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Scheintod auch lateinisch Vita reducta oder Vita minima das reduzierte bzw geringe Leben ist eine veraltete Bezeichnung fur einen Zustand in dem ein Mensch ohne Bewusstsein und scheinbar tot ist so dass unklar ist ob er noch lebt oder tot ist Das beruhte darauf dass die Mediziner lange Zeit lediglich mit Hilfe von Pulskontrolle dem Abhoren des Herzschlags und der Wahrnehmung der Atmung feststellen konnten ob ein Mensch noch lebt oder tot ist Inhaltsverzeichnis 1 Medizingeschichte 2 Kulturgeschichte 3 Ausstellung 4 Siehe auch 5 Literatur 5 1 Aktuelle Literatur 5 2 Historische Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseMedizingeschichte BearbeitenUm festzustellen ob ein Mensch nur ohne Bewusstsein ist oder tatsachlich der Tod eingetreten ist standen den Arzten fruher nur einfache Hilfsmittel zur Verfugung die Johann Georg Krunitz in der Oeconomischen Encyclopadie des 18 Jahrhunderts beschreibt Scheintoten als deutsches Substantiv erstmals 1788 1 gebraucht wurde ein Spiegel vor den Mund gehalten um zu sehen ob er durch den Atem beschlagt Weitere Hilfsmittel waren Kerzen und Federn die vor die Nase gehalten wurden oder ein Glas mit Wasser das auf die Brust gestellt wurde um an Wasserbewegungen zu sehen ob sie sich leicht hebt und senkt Was die ausserlichen Reizmittel und die chirurgischen Versuche anbetrifft die Nasenlocher durch rauhe Federn Salze Salmiak oder die flache Hand und Fusssohlen mit Stichen zu reizen und Schultern Arme oder andere Theile zu schropfen so haben diese Hulfsmittel bisweilen scheinbare Todte so wie gluhendes Eisen an der Fusssohle wieder ins Leben gebracht Oeconomische Encyclopadie 2 In jedem Zweifelsfall wurden Wiederbelebungsmassnahmen angewandt Man spritzt Pfeffer und Salzauflosung in den Mund Man blaset Mund auf Mund gelegt bei zugedruckter Nase langsam in die Lunge des anscheinenden Todten Luft herein Man gibt ihm Klystiere von Kochsalz ungefahr 2 bis 3 Loth desselben in warmen Wasser aufgeloset oder Tabacksauflosung Hierher gehoren auch die Tabacksrauchklystiere wenn ein Instrument vorhanden ist aus Krunitz 2 Als Eintrittspunkt des Todes sieht man heute gewohnlich den Moment an in welchem die Atmungs und Herztatigkeit Kreislaufstillstand der potentiell noch reversible klinische Tod oder die Gehirnaktivitat erlischt Hirntod der endgultige Individualtod Um den feststellenden Arzt vor einer strafrechtlich relevanten Fehldiagnose zu bewahren sollte nach Ansicht von Rechtsmedizinern 3 darauf geachtet werden dass der Arzt bis zum Eintreten der Totenflecken erste Anzeichen erkennbar spatestens 30 Minuten nach Eintritt des Todes oder bis zu einem anderen sicheren Nachweis zehnminutige EKG Null Linie Hirntodnachweis durch Elektroenzephalografie mit Massnahmen zur Wiederbelebung fortfahrt Auf Grund der modernen medizinischen Diagnostik kann der Tod eines Menschen in jedem Fall festgestellt werden der Begriff Scheintod wird fur Zustande der Bewusstlosigkeit und des Komas nicht mehr verwendet Im 19 Jahrhundert war der Begriff in der Medizin jedoch noch verbreitet Nachdem Christoph Wilhelm Hufeland bereits im 18 Jahrhundert auf die Problematik des Scheintodes aufmerksam gemacht 4 und damit den Bau von Leichenhausern mitangeregt hatte verfasste er 1808 eine Abhandlung mit dem Titel Der Scheintod in der er sich darum bemuhte den Zustand der Bewusstlosigkeit und der Asphyxie anhand verschiedener Merkmale vom Tod abzugrenzen Am haufigsten trat der Scheintod damals bei Neugeborenen bei scheinbar Ertrunkenen Erfrorenen Erhangten oder Erwurgten auf Der Scheintod tritt unter den verschiedensten Umstanden ein 1 S durch innere Krankheitszustande Hierher gehoren die tiefe Ohnmacht nach grosser Ermudung von langem Marschieren nach uberstandenen schweren Geburten ferner der S nach heftigen Krampfanfallen bei Hysterie Epilepsie und Eklampsie bei der Starrsucht und Lethargie manchmal bei der Cholera bei manchen narkotischen Vergiftungen Opium Blausaure Chloroform 2 S durch aussere Storungen nach hohen Graden von Gehirnerschutterung nach schweren Verwundungen mit gleichzeitiger Erschutterung oder mit bedeutendem Blutverlust nach starken Blutungen uberhaupt besonders bei Wochnerinnen und kleinen Kindern 3 S durch spezifische Ursachen Hierher gehoren der S der Neugeborenen wegen noch nicht eingeleiteter Atmung der S durch Ertrinken Erhangen etc der S durch irrespirable Gase durch fremde Korper im Schlund etc Meyers Konversationslexikon 1895Kulturgeschichte BearbeitenDas Phanomen des Scheintods spielte bereits in der Antike eine Rolle Bei den Romern hatten so genannte Pollinctores die Aufgabe die Toten mehrfach mit warmem Wasser zu waschen ihnen die Augen zuzudrucken und sie mehrere Male mit ihrem Namen anzurufen Wenn sie daraufhin kein Lebenszeichen von sich gaben wurden sie auf den Boden gelegt und mit einem Tuch bedeckt 5 Berichte von wieder erwachten Scheintoten sind unter anderem durch Valerius Maximus Plutarch und Demokrit uberliefert 6 Vom 17 bis ins 19 Jahrhundert im Zeitalter der Aufklarung herrschte in Europa Angst lebendig begraben zu werden im Grab aufzuwachen und einen angsterfullten Erstickungstod sterben zu mussen Immer wieder traten Berichte uber Leichen auf die nach der Exhumierung in merkwurdigen Positionen gelegen haben sollen Oft seien die Augen weit offen oder die Arme gegen das Oberteil des Sarges gedruckt gewesen Auch wurde von Kratzern an der Innenseite des Sargoberteils erzahlt die die Verstorbenen mit blossen Fingern in das Holz gekratzt haben sollen Daher wurden in Testamenten oft Lagerfristen festgelegt oder es wurde verfugt dass vor einer Bestattung die Pulsader durchschnitten werden sollte Ausserdem gab es spezielle Vorrichtungen wie mit Gas gefullte Sarge offene Sarge die mit Erde zugeschuttet wurden um einen schnellen Erstickungstod hervorzurufen oder auch offene Sarge mit Leitern welche die Moglichkeit bieten sollten dem Grab zu entsteigen 7 Kaiser Joseph II erliess eine Sanitatsverordnung die eine Beerdigung von Toten fruhestens nach 48 Stunden erlaubte wie es auch in einem 1780 erlassenen Gesetz in Wurttemberg formuliert worden war 8 Damit sollte ein Begrabnis Scheintoter weniger wahrscheinlich gemacht werden 9 In Osterreich Ungarn und bis 1900 in der Schweiz konnte man den Herzstich verfugen Ein Arzt stosst dem Verstorbenen einen Dolch in das Herz wo dieser verbleibt Anderen wurden kleine Glocken an die Finger oder Fusse gehangt oder eine Signalvorrichtung im Sarg befestigt Ende des 18 Jahrhunderts wurden auf Grund der Unsicherheit von durch Spiegelproben oder Pulsfuhlen durchgefuhrten Todesfeststellungen und einer zunehmenden Angst vor dem Lebendig Begrabenwerden offentliche Leichenhauser 10 errichtet In Meyers Konversationslexikon wird Ende des 19 Jahrhunderts festgestellt Die Erfahrung hat gelehrt dass in den besteingerichteten Leichenhallen Munchen Weimar seit vielen Jahren und unter vielen tausend Fallen noch nie der Fall vorgekommen ist dass ein dort deponierter Korper das geringste Lebenszeichen wieder von sich gegeben hatte Ahnlich hatte sich bereits 1849 der Esslinger Oberamtsarzt Ernst Gottlieb Steudel ausgedruckt und auf die im Verhaltnis zum Nutzen seiner Meinung nach zu hohen Kosten der damaligen Leichenschauen zur Scheindtoddiagnostik verwiesen 11 Viele Uberlieferungen von Scheintodfallen haben anekdotenhafte Zuge Tatsachlich vorgekommen sind Fehldiagnosen mit grosser Wahrscheinlichkeit bei Epidemien wenn innerhalb kurzer Zeit sehr viele Erkrankungen und Todesfalle auftraten Relativ bekannt wurde die Geschichte vom lieben Augustin einem Wiener Original das in den Wirtshausern zur Zeit der Pest aufspielte und eines Tages vollig betrunken zusammen mit Pestopfern in ein Massengrab geworfen wurde Da es noch nicht gefullt war wurde es nicht gleich mit Erde bedeckt und der liebe Augustin konnte ausgenuchtert dem Grab wieder entsteigen 12 Angst davor lebendig begraben zu werden hatten beispielsweise Johann Nestroy Edgar Allan Poe Friederike Kempner Hans Christian Andersen und Alfred Nobel Dostojewski legte regelmassig Zettel neben sein Bett Sollte ich in lethargischen Schlaf fallen begrabe man mich nicht vor Tagen 13 In der Literatur wurde das Thema Scheintod im Jahre 2012 von dem Schriftsteller Francis Nenik in seinem Roman xo wieder aufgegriffen und die zahlreichen im Leichenhaus durchgefuhrten Methoden zur Absicherung des Todes vom Scheintod sowie die mit der Angst vorm Scheintod verbundenen Grabsitten Glocken uber den Grabern Sprechrohre etc ausfuhrlich beschrieben 14 Ausstellung BearbeitenIm Medizinhistorischen Museum der Charite Berlin begann am 20 April 2018 die bis zum 31 Marz 2019 dauernde Ausstellung zur Veranschaulichung der Geschichte des Themas Scheintot Uber die Ungewissheit des Todes und die Angst lebendig begraben zu werden 15 16 17 Siehe auch BearbeitenGlasgow Coma Scale Vitalfunktion Todeszeichen Supravitalitat intermediares Leben Lazarus Phanomen Taphephobie LeichenschauLiteratur BearbeitenAktuelle Literatur Bearbeiten Margrit Augener Scheintod als medizinisches Problem im 18 Jahrhundert Medizinische Dissertation Kiel 1965 Axel W Bauer Scheintod In Werner E Gerabek Bernhard D Haage Gundolf Keil Wolfgang Wegner Hrsg Enzyklopadie Medizingeschichte De Gruyter Berlin New York 2005 ISBN 3 11 015714 4 S 1291 Dominik Gross Die Behandlung des Scheintods in der Medizinalgesetzgebung des Konigreichs Wurttemberg 1806 1918 In Wurzburger medizinhistorische Mitteilungen Band 16 1997 S 15 33 Tankred Koch Lebendig begraben Geschichte und Geschichten vom Scheintod Edition Leipzig 1990 ISBN 3 361 00299 0 Martin Patak Die Angst vor dem Scheintod in der 2 Halfte des 18 Jahrhunderts Medizinische Dissertation Zurich 1967 Steffen Schafer Scheintod Auf den Spuren alter Angste Morgenbuch Verlag Berlin 1994 ISBN 3 371 00375 2 Ingrid Stoessel Scheintod und Todesangst Ausserungsformen der Angst in ihren geschichtlichen Wandlungen 17 20 Jahrhundert Medizinische Dissertation Koln 1983 Falk Wiesemann Auch die Angst hat ihre Mode Die Angst vor dem Scheintod in der Zeit von Aufklarung und Romantik Klartext Essen 2004 ISBN 3 89861 018 7 Historische Literatur Bearbeiten Josef Bernt Vorlesungen uber die Rettungsmittel beim Scheintod und in plotzlichen Lebensgefahren Wien 1837 C J Flachsland Uber die Behandlung der Scheintoten Karlsruhe 1806 J M Huber Die Totenbeschau nach dem Standpunkt der neuen Wissenschaft zur Verhutung des Lebendigbegrabenwerdens Innsbruck 1852 J G Jancke Abhandlung von der Ungewissheit der Kennzeichen des Todes und dem Missbrauch der mit ubereilter Beerdigung und Einbalsamierung vorgeht Nach J J Bruhier Leipzig Kopenhagen 1754 G Reimer Anweisung zur zweckmassigen Behandlung und Rettung der Scheintodten oder durch plotzliche Zufalle verungluckter Personen Herausgegeben auf Veranlassung des koniglichen Ministerii der geistlichen Unterichts und Medizinal Angelegenheiten Berlin 1820 J N Schosulan Anleitung alle Arten des Scheintodes auf die fasslichste und sicherste Art zu erkennen die Unglucklichen wiederzubeleben besonders fur Nichtarzte Wien 1803 Christian August Struve Der Lebensprufer oder Anwendung des von mir erfundenen Galvanodesmos zur Bestimmung des wahren vom Scheintodte um das Lebendigbegraben zu verhindern Hannover 1805 Weblinks Bearbeiten nbsp Wiktionary Scheintod Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme Ubersetzungen Jos A Massard Scheintod Lebendigbegraben Auferweckung von Toten in Luxemburg und anderswo PDF 1 8 MB In Letzebuerger Journal Nr 215 5 Nov 2008 S 24 25 und Nr 216 6 Nov S 23 Anmerkungen und Quellen PDF Datei 1 32 MB Einzelnachweise Bearbeiten Johann Peter Frank Von der Gefahr lebendig begraben zu werden und von allzuspatem Begrabniss In Johann Peter Frank Hrsg System einer vollstandigen medicinischen Polizey Band 4 Mannheim 1788 S 672 749 a b Scheintod In Johann Georg Krunitz Oeconomische Encyclopadie Thomas Gorger Scheintod Frau starb in der Leichenhalle Nicht mehr online verfugbar WDR 8 Marz 2002 archiviert vom Original am 8 September 2005 abgerufen am 30 Mai 2012 Christoph Wilhelm Hufeland Ueber die Ungewissheit des Todes und das einzige untrugliche Mittel sich von seiner Wirklichkeit zu uberzeugen und das Lebendigbegraben unmoglich zu machen nebst Nachricht von der Errichtung eines Leichenhauses in Weimar Weimar 1791 Tankred Koch Lebendig begraben Geschichte und Geschichten vom Scheintod 1990 S 34 Tankred Koch Lebendig begraben Geschichte und Geschichten vom Scheintod 1990 S 35 ff Benjamin Georg Pessler Leicht anwendbarer Beistand der Mechanik um Scheintodte beim Erwachen im Grabe auf die wohlfeilste Art wieder heraus zu erretten Braunschweig 1798 Dominik Gross Die Behandlung des Scheintods in der Medizinalgesetzgebung des Konigreichs Wurttemberg 1806 1918 In Wurzburger medizinhistorische Mitteilungen Band 16 1997 S 15 33 hier S 16 Axel W Bauer Die Pathographie Wolfgang Amade Mozarts Moglichkeiten und Probleme einer retrospektiven Diagnostik In Wurzburger medizinhistorische Mitteilungen Band 25 2006 S 153 173 hier S 153 Manfred Wenzel Leichenhauser In Werner E Gerabek Bernhard D Haage Gundolf Keil Wolfgang Wegner Hrsg Enzyklopadie Medizingeschichte Walter de Gruyter Berlin New York 2005 ISBN 3 11 015714 4 S 836 f E G von Steudel Altbau und Neubau des Medizinal Wesens in Wurttemberg unter Berucksichtigung der entsprechenden Zustande in andern Landern und der neuen Verbesserungs Vorschlage Esslingen 1849 S 43 f Tankred Koch Lebendig begraben Geschichte und Geschichten vom Scheintod 1990 S 66 Jacques Catteau Dostoevsky and the process of literary creation Cambridge 2003 S 103 Francis Nenik xo Roman PDF Abgerufen am 26 Januar 2012 bmm charite de Ulrike Henning Ein Sarg mit Beluftung Warum sich Brecht posthum ins Herz stechen liess Eine Ausstellung in Berlin verfolgt die Angst vor Scheintod und Lebendig Begrabensein bis in die Gegenwart In Neues Deutschland 5 6 Mai 2018 S 23 Astrid Viciano Ein bisschen tot In Suddeutsche Zeitung 7 8 Juli 2018 S 36 f Normdaten Sachbegriff GND 4139974 2 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Scheintod amp oldid 224980257