurden jedoch Antrage von Geltungsjuden noch bearbeitet 16 Ehrenarier Bearbeiten Im Zusammenhang mit den Ausnahmeregelungen und Besserstellungen wird gelegentlich auch von einer Ernennung zum Ehrenarier gesprochen 17 Beate Meyer verwendet das Wort Ehrenarier nur beilaufig fur Ausnahmefalle bei denen sich verdiente Weggefahrten mit judischem Hintergrund direkt oder uber prominente Fursprecher an die Partei Kanzlei oder personlich an Hitler wandten und ohne formliches Verfahren eine Statusverbesserung erreichten 18 Steiner und Cornberg weisen darauf hin dass es den Begriff Ehrenarier amtlich nicht gab und er nur umgangssprachlich gebrauchlich war 19 Uber den hochrangigen Luftwaffenoffizier Erhard Milch war unter den Zeitgenossen das Gerucht verbreitet er sei von Hermann Goring zum Ehrenarier gemacht worden nachdem Zweifel an der Vaterschaft seines Vaters eines Beamten judischer Herkunft aufgetaucht waren Infolgedessen wurde seine Abstammung von der Reichsstelle fur Sippenforschung begutachtet Der Hamburger Gauleiter Karl Kaufmann erklarte zwei halbjudische Stiefkinder eines von ihm protegierten Antragstellers fur arisch und kassierte dabei eine grosszugige Spende fur eine Stiftung die er personlich kontrollierte 20 Joseph Goebbels versah mehr als 275 Kunstler die als judisch versippt oder Mischling galten mit Sondergenehmigungen zur weiteren Berufsausubung eine formliche Statusverbesserung war damit aber nicht verbunden Stephanie zu Hohenlohe Waldenburg Schillingsfurst 1891 1972 wurde von Hitler liebe Prinzessin genannt durch ihre strategische Heirat und eine hohe soziale Intelligenz kam sie an die Spitze der Gesellschaft 1938 heftete der Diktator ihr personlich das goldene Ehrenzeichen der NSDAP an und machte sie trotz ihrer judischen Herkunft zur Ehrenarierin 21 Eduard Bloch Hausarzt von Hitlers Eltern lehnte diese Auszeichnung ab da er nicht bereit war seinen Glauben zu verraten Im Protektorat Bohmen und Mahren hatte die tschechische Protektoratsregierung 1939 in einem Entwurf uber die Rechtsstellung der Juden im offentlichen Leben vorgesehen ausgewahlte Juden wegen besonderer Verdienste von einigen Beschrankungen auszunehmen und sie damit zu Ehrenariern zu erklaren Reichsprotektor Konstantin von Neurath wies jedoch ausnahmslos alle Antrage ab 22 Literatur BearbeitenVolker Koop Wer Jude ist bestimme ich Ehrenarier im Nationalsozialismus Bohlau Koln Weimar Wien 2014 ISBN 978 3 412 22216 1 John M Steiner Jobst Freiherr von Cornberg Willkur in der Willkur Befreiung von den antisemitischen Nurnberger Gesetzen In Vierteljahrshefte fur Zeitgeschichte 46 1998 Heft 1 S 162 im Internet PDF Wilhelm Stuckart Hans Globke Kommentare zur deutschen Rassengesetzgebung Band 1 Munchen Berlin 1936 Bundesminister der Justiz Hrsg Im Namen des Deutschen Volkes Justiz und Nationalsozialismus Katalog zur Ausstellung Wissenschaft und Politik Koln 1989 ISBN 3 8046 8731 8 Tafeln zur Veranschaulichung S 115 Maria von der Heydt Wer fahrt denn gerne mit dem Judenstern in der Strassenbahn Die Ambivalenz des geltungsjudischen Alltags zwischen 1941 und 1945 In Doris Bergen Andrea Low Hrsg Der Alltag im Holocaust Judisches Leben im Grossdeutschen Reich 1941 1945 Oldenbourg Munchen 2013 ISBN 978 3 486 70948 3 S 65 79 Einzelnachweise Bearbeiten Heinz Boberach Meldungen aus dem Reich 1938 1945 Pawlak Herrsching 1984 ISBN 3 88199 158 1 Band 8 S 3246 Lisa Hauff Bearb Die Verfolgung und Ermordung der europaischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933 1945 Quellensammlung Band 11 Deutsches Reich und Protektorat Bohmen und Mahren April 1943 1945 Berlin Boston 2020 ISBN 978 3 11 036499 6 S 776 Beate Meyer Judische Mischlinge Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933 1945 2 Auflage Hamburg 2002 ISBN 3 933374 22 7 S 105 Maria von der Heydt Wer fahrt denn gerne mit dem Judenstern in der Strassenbahn In Doris Bergen Andrea Low Hrsg Der Alltag im Holocaust Judisches Leben im Grossdeutschen Reich 1941 1945 Munchen 2013 ISBN 978 3 486 70948 3 S 74 75 Beate Meyer Judische Mischlinge Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933 1945 2 Auflage Dolling und Galitz Hamburg 2002 ISBN 3 933374 22 7 S 162 Maria von der Heydt Wer fahrt denn gerne mit dem Judenstern in der Strassenbahn In Doris Bergen Andrea Low Hrsg Der Alltag im Holocaust Judisches Leben im Grossdeutschen Reich 1941 1945 Munchen 2013 ISBN 978 3 486 70948 3 S 66 Text der Ersten Verordnung zum Reichsburgergesetz 1935 Memento des Originals vom 7 Dezember 2011 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www verfassungen de Beate Meyer Zwischen Regel und Ausnahme Judische Mischlinge unter Sonderrecht In Magnus Brechtken Hans Christian Jasch Christoph Kreutzmuller Niels Weise Hrsg Die Nurnberger Gesetze 80 Jahre danach Vorgeschichte Entstehung Auswirkungen Gottingen 2017 ISBN 978 3 8353 3149 5 S 212f John M Steiner Jobst F v Cornberg Willkur in der Willkur Befreiung von den antisemitischen Nurnberger Gesetzen In Vierteljahrshefte fur Zeitgeschichte 46 1998 S 147 148 Beate Meyer Zwischen Regel und Ausnahme Judische Mischlinge unter Sonderrecht In Magnus Brechtken Hans Christian Jasch Christoph Kreutzmuller Niels Weise Hrsg Die Nurnberger Gesetze 80 Jahre danach Vorgeschichte Entstehung Auswirkungen Gottingen 2017 ISBN 978 3 8353 3149 5 S 212 Beate Meyer Zwischen Regel und Ausnahme Judische Mischlinge unter Sonderrecht In Magnus Brechtken Hans Christian Jasch Christoph Kreutzmuller Niels Weise Hrsg Die Nurnberger Gesetze 80 Jahre danach Vorgeschichte Entstehung Auswirkungen Gottingen 2017 ISBN 978 3 8353 3149 5 S 213 John M Steiner Jobst F v Cornberg Willkur in der Willkur Befreiung von den antisemitischen Nurnberger Gesetzen In Vierteljahrshefte fur Zeitgeschichte 46 1998 S 149 bzw S 151 spricht von 6 Erfolg Beate Meyer Judische Mischlinge Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933 1945 Hamburg 1999 ISBN 3 933374 22 7 S 105 108 157 Uwe Dietrich Adam Judenpolitik im Dritten Reich Unv Nachdruck Dusseldorf 2003 ISBN 3 7700 4063 5 S 228 Beate Meyer Judische Mischlinge S 105 Bei Manfred Wichman Hrsg Judisches Leben in Rotenburg PD Verlag Heidenau 2010 ISBN 978 3 86707 829 0 S 53 ist jedoch ein Dokument mit Datum 17 April 1944 betreffs Befreiung von den Vorschriften des 5 Abs 2 der I VO zum RBG abgedruckt John M Steiner Jobst F v Cornberg Willkur in der Willkur Befreiung von den antisemitischen Nurnberger Gesetzen In Vierteljahrshefte fur Zeitgeschichte 46 1998 S 152 Wolfgang Benz Hrsg Enzyklopadie des Nationalsozialismus 5 Auflage Beck Munchen 2007 ISBN 978 3 423 34408 1 S 483 Beate Meyer Judische Mischlinge Rassenpolitik und Verfolgungsverfahren 1933 1945 2 Auflage Dolling und Galitz Hamburg 2002 ISBN 3 933374 22 7 S 152 John M Steiner Jobst Freiherr von Cornberg Willkur in der Willkur Befreiung von den antisemitischen Nurnberger Gesetzen In Vierteljahrshefte fur Zeitgeschichte 46 1998 S 162 PDF Beate Meyer Judische Mischlinge Rassenpolitik und Verfolgungsverfahren 1933 1945 2 Auflage Dolling und Galitz Hamburg 2002 ISBN 3 933374 22 7 S 155 Vlg Karina Urbach Hitlers heimliche Helfer Der Adel im Dienst der Macht Theiss Verlag Darmstadt 2016 Andrea Low Bearb Die Verfolgung und Ermordung der europaischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933 1945 Quellensammlung Band 3 Deutsches Reich und Protektorat Bohmen und Mahren September 1939 September 1941 Munchen 2012 ISBN 978 3 486 58524 7 S 24 Dokument VEJ 3 296 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Geltungsjude amp oldid 233748912