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Einige Veroffentlichungen verwenden den Begriff Biologismus im Sinne von Biozentrismus Biologismus Begriffsbildung aus Biologie mit dem Suffix ismus bezeichnet die Ubertragung biologischer Massstabe und Begriffe auf nicht oder nicht primar biologische Verhaltnisse Dazu gehoren die einseitige oder exklusive Deutung dieser Verhaltnisse anhand biologischer Betrachtungs und Erklarungsmuster Der Ausdruck ist jedoch kein biologischer Fachbegriff Es handelt sich stattdessen um einen Begriff der Kulturwissenschaften der eine distanzierende Wertung der als biologistisch eingeschatzten Anschauungen beinhaltet die als einseitig sachfremd oder ubertrieben gekennzeichnet werden sollen Er wird daher in gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Debatten auch abwertend benutzt und kaum als Selbstbezeichnung derartiger Weltanschauungen Als Selbstzuschreibung bevorzugen die Vertreter entsprechender Anschauungen stattdessen oft den Begriff Naturalismus 1 Ob und inwieweit eine Weltanschauung biologistisch ist ist zwischen Anhangern und Gegnern solcher Positionen dementsprechend haufig umstritten Inhaltsverzeichnis 1 Begriff und Verwendung 2 Einordnung 3 Gesellschaftliche Wirkungsweise 4 Erscheinungsformen und Beispiele 5 Siehe auch 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseBegriff und Verwendung BearbeitenDer Begriff wurde um 1911 von dem Philosophen Heinrich Rickert in den kulturwissenschaftlichen Diskurs eingefuhrt und wird bis heute verwendet vor allem um bestimmte Erklarungsmodelle der Soziologie Kulturanthropologie Geschichtsschreibung und Rechtswissenschaft des ausgehenden 19 und beginnenden 20 Jahrhunderts zu beschreiben die vom Darwinismus ausgehend aber anders als Darwin selbst oder engere Nachfolger wie T H Huxley Prinzipien der biologischen Evolution zu allgemeinen ethischen oder historischen Maximen umdeuteten 2 Von Biologismus spricht man wenn versucht wird menschliche Phanomene und Sachverhalte etwa individuelle oder kollektive Verhaltensweisen gesellschaftliche Zustande oder politische Zusammenhange vorrangig oder allein durch biologische Tatsachen Theorien und Modelle zu erklaren Die in der Biologie ermittelten Gesetzmassigkeiten werden dabei als einheitliche Gesetze der realen Welt verallgemeinert und zu einer Art Weltprinzip erhoben 2 Biologismus wird daher auch als biologischer Reduktionismus definiert der alle relevanten sozialen oder kulturellen Phanomene auf biologische Grundtatsachen zuruckfuhre 3 4 Historisch wurden biologistische Ansatze einerseits durch Ubertragung biologischer Konzepte auf die Sozial und Kulturwissenschaften andererseits durch die Ausdehnung der Biologie auf die physikalischen Wissenschaften zur Geltung gebracht Bekannte Vertreter als biologistisch eingeordneter Denkmodelle sind der Zoologe Ernst Haeckel und der Naturphilosoph Adolf Meyer Abich Letzterer ist einer der wenigen Vertreter die ihre Thesen selbst als biologistisch bezeichneten 2 Zahlreiche sozialdarwinistische und volkische Theorien sind stark biologistisch bestimmt Innerhalb der Biologie und der Medizin waren biologistische Sichtweisen besonders in der erbbiologischen Eugenik der Jahre zwischen 1900 und 1920 einflussreich 5 Biologistische Erklarungsmodelle und Interventionskonzepte gab es zu dieser Zeit nicht nur im burgerlich akademischen Milieu wo sie oft mit rassistischen Vorstellungen verbunden waren sondern sie wurden erganzend zu okonomisch materialistischen Theorien auch von Teilen der Arbeiterbewegung verwendet um beispielsweise die Verelendung des Proletariats mithilfe der Idee erblicher Keimschadigungen infolge misslicher sozialer Umstande zu erklaren 6 Auch die moderne Soziobiologie kann einseitig biologistische Zuge annehmen wenn sie biologische Verhaltnisse nicht nur als Vorbedingungen soziokulturellen Handelns zu ergrunden sucht sondern die Eigenstandigkeit und Eigendynamik soziokultureller Phanomene dabei ausser Acht lasst 2 Seit den 1970er und 1980er Jahren spielt fur Deutungen die als biologistisch eingeordnet werden verstarkt die Ruckfuhrung der neueren Evolutionsbiologie auf genetische und neurophysiologische Grundlagen eine Rolle 3 7 Bisweilen werden aber auch allgemein szientistische oder naturwissenschaftlich reduktionistische Anschauungen dem Biologismus zugeordnet etwa die auch von Teilen der Wissenschaft vertretene Vorstellung Psychisches lasse sich erschopfend aus der Biologie erklaren und psychische Phanomene basierten ausschliesslich auf dieser Grundlage 8 Von manchen Kritikern wird auch der Versuch bestimmte Verhaltensweisen im Tierreich auf menschliche Gesellschaften zu ubertragen oder menschliche Moral und Wertvorstellung damit zu relativieren als Biologismus bezeichnet 9 Einordnung BearbeitenDieser Artikel oder nachfolgende Abschnitt ist nicht hinreichend mit Belegen beispielsweise Einzelnachweisen ausgestattet Angaben ohne ausreichenden Beleg konnten demnachst entfernt werden Bitte hilf Wikipedia indem du die Angaben recherchierst und gute Belege einfugst Weil der Mensch Teil der belebten Natur ist sind sein Wesen und sein Verhalten auch Forschungsgegenstand der Biologie Deren Erkenntnisse werden folglich als Beitrag zum fachubergreifenden Forschungsfeld der Humanwissenschaften verstanden Dass psychische und soziale Phanomene auf einem biologischen Hintergrund beruhen wird von Kritikern des Biologismus nicht bestritten 8 Mit dem Begriff Biologismus wird jedoch versucht einem alleinigen Erklarungs anspruch der Biologie Grenzen zu setzen zum Beispiel durch wissenschaftstheoretische Kritik Dadurch wird zugleich die Eigenstandigkeit einer sozial und geisteswissenschaftlichen Methodik sowie eines ethischen Diskurses gegenuber der Biologie verteidigt Ausserdem sollen mit der Kritik die weltanschaulichen politischen und gesellschaftlichen Folgen betont werden die aus einer unzureichend reflektierten einseitig biologischen Betrachtungsweise erwachsen konnen Der Biologismus kann politisch instrumentalisiert werden wenn beispielsweise soziale Unterschiede als unveranderlich beschrieben werden und dabei von der problematischen Erkenntnissituation des rein naturwissenschaftlichen Beobachters ausgegangen wird Denn auch dessen fachwissenschaftliche Forschungen gehen letztlich von einer notwendigerweise unvollstandigen nur teilweisen Beobachtung eines bestimmten gesellschaftlichen Zustandes in einem spezifischen zeitlichen Zusammenhang aus Hierzu steht im Widerspruch dass auf dieser Grundlage allgemeine abstrakte Gesetzmassigkeiten hergeleitet werden sollen die ein biologistisches Weltbild stutzen konnen Daruber hinaus sind auch die dazu eingesetzten Methoden und Fragestellungen die das Ergebnis massgeblich beeinflussen konnen zeit und kultur abhangig obgleich fur das Forschungsergebnis uberzeitliche Gultigkeit beansprucht wird Ein solches Vorgehen ist jedoch aus diesen und weiteren Grunden erkenntnistheorethisch problematisch Gesellschaftliche Wirkungsweise BearbeitenViele politische Stromungen u a der Nationalsozialismus 10 und der Faschismus haben biologistische Erklarungsmodelle fur ihre Zwecke instrumentalisiert indem sie zum Beispiel angebliche oder tatsachliche Verhaltensweisen unter Tieren zur Rechtfertigung sozialer Ungleichheit Ausbeutung und Mord verwendeten Diskriminierungen gehen haufig einher mit einer Argumentationsweise der drei Funktionen zukommen Unterscheidung Der Unterschied zwischen der diskriminierenden und der diskriminierten Gruppe wird durch vermeintlich biologisch gegebene also angeborene Merkmale festgeschrieben Unveranderbarkeit Dieser Unterschied wird als angeboren und unveranderbar behauptet die Moglichkeit einer diesbezuglichen Veranderung wird verneint Rechtfertigung Ein tatsachlich gegebenes oder behauptetes Faktum der Natur wird zur Rechtfertigung bestimmter gesellschaftlicher Verhaltnisse benutzt Biologismus wird in diesem Zusammenhang als besondere Spielart der Ontologisierung und des Essentialismus gedeutet Der Versuch im Rahmen des Biologismus aus den Verhaltnissen in der Natur Sein Werte fur die menschliche Gesellschaft abzuleiten Sollen wird in der modernen Ethik uberwiegend als naturalistischer Fehlschluss naturalistic fallacy eingestuft Erscheinungsformen und Beispiele BearbeitenFolgende Positionen werden unter anderem als Erscheinungsformen des Biologismus genannt der Malthusianismus mit seiner speziellen Deutung der Bevolkerungsentwicklung 11 der Sozialdarwinismus der das Darwinsche Prinzip der naturlichen Auslese im Kampf ums Dasein zum Bewegungs und Entwicklungsgesetz auch des menschlichen Gesellschaftslebens erklart wobei die Bereitschaft zum Fuhren von Kriegen haufig als immanenter Wesenszug des Menschen gedeutet wird hierunter fallen auch geopolitische Ansatze die die Beziehungen zwischen den Staaten und Volkern als Kampf um Lebensraum siehe z B Karl Haushofer interpretieren die moderne Soziobiologie und Evolutionare Psychologie soweit sie psychologische und gesellschaftliche Phanomene ausschliesslich oder ganz uberwiegend auf der Grundlage genetischer Faktoren erklart 3 12 13 Auch soziale Erklarungsmodelle werden haufig als biologistisch bezeichnet so etwa auf dem Gebiet der Genderforschung durch Kritik an Verweisen auf biologische Verschiedenheiten zwischen den Geschlechtern Aus diesen Verschiedenheiten wurden vermeintlich unabdingbare gesellschaftlich kulturelle Konsequenzen gezogen wodurch sexistische Auslegungen entstehen 14 15 16 rassistisches Gedankengut typischerweise in Form der Unterscheidung zwischen hoher und minderwertigeren Menschenrassen 17 in der Kriminologie das Werk Cesare Lombrosos das kriminelles Verhalten ausschliesslich als Folge von Vererbung betrachtet Verbrechergen 3 die Auffassung von Edward O Wilson in seiner Soziobiologie dass psychologische Phanomene oder sogar ethische Bewertungen nur anhand der zugrundeliegenden biologischen Mechanismen auf der Ebene der Zelle erklart werden konnten 18 Aussagen des Evolutionsbiologen Ulrich Kutschera der die Geisteswissenschaften als blosse Verbalwissenschaften ansieht die im Gegensatz zur Biologie keine eigenstandige wissenschaftliche Leistung bringen wurden weil sie sich nicht mit real existierenden Dingen befassen wurden 19 Zugespitzt formulierte Kutschera in Auseinandersetzung mit einer wissenschaftsgeschichtlichen Studie Nichts in den Geisteswissenschaften ergibt Sinn ausser im Lichte der Biologie Siehe auch BearbeitenSoziologismus eine Position die den Einfluss des Sozialen uberbewertetLiteratur BearbeitenJost Herbig Rainer Hohlfeld Hrsg Die zweite Schopfung Geist und Ungeist in der Biologie des 20 Jahrhunderts Hanser Munchen und Wien 1990 ISBN 3 446 15293 8 Detlev Franz Biologismus von oben Das Menschenbild in Biologiebuchern DISS Texte Nr 28 Duisburg 1993 ISBN 3 927388 38 6 Reinhard Mocek Biologie und soziale Befreiung Zur Geschichte des Biologismus und der Rassenhygiene in der Arbeiterbewegung Lang Frankfurt Main 2002 ISBN 3 631 38830 6 Philosophie und Geschichte der Wissenschaften Studien und Quellen Band 51 Rezension 1 Steven Rose Darwins gefahrliche Erben Biologie jenseits der egoistischen Gene C H Beck Munchen 2000 ISBN 3 406 45907 2 Rezension 2 Immanuel Wallerstein Imanuel Geiss Gero Fischer Maria Wolflingseder Hrsg Biologismus Rassismus Nationalismus Rechte Ideologien im Vormarsch Promedia Wien 1995 ISBN 3 900478 97 X Garland E Allen Biologismus in Historisch kritisches Worterbuch des Marxismus Bd 2 Argument Verlag Hamburg 1995 Sp 253 257 Gunter Mann Biologismus Vorstufen und Elemente einer Medizin im Nationalsozialismus In Deutsches Arzteblatt Band 85 1988 S 1176 1182 Weblinks Bearbeiten nbsp Wiktionary Biologismus Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme Ubersetzungen Thomas Anz Biologismus und Kulturalismus Wir suchen wieder Bodenhaftung von Marcel Hanggi Telepolis 11 Februar 2009 Der Basler Historiker Philipp Sarasin uber Foucault und Darwin und uber die Rolle der Kulturwissenschaften in der heutigen Zeit Biologismus Essay von Franz M Wuketits Spektrum Akademischer Verlag 1999Einzelnachweise Bearbeiten vgl M Stier S Muders M Ruther B Schone Seifert 2013 Biologismus Kontroversen Ethische Implikationen fur die Psychiatrie Nervenarzt 84 1165 1174 doi 10 1007 s00115 013 3736 5 Eric Hilgendorf Biologismus im Recht gestern und heute in Ignacio Czeguhn Eric Hilgendorf Jurgen Weitzel Herausgeber Eugenik und Euthanasie 1850 1945 161 174 doi 10 5771 9783845218045 161 a b c d Franz M Wuketits Biologismus Essay In Spektrum de Lexikon der Biologie Spektrum Akademischer Verlag 1999 a b c d Mario Augusto Bunge Emergence and Convergence Qualitative Novelty and the Unity of Knowledge Toronto Studies in Philosophy University of Toronto Press Toronto 2004 ISBN 978 0 8020 8860 4 S 154 John Scott und Gordon Marshall A Dictionary of Sociology Oxford University Press Oxford 2009 ISBN 978 0 19 953300 8 S 43 Stichwort biological reductionism biologism Ulrich Kutschera Streitpunkt Evolution Darwinismus und Intelligentes Design 2 Aufl Lit Verlag Berlin 2007 S 265 268 Soren Niemann Findeisen Rezension zu Reinhard Mocek Biologie und soziale Befreiung Zur Geschichte des Biologismus und der Rassenhygiene in der Arbeiterbewegung Philosophie und Geschichte der Wissenschaften Studien und Quellen Band 51 Verlag Peter Lang Frankfurt Main 2002 In Archiv fur Sozialgeschichte Online Februar 2003 Thomas Anz Biologismus und Kulturalismus In literaturkritik de rezensionsforumvom 7 Juli 2001 abgerufen am 6 Juli 2017 a b Manfred Velden Biologismus Folge einer Illusion V amp R unipress Gottingen 2005 S 7 15 ff So von Rainer Koltermann 1931 2009 Jesuit und Zoologe in einem Vortrag bei der Hanns Seidel Stiftung am 9 Februar 2007 in Kloster Banz Tagungsbericht Der Biologismus die neue alte Geisteshaltung Memento vom 27 Marz 2016 imInternet Archive Abruf vom 5 Juli 2017 Gunter Mann Biologismus Vorstufen und Elemente einer Medizin im Nationalsozialismus 1988 David Pepper Modern Environmentalism An Introduction Routledge London 1996 ISBN 0 415 05744 2 S 113 Val Dusek Sociobiology sanitized Evolutionary psychology and gene selectionism In Science as Culture 8 Nr 2 1999 S 129 169 doi 10 1080 09505439909526539 Deborah Cameron Sex Gender Language and the New Biologism In Applied Linguistics Band 31 Nr 2 2010 S 173 192 doi 10 1093 applin amp022 Vgl Christine Zunke Benachteiligung von Frauen in der Gesellschaft und ihre scheinbare wissenschaftliche Begrundung PDF 96 kB In Der Biologismus die neue alte Geisteshaltung Memento vom 6 Dezember 2013 im Internet Archive Hanns Seidel Stiftung 2007 Stephan Sting und Vladimir Wakounig Hrsg Bildung zwischen Standardisierung Ausgrenzung und Anerkennung von Diversitat Lit Verlag Wien 2011 ISBN 978 3 643 50326 8 S 87 f Biological determinism and the neverending quest for gender differences In Psychology of Women Quarterly Band 31 Nr 3 2007 S 322 323 doi 10 1111 j 1471 6402 2007 00375 1 x Manfred Velden Biologismus Folge einer Illusion V amp R unipress Gottingen 2005 ISBN 3 89971 200 5 S 125 f Unter Verweis auf E O Wilson Sociobiology The New Synthesis 1975 S 575 Manfred Velden Biologismus Folge Einer Illusion V amp R unipress GmbH 2005 ISBN 3 89971 200 5 S 16 Corinna Jung Towards more confidence about the roles of social scientists in participatory policy making Poiesis amp Praxis Band 6 Nr 1 2 2009 S 125 129 125 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Biologismus amp oldid 233834706