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Nicos Poulantzas griech Nikos Poylantzas 21 September 1936 in Athen 3 Oktober 1979 in Paris war ein griechisch franzosischer Politikwissenschaftler Er lehrte als Professor an der Universitat Vincennes Sein zentraler Beitrag zur marxistischen Staatstheorie besteht in der Aussage der Staat sei weder ein eigenstandiges Subjekt noch das Instrument einer sozialen Klasse sondern ein gesellschaftliches Verhaltnis Poulantzas spricht vom Staat als einer materiellen Verdichtung gesellschaftlicher Krafteverhaltnisse Nach seiner Theorie stellt der Staat ein Feld des sozialen Kampfes dar in dem die teilweise konkurrierenden herrschenden Klassen und Klassenfraktionen als Machtblock organisiert werden Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Theorie 2 1 Beziehung zu Althusser und Gramsci 2 2 Staat als eine materielle Verdichtung von Krafteverhaltnissen 2 3 Relative Autonomie des Staates 2 4 Arbeitsteilung und Produktionsverhaltnisse 2 5 Staatsapparate 2 6 Block an der Macht 2 7 Autoritarer Etatismus und Ausnahmestaat 2 8 Volkskampfe 2 9 Vereinzelung und Totalisierung 2 10 Eroberung der politischen Macht Demokratischer Sozialismus 2 11 Kritik an Poulantzas 3 Schriften Auswahl 3 1 Monografien 3 2 Artikel Auswahl 3 3 Sammelband 4 Sekundarliteratur 4 1 Monografien 4 2 Artikel 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseLeben BearbeitenNicos Poulantzas wuchs in burgerlichen Verhaltnissen in Athen auf Sein Vater Aristides Poulantzas war Professor fur forensische Graphologie 1 Nach dem Besuch eines Reformgymnasiums an dem er mit den Schwerpunkten Franzosisch 2 und Philosophie das Baccalaureat ablegte studierte Poulantzas von 1953 bis 1957 in Athen Rechtswissenschaften und daneben auch Sozialwissenschaften und Philosophie Er war in der Studentenbewegung aktiv und wurde Mitglied der Eniea Dimokratiki Aristera Vereinigung der Demokratischen Linken die als politischer Ersatz fur die verbotene kommunistische Partei diente Nach seinem Studium absolvierte er einen dreijahrigen Dienst bei der Marine Danach wollte er 1960 an der Universitat Munchen seinen Doktorgrad erwerben verliess Deutschland aber bereits nach einem Monat wieder weil ihm die politische Stimmung der Adenauer Ara zu reaktionar erschien 3 Poulantzas zog nach Paris wo er seine zweite Heimat fand 1961 wurde er dort mit einer Arbeit uber die Renaissance des Naturrechts in Deutschland promoviert Seine Habilitation erfolgte 1964 Begriff der Natur der Sache in der gegenwartigen Philosophie und Soziologie des Rechts Zum Zeitpunkt seiner Habilitation war er Assistent an der Sorbonne und lehrte Rechtsphilosophie Poulantzas Marxismusverstandnis war anfangs von Jean Paul Sartre und dann von Lucien Goldmann und Georg Lukacs gepragt Mit deren Arbeiten hatte er sich bei den Recherchen fur seine Habilitationsschrift beschaftigt Spater kam eine Beschaftigung mit der Theorie Antonio Gramscis hinzu Poulantzas schrieb neben seiner akademischen Tatigkeit fur Les Temps Modernes und bewegte sich in Kreisen um Sartre Simone de Beauvoir und Maurice Merleau Ponty Durch einen Artikel in dieser Zeitschrift wurde Louis Althusser auf ihn aufmerksam und es entwickelte sich eine Zusammenarbeit Zu dieser Zeit begann er mit seinen staatstheoretischen Arbeiten Wahrend seiner Zeit in der Redaktion der Temps Modernes lernte er dort die Schriftstellerin Annie Leclerc kennen Sie heirateten 1966 vier Jahre darauf kam ihre Tochter zur Welt Seine Uberzeugungen trieben Poulantzas 1968 zum politischen Engagement in der damals existierenden eurokommunistischen Abspaltung von der stalinistischen Kommunistischen Partei Griechenlands KKE die sich selbst als KKE tou Esoterikou KP des Inlands bezeichnete und in deren Nachfolge Synaspismos stand die 2013 in SYRIZA aufging Sein erstes Buch das bedeutende Aufmerksamkeit erlangte war das im Mai 1968 in Frankreich veroffentlichte Buch Pouvoir politique et classes sociales Politische Macht und gesellschaftliche Klassen Danach folgte eine Reihe weiterer Bucher uber den Staat und die Klassen speziell auch uber Diktaturen Faschismus und Diktatur 1970 Klassen im Kapitalismus heute 1973 Die Krise der Diktaturen 1975 In der Zeit seiner politischen und theoretischen Aktivitat existierten in den sudeuropaischen Landern Spanien Portugal und zeitweise auch in Griechenland Militardiktaturen Nach den Mai Ereignissen wurde Poulantzas an die neugegrundete Reformuniversitat von Vincennes berufen und lehrte und forschte dort im Bereich der Sozialwissenschaften Dort waren auch andere bekannte Personlichkeiten wie Michel Foucault und Gilles Deleuze tatig 1974 1975 lehrte Poulantzas als Gastprofessor an der Universitat in Athen Ebenfalls 1974 hatte er einen Ruf an die Universitat Frankfurt erhalten Fur nur einige Wochen nahm er die Stelle an und unterrichtete dort im Sommersemester Auf Grund von Verhandlungsschwierigkeiten mit dem zustandigen Ministerium gab er die Stelle wieder auf In der britischen Zeitschrift New Left Review fuhrte er uber einige Artikel eine Auseinandersetzung mit Ralph Miliband uber den kapitalistischen Staat die auch im Einzeldruck veroffentlicht wurde Ernesto Laclau war hieran auch mit einem Artikel beteiligt Poulantzas begann diese Diskussion mit einer kritischen Rezension von Milibands Werk Der Staat in der kapitalistischen Gesellschaft 4 1978 erschien sein letztes grosses Werk L Etat le pouvoir le socialisme Der Staat die Macht der Sozialismus oder auf deutsch auch kurz Staatstheorie Zu dieser Zeit beteiligte sich Poulantzas auch an der durch Althusser angestossenen Debatte uber eine Krise des Marxismus und ausserte sich kritisch uber die realen Arbeiterparteien und forderte den vom leninistischen und sozialdemokratischen unterschiedenen eurokommunistischen Ansatz theoretisch auszuarbeiten und eine Offnung hin zu den sozialen Bewegungen Er betonte die Notwendigkeit einer radikalen Transformation des Staates und nicht nur die Inbesitznahme der Staatsmacht und bezugnehmend auf Rosa Luxemburg die Bedeutung reprasentativer demokratischer neben ratedemokratischen Elementen Zudem verwendete Poulantzas in diesem Werk kritisch die Machttheorie von Foucault Ausserdem beschaftigte er sich hier u a mit Foucaults Theorien zum Wissen der Disziplinierung und Normalisierung 5 Im Jahr 1979 beging Nicos Poulantzas der zuvor an Depressionen erkrankt war im Alter von 43 Jahren Suizid 6 Poulantzas Tod erzeugte in der damaligen Pariser Intellektuellenlandschaft tiefe Betroffenheit Theorie BearbeitenBeziehung zu Althusser und Gramsci Bearbeiten In den Jahren 1964 bis 1966 veranderte sich Poulantzas wissenschaftlicher Fokus weg von der singularen Betrachtung des Rechts geriet immer mehr der Staat in den Fokus seiner Aufmerksamkeit Er naherte sich der strukturalistischen Position von Louis Althusser an was sich auch darin niederschlug dass er eine an Althussers eigener Ausdrucksweise angepasste Sprache verwendete 7 Im Mai 1968 veroffentlichte Poulantzas mit Politische Macht und gesellschaftliche Klassen sein erstes staatstheoretisches Werk Es ist von einer starken Antiempirie gekennzeichnet Er verwendet hier den von Althusser gepragten Begriff des strukturalen Ganzen und weist der Okonomie dem Politischen dem Ideologischem jeweils eine spezifische Ebene zu 8 Poulantzas ist ebenfalls in seiner Ablehnung des marxistischen Humanismus und antiokonomistischer Positionen stark an Althusser orientiert 9 Dies trifft zunachst ebenso auf Poulantzas Bewertung von Antonio Gramsci zu Zunachst werde dieser ebenso wie bei Althusser gelobt um dann einer heftigen Kritik unterzogen zu werden Am Ende folge dann eine explizite Ablehnung Gramsci wird von Poulantzas in Anlehnung an Althusser als ein Vertreter des Historismus bezeichnet und als Voluntarist bewertet 10 Zudem folgt Poulantzas der Ansicht von Althusser dass das Werk von Karl Marx einen inhaltlichen Bruch aufweise Dieser sei im Kapital in vollem Ausmasse wahrzunehmen 11 Marx breche demzufolge in diesem Werk mit den Konzepten der Verdinglichung und der Entfremdung Daruber hinaus werde hier der Marxismus als Antihumanismus begrundet 12 In der Debatte mit dem britischen Marxisten Ralph Miliband bezieht sich Poulantzas positiv und zustimmend auf Althussers Konzept der Ideologischen Staatsapparate ISA und des Repressiven Staatsapparates RSA Althusser hatte diese Konzeption in seinem Essay Ideologie und ideologische Staatsapparate entwickelt Poulantzas vertritt in Ubereinstimmung mit dieser Schrift die Auffassung dass der Staat aus einer Pluralitat von Apparaten und Institutionen bestehe Eine Reduktion allein auf den repressiven Apparat sei ungenugend Poulantzas folgt in seiner fortfuhrenden Argumentation weitestgehend den Darlegungen Althussers 13 In dem Werk Faschismus und Diktatur in der deutschen Fassung 1973 erschienen beginnt Poulantzas an der Konzeption Althussers deutliche Kritik zu uben Er ist der Auffassung dass Althusser das Verhaltnis der ISA zum Klassenkampf nur sehr abstrakt und formal dargestellt habe Dem Klassenkampf kame nicht die ihm gebuhrende Stellung zu 14 Daruber hinaus habe Althusser die Rolle der Staatsapparate in der Okonomie entweder stark unterschatzt oder nicht zur Kenntnis genommen Fur Althusser hatten die Staatsapparate einzig uber die Reproduktion der Produktionsverhaltnisse einen gewissen Einfluss auf die Okonomie Der Staat setze sich in dessen Uberlegungen nur aus Repression und Ideologie zusammen Nur der Apparat der Schule stelle eine Ausnahme dar denn dieser sei fur die Reproduktion der Arbeitskraft zustandig 15 Dieser Kritik folgt die Erweiterung der Konzeption der ISA und des RSA um einen okonomischen Apparat Dessen Bezeichnung als Staatsapparat lehnt Poulantzas ab denn dessen Kernziel sei es die Massen der Menschen auszubeuten Dieses sei hingegen nicht die Aufgabe der ISA und des RSA Der okonomische Apparat umfasst nach Poulantzas die Betriebe 16 Auch in der Staatstheorie wird Althusser kritisiert Poulantzas meint dass Althusser mit seiner Unterscheidung in ISA und RSA bei einer reinen Beschreibung der bestehenden Ordnung stehengeblieben sei Althusser beschranke den Staat auf die Anwendung entweder von Ideologie oder Repression Auf diese Weise konne der Staat bei Althusser nur in negativer Weise tatig sein und sei nicht in der Lage positiv bezuglich des Okonomischen zu handeln Fur Poulantzas verhindert diese Sichtweise zu verstehen welche Rolle dem Staat tatsachlich bei der Konstituierung der Produktionsverhaltnisse zukomme 17 Folgerichtig gerate der erwahnte okonomische Apparat bei Althusser vollig aus dem Fokus der Aufmerksamkeit 18 Poulantzas entwickelt im Gegensatz zu Althusser die Auffassung dass der Staat auch in positiver Hinsicht seine Wirkung entfaltet er schafft verandert produziert Reales 19 Staat als eine materielle Verdichtung von Krafteverhaltnissen Bearbeiten Poulantzas kritisierte populare marxistische Vorstellungen vom 1 Staat als Sache oder Gegenstand blossem funktionalistischen Instrument oder Werkzeug in Hand der herrschenden Klasse und 2 dem Staat als eigenstandigem uber den Klassen stehenden neutralen Subjekt dessen sich eine Klasse durch erfolgreichen Klassenkampf hochstens bedienen konne 3 Poulantzas betrachtet den Staat als eine spezifische materielle Verdichtung von Krafteverhaltnissen zwischen Klassen und Klassenfraktionen Wie Althusser geht auch Poulantzas von einem Primat des Klassenkampfes gegenuber dem Staat aus er bildet die spezifische Materialitat der Staatsapparate aus und wirkt durch sie Relative Autonomie des Staates Bearbeiten Der Staat verfugt nach Poulantzas Theorie im Kapitalismus uber eine relative Autonomie von der okonomischen Sphare wie auch die einzelnen Staatsapparate untereinander in relativer Autonomie zueinander stehen Ahnlich wie Althusser geht er von verschiedenen Ebenen oder Instanzen in der Produktion des gesellschaftlichen Lebens aus der okonomischen politischen und ideologischen welche alle eine relative Autonomie besitzen aber notwendig miteinander verbunden sind und ein uberdeterminiertes Ganzes bilden Arbeitsteilung und Produktionsverhaltnisse Bearbeiten Marxistische Ansatze den kapitalistischen Staat aus der kapitalistischen Produktionsweise heraus zu begreifen gingen Poulantzas nicht weit genug bzw verfehlten fur ihn den zentralen Punkt Der kapitalistische Staat kann nicht ausschliesslich aus den spezifischen Anforderungen der Zirkulationssphare der Waren abgeleitet werden daher seine Spezifik sich auf die Garantie von formeller Gleichheit Vertragsfreiheit Sicherheit des Privateigentums Aquivalententausch usw zu beschranken wie dies geschehen sei in der Staatsableitungsdebatte welche an Jewgeni Paschukanis Arbeiten aus den 1920er Jahren anschloss Der Staat musse stattdessen uber die Reproduktion der Produktionsbedingungen insbesondere der Reproduktion der Qualifikation der Arbeitskrafte und der kapitalistischen Produktionsverhaltnisse begriffen werden Der Staat wird vom Standpunkt der Produktion der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und dem Produktionsverhaltnis Ausbeutungsverhaltnis zwischen den Klassen begriffen daher sind letztlich Klassenverhaltnisse und die sie konstituierenden Klassenkampfe das zentrale Moment Besonders die Trennung zwischen geistiger anleitender und korperlicher ausfuhrender Arbeit und die Trennung der Verfugungsgewalt uber die Produktionsmittel von den unmittelbaren Produzenten wie die Konkurrenz setzen sich in der spezifischen materiellen Verdichtung der kapitalistischen Staatsapparate ihrer Funktionsweise und relativen Autonomie von der okonomischen Sphare fort Staatsapparate Bearbeiten Der Staat sichere durch seine Funktion bei der Reproduktion der Produktionsbedingungen erst die Aufrechterhaltung des Kapitalverhaltnisses Ahnlich wie bei Althusser reproduziert der Staat mit den Reproduktionsbedingungen zugleich die Unterwerfung der Individuen unter die herrschende Ordnung Dies aber nicht ausschliesslich mithilfe der Repression und des Zwangs sondern auch der Ideologie und der okonomischen Intervention Es wird zwischen repressiven okonomischen und ideologischen Staatsapparaten unterschieden Die Macht und Funktion der einzelnen Staatsapparate kann sich sowohl durch Veranderungen in der Produktion als auch durch das vom Klassenkampf bestimmte Krafteverhaltnis in den einzelnen Staatsapparaten verandern Z B bedingen tiefgehende strukturelle Umbruche in der Kapitalakkumulation veranderte Anspruche an die Staatsapparate um die Reproduktion der Produktionsbedingungen zu gewahrleisten bei erfolgreichen Klassenkampfen z B Wahlen von linken Regierungen kann der herrschende Block die Staatsmacht vom Regierungsapparat hin zu anderen Apparaten wie Burokratie Justiz Militar Medien verschieben usw Block an der Macht Bearbeiten Fur Poulantzas ist weder der Staat noch die Staatsmacht einheitlich durchstrukturiert Im Staat herrsche kein einfacher Kampf zwischen Kapitalisten und Arbeiterklasse sondern vielmehr befinden sich unterschiedliche Klassenfraktionen und Klassenbundnisse in Interessenauseinandersetzungen miteinander Einerseits findet zwischen dem Block an der Macht und den beherrschten Klassen im Staat eine Auseinandersetzung um Hegemonie statt anderseits muss auch innerhalb des herrschenden Blocks zwischen den einzelnen Klassen und Klassenfraktionen Hegemonie hergestellt werden damit die sich widersprechenden Interessen nicht zu einer Schwachung oder Auflosung des Blocks an der Macht fuhren In beiden Fallen wird nicht nur mit Zwang sondern auch mit Uberzeugung und Konsens gearbeitet Einzelne Fraktionen im Block an der Macht konnen in unterschiedlichen Apparaten unterschiedliche strategische Bundnisse mit Teilen der beherrschten Klasse und Teilen des Blocks an der Macht eingehen um Hegemonie fur bestimmte Projekte zu gewinnen Autoritarer Etatismus und Ausnahmestaat Bearbeiten Ende der 1970er Jahre identifizierte Poulantzas das Entstehen einer neuen Staatsform die er als autoritaren Etatismus bezeichnete Zentrale Elemente dieser Staatsform sind Machtverschiebung von der Legislative zur Exekutive bei der sich die Macht konzentriert Zunehmende Verschmelzung von Legislative Exekutive und Judikative bei gleichzeitigem Verfall der Gesetzesfunktion Funktionsverlust politischer Parteien als wichtigste Organe der Herstellung gesellschaftlicher Hegemonie und als Mittler zwischen Verwaltung Regierung und Wahlvolk Einflussgewinn von immer mehr parallel operierenden Machtnetzen die die offiziellen Wege und Kanale umgehen 20 Den autoritaren Etatismus grenzt Poulantzas ausdrucklich von dem ab was er Ausnahmestaat nennt und womit er Faschismus Militardiktatur und Bonapartismus meint Die neue Staatsform konne weder mit dem Faschismus gleichgesetzt werden noch sei sie eine Ubergangsform dahin Er sei die neue demokratische Form der burgerlichen Republik in der gegenwartigen Phase und behalte eine bestimmte demokratische Realitat 21 Volkskampfe Bearbeiten Im Staat ist nicht nur die herrschende Klasse mit ihrer herrschenden Ideologie vertreten in die materielle Verdichtung des Krafteverhaltnis Staat sind auch die Kampfe der beherrschten Klassen eingeschrieben Der Block an der Macht versucht nicht ausschliesslich seinen Interessen gemass Macht auszuuben er muss auch Teile der beherrschten Klasse in den herrschenden Konsens einbeziehen um seine Hegemonie zu sichern Interessen der Arbeiterklasse werden besonders dann in den Staat integriert wenn diese zur Sicherung der und Unterwerfung unter die herrschende Ordnung beitragen daher die Interessen oder Forderungen aus der beherrschten Ideologie der Arbeiterklasse erwachsen bzw mit dieser vereinbar sind Poulantzas nennt beispielsweise die Ideologie des Wohlfahrtsstaats die auf nationale wirtschaftliche Prosperitat daher Kapitalakkumulation setzt wie auf sozialstaatliche Massnahmen um ein vermeintliches Gemeinwohl des Volks zu sichern Vereinzelung und Totalisierung Bearbeiten Der burgerliche Staat ube in seiner Funktion zugleich totalisierende und vereinzelnde Effekte auf die Staatsburger aus durch die der proletarische Klassenkampf gehemmt und der Klassencharakter der herrschenden Ordnung verschleiert wird Einerseits forme er die ganze Bevolkerung uber die er verfugt zu einem Volk mit einer Nation und einem gemeinsamen nationalen Interesse bzw er versucht das andererseits vereinzelt er die Individuen als gleiche autonome in burgerlicher und politischer Gesellschaft atomisierte in gegenseitiger Konkurrenz zueinander stehende freie Subjekte Eroberung der politischen Macht Demokratischer Sozialismus Bearbeiten Poulantzas vertrat das Konzept einer radikalen Transformation des Staates die auf das vermehrte Eingreifen der Volksmassen in den Staat zielt Die Ubernahme der Staatsmacht setze einen langen Prozess der Veranderung des gesellschaftlichen Krafteverhaltnisses und die gleichzeitige Transformation des Staates voraus Fur ihn muss jeder Sozialismus demokratisch sein oder es handelt sich nicht um Sozialismus Aus der geschichtlichen Erfahrung heraus mussen die beiden Klippen Sozialdemokratie und Stalinismus umschifft werden um sowohl autoritaristische als auch reformistische Ansatze zu vermeiden Beiden Typen ware ein Etatismus und eine Angst vor den Volksmassen gemeinsam Dagegen musse die Selbstverwaltung und Basisdemokratie betont werden Die solidarische Kritik Luxemburgs an Lenin teilend betont er neben der Schaffung und Erweiterung direkter und basisdemokratischer Strukturen auch die Bedeutung und Erweiterung der reprasentativen demokratischen Elemente und der politischen Freiheiten Poulantzas kritisiert die von Lenin bis zur dritten Internationalen und bei Gramsci vorgefundene Vorstellung einer Doppelherrschaft von organisierten Massen neben dem Staat der eine gegnerische Festung mit Schutzgraben usw bildet die eingenommen werden muss von Aussen Als Verdichtung eines Krafteverhaltnisses sind die Kampfe in den Staat eingeschrieben ob sie unmittelbar in den Staatsapparaten oder ausserhalb dieser stattfinden Die grosste Gefahr fur den demokratischen Sozialismus geht von der Bourgeoisie aus und den politischen ideologischen okonomischen Gewalt Mitteln die ihnen durch die Gewahrleistung weitraumiger politischer und freiheitlicher Rechte zur Verfugung stehen Die einzige Sicherung dagegen ist die aktive Volksmasse die den Transformationsprozess des Staates und die Einfuhrung direkter Demokratie und Selbstverwaltung aktiv tragt Des Weiteren bestehe eine grosse Schwierigkeit zwischen der Transformation des Staates und seiner reprasentativen Elemente und der gleichzeitigen Einfuhrung direkter Demokratie und Selbstverwaltung Dem okonomischen Staatsapparat schenkt Poulantzas besondere Bedeutung Dieser musse einerseits radikal transformiert werden andererseits konne er nicht von dem einen auf den anderen Tag zerschlagen werden ohne eine Wirtschaftskrise zu riskieren Auch waren viele weitere Staatsapparate notwendig zur Reproduktion der Produktionsverhaltnisse Der harte Kern der kapitalistischen Produktionsverhaltnisse musste in einer ersten Phase beibehalten werden die Transformation der Produktion musste schrittweise verlaufen Er betont auch die Bedeutung des okonomischen Staatsapparats zur politischen und okonomischen Sicherung selbstverwalteter Produktion Kritik an Poulantzas Bearbeiten Poulantzas Theorien wurden zum Teil als abstrakt und formalistisch wie in einer eigentumlichen Sprache verfasst kritisiert Ebenfalls wurde teilweise der Vorwurf eines Klassenreduktionismus erhoben Anhanger der formanalytischen Staatsableitung halten Poulantzas Theorie vor die einfache Zirkulation als einen ideologischen Mechanismus oder betrugerischen Schein der materiellen Basis der Produktionsverhaltnisse aufzufassen Stattdessen gehore die Zirkulation zu den realen Prinzipien der materiellen Reproduktion und sei daher wesentlicher Bestandteil der Produktionsverhaltnisse Indem Poulantzas die Besonderheiten des modernen Rechts und Gesetzes nicht aus der Zirkulation sondern direkt aus der gesellschaftlichen Arbeitsteilung der industriellen Produktion ableiten wolle gelange er nur zu einer Analogie von Taylorismus und staatlicher Burokratie als ideologische Formen Hingegen konne Frederick Winslow Taylor im Gegensatz zu Paschukanis nicht die Form des Rechtes aus der Form des Wertes erklaren und gelange weder zu einer begrifflichen Unterscheidung von Recht und Gesetz noch zu einer Erklarung fur die relative Autonomie des Rechtes 22 Schriften Auswahl BearbeitenMonografien Bearbeiten Pouvoir politique et classes sociales de l etat capitaliste F Maspero Paris 1968 Politische Macht und gesellschaftliche Klassen Athenaum Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main 1974 ISBN 978 3 8072 4040 4 Fascisme et dictature La IIIe Internationale face au fascisme F Maspero Paris 1970 Faschismus und Diktatur Die Kommunistische Internationale und der Faschismus Trikont Verlag Munchen 1973 ISBN 978 3 920385 06 8 Les classes sociales dans le capitalisme aujourd hui Seuil Paris 1974 Klassen im Kapitalismus heute VSA Berlin 1975 ISBN 978 3 87975 054 2 La Crise des dictatures Portugal Grece Espagne F Maspero Paris 1975 Die Krise der Diktaturen Portugal Griechenland Spanien Suhrkamp Frankfurt am Main 1977 ISBN 978 3 518 10888 8 L Etat le pouvoir le socialisme PUF Paris 1978 Staatstheorie Politischer Uberbau Ideologie sozialistische Demokratie VSA Hamburg 1978 ISBN 978 3 87975 161 7 Staatstheorie Politischer Uberbau Ideologie autoritarer Etatismus Mit einer Einleitung von Alex Demirovic Joachim Hirsch und Bob Jessop VSA Hamburg 2002 ISBN 978 3 87975 857 9 Artikel Auswahl Bearbeiten Marxist Political Theory in Britain In New Left Review I 43 1967 S 57 74 Theorie und Geschichte Kurze Bemerkungen uber den Gegenstand des Kapitals Kritik der politischen Okonomie heute 100 Jahre Kapital Europaische Verlagsanstalt 1967 S 58 69 Korreferat von Nicos Poulantzas zu Roman Rosdolsky Kritik der politischen Okonomie heute 100 Jahre Kapital Europaische Verlagsanstalt 1967 S 21 30 The Problem of the Capitalist State In New Left Review I 58 1969 S 67 78 On Social Classes In New Left Review I 78 1973 S 27 54 The Capitalist State A Reply to Miliband and Laclau In New Left Review I 95 1976 S 63 83 Towards a Democratic Socialism In New Left Review I 109 1978 S 75 87 Les theoriciens doivent retorner sur terre In Les Nouvelles litteraires 26 Juni 1978 Es geht darum mit der stalinistischen Tradition zu brechen Interview mit N Poulantzas zum autoritaren Etatismus in Westeuropa und die Strategien der Arbeiterbewegung durchgefuhrt von Rodrigo Vaques Prada In Prokla 37 1979 H 4 S 127 140 L Etat les mouvements sociaux les partis In Dialectics Nr 28 1979 La crise des partis In Le Monde Diplomatique 26 September 1979 Interview with Nicos Poulantzas Conducted by Stuart Hall and Alan Hunt PDF 178 kB In Marxism Today Juli 1979 Is there a Crisis in Marxism In Journal of the Hellenic Diaspora 6 3 1979 Sammelband Bearbeiten James Martin Hrsg The Poulantzas Reader Marxism Law and the State Verso Brooklyn London 2008 ISBN 978 1 84467 200 4 Sekundarliteratur BearbeitenMonografien Bearbeiten Stanley Aronowitz Peter Bratsis Hrsg Paradigm Lost State Theory Reconsidered University of Minnesota Press Minneapolis 2002 Clyde W Barrow Toward a Critical Theory of States The Poulantzas Miliband Debate after Globalization State University of New York Press Albany 2016 Tobias Boos Hanna Lichtenberger Armin Puller Hrsg Mit Poulantzas arbeiten um aktuelle Macht und Herrschaftsverhaltnisse zu verstehen VSA Hamburg 2017 ISBN 978 3 89965 653 4 Lars Bretthauer Alexander Gallas John Kannankulam Ingo Stutzle Hrsg Poulantzas lesen Zur Aktualitat marxistischer Staatstheorie VSA Hamburg 2006 ISBN 3 89965 177 4 Buch als PDF Datei Reading Poulantzas Merlin Press London 2011 ISBN 978 0 85036 647 1 Alex Demirovic Stephan Adolphs Serhat Karakayali Hrsg Das Staatsverstandnis von Nicos Poulantzas Der Staat als gesellschaftliches Verhaltnis Nomos Frankfurt 2010 ISBN 978 3 8329 3887 1 Reihe Staatsverstandnisse Alex Demirovic Nicos Poulantzas Aktualitat und Probleme materialistischer Staatstheorie 2 uberarb und erw Neuauflage Westfalisches Dampfboot Munster 2007 ISBN 978 3 89691 622 8 Alexander Gallas The Thatcherite Offensive A Neo Poulantzasian Analysis Brill Leiden 2015 ISBN 9789004231610 Bob Jessop Nicos Poulantzas Marxist Theory and Political Strategy Palgrave Macmillan London 1985 ISBN 0 312 57266 2 John Kannankulam Autoritarer Etatismus im Neoliberalismus Zur Staatstheorie von Nicos Poulantzas VSA Hamburg 2008 ISBN 3 89965 280 0 Jens Christian Muller Sebastian Reinfeldt Richard Schwarz Manon Tuckfeld Der Staat in den Kopfen Anschlussen an Louis Althusser und Nicos Poulantzas Decaton Verlag Mainz 1994 ISBN 978 3 929455 16 8 Jens Wissel Die Transnationalisierung von Herrschaftsverhaltnissen Zur Aktualitat von Nicos Poulantzas Staatstheorie Nomos Baden Baden 2007 ISBN 3 8329 2689 5 Artikel Bearbeiten Colin Barker A New Reformism A Critique of the Political Theory of Nicos Poulantzas In International Socialism 1979 dt Ubersetzung Ulrich Brand Christoph Gorg Markus Wissen Verdichtungen zweiter Ordnung Die Internationalisierung des Staates aus einer neo poulantzianischen Perspektive PDF 4 5 MB In Prokla Heft 147 37 Jg 2007 Nr 2 S 217 234 Ingo Elbe Rechtsform und Produktionsverhaltnisse Anmerkungen zu einem blinden Fleck in der Gesellschaftstheorie von Nicos Poulantzas PDF 149 kB In Urs Lindner Jorg Nowak Pia Paust Lassen Hrsg Philosophieren unter anderen Beitrage zum Palaver der Menschheit Verlag Westfalisches Dampfboot Munster 2008 ISBN 978 3 89691 752 2 Stuart Hall Nicos Poulantzas State Power Socialism In New Left Review I 119 Januar Februar 1980 Bob Jessop On the Originality Legacy and Actuality of Nicos Poulantzas In Studies In Political Economy 34 Spring 1991 Bob Jessop Globalisierung und Nationalstaat Imperialismus und Staat bei Nicos Poulantzas 20 Jahre spater PDF 756 kB In Prokla Heft 116 29 Jg 1999 Nr 3 S 469 495 Michael Lowy The Nicos Poulantzas I Knew Interview In Verso 5 Marz 2015 1 Bob Jessop Macht und Strategie bei Poulantzas und Foucault 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Brand Miriam Heigl Innen und Aussen Uber Staat Bewegung und radikale Transformation bei Nicos Poulantzas in Jungle World Nr 41 11 Oktober 2006 Ulrich Brand Kritische Intelligenz Nicos Poulantzas und die Reformulierung Internationaler Politischer Okonomie in Jungle World Nr 9 2 Marz 2005 Alexander Gallas Bessere Verhaltnisse Klasse Verdichtung Staat in Jungle World Nr 41 11 Oktober 2006 Alexander Gallas We may not like it but we have to be part of it Poulantzas die Linke und der Staat in arranca Nr 41 Januar 2010 Alexander Gallas Der Staatstheoretiker in Der Freitag 21 September 2011 Ingo Stutzle Der Klassenfeind steht immer im Staat Nicos Poulantzas zum 70 Geburtstag ak zeitung fur linke debatte und praxis Nr 509 2006 Alex Demirovic und Serhat Karakayali in Folge 8 einer Podcast Reihe uber politische Theorie der Rosa Luxemburg Stiftung https www rosalux de theoriepodcast Einzelnachweise Bearbeiten Biografische Angaben beruhen wenn nicht anders belegt auf Bob Jessop Nicos Poulantzas Marxist Theory and Political Strategy London 1985 S 6 ff sowie Alex Demirovic Nicos Poulantzas Aktualitat und Probleme materialistischer Staatstheorie Munster 2007 S 10 ff Seine Franzosischkenntnisse vervollkommnete er zudem durch Privatunterricht Seinem Vater schrieb er aus Munchen that the influence of Nazi ideas was so strong that he could not stay in Germany Bob Jessop Nicos Poulantzas Marxist Theory and Political Strategy London 1985 S 9 Vgl Kontroverse uber den kapitalistischen Staat Berlin Merve Verlag 1976 Vgl Bob Jessop Macht und Strategie bei Poulantzas und Foucault Supplement der Zeitschrift Sozialismus S 10f Michael Lowy The Nicos Poulantzas I knew In Verso 2015 abgerufen am 29 Juli 2021 englisch Vgl James Martin Introduction in The Poulantzas Reader Marxism Law and the State London 2008 S 2f Vgl Alex Demirovic Joachim Hirsch Bob Jessop Einleitung der Herausgeber in Staatstheorie Politischer Uberbau Ideologie Autoritarer Etatismus Hamburg 2002 S 10 Vgl Bob Jessop Nicos Poulantzas S 14 Vgl Peter Thomas Konjunktur des integralen Staates Poulantzas Gramsci Lekture in Lars Bretthauer et al Hg Poulantzas lesen Zur Aktualitat marxistischer Staatstheorie Hamburg 2006 S 308 Vgl Nicos Poulantzas Theorie und Geschichte Kurze Bemerkungen uber den Gegenstand des Kapitals in Kritik der politischen Okonomie heute 100 Jahre Kapital Frankfurt Main 1968 S 64 Vgl Nicos Poulantzas Theorie und Geschichte S 64 Poulantzas Nicos Das Problem des kapitalistischen Staates in Poulantzas Nicos Miliband Ralph Kontroverse uber den kapitalistischen Staat Berlin 1976 S 19 22 Poulantzas Nicos Faschismus und Diktatur Die Kommunistische Internationale und der Faschismus Munchen 1973 S 322 und Fussnote 416 Poulantzas Nicos Faschismus und Diktatur S 325 Fussnote 419 Poulantzas Nicos Faschismus und Diktatur S 326 und Fussnote 420 Vgl Poulantzas Nicos Staatstheorie Politischer Uberbau Ideologie Autoritarer Etatismu Hamburg 2002 S 59 Vgl Poulantzas Nicos Staatstheorie S 63 Vgl Poulantzas Nicos Staatstheorie S 60 John Kannankulam Autoritarer Etatismus im Neoliberalismus Zur Staatstheorie von Nicos Poulantzas Hamburg 2008 S 20 Nicos Poulantzas Staatstheorie Politischer Uberbau Ideologie Autoritarer Etatismus Hamburg 1978 S 237 Vgl Ingo Elbe Rechtsform und Produktionsverhaltnisse S 230 233 Normdaten Person GND 118596012 lobid OGND AKS LCCN n50019573 VIAF 72186482 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Poulantzas NicosALTERNATIVNAMEN Poylantzas Nikos griechisch KURZBESCHREIBUNG griechischer PolitikwissenschaftlerGEBURTSDATUM 21 September 1936GEBURTSORT Athen GriechenlandSTERBEDATUM 3 Oktober 1979STERBEORT Paris Frankreich Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Nicos Poulantzas amp oldid 236813251