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Muskelrelaxanzien auch Muskelrelaxantia Myotonolytika oft Muskelrelaxantien Singular Muskelrelaxans Myotonolytikum Muskelrelaxanz sind Substanzen die eine reversible vorubergehende Entspannung der Skelettmuskulatur bewirken Entsprechend ihrem Wirkmechanismus unterscheidet man zwischen den direkt an der motorischen Endplatte des Muskels angreifenden peripheren Muskelrelaxanzien und den zentralen Muskelrelaxanzien die im Zentralnervensystem den Muskeltonus herabsetzen Viele muskelrelaxierende Stoffe werden als Arzneimittel verwendet Periphere Muskelrelaxanzien werden zur Durchfuhrung von Narkosen im Rahmen von Operationen eingesetzt um den Tonus der Skelettmuskulatur herabzusetzen oder ganzlich aufzuheben zentrale Muskelrelaxanzien zur Behandlung von spinal ausgelosten Spastiken oder lokalen Muskelspasmen Inhaltsverzeichnis 1 Periphere Muskelrelaxanzien 1 1 Wirkungsweise 1 1 1 Motorische Endplatte 1 1 2 Wirkung der Muskelrelaxanzien 1 1 2 1 Nichtdepolarisierende 1 1 2 2 Depolarisierende 1 2 Wirkstoffe 1 3 Anwendungsgebiete 1 4 Uberwachung der neuromuskularen Funktion 1 5 Antagonisierung 2 Myotrope Muskelrelaxanzien 3 Zentrale Muskelrelaxanzien Myotonolytika 4 Siehe auch 5 Literatur 6 EinzelnachweisePeriphere Muskelrelaxanzien BearbeitenPeriphere Muskelrelaxanzien engl peripheral muscle relaxants blockieren die neuromuskulare Reizubertragung an den motorischen Endplatten was eine reversible Lahmung hervorruft die der Organismus aber selbstandig abbaut Die Dauer dafur ist abhangig von der Dosierung Durch die Gabe von Antagonisten Neostigmin Sugammadex kann die Wirkung aktiv aufgehoben werden z B am Ende einer Operation oder Problemen bei der Atemwegssicherung Durch den routinemassigen Einsatz der Relaxometrie ist ein Relaxanzuberhang nach einer Narkose nahezu ausgeschlossen Wirkungsweise Bearbeiten Motorische Endplatte Bearbeiten nbsp An der neuromuskularen Endplatte findet die Erregungsubertragung von einer Nervenzelle auf eine Muskelzelle statt Im Bereich unter der prasynaptischen Zellmembran enthalt das terminalen Axon in synaptischen Vesikeln abgepackte Molekule des Neurotransmitters Acetylcholin die durch Exozytose in den synaptischen Spalt freigesetzt werden Muskelrelaxanzien sind Hemmstoffe der neuromuskularen Ubertragung an der motorischen Endplatte Diese ist der Ort der Ubertragung der Erregung von einer Nervenzelle auf die Muskelfaser Bei Erregung der Nervenzelle wird der Botenstoff Acetylcholin aus Vesikeln uber die axonalen Freisetzungsstellen in den synaptischen Spalt abgegeben Das Acetylcholin diffundiert zu den Rezeptoren der Muskelzelle bindet dort und fuhrt durch eine Anderung der allosterischen Konfiguration der Rezeptormolekule zu einem Einstrom von Natrium Ionen in die Muskelzelle Damit kommt es zu einer Depolarisation des Membranpotentials zur Erregung und Kontraktion der Muskelzelle Acetylcholin wird rasch durch Diffusion und enzymatischen Abbau Acetylcholinesterase aus dem synaptischen Spalt entfernt Damit sind die Bindungsstellen am Rezeptor frei und stehen fur erneute Erregung zur Verfugung Wirkung der Muskelrelaxanzien Bearbeiten Die Substanzen lagern sich an die nikotinischen Acetylcholinrezeptoren einer Muskelzelle an Bei der Erregung einer motorischen Nervenzelle wird dann zwar der Neurotransmitter Acetylcholin freigesetzt doch kann dieser Botenstoff wegen der blockierten Rezeptoren an den zugeordneten Muskelzellen nicht adaquat wirken Die Steuerung von Muskelkontraktionen durch Nervenimpulse ist unterbrochen Der Muskel ist somit vorubergehend gelahmt aktive Bewegungen sind ausgeschlossen Nichtdepolarisierende Bearbeiten Nichtdepolarisierende Muskelrelaxanzien binden als kompetitive Antagonisten hemmend an den Rezeptor ohne eine Depolarisation der Muskelzellmembran auszulosen Durch die Blockade wird die Wirkung des Acetylcholins verhindert Durch eine Erhohung der Acetylcholinkonzentration kann die Wirkung durchbrochen werden Dabei werden meist Cholinesterasehemmer wie Neostigmin eingesetzt welche allerdings zusatzlich die Gabe von einem Vagolytikum erforderlich machen da sie nicht spezifisch an der motorischen Endplatte angreifen Der Chelatbildner Sugammadex ein die Wirkung von Rocuronium aufhebendes Cyclodextrin hat indessen keine parasympathischen Nebenwirkungen Depolarisierende Bearbeiten Depolarisierende Muskelrelaxanzien wirken als Agonisten erregend am Rezeptor sie losen eine lang anhaltende Depolarisation aus Dabei fuhren sie am Anfang zu einer kurzen Kontraktion der Muskeln was beim Patienten als Faszikulieren unkoordiniertes Muskelzittern beobachtet wird und gehen dann in eine schlaffe Lahmung uber Die fortbestehende Depolarisation verhindert eine erneute Erregung durch Acetylcholin der Muskel ist unerregbar Die Wirkung ist nicht durch andere Medikamente aufzuheben antagonisierbar Der einzige am Menschen zugelassene Wirkstoff ist das gut zu steuernde weil kurz wirksame Succinylcholin Wirkstoffe Bearbeiten Abgesehen von geringen und seltenen Nebenwirkungen haben bevorzugte Muskelrelaxanzien im Sinne guter Steuerbarkeit ihrer Wirkung einen raschen Wirkungseintritt und eine kurze Wirkdauer Alle nicht depolarisierenden Muskelrelaxanzien NDMR konnen in unterschiedlichem Masse Histamine freisetzen und fur alle sind allergische Reaktionen beschrieben In struktureller Sicht werden die Benzylisochinoline Atracurium Cisatracurium Mivacurium und die Steroid Derivate Pancuronium Rocuronium Vecuronium Pipecuronium und Rapacuronium die beiden letztgenannten sind nicht mehr verfugbar unterschieden Im Allgemeinen neigen Benzylisochinoline eher zur Histaminliberation als die Gruppe der Steroidderivate Die Namen der Benzylisochinolon Derivate enden auf urium die Steroide auf uronium nichtdepolarisierende stabilisierende Muskelrelaxanzien Name Wirkungs eintritt Wirkungs dauer Nebenwirkungen BemerkungenPancuronium 3 5 min 70 120 min Herzrhythmusstorungen insbesondere Anstieg der Herzfrequenz Tachykardie Kardiovaskulare Interaktionen mit Imipramin beschrieben 1 Pipecuronium 3 5 min 90 120 min sehr lange Wirkdauer Nicht mehr im Handel Vecuronium 3 4 min 35 45 min geringRocuronium 45 s 3 min 30 40 min gering einziges nichtdepolarisierendes MR fur die modifizierte Rapid Sequence Induction RSI durch Sugammadex spezifisch antagonisierbarRapacuronium 60 90 s 15 25 min Herzfrequenzanstieg Ventilationsstorungen beschrieben wurde 2001 vom Markt genommen 2 Atracurium 3 4 min 35 45 min Herzfrequenzanstieg Bronchospasmus Hofmann Eliminierung deshalb im Abbau unabhangig von Leber und NierenfunktionCisatracurium 4 6 min 40 50 min Hofmann EliminierungMivacurium 3 5 min 10 25 min Histaminfreisetzung Flush bis hin zu leichten anaphylaktischen Reaktionen vor allem bei zu schneller Injektion kurze Wirkdauer Wirkverlangerung bei Cholinesterasemangel Alcuronium 3 5 min 60 80 min Bronchospasmus Herzrhythmusstorungen Histaminfreisetzung findet kaum noch Verwendungdepolarisierende Muskelrelaxanzien Name Wirkungs eintritt Wirkungs dauer Unerwunschte Wirkungen BemerkungenSuxamethonium Succinylcholin 35 90 s 3 5 min Herzrhythmusstorungen Hyperkaliamie Myoklonien Triggersubstanz fur maligne Hyperthermie stark verlangerte Wirkdauer bei Mangel an Pseudocholinesterase einziger beim Menschen eingesetzter Depolarisationsblocker wegen seiner Nebenwirkungen zunehmend nur noch Standard fur die Rapid Sequence Induction bei Notfallnarkosen neuere Alternative RocuroniumDekamethonium 10 min in der Humanmedizin nicht im Einsatzmyotrope Muskelrelaxanzien Name Wirkungs dauer Unerwunschte Wirkungen BemerkungenDantrolen Halbwertszeit 7 h Anaphylaktische und allergische Reaktionen neurologische Storungen Mittel der Wahl bei maligner Hyperthermieweitere Muskelrelaxanzien Name Herkunft Wirkmechanismus AnwendungBotulinumtoxin Clostridium botulinum hemmen die Verschmelzung der Membran mit Acetylcholin enthaltenen Vesikeln bei LidkrampfenAnwendungsgebiete Bearbeiten nbsp TubocurarinDer Chirurg Arthur Lawen ein Schuler von Heinrich Braun in Leipzig hatte nachdem er zunachst Versuche an Ratten und Meerschweinchen durchgefuhrt hat bereits 1912 Curarin als zweiprozentige Losung zur Verfugung gestellt von dem Pharmakologen Rudolf Boehm in geringer Dosierung zur Erganzung der Athernarkose bei Operationen benutzt und stellte dabei eine Bauchdeckenentspannung beim Wundverschluss fest 3 Mit der klinischen Anwendung der Muskelrelaxantien in der Anasthesie bei Kombinationsnarkosen konnten durch Kombination von Analgetika Hypnotika und Relaxantien toxische Nebenwirkungen auf Herz Kreislauf und Stoffwechsel bei weniger Bedarf an den jeweiligen Einzelkomponenten vermindert werden 4 Der weltweite Einsatz von Muskelrelaxanzien bei Narkosen begann mit der durch Harold R Griffith 1894 1985 und G Enid Johnson 1909 5 am 23 Januar 1942 in Montreal durchgefuhrten Anwendung von Curare als Tubocurare bzw Tubocurarin Handelsname Intocostrin wahrend einer Wurmfortsatzentfernung in Cyclopropannarkose 6 7 Succinylcholin wurde 1951 in die klinische Praxis eingefuhrt 8 Muskelrelaxanzien werden im Rahmen offener oder minimal invasiver Operationen des Bauchraums Laparotomie Laparoskopie und des Brustkorbes Thorakotomie Thorakoskopie benotigt um den Muskeltonus der Skelettmuskulatur zu reduzieren Muskelrelaxierung da sonst keine adaquaten Sicht und Operationsbedingungen vorliegen Eine doppelblinde Untersuchung zeigte am Beispiel der laparoskopischen Gallenblasenentfernung deutlich dass fur bestimmte Operationen eine tiefe Relaxierung notwendig ist um Probleme wahrend der Operation zu verhindern So liess sich zum Beispiel ohne Relaxierung der Bauch haufig nicht weit genug aufblasen und am Ende der OP liess sich die Gallenblase nicht durch den kleinen Einschnitt am Bauch herausziehen 9 Eine weitere Indikation ist die Durchfuhrung einer endotrachealen Intubation Hierbei werden durch fehlende Abwehrbewegungen das Verletzungsrisiko verkleinert und die Sichtbedingungen auf die Stimmlippen sowie die Passage letzterer verbessert Das Risiko von Heiserkeit und oder Stimmbandschaden bei einer Intubation ohne Relaxierung ist ca dreifach hoher als beim Einsatz von Relaxierung 10 Uberwachung der neuromuskularen Funktion Bearbeiten Als Relaxometrie oder neuromuskulares Monitoring bezeichnet man die Uberwachung der neuromuskularen Reizubertragung an der motorischen Endplatte beim Einsatz von Muskelrelaxanzien Mittels zweier Elektroden wird dabei ein peripherer Nerv durch das Relaxometer stimuliert und die dadurch hervorgerufenen Muskelantwort quantitativ gemessen Anhand dieser Werte kann der Anasthesist die Wirkung der Muskelrelaxanzien beurteilen und deren Dosierung entsprechend steuern Antagonisierung Bearbeiten Uber zwei Prinzipien kann die Wirkung der nichtdepolarisierenden Muskelrelaxanzien aufgehoben antagonisiert werden Durch die Gabe von Cholinesterasehemmstoffen wie Neostigmin wird die Wirkung der Acetylcholinesterase vermindert wodurch Acetylcholin der aktivierende Botenstoff an der muskularen Endplatte weniger abgebaut wird Durch die Verschiebung des quantitativen Verhaltnisses verdrangt dieses das Relaxans von den nikotinischen Acetylcholinrezeptoren und hebt so dessen Wirkung auf Nachteilig sind die Nebenwirkungen auf den Parasympathikus die durch muskarinische Acetylcholinrezeptoren vermittelt werden und die zu einer Steigerung des Parasympathikotonus zum Beispiel Bradykardie und andere Herzrhythmusstorungen 11 sowie Bronchokonstriktion fuhren Diese versucht man durch die Gabe von Atropin zu mindern Nach intravenoser Gabe von Sugammadex das seit 2008 zugelassen ist wird das Muskelrelaxans fest gebunden enkapsuliert und die Wirkung beendet Sugammadex kann allerdings nur Rocuronium und in geringem Ausmass Vecuronium binden Im Unterschied zu den Acetylcholinesterase Inhibitoren erfolgt damit die Wirkung nicht an der neuromuskularen Endplatte sondern im Serum parasympathische Nebenwirkungen treten nicht auf Myotrope Muskelrelaxanzien BearbeitenMyotrope Muskelrelaxanzien wirken nicht an der motorischen Endplatte sondern direkt am quergestreiften Muskel Der wichtigste Vertreter ist Dantrolen das durch eine direkte Blockade des intrazellularen Ryanodin Rezeptors die Calciumfreisetzung aus dem Sarkoplasma intrazellularer Calciumspeicher in das Cytoplasma der Muskelzelle die elektromechanische Kopplung unterbricht und so eine Kontraktion verhindert Die Indikation zur Verabreichung ist eine maligne Hyperthermie An Herzmuskulatur und glatter Muskulatur hat Dantrolen kaum einen Effekt da in dieser Muskulatur andere Rezeptoren vorherrschen Zentrale Muskelrelaxanzien Myotonolytika BearbeitenZentrale Muskelrelaxanzien engl central muscle relaxants sind Medikamente die eine Wirkung im zentralen Nervensystem haben wie z B Tetrazepam Flupirtin Tizanidin Baclofen Pridinol Tolperison Eperison oder Methocarbamol Sie werden bei krankhafter Steigerung Spastik des Muskeltonus eingesetzt Hierbei wird durch die dampfende Wirkung der Medikamente der Muskeltonus verringert Siehe auch BearbeitenSpasmolytikumLiteratur BearbeitenW C Bowman Neuromuscular block In Br J Pharmacol 147 Suppl 1 2006 S S277 S286 PMID 16402115 PMC 1760749 freier Volltext T Raghavendra Neuromuscular blocking drugs discovery and development In J R Soc Med 95 2002 S 363 367 PMID 12091515 PMC 1279945 freier Volltext Erich Kirchner Wolfgang Seitz Hrsg Klinik der Muskelrelaxation 50 Jahre nach Griffith und Johnson Steinkopff Darmstadt 1994 Neudruck ebenda 2012 ISBN 978 3 642 95978 3 Otto Mayrhofer K Hassfurter Kurzwirkende Muskelerschlaffungsmittel Selbstversuche und klinische Erprobung am narkotisierten Menschen In Wiener klinische Wochenschrift Band 63 1951 S 885 ff Einzelnachweise Bearbeiten Reinhard Larsen Anasthesie und Intensivmedizin in Herz Thorax und Gefasschirurgie 1 Auflage 1986 5 Auflage Springer Berlin Heidelberg New York u a 1999 ISBN 3 540 65024 5 S 36 f Marktrucknahme Rapacuronium Otto Mayrhofer Gedanken zum 150 Geburtstag der Anasthesie In Der Anaesthesist Band 45 1996 S 881 883 hier S 881 f H Orth I Kis Schmerzbekampfung und Narkose In Franz Xaver Sailer Friedrich Wilhelm Gierhake Hrsg Chirurgie historisch gesehen Anfang Entwicklung Differenzierung Dustri Verlag Deisenhofen bei Munchen 1973 ISBN 3 87185 021 7 S 1 32 hier S 23 Otto Mayrhofer Gedanken zum 150 Geburtstag der Anasthesie In Der Anaesthesist Band 45 1996 S 881 993 hier S 882 Michael Heck Michael Fresenius Repetitorium Anaesthesiologie Vorbereitung auf die anasthesiologische Facharztprufung und das Europaische Diplom fur Anasthesiologie 3 vollstandig uberarbeitete Auflage Springer Berlin Heidelberg New York u a 2001 ISBN 3 540 67331 8 S 803 Erich Kirchner Vorbemerkung In Wolfgang Seitz Hrsg Klinik der Muskelrelaxation 50 Jahre nach Griffith und Johnson 1994 S 1 Otto Mayrhofer Gedanken zum 150 Geburtstag der Anasthesie In Der Anaesthesist Band 45 1996 S 881 993 hier S 882 https www clinicaltrials gov ct2 show record NCT00895778 Thomas Mencke Mathias Echternach Stefan Kleinschmidt Philip Lux Volker Barth Peter K Plinkert Thomas Fuchs Buder Laryngeal Morbidity and Quality of Tracheal Intubation In Anesthesiology 98 2003 S 1049 1056 doi 10 1097 00000542 200305000 00005 Reinhard Larsen 1999 S 39 Dieser Artikel behandelt ein Gesundheitsthema Er dient nicht der Selbstdiagnose und ersetzt nicht eine Diagnose durch einen Arzt Bitte hierzu den Hinweis zu Gesundheitsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Muskelrelaxans amp oldid 232849170