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Tagebuch eines Schriftstellers russisch Dnevnik pisatelya Dnewnik pisatelja ist der Titel einer Sammlung nicht fiktionaler und fiktionaler Schriften von Fjodor Dostojewski Erschienen sind sie von 1873 bis 1874 in der Zeitschrift Graschdanin und von 1876 bis zu Dostojewskis Tod 1881 als selbststandige Zeitschrift Von allen Werken die Dostojewski hervorgebracht hat ist das Tagebuch in seiner Gesamtheit das umfangreichste Es war an ein grosses Publikum gerichtet und in seiner Zeit sehr popular Seiten aus dem Graschdanin und dem Tagebuch eines Schriftstellers Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Dostojewskis Positionen 2 1 Politisch 2 2 Kontroverse Antisemitismus 3 Ausgaben Auswahl 4 Weblinks 5 EinzelnachweiseGeschichte BearbeitenDostojewski begann das Tagebuch zu schreiben und zu veroffentlichen nachdem Furst Wladimir Meschtscherski ihm Anfang 1873 die Schriftleitung seiner konservativen Wochenzeitung Graschdanin anvertraut hatte 1 Es erschien in der Zeitschrift in unregelmassigen Abstanden als Kolumne und beschaftigte sich mit einer grossen Bandbreite politischer religioser und philosophischer Themen 2 Gelegentlich fugte Dostojewski auch Prosatexte bei so in der sechsten Ausgabe des Jahrgangs 1873 etwa seine kleine Erzahlung Bobok 3 Das Tagebuch erwies sich als immens popular und Dostojewski erhielt nach jeder Ausgabe eine Flut von Leserbriefen 4 Nachdem er die Schriftleitung des Graschdanin im April 1874 niederlegte erschien auch das Tagebuch zunachst nicht mehr 5 Vom Januar 1876 an brachte Dostojewski es jedoch als selbststandiges Periodikum und auf eigene Rechnung heraus 6 Eigene literarische Arbeiten die er in dieser Zeit im Tagebuch veroffentlichte waren die Novelle Die Sanfte November 1876 und die Erzahlung Traum eines lacherlichen Menschen April 1877 7 Dostojewskis Positionen BearbeitenIm Tagebuch hat Dostojewski seine personlichen Uberzeugungen zu einer Vielzahl von Themen dargestellt die in der Zeit diskutiert wurden Politisch Bearbeiten In seinen jungen Jahren hatte er Nikolai Michailowitsch Karamsins konservative Geschichte des Russischen Staates gelesen dessen Philosophie ihn auch spater beeinflusste Vor seiner Festnahme ausserte sich Dostojewski Ich halte die Idee der Erschaffung einer republikanischen Regierung in Russland fur blodsinnig Im Tagebuch schrieb er 1881 Fur das Volk ist der Zar keine fremde Macht keine Macht irgendeines Eroberers sondern eine Macht fur das ganze Volk eine allvereinigte Macht wie es sich das Volk wunscht 8 Kritisch gegenuber der Leibeigenschaft war er zugleich auch skeptisch was die Schaffung einer Konstitutionellen Monarchie anging Er sah darin ein Konzept das nicht mit der Geschichte Russlands verbunden sei Er meinte dass die Verfassung die Leute versklaven wurde Stattdessen trat er fur Gesellschaftsveranderungen zum Beispiel die Aufhebung des Feudalsystems und eine Schwachung der Trennung von Landbevolkerung und der einflussreichen Klassen ein Er vertrat ein utopisches christliches Russland Wenn alle fromme Christen waren wurde keine einzige soziale Frage entstehen sie wurden alles erledigen 9 Er war ein Feind der Demokratie und Oligarchie die Oligarchen befassen sich nur mit dem Reichtum die Demokraten mit der Armut 9 Er war sich sicher dass politische Parteien in Uneinigkeit geraten In den 1860er Jahren entdeckte er das Potschwennitschestwo etwa Zuruck zum Boden Bewegung eine Bewegung die der Slawophilie ahnelte anti europaisch eingestellt war und zeitgenossische Denkweisen wie den Nihilismus und den Materialismus verwarf Im Gegensatz zum Slawophilismus war Ziel des Potschwennitschestwo weniger ein isoliertes Russland als ein mit der Herrschaftszeit Peters dem Grossen vergleichbares 9 In einem unvollendeten und unveroffentlichten Artikel zu dem er sich 1864 1865 Notizen gemacht hatte Sozialismus und Christentum hatte Dostojewski die Ansicht vertreten dass die Zivilisation als der zweite Abschnitt der Menschheitsgeschichte sich im Niedergang befande zum Liberalismus hin bewege und demnach den Glauben an Gott verliere Er forderte dass das traditionelle Christentum wieder hergestellt werden solle Seiner Ansicht nach hatte das westliche Europa die einzige Formel fur seine gottgegebene Erlosung und Offenbarung Du sollst deinen Nachsten lieben wie dich selbst durch praktische Schlussfolgerungen wie beispielsweise Chacun pour soi et Dieu pour tous Jeder fur sich Gott fur uns alle oder wissenschaftliche Parolen wie das Prinzip des Kampf ums Uberleben verworfen 8 Dostojewski unterschied drei enorme Weltideen seiner Zeit Den romischen Katholizismus den Protestantismus und die Russische Orthodoxie Er meinte dass der Katholizismus die Traditionen des Romischen Reiches fortsetzte und anti christlich und proto sozialistisch geworden sei da er sich mehr fur Politik als fur Religion interessierte Sozialismus sei die neueste Inkarnation der katholischen Idee und ihr naturlicher Verbundeter 10 Den Protestantismus hielt er fur in sich widerspruchlich Die ideale Form des Christentums war die Orthodoxie genauer die Russische Tradition Stefan Zweig beschrieb Dostojewskis Vorstellungen wie folgt Der Katholizismus eine Teufelslehre eine Verhohnung Christi der Protestantismus ein vernunftlerischer Staatsglaube alles Hohnbilder des einzig wahren Gottesglaubens der russischen Kirche Der Papst der Satan in Tiara unsere Stadte Babylon die grosse Hure der Apokalypse 11 Wahrend des Russisch Osmanischen Krieges 1877 1878 war Dostojewski uberzeugt dass Kriege manchmal notig seien um Erlosung zu erlangen Er hoffte auf den Zerfall des islamischen Osmanischen Reiches und die Wiederauferstehung des christlichen Byzantinischen Reiches Daruber hinaus hoffte er auf die Befreiung der Balkanslawen und deren Vereinigung mit dem Russischen Reich 8 Kontroverse Antisemitismus Bearbeiten Als gluhender Anhanger des orthodoxen Glaubens hatte Dostojewski gegenuber Katholiken und Juden starke Vorbehalte Im Tagebuch wird dies deutlicher und expliziter als an irgendeiner anderen Stelle Schon als 22 Jahriger hatte Dostojewski erwogen ein Schauspiel Jud Jankel zu schreiben das dann jedoch entweder nicht fertig wurde oder verloren ging 12 Jankel ist eine archetypische judische Figur die Gogol in antisemitischer Zeichnung bereits in seiner Erzahlung Taras Bulba 1835 hatte auftreten lassen 13 Im Prosawerk von Dostojewski erschienen wiederholt stereotyp gezeichnete judische Charaktere erstmals in Aufzeichnungen aus einem Totenhaus Issai Fomitsch Bumstein dann in Verbrechen und Strafe Feuerwehrmann Achilles und schliesslich in Die Damonen Lyamschin 14 Auch Passagen in Die Bruder Karamasow sind als antisemitisch interpretiert worden 15 Ein intimer Kenner des Antisemitismus Dostojewskis war Leonid Zypkin der wahrend der Vorarbeiten zu seinem Roman Ein Sommer in Baden Baden im Tagebuch ausgiebig dem Paradox nachgespurt hat wie jemand der in seinen Romanen solche Sensibilitat fur das menschliche Leid beweist eine ganze Personengruppe so blind hassen konnte 16 Ein noch drastischeres Bild liefert der russische Literaturwissenschaftler Leonid Grossman der in seinem Buch Beichte eines Juden bereits 1924 mit direktem Bezug auf Dostojewski urteilte die Verquickung von philosophischem Philosemitismus mit praktischem Antisemitismus sei das Los vieler Denker gewesen 17 Literarischer Antisemitismus wurde im Werk vieler russischer Schriftsteller nachgewiesen von Puschkin uber Gogol bis hin zu Pasternak 17 Eine Verteidigung Dostojewskis hat 1981 der Schweizer Slavist Felix Philipp Ingold versucht Er argumentierte dass das Tagebuch denselben polyphonen Charakter trage wie die Romane und dass Dostojewski zum Judentum eine durchaus differenzierte Einstellung besessen habe 18 Tatsachlich spricht manches dafur dass Dostojewski mit dem eigenen Antisemitismus gerungen hat 15 19 Mit seiner Einschatzung des Tagebuchs widersprach Ingold freilich dem russischen Literaturwissenschaftler Michail Bachtin fur den feststand dass Dostojewski darin ausschliesslich Ideen verbalisiert habe von denen er selbst uberzeugt gewesen sei 20 Die bis dahin umfangreichste Studie zu Dostojewskis Antisemitismus hat 1981 David I Goldstein vorgelegt Dieser fand einen weiteren wichtigen Schlussel im Roman Die Damonen Dostojewski formulierte dort namlich die Uberzeugung dass das messianische orthodoxe Russland sich gegenuber den dekadenten westlichen Zivilisationen sieghaft behaupten und eine Auferstehung der gesamten Menschheit herbeifuhren werde Wenn man die Russen zum auswahlten Volk erklaren wollte lag es mehr als nahe die Juden die von Alters her denselben Anspruch erhoben zu diskreditieren und sie als fundamentale Widersacher zu empfinden 21 Steven Cassedy trat Goldstein 2005 entgegen indem er befand dass Dostojewskis Verstandnis von Religion ausserordentlich differenziert gewesen sei und dass sich in seinem Werk durchaus kein verbindliches religioses Programm nachweisen lasse 22 Besondere Komplexitat erlangte die Frage nach Dostojewskis Antisemitismus dadurch dass die Hiobsahnlichkeit seiner Romanfiguren ihr rebellisches Fragen nach dem unverschuldeten Leiden gerade judische Leser besonders ansprach 17 Ausgaben Auswahl BearbeitenDeutsch Tagebuch eines Schriftstellers Herausgegeben und ubertragen von Alexander Eliasberg 4 Bande 1921 1923 Musarion Munchen Harry Harvest Hrsg Dostojevski und Europa Aus dem Tagebuch eines Schriftstellers Rotapfel Zurich 1951 Tagebuch eines Schriftstellers Notierte Gedanken Ubertragen von E K Rahsin Serie Piper Nr 409 2 Auflage Piper Munchen 1992 ISBN 3 492 20409 0 Erstausgabe 1963 Tagebuch eines Schriftstellers Notierte Gedanken Serie Piper Nr 5265 Ungekurzte Taschenbuchausg 2 Auflage Piper Munchen 2008 ISBN 978 3 492 24270 7 Gunter Dalitz Michael Wegner Hrsg Tagebuch eines Schriftstellers 1873 und 1876 1881 Eine Auswahl Dt v Gunther Dalitz mit Vorwort von Michael Wegner 1 Auflage Aufbau Verlag Berlin 2003 ISBN 3 351 02976 4 Weblinks BearbeitenDostojewski als Publizist Abgerufen am 4 Juni 2020 Tagebuch eines Schriftstellers dostojewski eu abgerufen am 1 Dezember 2013 Einzelnachweise Bearbeiten Richard Freeborn Dostoevsky Haus Publishing London 2003 ISBN 1 904341 27 6 S 109 Reinhard Lauer Geschichte der russischen Literatur Von 1700 bis zur Gegenwart C H Beck Munchen 2000 ISBN 3 406 50267 9 S 382 f Kenneth A Lantz The Dostoevsky Encyclopedia Greenwood Press Westport Connecticut 2004 ISBN 0 313 30384 3 S 38 ff Joseph Frank Dostoevsky The Mantle of the Prophet 1871 1881 Princeton University Press Princeton New Jersey 2002 ISBN 0 691 11569 9 S 201 Kenneth A Lantz The Dostoevsky Encyclopedia Greenwood Press Westport Connecticut 2004 ISBN 0 313 30384 3 S 225 Gary Saul Morson The Boundaries of Genre Dostoevsky s Diary of a Writer and the Traditions of Literary Utopia Northwestern University Press Evanston Illinois 1981 ISBN 0 292 70732 0 S 4 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche Einleitung zu Fyodor Dostoevsky A Gentle Creature and Other Stories Oxford University Press Oxford 2009 ISBN 978 0 19 955508 6 S xv eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche Joseph Frank Dostoevsky The Mantle of the Prophet 1871 1881 Princeton University Press Princeton New Jersey 2002 ISBN 0 691 11569 9 S 318 a b c Lantz The Dostoevsky Encyclopedia 2004 S 183 189 a b c Lantz The Dostoevsky Encyclopedia 2004 S 323 327 Lantz The Dostoevsky Encyclopedia 2004 S 185 Stefan Zweig Drei Meister S 157 Dostoevsky and the Jews by David I Goldstein Abgerufen am 5 November 2013 Fjodor Michailowitsch Dostojewski Autobiographische Schriften Kapitel 5 Der Anfang seiner literarischen Tatigkeit Abgerufen am 5 Juni 2020 Nikolai Vasilievich Gogol Biography In Nikolai Gogol Hrsg Taras Bulba and Other Tales MobileReference 2009 S 332 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche Michael R Katz Once More on the Subject of Dostoevsky and the Jews In Jeffrey Rubin Dorsky Shelley Fisher Fishkin Hrsg People of the Book Thirty Scholars Reflect on Their Jewish Identity The University of Wisconsin Press Madison Wisconsin 1996 ISBN 0 299 15010 0 S 231 244 236 f eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche a b John Carver Dostoevsky as an anti Semite Abgerufen am 5 November 2013 Die letzte Hoffnung Abgerufen am 4 November 2013 Die Zeit 29 Marz 2006 a b c Hiob und Raskolnikow Abgerufen am 4 November 2013 Neue Zurcher Zeitung 2 Dezember 2006 Leonid Grossman Die Beichte eines Juden in Briefe an Dostojewski Piper Munchen 1927 in der UdSSR erschien das Buch erstmals 1924 Felix Philipp Ingold Dostojewski und das Judentum Insel Frankfurt am Main 1981 ISBN 3 458 04757 3 In seinem Vorwort zu Goldsteins Buch Dostoevsky and the Jews argumentierte auch Joseph Frank Dostojewski sei mit seinen antisemitischen Bemerkungen ein Kind seiner Zeit gewesen habe sich mit diesen Ausserungen aber nicht vollstandig wohlgefuhlt Michail Michailowitsch Bachtin Probleme der Poetik Dostoevskijs Munchen 1971 Erstausgabe 1929 David I Goldstein Dostoevsky and the Jews University of Texas Press Austin TX 1981 Rezension Dostoevsky and the Jews by David I Goldstein Abgerufen am 5 November 2013 Steven Cassedy Dostoevsky s Religion Stanford University Press Stanford Calif 2005 ISBN 0 8047 5137 4 sup org abgerufen am 8 November 2013 Abstract Werke von Fjodor Michailowitsch Dostojewski Romane Arme Leute Njetotschka Neswanowa Erniedrigte und Beleidigte Schuld und Suhne Der Spieler Der Idiot Die Damonen Der Jungling Die Bruder KaramasowNovellen Der Doppelganger Onkelchens Traum Das Gut Stepantschikowo und seine Bewohner Eine Novelle in neun Briefen Die Wirtin Weisse Nachte Das schwache Herz Weihnachtsbaum und Hochzeit Aufzeichnungen aus dem Kellerloch Der ewige Gatte Die SanfteErzahlungen und andere Prosaarbeiten Herr Prochartschin Die fremde Frau und der Mann unter dem Bett Polsunkow Der ehrliche Dieb Ein kleiner Held Aufzeichnungen aus einem Totenhaus Eine dumme Geschichte Das Krokodil Bobok Der Junge beim Herrn Jesus zur Weihnacht Die Hundertjahrige Der Traum eines lacherlichen MenschenNichtfiktionale 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