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Der musikalische Expressionismus entstand um 1906 Im Unterschied zum musikalischen Impressionismus der die Wahrnehmung ausserer Erscheinungen der Dinge abbildet formulieren die expressionistischen Kunstrichtungen die Seelenregungen des Menschen Vortrag von Gerhard Tischer beim Immermannbund in Dusseldorf 1919 Plakat Fritz LewyInhaltsverzeichnis 1 Charakterisierung 2 Phasen des Expressionismus 3 Rezeption 4 Stilistische Eingrenzung 4 1 Traditionelle Formen im musikalischen Expressionismus 5 Hauptwerke 5 1 Vorformen Fruhexpressionismus 5 2 Hochexpressionismus 5 3 Spatexpressionismus 6 Literatur 7 EinzelnachweiseCharakterisierung BearbeitenTheodor W Adorno charakterisiert Das expressionistische Ausdrucksideal ist insgesamt eines der Unmittelbarkeit des Ausdrucks Das bedeutet ein Doppeltes Einmal sucht die expressionistische Musik alle Konventionselemente der traditionellen zu eliminieren alles formelhaft Erstarrte ja alle den einmaligen Fall und seine Art ubergreifende Allgemeinheit der musikalischen Sprache analog dem dichterischen Ideal des Schreis Zum andern betrifft die expressionistische Wendung den Gehalt der Musik Als dieser wird die scheinlose unverstellte unverklarte Wahrheit der subjektiven Regung aufgesucht Die expressionistische Musik will nach einem glucklichen Ausdruck von Alfred Einstein Psychogramme geben protokollarische unstilisierte Aufzeichnungen vom Seelischen Sie zeigt sich darin der Psychoanalyse nahe 1 Stilistisch ist insbesondere die veranderte Funktion der Dissonanzen auffallig die gleichberechtigt neben Konsonanzen treten und nicht mehr aufgelost werden was daher auch Emanzipation der Dissonanz genannt wurde Das tonale System wurde weitestgehend aufgelost und zur Atonalitat erweitert Zu den musikalischen Charakteristika gehoren extreme Tonlagen extreme Lautstarkeunterschiede dynamische Gegensatze zerkluftete Melodielinien mit weiten Sprungen metrisch ungebundene freie Rhythmik und neuartige Instrumentation Phasen des Expressionismus BearbeitenWahrend man Werke vom Beginn des 20 Jahrhunderts von Schonberg Skrjabin und Ives als Fruhexpressionismus bezeichnet 2 weist ab 1907 das frei atonale Werk von Schonberg Webern und Berg Wiener Schule am klarsten die Eigenschaften auf die zur Beschreibung eines musikalischen Expressionismus herangezogen werden Zu Beginn der 20er Jahre mit Einfuhrung von Zwolftontechnik und vermehrter Ruckbesinnung auf klassische Formen geht dieser zentrale Bereich des Expressionismus in der Musik zu Ende Wie der Expressionismus insgesamt hat sich der musikalische Expressionismus vornehmlich im deutschsprachigen Raum entwickelt Wahrend viele Komponisten spater den expressionistischen Stil verliessen blieben Schonberg und seine Schuler diesem Ausdrucksbereich weitgehend treu Die Gruppe um Schonberg verwirklichte am radikalsten die Emanzipation der Dissonanz die zum wichtigsten Ausdrucksmittel des Expressionismus wurde Wenn auch der Begriff des musikalischen Expressionismus in der Regel anhand von Werken der Wiener Schule erklart wird findet er auch anderorten Verwendung So wurde zwar vorgeschlagen in manchen Werken Paul Hindemiths den eigentliche n musikalische n Expressionismus zu sehen 3 sein Schaffen um 1920 wird aber eher wegen der gesungenen Texte zur Richtung gezahlt und zwar mitunter als halbherziger Beitrag oder die Zuordnung kommt durch Zusammenfassung von Expressionismus und neuer Sachlichkeit als eine Bewegung zu Stande wodurch eine merkwurdige Integration des musikalischen Neoklassizismus in den Expressionismus stattfindet 4 Rezeption BearbeitenDer Begriff des Expressionismus wurde erst 1919 auf die Musik angewendet als fur die Literatur und bildende Kunst bereits dessen Ende verkundet wurde dabei fand eine lebhafte Diskussion in Zeitschriften statt wahrend um 1920 die Musik durch Druck und Auffuhrungen erst wenig Verbreitung gefunden hatte 5 Stilistische Eingrenzung BearbeitenDie musikalische Stilbestimmung hat die Aufgabe die Hauptmomente des expressionistischen Stils darzustellen Folgende Hauptmomente Stilkriterien lassen sich nachweisen 6 Irritation Erregung Irritation bedeutet den schnellen Wechsel melodischer Richtungen das Nebeneinander von dissonanten Harmonien Unruhe der Motive Abwechslung von Homophonie und linearen Teilen Polyphonie Bevorzugung von scharfen Intervallen grosser Tonumfang Ambitus Befreiung des Rhythmus Polyrhythmik und Auflosung des Metrums Musik Polymetrik Expression Expression bedeutet die Auffacherung des Tonraumes durch Erweiterung der Akkordbildung Expansion des Tonraumes Jede Stimme ist gleichberechtigt unterschiedliches musikalisches Material wird gleichzeitig entwickelt und ubereinander gelagert Durch die Gleichberechtigung der Stimmen wird der Gesamtklang gegenuber der Linearitat fokussiert Reduktion Reduktion bedeutet die Beschrankung auf das Wesentliche Jeder Ton ist wichtig dadurch wird eine wirkungsvolle Dichte in der Musik erreicht Ein haufig auftretendes Mittel der Reduktion ist die Komprimierung des Orchesterapparates Neue Orchesterfarben und Instrumentationen werden gesucht Wenn die grosstmogliche Reduktion Dichte erreicht ist erfolgt eine Aufspaltung des Klanges die durch Polyrhythmik und Verteilung eines Motivs auf mehrere sich abwechselnde Instrumente zum Ausdruck kommt Abstraktion Die Abstraktion bedeutet eine Rationalisierung der harmonischen Entwicklung die wie folgt dargestellt werden kann Die Musik hat keinen Bezug zur Tonika d h das Stuck unterliegt keiner Tonart mehr Impressionismus und fruher Expressionismus Die Akkorde haben keine leicht durchschaubare funktionsharmonische Verwandtschaft Die Akkordverbindungen werden durch Alteration aufgelost Spatromantik Tristan Akkord Die Leittone werden in der atonalen Musik nicht mehr aufgelost sie erstarren Mit der Zwolftontechnik wird eine neue Gesetzmassigkeit geschaffen die zur Grundlage der atonalen Kompositionsweise wirdTraditionelle Formen im musikalischen Expressionismus Bearbeiten Anton Webern ausserte 1933 in seinen Vortragen bezogen auf die Situation um 1910 Alle Werke die seit dem Verschwinden der Tonalitat bis zur Aufstellung des neuen Zwolftongesetzes geschaffen wurden waren kurz auffallend kurz Was damals Langeres geschrieben wurde hangt mit einem tragenden Text zusammen Mit der Aufgabe der Tonalitat war das wichtigste Mittel zum Aufbau langerer Stucke verloren gegangen Denn zur Herbeifuhrung formaler Geschlossenheit war die Tonalitat hochst wichtig Als ob das Licht erloschen ware so schien es 7 Durch die Atonalitat geht der harmonische Zusammenhang der Kompositionen verloren Wahrend Schonberg und besonders Webern beim Verzicht auf traditionelle Formen deren Grundlage die Tonalitat war zu kleinformatigen Satzen fanden die sie gerne als Stucke bezeichneten fuhrte Berg klassische Formen fort wodurch er leichter langere Werkdauern ausfullen konnte Hauptwerke BearbeitenVorformen Fruhexpressionismus Bearbeiten Vorformen expressionistischer Musik heftig kontrastreiche in Dissonanzen schwelgende Werke Max Reger Symphonische Phantasie und Fuge op 57 fur Orgel 1901 Reger Klavierquintett c Moll op 64 1902 Schonberg Pelleas und Melisande op 5 1902 1903 Skrjabin Klaviersonate Nr 4 Fis Dur op 30 1903 Gustav Mahler 6 Sinfonie 1903 1904 Richard Strauss Salome op 54 Oper 1905 Charles Ives The Unanswered Question fur Trompete 4 Floten und Streicher 1906 Ives Central Park in the Dark fur Orchester 1906 rev 1936 Strauss Elektra op 58 Oper 1906 1908 Hochexpressionismus Bearbeiten Skrjabin Le Poeme de l Extase op 54 fur Orchester 1905 1908 Skrjabin Klaviersonate Nr 5 Fis Dur op 53 1907 Schonberg Zweites Streichquartett Quartett op 10 fis Moll mit Sopranstimme 1907 1908 Schonberg Das Buch der hangenden Garten op 15 nach Stefan George fur eine Singstimme und Klavier 1908 1909 Webern Funf Satze fur Streichquartett op 5 1909 Webern Sechs Stucke fur grosses Orchester op 6 1909 Schonberg Drei Klavierstucke op 11 1909 Schonberg Funf Orchesterstucke op 16 1909 revidiert 1922 Schonberg Erwartung op 17 Monodram 1909 erst 1924 aufgefuhrt Webern Vier Stucke fur Geige und Klavier op 7 1910 Schonberg Die Gluckliche Hand op 18 1910 1913 erst 1924 aufgefuhrt Schonberg Sechs kleine Klavierstucke op 19 1911 Schonberg Herzgewachse op 20 fur hohen Sopran Celesta Harmonium und Harfe 1911 erst 1928 aufgefuhrt Webern Funf Stucke fur Orchester op 10 1911 Schonberg Pierrot Lunaire op 21 fur eine Sprechstimme und Ensemble 1912 Berg Funf Orchesterlieder nach Gedichten von Peter Altenberg op 4 1912 Berg Vier Stucke fur Klarinette und Klavier op 5 1913 Schonberg Vier Lieder op 22 fur Gesang und Orchester 1913 1916 erst 1932 aufgefuhrt Berg Drei Orchesterstucke op 6 1914 Schonberg Die Jakobsleiter Oratorienfragment 1917 Webern Lieder fur Stimme und Ensembles opp 14 18 1917 1925 Berg Wozzeck op 7 Oper 1917 1922 Urauffuhrung 1925 Spatexpressionismus Bearbeiten Skrjabin Klaviersonate Nr 10 op 70 1912 1913 Skrjabin Vers la flamme poeme op 72 fur Klavier 1914 Skrjabin Deux Danses op 73 fur Klavier 1914 Bartok Der wunderbare Mandarin fur Orchester 1918 1923 rev 1924 und 1926 1931 Schonberg Funf Klavierstucke op 23 1920 1923 Literatur Bearbeitenchronologisch Arnold Schonberg Wassily Kandinsky Briefe Bilder und Dokumente Hrsg von J Hahl Koch Salzburg 1980 Heinz Tiessen Der neue Strom IV Expressionismus In Melos 1 1920 S 102 106 nach einem Vortrag in Konigsberg 21 August 1918 Goethebund Textarchiv Internet Archive Arnold Schering Die expressionistische Bewegung in der Musik In M Deri M Dessoir u a Einfuhrung in die Kunst der Gegenwart Leipzig 1919 3 Auflage 1922 S 139 161 Nachdr in A Schering Vom Wesen der Musik Ausgew Aufsatze Stuttgart 1974 S 319 345 Arthur Wolfgang Cohn Rezension zu Schering In Zeitschrift fur Musikwissenschaft Band 2 1920 S 671 676 Anton Webern Der Weg zur neuen Musik zwei Vortragszyklen 1932 1933 Hrsg von Willi Reich Universal Edition Wien 1960 Theodor W Adorno Neunzehn Beitrage uber neue Musik Musikalischer Expressionismus 1942 Erstdruck in Gesammelte Schriften Band 18 Frankfurt 1984 S 60 62 Theodor W Adorno Philosophie der neuen Musik J C B Mohr Tubingen 1949 2 Auflage Europaische Verlagsanstalt Frankfurt 1958 3 Auflage 1966 Ausgabe letzter Hand Karl H Worner Walter Mannzen Will Hofmann Expressionismus In Musik in Geschichte und Gegenwart 1 Ausgabe Band 3 1954 Sp 1655 1673 Michael von Troschke Expressionismus 15 Auslieferung 1987 16 S In Hans Heinrich Eggebrecht Albrecht Riethmuller Hrsg Handworterbuch der musikalischen Terminologie Loseblatt Sammlung Steiner Wiesbaden 1971 2006 Rudolf Stephan Expressionismus In Musik in Geschichte und Gegenwart 2 Ausgabe Sachteil Band 3 1995 Sp 243 251 Peter Williams Expressionism In New Grove Dictionary of Music and Musicians 2 Ausgabe 2001 Band 8 S 472 477 Einzelnachweise Bearbeiten Theodor W Adorno Musikalischer Expressionismus S 60 Karl Heinrich Worner Geschichte der Musik ein Studien und Nachschlagebuch Vandenhoeck amp Ruprecht 1972 S 512 Gunther Metz Uber Paul Hindemith und die Schwierigkeit seine Musik zu rezipieren Pfau 1998 S 8 Stephen Luttmann Paul Hindemith A Guide to Research Routledge 2005 S 164f Rudolf Stephan Expressionismus In Die Musik in Geschichte und Gegenwart 2 Sachteil Band 3 Spalte 244 Die folgenden Absatze nach Will Hofmann Expressionismus In Die Musik in Geschichte und Gegenwart 1 Band 3 Sp 1658 1671 Anton Webern Der Weg zur Neuen Musik Vortrag 16 Februar 1932 S 57 f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Expressionismus Musik amp oldid 238716241