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Pholidocercus ist eine heute ausgestorbene Gattung insektenfresserartiger Saugetiere Sie lebte im Mittleren Eozan vor rund 47 Millionen Jahren und ist nur aus der Grube Messel in Hessen anhand mehrerer teils vollstandiger Skelette bekannt Die eher kleinwuchsigen und langschwanzigen Tiere lebten bodenbewohnend und ernahrten sich allesfresserisch von Pflanzen und Insekten Auffallendste Merkmale waren eine Hornplatte auf dem Schadel und eine aus Knochenplattchen bestehende Schutzpanzerung des Schwanzes Allgemein wird die Gattung der Familie der Amphilemuridae zugewiesen welche nach Meinung einiger Forschern mit den heutigen Igeln in naherer Beziehung steht Anderen Untersuchungen zufolge kommt fur die Familie auch eine engere Bindung an die Russelspringer in Betracht Die Erstbeschreibung von Pholidocercus erfolgte 1983 PholidocercusSkelett von Pholidocercus mit teilweise erhaltener Behaarung und verhorntem Schwanz ParatypusZeitliches AuftretenEozan47 4 bis 46 3 Mio JahreFundorteEuropa Deutschland Grube Messel SystematikHohere Saugetiere Eutheria AfrotheriaAfroinsectiphiliaRusselspringer Macroscelidea AmphilemuridaePholidocercusWissenschaftlicher NamePholidocercusvon Koenigswald amp Storch 1983 Inhaltsverzeichnis 1 Beschreibung 2 Fossilfunde 3 Palaobiologie 4 Systematik 5 Literatur 6 Einzelnachweise 7 WeblinksBeschreibung BearbeitenPholidocercus war ein kleines gedrungen gebautes insektenfresserahnliches Saugetier das eine Kopf Rumpf Lange von rund 19 cm und eine Schwanzlange von gut 16 bis 18 cm besass Ein allgemeines Merkmal stellen die eher kurzen Beine dar Der Schadel mass etwa 5 5 cm durch Sedimentauflast sind die bekannten Schadel aber weitgehend verdruckt Allerdings findet sich auf dem Nasen und Stirnbein ein scharf begrenzter Bereich mit tiefen Gefassrinnen die die Ausbildung einer Hornplatte oder Hautschwiele befurworten Am Unterkiefer waren drei Foramina mentalia ausgebildet je eines unter dem zweiten und vierten Pramolar und unter dem ersten Molar Das Gebiss umfasste die vollstandige Zahnanzahl der fruhen Hoheren Saugetiere entsprechend lautet die Zahnformel folgendermassen 3 1 4 3 3 1 4 3 displaystyle frac 3 1 4 3 3 1 4 3 nbsp Die vor den Molaren liegenden Zahne waren kaum starker differenziert und besassen weitgehend eine Spatelform Im Oberkiefer wiesen der erste Schneidezahn und der Eckzahn eine grossere Gestaltung auf im Unterkiefer der Eckzahn und die Pramolaren die hier zudem etwas modifizierter waren Einzig der hinterste Pramolar zeigte Ansatze einer Molarisierung und ahnelte dadurch mehr den hinteren Backenzahnen zudem war er deutlich grosser als die vorangehenden Zahne Die Molaren besassen mehrere deutlich gerundete Zahnschmelzhockerchen bunodont die zu einem typisch tribosphenischen Kauflachenmuster angeordnet waren Das heisst dass drei Hockerchen eine charakteristische Dreiergruppe bildeten Trigon die durch eine tiefe Rinne von den anderen getrennt war Talon Die grossten Zahne stellten die jeweils ersten beiden Molaren dar die eine Lange von 3 6 bis 3 9 und eine Breite von 4 bis 4 4 mm erreichten 1 Das Korperskelett ist weitgehend gut dokumentiert Die Wirbelsaule setzte sich aus hochstwahrscheinlich 7 Hals 11 rippentragenden Brust 8 Lenden 2 Kreuzbein und 24 Schwanzwirbeln zusammen Die Dornfortsatze der Brustwirbel waren langschmal und nach hinten gerichtet bis zum zehnten Wirbel wo dieser aufrecht stand Die Lendenwirbel hatten dagegen breite und kurze Dornfortsatze ausgebildet Generell besassen die Schwanzwirbel eine lange und schmale Form Allerdings trat hier als einzigartige Bildung ein Schutzpanzer vom 4 bis zu 16 Wirbel auf der aus ringformig angeordneten Knochenplattchen bestand Die Knochenplattchen waren aus Hautverknocherungen Osteoderme entstanden und besassen eine annahernd rechteckige Form Die einzelnen Ringe uberlappten sich dachziegelartig von vorn nach hinten und waren so zueinander gedreht dass die Anordnung der einzelnen Knochenplattchen mauerartig erschien Im vorderen Schwanzabschnitt bestand jeder Ring aus 15 bis 18 Plattchen im mittleren aus 10 im hinteren konnte dies nicht genau festgestellt werden 1 Am Bewegungsapparat sind nur wenige Besonderheiten auszumachen Der Oberarmknochen war gestreckt und bis zu 3 3 cm lang Elle und Speiche waren nicht verwachsen sondern vollstandig getrennt Das obere Ellengelenk Olecranon verfugte uber keine besondere Streckung langs uber den Schaft der bis zu 2 6 cm langen Elle lief eine Rille als Muskelansatzstelle Der Oberschenkelknochen erreichte bis zu 3 8 cm Lange und war ebenfalls gerade verlaufend Am Schaft trat ein deutlich ausgedehnter Dritter Trochanter als Muskelansatzstelle auf der etwa zwei Drittel der Schaftlange beanspruchte Die Knochen des Unterschenkels Schien und Wadenbein waren im unteren Bereich miteinander verwachsen Die Lange des Schienbeins entsprach der des Oberschenkelknochens oder ubertraf diese leicht Arme und Beine endeten in jeweils funf Strahlen Dabei war sowohl an den Handen als auch an den Fussen der Mittelstrahl III am starksten ausgebildet die jeweils aussersten I und V am kurzesten Im Gegensatz zum nahe verwandten Macrocranion bestanden an den Fussen keine auffalligen Verlangerungen der Mittelfussknochen und Phalangen Die Endglieder der Phalangen an Hand und Fuss besassen vorn deutliche Einspaltungen die auf kraftig verankerte lange Krallen schliessen lassen Aus der Form der Endphalangen kann gefolgert werden dass diese aber weder besonders breit noch schmal waren Der gesamte Fuss mass bis zu 4 4 cm 1 Fossilfunde Bearbeiten nbsp Skelett von PholidocercusPholidocercus ist bisher nur aus Mitteleuropa uberliefert Funde stammen hier aus der Grube Messel bei Darmstadt in Hessen Die Fundstelle wird in das Mittlere Eozan datiert und ist rund 47 Millionen Jahre alt Das bisher bekannte Material umfasst wenigstens zehn Individuen darunter drei weitgehend vollstandige Skelette ein Teilskelett ohne Schadel und ein isolierter Schadel 2 Die Skelette lagen wie fur die der meisten Hoheren Saugetiere von Messel ublich in Seitenlage wobei drei rechtsseitige und ein linksseitiges vorkommen Vor allem bei dem schadellosen Skelett ist die Hornbeschuppung des Schwanzes hervorragend uberliefert Von den funf bekannten Individuen ist nur eines vollstandig ausgewachsen drei sind sub oder jungadult der Fund ohne Schadel kann keiner genauen Altersstufe zugewiesen werden 1 Palaobiologie Bearbeiten nbsp Lebendrekonstruktion von PholidocercusDas wenig spezialisierte Vordergebiss und die markant bunodonten Molaren lassen auf eine allgemein allesfresserische Lebensweise schliessen ahnlich wie es auch beim nahe verwandten Macrocranion der Fall ist Da die Zahnmorphologie der hinteren Backenzahne bei Pholidocercus durch die deutlich gerundeten Zahnschmelzhockerchen noch einfacher gestaltet ist kann ein erhohter Anteil weicherer Nahrungsbestandteile angenommen werden 1 Drei der Messeler Skelette enthielten Nahrungsreste im Magen Darm Bereich Bei zwei der untersuchten Proben wurde neben Sand ein grosserer Anteil an pflanzlichen Resten gefunden wie Blattteile und nicht bestimmbares Material Daneben wurden auch Chitinfragmente von Insekten identifiziert Ein drittes Individuum besass zahlreiches Insektenmaterial im Verdauungstrakt An Pflanzen sind hier Reste von Fruchten uberliefert Demnach lebte Pholidocercus tatsachlich omnivor wobei der aufgefundene Sand darauf hinweist dass die Tiere ihre Nahrung vorwiegend am Boden suchten 3 Das Korperskelett zeigt nur wenige Spezialanpassungen Auffallig sind die langeren Hinterbeine gegenuber den kurzeren Vorderbeinen Bezogen auf die Lange der Rumpfwirbelsaule erreichen die einzelnen Abschnitte des Vorderbeins Oberarm Unterarm und Hand jeweils zwischen 18 und 28 die entsprechenden Abschnitte des Hinterbeins Oberschenkel Unterschenkel und Fuss jeweils zwischen 35 und 39 Es gleicht im Verhaltnis somit jenem der Eigentlichen Spitzhornchen Tupaia wodurch eine gewisse Sprungfahigkeit bei der Fortbewegung angenommen werden kann Dafur spricht unter anderem auch der weit ausgedehnte dritte Trochanter am Oberschenkelknochen Da aber die unteren Beinabschnitte der Hinterextremitaten nicht ubermassig verlangert sind wie das bei Macrocranion der Fall ist kann eine zweibeinig hupfende Fortbewegung ausgeschlossen werden Entgegen den heutigen Eigentlichen Spitzhornchen die zum Grossteil baumbewohnend leben sind bei Pholidocercus die Endphalangen nicht verschmalert und hoch was typisch fur Krallenkletterer ist Auch weisen die Aussenstrahlen der Hande und Fusse deutliche Kurzungen auf die die Greiffahigkeit einschranken Ein haufiges Klettern in den Baumen kann dadurch ebenfalls ausgeschlossen werden Eine Verbreiterung der Hande oder eine Verlangerung des Mittelstahls mit kraftiger Kralle ebenso wie ein ausgedehntes Gelenk am oberen Ende der Elle fehlten allgemein Hinweise auf eine grabende Tatigkeit wie bei den Gurteltieren und Schuppentieren womit auch eine derartige Lebensweise nicht anzunehmen ist Es ist jedoch moglich dass die gespaltenen Endphalangen ein gewisses Scharren im Boden erlaubten wobei die Spalten zur festen Verankerung der Krallen dienen Somit lebte Pholidocercus weitgehend bodenbewohnend der gelegentlich im Untergrund nach Nahrung wuhlte Moglicherweise erfolgte letzteres mit Stirn und Nase worauf die schwielige Stirnplatte hindeutet 1 4 5 2 Anhand eines Skelettes liess sich auch die Fellbedeckung rekonstruieren die sich als Nachzeichnung durch Bakterien Bacteriographie im umgebenden Sediment erhalten hatte Dadurch ist ein Haarkleid bestehend aus langen und kraftigen Borsten nachgewiesen das Ahnlichkeiten zu dem der Haarigel Hylomyinae erkennen lasst Die langeren Hinterbeine verhinderten bei Pholidocercus ein Einrollen wie dies bei den heutigen Stacheligeln Erinaceinae der Fall ist die etwa gleich lange Vorder und Hinterbeine haben Weiterhin liessen sich die Borsten bei Pholidocercus wohl auch nicht analog den Stacheligeln bei Gefahr aufrichten Dafur sprechen die langen nach hinten gerichteten und so unspezialisierten Dornfortsatze der Brustwirbel Heutige Haarigel besitzen dagegen stark spezialisierte kurze und nach oben orientierte Dornfortsatze die mit einer geringen seitlichen Drehbewegung des Vorderkorpers in Verbindung stehen Sie sind eine Folge der Bildung einer extrem kraftigen Langsmuskulatur des Ruckens die das Aufrichten der Stachel bei den Haarigeln zulasst Als effektive Schutzeinrichtung kann bei Pholidocercus aber der Schwanz mit seinen sich uberlappenden Hornschuppen angesehen werden eventuell hatte auch die Hornplatte auf dem Schadel einer derartige zusatzliche Funktion 1 4 5 Systematik BearbeitenPholidocercus ist eine Gattung aus der heute ausgestorbenen Familie der Amphilemuridae Die Familie zeichnet sich unter anderen durch die fur Hohere Saugetiere ursprungliche Zahnanzahl im Gebiss aus Dabei stehen die unteren Zahne in einer geschlossenen Reihe und neigen im vorderen Abschnitt zunehmend nach vorn Ausserdem sind sie alle einwurzelig 2 Haufig werden die Amphilemuridae als sehr ursprungliche Vertreter der Erinaceomorpha angesehen und stehen dadurch den heutigen Igeln nahe In die nahere Verwandtschaft gehoren dabei unter anderem Macrocranion und Amphilemur Von ersterem sind zahlreiche Skelette aus Messel uberliefert 6 7 8 letzterer ist mit einzelnen Unterkieferfragmenten aus dem Geiseltal bekannt 9 10 Die Erinaceomorpha diese waren ursprunglich Teil der Insektenfresser stellen ein Mitglied der Uberordnung der Laurasiatheria dar eine der vier grossen Hauptlinien der Hoheren Saugetiere Bereits Ende der 1980er Jahre wurde aber die Vermutung geaussert dass aufgrund von Zahn und Schadelmerkmalen ein Verweis zu den Insektenfressern nicht gesichert sei 8 So sehen weitere Untersuchungen die Amphilemuridae und die nahe verwandten Adapisoricidae in der Ahnenreihe der afrikanischen Russelspringer Macroscelidea was hauptsachlich mit der Zahnmorphologie begrundet wird Aus diesem Grund mussten die Amphilemuridae einschliesslich Pholidocercus der Uberordnung Afrotheria zugewiesen werden 11 Nach weiteren Untersuchungen konnte fur die Amphilemuridae ein Verbleib in der naheren Igel Verwandtschaft bestehen bleiben 12 13 Die wissenschaftliche Erstbeschreibung von Pholidocercus erfolgte durch Wighart von Koenigswald und Gerhard Storch im Jahr 1983 Grundlage dafur bildeten die funf bekannten Individuen aus der Grube Messel wobei der Holotyp Exemplarnummer HLMD 7577 das vollstandige Skelett eines ausgewachsenen Tieres umfasst dem aber der hintere Schwanz fehlt wahrend einige Zahne der rechten Schadelhalfte und einzelne Osteoderme isoliert vorliegen Das Objekt befindet sich heute im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt Der Gattungsname Pholidocercus leitet sich von den griechischen Wortern folis folidos pholis pholidos Schuppe und kerkos kerkos Schwanz her und bezieht sich auf die auffallige Schwanzpanzerung Einzige anerkannte Art ist Pholidocercus hassiacus wobei der Artzusatz die Fundlandschaft Hessen referiert In ihrer Erstbeschreibung verwiesen die Autoren die Gattung in die Familie Amphilemuridae 1 Das nahe verwandte Macrocranion unter anderem aus Messel uberliefert wurde dagegen im Laufe der Forschungsgeschichte in unterschiedliche Familien einbezogen erst 1995 erfolgte eine eindeutige Zuweisung zu den Amphilemuridae 8 Literatur BearbeitenThomas Lehmann Mit oder ohne Stacheln die Igel Verwandten In Stephan F K Schaal Krister T Smith und Jorg Habersetzer Hrsg Messel ein fossiles Tropenokosystem Senckenberg Buch 79 Stuttgart 2018 S 235 239Einzelnachweise Bearbeiten a b c d e f g h Wighart von Koenigswald und Gerhard Storch Pholidocercus hassiacus ein Amphilemuride aus dem Eozan der Grube Messel bei Darmstadt Mammalia Lipotyphla Senckenbergiana lethaea 6 1983 S 447 495 a b c Thomas Lehmann Mit oder ohne Stacheln die Igel Verwandten In Stephan F K Schaal Krister T Smith und Jorg Habersetzer Hrsg Messel ein fossiles Tropenokosystem Senckenberg Buch 79 Stuttgart 2018 S 235 239 Gotthard Richter Untersuchungen zur Ernahrung eozaner Sauger aus der Fossilfundstatte Messel bei Darmstadt Courier Forschungsinstitut Senckenberg 91 1987 S 1 33 a b Gerhard Storch Paleobiology of Messel erinaceomorphs Palaeovertebrata 25 1996 S 215 224 a b Gerhard Storch und Gotthard Richter Zur Palaobiologie der Messeler Igel Natur und Museum 124 3 1994 S 81 90 Wolfgang Maier Macrocranion tupaiodon Weitzel 1949 ein igelartiger Insektivor aus dem Eozan von Messel und seine Beziehungen zum Ursprung der Primaten Zeitschrift fur zoologische Systematik und Evolutionsforschung 15 1977 S 311 318 Wolfgang Maier Macrocranion tupaiodon an adapisoricid Insectivore from the Eocene of Grube Messel Western Germany Palaontologische Zeitschrift 53 1 2 1979 S 38 62 a b c Gerhard Storch Morphologie und Palaobiologie von Macrocranion tenerum einem Erinaceomorphen aus dem Mittel Eozan von Messel bei Darmstadt Senckenbergiana lethaea 73 1993 S 61 81 Florian Heller Amphilemur eocaenicus n g et n sp ein primitiver Primate aus dem Mitteleozan des Geiseltales bei Halle a S Nova Acta Leopoldina N F 2 1935 S 293 300 Kenneth D Rose The beginning of the age of mammals Johns Hopkins University Press Baltimore 2006 S 1 431 S 144 147 Jerry J Hooker und Donald E Russell Early Palaeogene Louisinidae Macroscelidea Mammalia their relationships and north European diversity Zoological Journal of the Linnean Society 164 2012 S 856 936 Jerry J Hooker New postcranial bones of the extinct mammalian family Nyctitheriidae Paleogene UK Primitive euarchontans with scansorial locomotion Palaeontologia Electronica 17 3 2014 S 47A 1 82 1 Carly L Manz und Jonathan I Bloch Systematics and Phylogeny of Paleocene Eocene Nyctitheriidae Mammalia Eulipotyphla with Description of a new Species from the Late Paleocene of the Clarks Fork Basin Wyoming USA Journal of Mammalian Evolution 22 3 2015 S 307 342Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Pholidocercus Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Pholidocercus amp oldid 233187623