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Die Asutav Kogu estnisch Grundungsversammlung war die verfassungsgebende Versammlung der 1918 ausgerufenen Republik Estland Sie tagte vom 23 April 1919 bis zum 20 Dezember 1920 in Tallinn Eroffnungssitzung der Asutav Kogu Tallinn Konzerthaus Estonia 23 April 1919 Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 2 Wahl zur Asutav Kogu 3 Wahlergebnis 4 Arbeit der Asutav Kogu 5 Sitzungsperioden 6 Gesetzgebung 7 Landreform 8 Arbeiten an der Verfassung 9 Bilanz 10 Weblinks 11 EinzelnachweiseVorgeschichte Bearbeiten nbsp Die estnische Unabhangigkeitserklarung das Manifest an alle Volker Estlands vom 24 Februar 1918Mit der Februarrevolution in Russland 1917 wurde auch in Estland die seit 1710 bestehende Zarenherrschaft abgeschafft Am 12 April 1917 erliess die provisorische Regierung Russlands ein Dekret uber die Autonomie Estlands Im Mai und Juni 1917 fanden dort die allgemeinen indirekten Wahlen zum provisorischen Landtag des Gouvernements Estland Ajutine Maanoukogu inoffiziell Maapaev genannt mit Sitz in Tallinn statt Das Gouvernement umfasste zum Zeitpunkt der Wahl das fruhere kleinere Gouvernement Estland sowie die estnischsprachigen Gebiete des Gouvernements Livland Der estnischen Forderung nach einer Zusammenlegung aller estnischsprachigen Gebiete in einem Gouvernement war Rechnung getragen worden Die Wahlbeteiligung lag mit 30 relativ niedrig Das Wahlsystem fur die 62 Sitze war sehr zeitaufwandig und kompliziert Es fuhrte aber zu einer ausgewogenen Stadt Land Verteilung der Abgeordneten und zu einer Ausbildung des estnischen Parteiensystems Der Landtag konstituierte sich am 14 Juli 1917 Am 28 November 1917 kurz nach dem Staatsstreich der Bolschewiki in Petrograd vom 7 November 1917 erklarte sich der provisorische Landtag in Tallinn in seiner letzten Sitzung zur obersten Gewalt in Estland bis zum Zusammentritt einer verfassungsgebenden Versammlung Die Versammlung setzte einen Altestenrat Eesti maapaeva vanemate noukogu ein der im Krisenfall auch die Kompetenz zur Gesetzgebung hatte Der Forderung der Bolschewiki nach einer Selbstauflosung des Landtags kamen die Abgeordneten nicht nach Elf Tage spater wurde der Landtag von den Bolschewiki gewaltsam aufgelost Die Abgeordneten gingen in den Untergrund Die Staatsgewalt in Estland wurde vom November 1917 bis Februar 1918 vom bolschewistischen Kriegs Revolutionskomitee Estlands Eestimaa Soja Revolutsioonikomitee ausgeubt und war von Graueltaten gegenuber Regimegegnern gepragt Am 19 Februar 1918 nahm der Altestensrat des Landtags unter dem Eindruck der sich aus Estland zuruckziehenden russisch bolschewistischen Truppen im Kriegsverlauf des Ersten Weltkriegs und des sich abzeichnenden Machtvakuums das national gesinnte estnische Selbstandigkeitsmanifest an und bildet das dreikopfige Rettungskomitee Paastekomitee mit umfassenden exekutiven Befugnissen Der Altestenrat des Landtags erklarte am 24 Februar 1918 in Tallinn mit dem Manifest an alle Volker Estlands Manifest Koigile Eestimaa Rahvastele unter Berufung auf die Volkssouveranitat endgultig Estlands staatliche Unabhangigkeit von Russland 1 Am selben Tag bestimmte er die 13 kopfige Provisorische Regierung Estlands der auch Mitglieder der nationalen Minderheiten angehoren sollten Bereits am folgenden Tag wurde Tallinn im Zuge des Ersten Weltkriegs von kaiserlichen deutschen Truppen besetzt Fuhrende estnische Politiker mussten erneut in den Untergrund gehen Erst mit dem Zusammenbruch des deutschen Kaiserreichs konnte am 11 14 November 1918 die Provisorische Regierung wieder die effektive Staatsgewalt uber das Gebiet der Republik Estland ausuben Auch der Landtag konnte seine Arbeit wieder aufnehmen Die Situation blieb allerdings ausserst instabil Am 28 November 1918 uberfielen Truppen der Bolschewiki Estland Im anschliessenden Estnischen Freiheitskrieg der bis zum Februar 1920 dauerte konnte Estland seine staatliche Unabhangigkeit aber militarisch behaupten Die Kriegssituation pragte allerdings die Arbeit der verfassungsgebenden Versammlung der jungen Republik Wahl zur Asutav Kogu Bearbeiten nbsp Jaan Tonisson einer der fuhrenden Politiker Estlands war von November 1919 bis Juni 1920 estnischer MinisterprasidentVom 5 bis 7 April 1919 fand die Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung der Republik Estland statt Sie wurde als Ausdruck der pouvoir constituant des estnischen Volkes angesehen Wahlberechtigt waren alle erwachsenen Manner und Frauen die in Estland lebten Die Wahlen waren frei gleich geheim und unmittelbar Sie fanden auf der Grundlage des Verhaltniswahlrechts statt Zehn Parteien oder Gruppen bewarben sich um die 120 Sitze in der Asutav Kogu Die wichtigsten waren die Landunion Maaliit von Regierungschef und Kriegsminister Konstantin Pats die Estnische Volkspartei Eesti Rahvaerakond des Journalisten Jaan Tonisson die Estnische Arbeitspartei Eesti Tooerakond und die Estnische Sozialdemokratische Arbeiterpartei Eesti Sotsiaaldemokraatiline Tooliste Partei Die Wahlbeteiligung war mit 80 sehr hoch 2 Insgesamt gaben 467 906 estnische Burger gultige Stimmen ab Die Wahlen verliefen fair und demokratisch Die sozialdemokratischen Parteien erhielten die Mehrheit der Sitze Uberraschend war vor allem die Niederlage des Maaliit unter Regierungschef Pats der nur auf den vierten Platz kam 3 Drei Sitze gingen an die deutsche ein Sitz an die russische Minderheit in Estland Die estnischen Bolschewiki hatten an der Wahl nicht teilgenommen und zu deren Boykott aufgerufen In der Asutav Kogu sassen 25 Juristen 11 Journalisten 7 Agronomen 6 Landwirte 3 Lehrer 2 Schriftsteller 2 Studenten sowie weitere Berufsgruppen Unter den gewahlten Abgeordneten waren sieben Frauen Wahlergebnis BearbeitenPartei Stimmen SitzeEesti Sotsiaaldemokraatiline Tooliste Partei 152 341 41Eesti Tooerakond 114 879 30Eesti Rahvaerakond 94 892 25Eesti Maarahva Liit 29 989 8Eesti Sotsialistide Revolutsionaaride Partei 26 536 7Eesti Kristlik Rahvaerakond 20 157 5Saksa erakond Eestimaal 11 462 3Vene Kodanikkude Kogu 5 765 1Hiiu saare elanike partei 1 090 0Ule eestimaaline Meremeeste Liit 795 0Arbeit der Asutav Kogu BearbeitenAm 23 April 1919 fand die Eroffnungssitzung der Asutav Kogu im Konzerthaus Estonia in Tallinn statt Spatere Sitzungen wurden im Weissen Saal des Schlosses auf dem Tallinner Domberg durchgefuhrt Der 23 April war nicht zufallig gewahlt da er in der estnischen Geschichte mit dem Aufstand in der Georgsnacht 1343 gegen die Fremdherrschaft verbunden ist Zum Vorsitzenden der Versammlung wurde der sozialdemokratische Jurist August Rei gewahlt Sitzungsperioden Bearbeiten23 April bis 5 Juni 1919 27 Sitzungen 17 Juni bis 20 Dezember 1919 70 Sitzungen 20 Januar 1920 bis 26 Marz 1920 22 Sitzungen 13 April bis 31 Juli 1920 35 Sitzungen 7 September bis 20 Dezember 1920 16 Sitzungen Gesetzgebung BearbeitenDie Asutav Kogu war in der Folge sowohl verfassungsgebende Versammlung wie auch Legislativorgan der Republik Estland Am 3 Mai wurde einstimmig ein Amnestiegesetz verabschiedet das hauptsachlich Verurteilten zugutekam die unter der Kriegsgesetzgebung des Ersten Weltkriegs inhaftiert worden waren 4 Am selben Tag beschloss die Versammlung ein neues Schulgesetz das eine kostenlose sechsjahrige Schulpflicht fur alle vorsah Am 8 Mai 1919 fuhrte das Parlament die erste regulare estnische Regierung unter Fuhrung von Ministerprasident Otto August Strandman Eesti Tooerakond in ihr Amt ein Gleichzeitig endete damit das Mandat der Provisorischen Regierung Am 19 Mai 1919 nahm die Asutav Kogu eine Deklaration uber die staatliche Unabhangigkeit Estlands an Sie bestatigte darin die Abspaltung von Russland aus historischen Grunden Die Deklaration war vor allem fur das Ausland bestimmt Sie hatte den Zweck den Boden fur die de jure Anerkennung des jungen Staates zu bereiten Wahrend der Abstimmung verliessen die deutschbaltischen Abgeordneten den Saal Der Abgeordnete der russischen Minderheit enthielt sich der Stimme 4 Am 13 Februar 1920 ratifizierte die Asutav Kogu den Friedensvertrag von Tartu vom 2 Februar 1920 das volkerrechtliche Grundungsdokument der Republik Estland Mit ihm wurde der Estnische Freiheitskrieg beendet In dem Vertrag erkannte Sowjetrussland die staatliche Unabhangigkeit und die Grenzen Estlands fur alle Zeit an Landreform BearbeitenAm 10 Oktober 1919 verabschiedete die Versammlung gegen die Stimmen der Deutschbalten das radikale Landgesetz Maaseadus zur Enteignung des Grossgrundbesitzes sowie einiger Kirchenguter in Estland 2 346 Millionen Hektar einschliesslich des Viehbestands und der landwirtschaftlichen Produktionsmittel waren davon betroffen Damit wurden die deutschbaltischen Grossgrundbesitzer die 700 Jahre lang in Estland wirtschaftlich und politisch tonangebend waren weitgehend enteignet Sie durften lediglich 50 Hektar Land behalten 5 Das Gesetz beseitigte damit die Folgen der aus dem mittelalterlichen Feudalismus stammenden Verteilung des Landeigentums in Estland und Livland Die Landreform sollte vor allem den estnischen Kleinbauern sowie den Kriegsveteranen zugutekommen 2 Sie war innenpolitisch sehr popular wenn sie auch von den meisten auslandischen Staaten als zu radikal abgelehnt wurde Sie war eine entscheidende Motivation fur die estnischen Soldaten im Freiheitskrieg fur den jungen estnischen Staat zu kampfen 6 Mit ihr wurden uber 30 000 neue Bauern zu Eigentumern ihres Landes Das Gesetz legte die Grundlage fur den wirtschaftlichen Erfolg und den sozialen Frieden im agrarisch ausgerichteten neuen Staat Bolschewistischer Propaganda wurde mit dem Landgesetz die Grundlage entzogen Das Gesetz nahm vielen deutschbaltischen Adligen allerdings die Lebensgrundlage Zwischen den estnischen Parteien entbrannte grosser Streit daruber ob die Enteigneten entschadigt werden sollten Sozialdemokraten und Sozialisten forderten eine entschadigungslose Enteignung die rechtsgerichtete Landunion sprach sich fur Entschadigungszahlungen aus Erstere setzten sich zunachst durch allerdings wurde 1926 ein Gesetz zur Entschadigung erlassen das auf den realen Landwert abstellte Arbeiten an der Verfassung BearbeitenAm 4 Juni 1919 wurde von der Asutav Kogu ein 15 kopfiger Verfassungsausschuss gewahlt An ihn sandten die Gruppen 7 der Versammlung Vorschlage fur die auszuarbeitende estnische Verfassung Bereits Ende 1919 waren die Arbeiten am Entwurf abgeschlossen Die Verfassung garantierte in einem Grundrechtekatalog die Menschen und Burgerrechte Die Idee eines Prasidialsystems wurde verworfen Stattdessen stellte das Staatsorganisationsrecht das Parlament in den Mittelpunkt Die Verfassung eroffnete mit Volksbegehren und Volksabstimmungen dem Volk zahlreiche demokratische Teilhaberechte Im Mai 1920 wurden die Arbeiten der Offentlichkeit vorgestellt Am 15 Juni 1920 nahm die Versammlung die erste estnische Verfassung Eesti Vabariigi Pohiseadus an Sie trat am 21 Dezember 1920 in Kraft Damit war die Aufgabe der verfassungsgebenden Versammlung erfullt Bilanz BearbeitenWahrend ihres Bestehens gab es 170 Sitzungen der Asutav Kogu Etwa 800 Gesetze wurden von ihr verabschiedet Wichtige Entscheidungen wie das radikale Landgesetz eine umfassende Schulreform zur Hebung des Bildungsstandards das Gesetz zur Abschaffung der Standesunterschiede die Trennung von Staat und Kirche und viele andere legten den Grundstein eines modernen estnischen Staates Die neue liberale Verfassung war radikal den Burgerrechten der Demokratie und der Volkssouveranitat verpflichtet Die Ideen von Rousseau und Montesquieu waren darin verwirklicht Dies entsprach den politischen Uberzeugungen und Hoffnungen der Zeit begunstigte aber politische Instabilitat und fuhrte zu haufig wechselnden estnischen Regierungen 1934 kam es daher zu einer grundlegenden Verfassungsreform Vom 27 bis 29 November 1920 fanden die Wahlen zum neuen estnischen Parlament Riigikogu statt Mit Zusammentritt des ersten Riigikogu am 20 Dezember 1920 erlosch das Mandat der Asutav Kogu Weblinks BearbeitenGeschichte der Asutav Kogu Estnisches Parlament Onne sunnipaevaks parlament Postimees 21 April 2007 The state order of Estonia in its historical development Memento vom 10 Juni 2007 im Internet Archive Einzelnachweise Bearbeiten Das Manifest war bereits am Abend vorher in Parnu offentlich verlesen und gedruckt worden a b http www riigikogu ee id 31619 http www riigikogu ee index php id 36723 a b Hnne snnipdevaks parlament Memento vom 13 Februar 2013 im Webarchiv archive today The Land Reform of 1919 1940 Lithuania and the Countries of East and Central Europe Memento vom 22 Marz 2012 im Internet Archive The Story of the Estonian Republic 1918 1940 Memento vom 10 Juni 2007 im Internet Archive nach heutigem Sprachgebrauch FraktionenParlamente von Estland Estlandische Ritterschaft Maapaev Asutav Kogu Riigikogu 1919 1934 Rahvuskogu Oberster Sowjet der Estnischen SSR Riigikogu Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Asutav Kogu amp oldid 224788607