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Der Begriff Schule von Chartres wird in zwei Bedeutungen verwendet Zum einen ist die Domschule in Chartres gemeint die als Ausbildungsstatte fur Kleriker schon im Fruhmittelalter bestand und im 11 und 12 Jahrhundert dank hervorragender Lehrer eine Blutezeit erlebte Zum anderen versteht man darunter eine Gruppe von uberregional einflussreichen Gelehrten der fruhen Scholastik die bestimmte Interessen und philosophisch theologische Uberzeugungen teilten darunter vor allem einen ausgepragten Platonismus und somit eine geistesgeschichtliche Stromung bildeten die einen rational bestimmten Humanismus gegenuber der bisherigen Autoritatenglaubigkeit vertrat Westfassade der Kathedrale von Chartres Meist verwendet man den Begriff im zweiten Sinn welcher jedoch problematisch und umstritten ist Meinungsverschiedenheiten bestehen daruber inwieweit sich die angenommene Stromung anhand konkreter Merkmale von anderen Richtungen abgrenzen lasst wie originell ihre Lehren waren und in welchem Ausmass der traditionell unterstellte Lokalbezug zu Chartres tatsachlich bestand Inhaltsverzeichnis 1 Voraussetzungen 2 Entwicklung 3 Lehrinhalte 4 Forschungskontroversen 5 Literatur 6 Einzelnachweise 7 WeblinksVoraussetzungen Bearbeiten nbsp Kathedrale von ChartresIm Byzantinischen Reich waren die Schriften Platons und des Aristoteles im Mittelalter im Prinzip im Original zuganglich stiessen aber nur auf begrenztes Interesse In der lateinischsprachigen Gelehrtenwelt West und Mitteleuropas waren Griechischkenntnisse extrem selten Man war auf lateinische Ubersetzungen angewiesen von denen aber nur wenige vorhanden waren Von Platons Werken war zunachst ausser unvollstandigen Ubersetzungen des Timaios nichts bekannt ab der Mitte des 12 Jahrhunderts kamen Ubersetzungen des Menon und des Phaidon hinzu Ausserdem floss durch die Werke des Boethius neuplatonisches Gedankengut ein Die Auseinandersetzung mit dem Timaios und speziell der Frage inwieweit sich dessen Weltbild mit der Kosmologie des biblischen Schopfungsberichts in Ubereinstimmung bringen lasst bzw wie sich die katholische Schopfungslehre philosophisch deuten lasst war ein Interessenschwerpunkt der Gelehrten die man zur Schule von Chartres zu zahlen pflegt Entwicklung Bearbeiten nbsp Skulptur eines Philosophen an der KathedraleNamen von Lehrern und Schulern der Domschule lassen sich bereits um die Mitte des 6 Jahrhunderts nachweisen erste Hinweise auf Unterricht tauchen sogar schon am Ende des 5 Jahrhunderts auf Fulbert von Chartres 1028 der vermutlich aus Italien stammte und in Reims ein Schuler des Abtes Gerbert gewesen war baute als Kanzler des Bischofs bzw des Domkapitels in dieser Eigenschaft war er zugleich Leiter der Domschule die Bibliothek erheblich aus und sorgte fur die Berufung fahiger Lehrer daher wird er mitunter als Grunder der Schule von Chartres bezeichnet Er wurde 1006 Bischof von Chartres Fulbert war ein angesehener Theologe gilt aber nicht als origineller Denker Er riet seinen Schulern sich an die Schriften der Vater zu halten Der beruhmteste Schuler Fulberts war Berengar von Tours Unter dem Bischof Ivo von Chartres 1090 1115 16 der fur seine kirchenrechtlichen Sammlungen Decretum und Panormia bekannt war nahm die Domschule einen weiteren Aufschwung Ab ca 1110 1115 war Bernhard von Chartres magister Lehrer an der Domschule spatestens 1124 stieg er zum Kanzler und damit zum Leiter der Schule auf Er wurde durch seine Belesenheit sein didaktisches Geschick und sein Verstandnis des Platonismus fur seine Schuler wegweisendes Vorbild Mit der Schule von Chartres werden seit Ende des 19 Jahrhunderts neben anderen Thierry von Chartres Theoderich Wilhelm von Conches Gilbert de la Porree Gilbert von Poitiers Gilbertus Porreta Clarembaldus von Arras 1 Bernardus Silvestris und Johannes von Salisbury gestorben als Bischof von Chartres in Verbindung gebracht Doch wird heute weithin angenommen dass Thierry und Gilbert vorwiegend in Paris lehrten und nur zeitweilig in Chartres tatig waren Gilberts Schuler bildeten eine besondere Gruppe die Porretaner unter denen Alanus ab Insulis herausragte Ob Wilhelm tatsachlich in Chartres lehrte und ob Johannes von Salisbury dort jemals studierte ist ungewiss Verwendet man aber den Begriff Schule von Chartres fur eine geistesgeschichtliche Stromung lassen sich die genannten Autoren ihr zuordnen Lehrinhalte BearbeitenIn Chartres verband man philosophische mit literarischen Interessen Pragend war der gemeinsame Platonismus der da man von Platons Werken nur den Timaios kannte speziell auf dem Gebiet der Mathematik und Naturlehre zur Geltung kam Besonderen Anklang fand Platons Konzept einer Weltseele als kosmologisches Prinzip Neben dem hochwertigen Unterricht bot der einzigartige Reichtum der Bibliothek hervorragende Voraussetzungen fur die Bildungsbemuhungen der Schuler Unterrichtsfacher waren wie anderswo die sieben Freien Kunste Artes liberales Das Trivium bildeten Grammatik Rhetorik und Dialektik das Quadrivium bildeten Arithmetik Geometrie Musik und Astronomie Besonderheiten von Chartres waren das relativ grosse Gewicht das auf die Artes gelegt wurde und die Grundlichkeit mit der man sie studierte Eine wichtige Rolle spielte die Kommentierung des Timaios in Logik und Sprachphilosophie machte sich der Einfluss des Aristoteles geltend Ein Merkmal der Chartres zugerechneten Gelehrten war eine fur damalige Verhaltnisse relativ hohe Wertschatzung der Philosophie im Verhaltnis zur Theologie und der Vernunft gegenuber der Autoritat Gegen Ende des 12 Jahrhunderts nahm die Bedeutung von Chartres als Ausbildungsstatte stark ab was mit einem verminderten Interesse an den dort besonders gepflegten Lehrinhalten zusammenhing Paris als Universitatsstadt trat zunehmend in den Vordergrund Allerdings war den Werken der Gelehrten die in Chartres tatig gewesen oder von der dortigen Tradition beeinflusst waren teils eine erhebliche Nachwirkung bis ins Spatmittelalter beschieden Forschungskontroversen BearbeitenVon einer Schule von Chartres ist erst seit Ende des 19 Jahrhunderts die Rede Reginald Lane Poole 1857 1939 und Jules Alexandre Clerval hatten sich bemuht verschiedene Denker die sich mit Chartres in Verbindung bringen lassen auch dort zu lokalisieren und Zusammenhange zwischen ihnen aufzuzeigen 2 Die Annahme einer Schule von Chartres in diesem ortsbezogenen Sinn die Studien oder Lehrort all dieser Personen gewesen ware gilt seit den Studien von Richard W Southern und Peter Dronke als uberholt 3 Unbestritten ist aber die damalige Blutezeit der Domschule von Chartres an der zumindest ein Teil der ihr traditionell zugeordneten Gelehrten tatsachlich gewirkt bzw studiert hat Ob man den Ausdruck Schule von Chartres auf die Domschule als Ausbildungsstatte beschranken muss oder von einer allgemeinen Schulrichtung mit spezifischen inhaltlichen Merkmalen sprechen kann auch wenn diese nur begrenzt einen Bezug zum Ort Chartres aufweist daruber gehen die Meinungen auseinander Unter den Vertretern einer skeptischen Haltung die der Schule von Chartres kaum spezifische Konturen zubilligen war der 2001 gestorbene Richard Southern fuhrend Fur eine gewisse Profilierung einer geistigen Eigenart einer Gelehrtengruppe die man mit dem herkommlichen Namen Chartres bezeichnen mag sind u a wenn auch teils zuruckhaltend Heinrich Schipperges John Marenbon Nikolaus Haring Peter Dronke und Kurt Flasch eingetreten 4 Literatur BearbeitenTilman Evers Logos und Sophia Das Konigsportal und die Schule von Chartres Kiel 2011 Heinrich Flatten Die materia primordialis in der Schule von Chartres In Archiv fur Geschichte der Philosophie Band 40 1931 S 58 65 Bernhard D Haage Chartres Schule von In Werner E Gerabek Bernhard D Haage Gundolf Keil Wolfgang Wegner Hrsg Enzyklopadie Medizingeschichte De Gruyter Berlin New York 2005 ISBN 3 11 015714 4 S 239 Roland Halfen Chartres Band IV Die Kathedralschule und ihr Umkreis Stuttgart Berlin 2011 Edouard Jeauneau Macrobe source du platonisme chartrain In Studi medievali Band 1 1960 S 3 24 Raymond Klibansky The School of Chartes In Marshall Clagett Gaines Post Robert Reynolds Hrsg Twelth Century Europa and the Foundations of Modern Society Madison Milw London 1966 S 3 14 Michel Lemoine Clotilde Picard Parra Theologie et cosmologie au XIIe siecle L Ecole de Chartres Bernard de Chartres Guillaume de Conches Thierry de Chartres Guillaume de Saint Thierry Paris 2004 Texte in Ubersetzung John Marenbon Artikel Chartres School of in Routledge Encyclopedia of Philosophy Bd 2 1998 S 290 292 Heinrich Schipperges Chartres Schule von In Lexikon des Mittelalters LexMA Band 2 Artemis amp Winkler Munchen Zurich 1983 ISBN 3 7608 8902 6 Sp 1753 1759 Heinrich Schipperges Die Schulen von Chartes unter dem Einfluss des Arabismus In Sudhoffs Archiv Band 40 1956 S 193 219 Richard W Southern The schools of Paris and the school of Chartres in Renaissance and Renewal in the Twelfth Century Cambridge Mass 1982 S 113 137 Winthrop Wetherbee Platonism and Poetry in the Twelfth Century The Literary Influence of the School of Chartres Princeton 1972 Winthrop Wetherbee The School of Chartres in Jorge J E Gracia Timothy B Noone Hgg A Companion to Philosophy in the Middle Ages Blackwell Malden MA 2007Einzelnachweise Bearbeiten Nikolaus M Haring Clarembald of Arras Life and Works of Clarembald of Arras a Twelfth Century Master of the School of Chartres Toronto 1965 Pontifical Institute of Mediaeval Studies Studies and Texts Band 10 Jules Alexandre Clerval Les ecoles de Chartres au Moyen Age Paris 1895 Nachdruck Frankfurt Main 1965 Reginald L Poole The Masters of the Schools at Paris and Chartres in John of Salisbury s Time in The English Historical Review 139 1920 S 321 342 Peter Dronke New approaches to the School of Chartres in Anuario de estudios medievales 6 1969 S 117 140 Nikolaus M Haring Commentaries on Boethius by Thierry of Chartres and his school Toronto 1971 ders Chartres and Paris revisited in J R O Donnell Hg Essays in Honour of Anton Charles Pegis Toronto 1974 S 268 329 Richard W Southern Humanism and the School of Chartres in Southern Medieval Humanism and Other Studies Oxford 1970 S 61 85 Edouard Jeauneau Note sur l ecole de Chartres in Studi medievali 3a serie Bd 5 1964 S 821 865 auch in Edourad Jeauneau Lectio philosophorum Recherchen zur l Ecole de Chartres Amsterdam 1973 S 5 49 Kurt Flasch Das philosophische Denken im Mittelalter Von Augustin zu Machiavelli 2 Auflage Stuttgart 2001 S 255 258 Heinrich Schipperges Artikel Chartres Schule von in Lexikon des Mittelalters Bd 2 1982 Sp 1755 1757 Weblinks BearbeitenRalph McInerny 1 2 Vorlage Toter Link www2 nd edu The School of Chartres Seite nicht mehr abrufbar festgestellt im Juni 2018 Suche in Webarchiven in A History of Western Philosophy Bd 2 University of Notre Dame Press Notre Dame 1967 z T veralteter Forschungsstand Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Schule von Chartres amp oldid 235507448