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Richard Saage 3 April 1941 in Tulau Provinz Hannover ist ein deutscher Politologe und emeritierter Professor fur Politische Theorie und Ideengeschichte mit den Forschungsschwerpunkten Geschichte der politischen Ideen und der Sozialutopien Demokratietheorien Theorien uber den Faschismus Politische Konzeptionen der Sozialdemokratie in der Zwischenkriegszeit in Deutschland und Osterreich sowie Deutscher Konservatismus Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Forschung 3 Schriften Auswahl 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseLeben BearbeitenSaage studierte zwischen 1965 und 1972 in Frankfurt am Main Politikwissenschaft Philosophie und Geschichte und wurde dort 1972 bei Iring Fetscher mit einer Arbeit uber die Staats und Gesellschaftstheorie Immanuel Kants promoviert Nach einem Studienaufenthalt an der Harvard University 1972 73 war er von 1973 bis 1976 wissenschaftlicher Assistent bei Helga Grebing am Lehrstuhl fur Neuere Geschichte an der Universitat Gottingen 1976 wurde er gleichfalls in Gottingen Akademischer Rat und 1984 apl Professor am Seminar fur Politikwissenschaft Habilitiert hat er sich 1981 mit einer Arbeit uber die Vertragslehre in der Niederlandischen und Englischen Revolution Von 1992 bis 2006 war er Professor fur Politische Theorie und Ideengeschichte am Institut fur Politikwissenschaft der Martin Luther Universitat Halle Wittenberg Seit 1998 ist er ordentliches Mitglied der Sachsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig 2021 erhielt Saage den Victor Adler Staatspreis fur Geschichte sozialer Bewegungen Forschung BearbeitenEigentum Staat und Gesellschaft bei Immanuel KantIn der 1973 publizierten Dissertation 2 Aufl 1994 geht es um die strukturelle Verklammerung von Kants Eigentumsbegriff mit seiner praktischen Philosophie Dazu betrachtet Saage die kantsche Rechtslehre aus der hermeneutischen Perspektive des Besitzindividualismus und knupft damit an die einflussreichen Arbeiten des kanadischen Politikwissenschaftlers C B Macpherson an der mit diesem interpretativen Rahmen die Genese des englischen Fruhliberalismus und die Krise der liberalen Demokratie untersucht hatte Damit betrat Saage Neuland insbesondere bei der Interpretation der Metaphysik der Sitten die quer stand zur gleichzeitig einsetzenden liberalen Aufwertung Kants im Gefolge von John Rawls Veroffentlichung A Theory of Justice 1972 Saage leitet die besitzindividualistische Komponente von Kants Eigentumsbegriff direkt aus der Struktur von Kants Eigentumserwerbstheorie ab Da Kant die Eigentumsentstehung als individuellen Okkupationsakt entwirft kann demonstriert werden wie deren Rechtmassigkeit allein vom Zeitpunkt der Besitzergreifung abhangt und daher gegenuber der materialen Verteilung gleichgultig ist Jede sozialstaatliche Interpretation von Kants Rechtslehre musse daher berucksichtigen dass Kant auf der Basis einer relativ breiten Streuung des Besitzes am Boden fur einen Eigentumsbegriff optiert der von sozialen Restriktionen weitgehend entlastet ist 1 Insofern ist die besitzburgerliche Instrumentalisierung des Staates uber den Rechtsbegriff bereits in die theoretischen Pramissen der Eigentumslehre eingeschrieben und wird durch die negative Anthropologie die die menschliche Triebstruktur im Prinzip mit derjenigen des konkurrierenden Besitzburgers 2 identifiziert noch verstarkt Das Grundprinzip des kantschen Minimalstaates hat Saage spater sehr pointiert zusammengefasst Jeder hat das Recht auf Eigentum wenn er welches hat aber kein Recht auf Eigentum wenn er keines hat 3 Gleichwohl kann die kantsche Rechtstheorie vor dem Hintergrund einer vorindustriellen Gesellschaft laut Saage durchaus noch als fortschrittlich gelten Aber In langfristiger Perspektive musste sein Gesellschaftsmodell konservativ werden weil er die Entfaltung der Marktgesellschaft auf dem Niveau der Kleinproduktion als vollendet betrachtete 4 Saages Dissertationsschrift wurde intensiv rezipiert wobei sich die Kritik auf die Unterschatzung des Postulats der praktischen Vernunft lex permissiva fur die Eigentumsableitung Metaphysik der Sitten 2 und auf die Uberschatzung der utilitaristischen Anthropologie fur die Staatsbildung bezog UtopieforschungSaage veroffentlichte 1991 seine Studie uber die Politischen Utopien der Neuzeit in einer paradoxen Situation Einerseits hatte eine unerwartete demokratische Revolution gerade die staatssozialistischen Regime in Osteuropa hinweggefegt und damit die utopische Fantasie der Politik beflugelt Anderseits war bereits absehbar dass sich die utopische Energie dieser Emanzipationsbewegung in einer bloss nachholenden Revolution Habermas erschopfte die sich zwar ursprunglich am sozialdemokratischen Sozialstaat westeuropaischen Typs orientierte deren politische Dynamik aber gleichwohl vom neoliberalen Diskurs geschickt zum Ausbau der eigenen Hegemonie genutzt und zur Destruktion der alten sozialdemokratischen Errungenschaften kanalisiert wurde Symptomatisch dafur war dass die kurzzeitige Konjunktur politischer Utopie im Gefolge der Revolution im hegemonialen Rahmen der Totalitarismusdoktrin zu diesem Zeitpunkt bereits zu einer negativen Utopie d h einem ebenso illusionaren wie gefahrlichen Nicht Ort geworden war Das Zusammenfallen mit dem politischen Umkippen des Utopiebegriffs sicherte Saages Monografie eine grosse offentliche Aufmerksamkeit Ausgehend von den ebenso archetypischen wie paradigmatischen Entwurfen bei Platon und Thomas Morus wird hierin die neuzeitliche Traditionslinie der politischen Utopie von Tommaso Campanella bis hin zu Marge Piercy untersucht Innovativ fur die Utopieforschung war insbesondere die ausfuhrliche Einbeziehung der schwarzen Utopien Dystopien im Anschluss an Jewgeni Iwanowitsch Samjatin und die Wurdigung postmaterialistischer und feministischer Utopieentwurfe Ernest Callenbach Ursula K Le Guin Das methodische Fundament von Saages Utopieforschung stellt der zugrunde gelegte Utopiebegriff dar Im Anschluss an Norbert Elias geht Saage davon aus dass politische Utopien Fiktionen innerweltlicher Gesellschaften sind die sich entweder zu einem Wunsch oder einem Furchtbild verdichten Ihre Zielprojektion zeichnet sich durch eine prazise Kritik bestehender Institutionen und sozio politischer Verhaltnisse aus der sie eine durchdachte und rational nachvollziehbare Alternative gegenuberstellt 5 Politische Utopien loten innerweltlich greifbare Moglichkeiten des auch anders sein Konnens aus und sind somit stets zukunftsorientiert gerichtet 6 Sie unterscheiden sich von diversen Fiktionen wie etwa metaphysisch oder religios motivierten Zukunftserwartungen oder Vergangenheitsinterpretationen ebenso wie von Traumen Marchen oder Mythen Der Mensch wird konstruktiv als erschaffendes Subjekt aufgefasst dem Kontraktualismus hobbesscher und lockscher Pragung ahnlich auch wenn in der Utopie im Gegensatz zum subjektiven Naturrecht eine dem Einzelnen vorangestellte Vernunftidee zugrunde gelegt wird Auch Dystopien konnen die Eigenschaft als Utopie beibehalten sofern sie als Negativfolie diskursiv auf gesellschaftliche Alternativen hinweisen und stellen insofern ebenfalls politische Utopien dar da sie die von Gemeinwesen affirmativ oder aversiv interpretierten Imaginationen reprasentieren Weitere Literaturgenres wie die Robinsonade der Bildungsroman die Schaferidylle Fokus auf Individuen die Satire ohne Alternativoption oder Science Fiction Marginalisierung der sozialen Dimension sind somit von der politischen Utopie zu unterscheiden Ebenfalls im Gegensatz dazu steht das Bilderverbot der Grundungsvater des Marxismus welches die konkrete Gestalt des zukunftigen kommunistischen Reichs der Freiheit offenliess wahrend die Utopie gerade darin ihren Kern findet Obgleich Saage damit einen engen idealtypischen Utopiebegriff anlegt der das heuristische Kontrastpotential scharfen soll und dafur das Defizit historischer Vollstandigkeit in Kauf nimmt ist der Begriff der politischen Utopie nicht auf staatlich verfasste Gesellschaften begrenzt Deshalb wird an die Unterscheidung zwischen archistischer d h herrschaftsbezogener und anarchistischer d h herrschaftsfreier Utopie angeknupft die Andreas Voigt bereits 1906 vorgeschlagen hatte 7 Kritik zog insbesondere die enge Fassung des Utopiebegriffs auf sich der zu dogmatisch an den klassischen Utopiebegriff von Morus anknupfe Durch die Ausblendung der intentionalen Utopiedimension gerate auch der materialistische Messianismus des Marxismus wie er insbesondere von Ernst Bloch und Walter Benjamin vorgetragen wurde aus dem utopischen Blickfeld 8 Saage hat auf diese Kritik im Vorwort zur zweiten Auflage reagiert 9 und durch vertiefte historische Forschungen zu entkraften gesucht 10 Schriften Auswahl BearbeitenMonographien1973 Eigentum Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant Kohlhammer Stuttgart 1973 2 aktualisierte Auflage Nomos Baden Baden 1994 ISBN 3 7890 3489 4 11 1976 Faschismustheorien Eine Einfuhrung Beck Munchen 1976 4 durchgesehene Auflage Faschismustheorien Nomos Baden Baden 1997 ISBN 3 7890 4760 0 12 1981 Herrschaft Toleranz Widerstand Studien zur politischen Theorie der Niederlandischen und der Englischen Revolution Suhrkamp Frankfurt 1981 ISBN 3 518 07585 3 1983 Ruckkehr zum starken Staat Studien uber Konservatismus Faschismus und Demokratie Suhrkamp Frankfurt am Main 1983 ISBN 3 518 11133 7 1987 Arbeiterbewegung Faschismus Neokonservatismus Suhrkamp Frankfurt am Main 1987 ISBN 3 518 28289 1 1989 Vertragsdenken und Utopie Studien zur politischen Theorie und zur Sozialphilosophie der fruhen Neuzeit Suhrkamp Frankfurt am Main 1989 ISBN 3 518 28377 4 1990 Das Ende der politischen Utopie Suhrkamp Frankfurt am Main 1990 ISBN 3 518 28510 6 1997 Utopieforschung Eine Bilanz Primus Verlag Darmstadt 1997 ISBN 3 89678 037 9 2000 Politische Utopien der Neuzeit Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1991 2 Auflage Winkler Bochum 2000 ISBN 3 930083 52 3 13 2001 Utopische Profile Band 1 Renaissance und Reformation Lit Munster 2001 ISBN 3 8258 5428 0 2002 Utopische Profile Band 2 Aufklarung und Absolutismus Lit Munster 2002 ISBN 3 8258 5429 9 2002 Utopische Profile Band 3 Industrielle Revolution und Technischer Staat im 19 Jahrhundert Lit Munster 2002 ISBN 3 8258 5430 2 2004 Utopische Profile Band 4 Widerspruche und Synthesen des 20 Jahrhunderts Lit Munster 2004 ISBN 3 8258 5431 0 2005 Demokratietheorien Historischer Prozess Theoretische Entwicklung Soziotechnische Bedingungen Eine Einfuhrung VS Wiesbaden 2005 ISBN 3 531 14722 6 2011 Philosophische Anthropologie und der technisch aufgerustete Mensch Winkler Bochum 2011 ISBN 3 89911 184 2 2012 Zwischen Darwin und Marx Zur Rezeption der Evolutionstheorie in der deutschen und der osterr Sozialdemokratie vor 1933 34 Bohlau Wien 2012 ISBN 3 205 78803 6 2016 Der erste Prasident Karl Renner eine politische Biografie Paul Zsolnay Verlag Wien 2016 ISBN 978 3 552 05773 9 Artikel und Aufsatze1999 Ikarischer Kommunismus Zu Etienne Cabets utopischem Roman Reise nach Ikarien In Utopie kreativ Heft 108 Oktober 1999 S 73 85 Online als pdf 2004 Wie zukunftsfahig ist der klassische Utopiebegriff In Utopie kreativ Heft 165 Juli 2004 S 617 636 Online als pdf 2007 Renaissance der Utopie In Utopie kreativ Heft 201 Juli 2007 S 605 617 Online als pdf 2008 Faschismustheorien Ihre Bedeutung fur die Forschung und die politische Bildung In Utopie kreativ Heft 215 September 2008 S 773 784 Online als pdfLiteratur BearbeitenWalter Reese Schafer u a Hrsg Modell und Wirklichkeit Anspruch und Wirkung politischen Denkens Festschrift fur Richard Saage zum 60 Geburtstag MDV Halle 2001 Axel Rudiger Eva Maria Seng Hrsg Dimensionen der Politik Aufklarung Utopie Demokratie Festschrift fur Richard Saage zum 65 Geburtstag Duncker und Humblot Bln 2006 Alexander Amberger Thomas Mobius Hrsg Auf Utopias Spuren Utopie und Utopieforschung Festschrift fur Richard Saage zum 75 Geburtstag Springer VS Wiesbaden 2017 Maximilian Forschner Besprechung des Buches Eigentum Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant in Philosophisches Jahrbuch 81 1974 227 231 Weblinks BearbeitenLiteratur von und uber Richard Saage im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Richard Saage auf der Website der Sachsischen Akademie der Wissenschaften zu LeipzigRezensionenBettina Dietz Richard Saage Utopische Profile In Sehepunkte Ausgabe 5 2005 Nr 3 15 Marz 2005 Petra Schaper Rinkel Geschichte allgemein Utopische Profile In H Soz u Kult 22 September 2008 Einzelnachweise Bearbeiten Saage Eigentum Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant 2 akt Aufl Vorwort von Franco Zotta Kant und der Besitzindividualismus Nomos 1994 S 90 Saage Eigentum Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant 2 akt Aufl Vorwort von Franco Zotta Kant und der Besitzindividualismus Nomos 1994 S 83 Richard Saage Vertragsdenken und Utopie Studien zur politischen Theorie und zur Sozialphilosophie der fruhen Neuzeit Frankfurt am Main 1989 S 195 Saage Eigentum S 190 Richard Saage Politische Utopien der Neuzeit Darmstadt 1991 S 2 Richard Saage Politische Utopien der Neuzeit Darmstadt 1991 S 3 Andreas Voigt Die sozialen Utopien Funf Vortrage Leipzig 1906 Arnhelm Neususs Von der Versuchung zum Uberschuss Zweierlei Utopie oder dieselbe in Politische Vierteljahresschrift 33 Jg 1992 S 107 112 Richard Saage Utopisches Denken und kein Ende Zur Rezeption eines Buches in ders Politische Utopien der Neuzeit 2 Auflage Bochum 2000 Vorwort Richard Saage Utopische Profile 4 Bde Politica et Ars Bd 1 4 Munster Hamburg London 2001 2003 LIT Verlag Munster Mit einem Vorwort von Franco Zotta Kant und der Besitzindividualismus Mit einem Vorwort Zwanzig Jahre danach Faschismustheorien und ihre Kritiker Mit einem Vorwort Utopisches Denken und kein Ende Zur Rezeption eines Buches Normdaten Person GND 123510252 lobid OGND AKS LCCN n81071305 VIAF 66479836 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Saage RichardKURZBESCHREIBUNG deutscher Politologe HochschullehrerGEBURTSDATUM 3 April 1941GEBURTSORT Tulau Provinz Hannover Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Richard Saage amp oldid 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