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Der Reichsratekongress auch Reichskongress der Arbeiter und Soldatenrate genannt war die erste ordentliche Zentralversammlung der Arbeiter und Soldatenrate nach der Novemberrevolution von 1918 und tagte vom 16 bis 21 Dezember 1918 im Gebaude des preussischen Abgeordnetenhauses in Berlin Inhaltsverzeichnis 1 Vorbereitung und Zusammensetzung 2 Verhandlungen und Ergebnisse 2 1 Ratesystem oder parlamentarische Demokratie 2 2 Konflikte um die Aufgaben des Zentralrates der Arbeiter und Soldatenrate 2 3 Sozialisierung und Militarfrage 2 4 Zweiter Reichsratekongress 3 Protokolle 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseVorbereitung und Zusammensetzung BearbeitenSiehe auch Liste der Delegierten der Reichsratekongresse nbsp Erster Reichskongress der Arbeiter und Soldatenrate im preussischen Abgeordnetenhaus in Berlin Auf der Ministerbank von rechts nach links die Volksbeauftragten Barth Ebert Landsberg ScheidemannDie Einberufung des Kongresses ging auf die Initiative des Berliner Vollzugsrates der Arbeiter und Soldatenrate zuruck der sich selbst nur als eine provisorische Spitze der Arbeiter und Soldatenrate sah Einen allgemeinen Wahlmodus gab es nicht die Art und Weise der Delegiertenbestimmung war den lokalen Raten uberlassen Auf etwa 200 000 Einwohner kam ein Delegierter Fur die Armeeangehorigen wurde ein Abgesandter fur 100 000 Soldaten gewahlt Die Wahlen selbst fanden zumeist auf Landes Bezirks oder Provinzebene durch die jeweiligen Rateorganisationen statt Auch die Mehrzahl der gewahlten Delegierten standen uberwiegend auf Seiten der gemassigten Linken Von den insgesamt 490 Raten 406 Arbeiterrate und 84 Soldatenrate stellten die Anhanger der MSPD 298 Delegierte die Vertreter von USPD waren mit 101 Delegierten vertreten Unter diesen waren die Anhanger der Spartakusgruppe mit 10 Delegierten eine verschwindende Minderheit Hinzu kamen 25 Mitglieder der Demokraten 2 Syndikalisten 26 Soldatenrate und 49 Arbeiterrate machten keine Angaben uber ihre politische Zugehorigkeit 1 Nur zwei der Delegierten waren Frauen Klara Noack eine Dresdner MSPD Politikerin und Kathe Leu eine Danziger USPD lerin die am letzten Sitzungstag das Wort ergriff 2 und zum Antrag sprach Der Kongress erklart es fur die besondere Aufgabe der Revolution die bisher auf allen Lebensgebieten zuruckgesetzten Interessen der Frauen uberall tatkraftig zu fordern 3 Das Berliner Tageblatt schrieb Sie spricht mit einer bemerkenswerten Fertigkeit fur den Ausbau der revolutionaren Errungenschaften der aber nur durch Einigkeit moglich sei 4 Ossip K Flechtheim hat im Ruckgriff auf die Angaben von Richard Muller versucht die Delegierten nach verschiedenen Berufsgruppen zu erfassen Demnach waren 71 Delegierte der Gruppe der Intellektuellen zugeordnet 195 waren als Redakteure Gewerkschafts oder Parteisekretare o a hauptberuflich bei den Arbeiterparteien oder Gewerkschaften beschaftigt Immerhin 179 waren Arbeiter oder Angestellte aus der Wirtschaft 1 Zu Vorsitzenden der Versammlung wurden Friedrich Seger USPD Robert Leinert MSPD und Josef Gomolka als Vertreter der Soldaten gewahlt das Eingangsreferat hielt Richard Muller der Vorsitzende des Berliner Vollzugsrates Verhandlungen und Ergebnisse BearbeitenRatesystem oder parlamentarische Demokratie Bearbeiten nbsp Berliner Abgeordnetenhaus um 1900 Es gab in der Versammlung eine Minderheit entschiedener Befurworter eines politischen Ratesystems zu ihnen gehorte etwa Richard Muller Bezeichnend fur die Schwache des linken Flugels war dass Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg kein Mandat erringen konnten und der Antrag beide als Gaste mit beratender Stimme anzuerkennen scheiterte Auch Ernst Daumig USPD von den Revolutionaren Obleuten gehorte zu den Vertretern eines reinen Ratesystems und stellte einen entsprechenden Beschlussantrag Dieser sah vor das Ratesystem zur Grundlage der Verfassung der deutschen sozialistischen Republik zu machen und den Arbeiter und Soldatenraten die hochste gesetzgebende und vollziehende Gewalt zuzuschreiben Aber die Mehrheitsverhaltnisse liessen diese Position zu einer Minderheitenmeinung werden und der Antrag wurde mit 344 zu 98 Stimmen abgelehnt Richard Muller sprach spater aus was die enttauschte revolutionare Linke von diesem Ergebnis hielt Dieser Zentralkongress war das erste revolutionare Tribunal Deutschlands aber von revolutionarer Luft war da nichts zu merken Ich habe vorher meine Erwartungen nicht allzu hoch gestellt aber dass dieser Kongress zu einem politischen Selbstmorderklub werden wurde das habe ich nicht geglaubt 5 Das Ergebnis des Kongresses war letztlich eine Bestatigung der Politik des Rates der Volksbeauftragten um Friedrich Ebert Auf Antrag des Mehrheitssozialdemokraten Max Cohen sprachen sich etwa 400 gegen 50 Delegierte fur die Wahl der Nationalversammlung am 19 Januar 1919 aus Dies war ein deutlich fruherer Termin als ihn der Rat der Volksbeauftragten anstrebte Durchaus nicht zu Unrecht kritisierte die Linke dass der gemassigte Flugel mit einer fruhen Wahl beabsichtigt hatte die Revolution zu einem Ende zu bringen Konflikte um die Aufgaben des Zentralrates der Arbeiter und Soldatenrate Bearbeiten nbsp Eroffnungsrede von Richard MullerEin vom Kongress zu wahlender Zentralrat sollte als Ersatz fur ein Parlament die Regierung einsetzen und ihre Entscheidungen uberwachen Dabei gab es gerade in diesem Punkt erhebliche Differenzen zwischen der MSPD und der USPD Hugo Haase der Vorsitzende der USPD definierte den Uberwachungsauftrag so dass dem Zentralrat alle Gesetze vorzulegen seien und die wichtigsten mit ihm zu beraten seien Die Mehrheit der USPD Delegierten wollte noch eine weitergehende Regelung durchsetzen Danach sollte der Zentralrat das volle Recht haben Gesetzen zuzustimmen oder abzulehnen Die Mehrheitssozialdemokraten sahen dagegen den politischen Bewegungsspielraum des Rates der Volksbeauftragten in Gefahr und drohten mit ihrem Ruckzug aus der Regierung im Reich und in Preussen sollte die Mehrheit der Versammlung der USPD folgen Innerhalb der USPD setzte sich gegen Widerstand von Haase der linke Flugel mit dem Antrag eines Boykotts der Wahl zum Zentralrat durch Die Folge war dass in dem 17 Mitglieder umfassenden Gremium nur Mehrheitssozialdemokraten vertreten waren Ohne die Beteiligung der USPD oder gar noch weiter links oder rechts stehender politischer Krafte spielte der Zentralrat der Deutschen Sozialistischen Republik als Gegengewicht zum Rat der Volksbeauftragten keine nennenswerte Rolle Am 4 Februar 1919 ubertrug der Zentralrat der sich bis dahin u a mit sozial und arbeitspolitischen Fragen befasst hatte seine ohnehin beschrankten Kompetenzen der Weimarer Nationalversammlung Die Schaffung des Zentralrates war im Wesentlichen der einzige Zentralisierungsansatz der Ratebewegung Eine geplante Reichszentrale der Soldatenrate etwa trat nie zusammen Zur mangelnden Aktivitat der Zentrale trug nicht zuletzt bei dass diese mehrheitlich von der MSPD gestellt wurde die sich langst fur den parlamentarischen Weg und die Wahl einer Nationalversammlung entschieden hatte Von Bedeutung war der Konflikt um den Zentralrat fur die politische Richtung insgesamt dadurch dass dies dazu beitrug das Misstrauen zwischen den Koalitionspartnern MSPD und USPD zu verstarken das letztlich zum Auseinanderfallen der Regierung nach den Weihnachtskampfen fuhrte Sozialisierung und Militarfrage Bearbeiten Wahrend die Mehrheitssozialdemokratie hinsichtlich der kunftigen Verfassung mit den Ergebnissen des Kongresses zufrieden sein konnte gab es in anderen Fragen doch deutlich linkere Verhandlungsergebnisse Dazu zahlte der mit grosser Mehrheit angenommene Beschluss unverzuglich die Sozialisierung der dafur reifen Industrien insbesondere des Bergbaus einzuleiten Auch die Beschlusse zur Militarpolitik die wegen ihrer Urheber aus der Hansestadt sogenannten Hamburger Punkte lagen keineswegs auf der Linie Eberts Der Ratekongress verlangte dass die Regierung die militarische Kommandogewalt nur unter Kontrolle des neu zu schaffenden Zentralrates der Arbeiter und Soldatenrate ausuben konne Symbolhaft als Kampf gegen den Militarismus wurden alle Rangabzeichen und das Waffentragen ausserhalb des Dienstes abgeschafft Wichtiger aber war dass die Soldaten ihre Anfuhrer zukunftig selbst wahlen und fur die Aufrechterhaltung der Disziplin letztlich die Soldatenrate verantwortlich sein sollten An die Stelle des stehenden Heeres sollte eine milizahnliche Volkswehr treten Die Volksbeauftragten Ebert Scheidemann und Lansberg nahmen nicht offentlich gegen diese Beschlusse Stellung gleichwohl erlangten sie keinerlei praktische Bedeutung Wilhelm Groener und der noch immer bestehenden Obersten Heeresleitung OHL gelang es durch ein Ultimatum durchzusetzen dass die Punkte nur fur die Heimatarmee nicht aber fur das Feldheer Geltung haben sollten Eberts Taktieren gegen den Ratebeschluss fuhrte zu einem schweren Konflikt mit Hugo Haase im Rat der Volksbeauftragten und letztlich zum Rucktritt Haases und der beiden anderen USPD Mitglieder der Regierung Im weiteren Verlauf bestanden zwar zunachst weiter Moglichkeiten zur Schaffung einer republikanischen Armee aber spatestens mit Verabschiedung eines Gesetzes uber die Schaffung einer vorlaufigen Reichswehr durch die Nationalversammlung vom 6 Marz 1919 blieb von den Hamburger Punkten nichts mehr in der Praxis ubrig Trotz Ablehnung des Ratesystems als Basis einer kommenden sozialistischen Verfassungsordnung von der die Delegierten fest ausgingen bedeutete dies nicht automatisch eine Selbstaufgabe des Kongresses Stattdessen forderte der Kongress eine institutionelle Eingliederung der Rate in das parlamentarische System Dies war neben der Sozialisierung der Schlusselindustrien auch eine Forderung der Marzstreiks die im Fruhjahr 1919 den letzten Versuch darstellten das Ratesystem zu retten 6 Zweiter Reichsratekongress Bearbeiten An diese Forderungen knupfte der im April 1919 tagende 2 Reichsratekongress an der unter anderem auf Initiative von Richard Muller einberufen worden war Der Kongress sprach sich fur die Einrichtung von Kammern der Arbeit aus Angesichts des Ergebnisses der Wahl zur Nationalversammlung die statt einer sozialistischen Vormachtstellung eine Regierung der Weimarer Koalition aus MSPD Zentrum und DDP brachte hatten diese Plane keine Chancen mehr auf eine Verwirklichung Protokolle BearbeitenAllgemeiner Kongress der Arbeiter und Soldatenrate Deutschlands 16 20 Dezember 1918 Berlin Stenografische Berichte Neuausgabe zum 100 Jahrestag herausgegeben von Dieter Braeg und Ralf Hoffrogge Berlin 2018 ISBN 978 3 9819243 6 7 Literatur BearbeitenGerhard Engel Hrsg Gross Berliner Arbeiter und Soldatenrate in der Revolution 1918 19 Dokumente der Vollversammlungen und des Vollzugsrates Vom 1 Reichsratekongress bis zum Generalstreikbeschluss am 3 Marz 1919 Akademie Verlag Berlin 1997 ISBN 3 05 003061 5 Ossip K Flechtheim Die KPD in der Weimarer Republik Bollwerk Verlag Offenbach am Main 1948 S 43f Dieter Braeg Hrsg Ralf Hoffrogge Hrsg Allgemeiner Kongress der Arbeiter und Soldatenrate Deutschlands vom 16 bis 20 Dezember 1918 im Abgeordnetenhause zu Berlin stenographische Berichte Nachdruck Neuausgabe 1 Auflage Die Buchmacherei Berlin 2018 ISBN 978 3 9819243 6 7 Ralf Hoffrogge Richard Muller Der Mann hinter der Novemberrevolution Karl Dietz Verlag Berlin 2008 ISBN 978 3 320 02148 1 Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus 7 Richard Muller Eine Geschichte der Novemberrevolution Berlin 2011 ISBN 978 3 00 035400 7 Neuausgabe der drei Bande Vom Kaiserreich zur Republik Die Novemberrevolution Der Burgerkrieg in Deutschland Wien Berlin 1924 1925 Ulrich Kluge Moderne Deutsche Geschichte Von der Reformation bis zur Wiedervereinigung Die deutsche Revolution 1918 19 Suhrkamp Frankfurt am Main 1984 ISBN 3 518 11262 7 S 101 104 Erich Matthias Zwischen Raten und Geheimraten Die deutsche Revolutionsregierung 1918 19 Droste Verlag Dusseldorf 1970 Teo Panther Hrsg Alle Macht den Raten Texte zur Ratebewegung in Deutschland 1918 19 Band 1 Novemberrevolution 1918 Unrast Munster 2007 ISBN 978 3 89771 910 1 Klassiker der Sozialrevolte 12 Teo Panther Hrsg Alle Macht den Raten Texte zur Ratebewegung in Deutschland 1918 19 Band 2 Ratemacht in der Diskussion Unrast Munster 2007 ISBN 978 3 89771 914 9 Klassiker der Sozialrevolte 16 Sabine Ross Biographisches Handbuch der Reichsratekongresse 1918 19 Droste Dusseldorf 2000 ISBN 3 7700 5231 5 Handbucher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 11 Sabine Ross Revolution ohne Revolutionare Kollektive Biographie der Delegierten des deutschen Reichsratekongresses 1918 19 Memento vom 26 Juni 2007 im Internet Archive In Historical Social Research 23 1998 S 38 57 Heinrich August Winkler Weimar 1918 1933 Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie Beck Munchen 1993 ISBN 3 406 37646 0 S 50 51 Weblinks BearbeitenDeutsches Historisches Museum Der Reichskongress der Arbeiter und Soldatenrate Novemberrevolution de Reichsratekongress Ross Politisches Verhalten der Delegierten auf den Reichsratekongressen PDF 946 kB Deutschlandfunk Weimarer Republik Parlamentarische Demokratie oder Raterepublik Podcast Einzelnachweise Bearbeiten a b Richard Muller Eine Geschichte der Novemberrevolution Malik Verlag Berlin 1924 1925 Nachdruck Die Buchmacher Berlin 2011 S 427 ISBN 978 3 00 035400 7 http www ossietzky net 21 2018 amp textfile 4558 https www weimarer republik net 1411 0 Aufruhr im Reichsraetekongress Genossin Leu sorgt fuer Ruhe html Berliner Tageblatt vom 20 Dezember 1918 Muller auf der Vollversammlung der Berliner Arbeiterrate am 23 Dezember 1918 vgl Gerhard Engel u a Gross Berliner Arbeiter und Soldatenrate Bd 2 S 16 sowie Ralf Hoffrogge Richard Muller Der Mann hinter der Novemberrevolution Berlin 2008 S 94 Zum Streikverlauf in Berlin vgl Ralf Hoffrogge Richard Muller Der Mann hinter der Novemberrevolution Berlin 2008 S 116ff Normdaten Veranstaltung GND 4539327 8 lobid OGND AKS VIAF 249392953 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Reichsratekongress amp oldid 224221793