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Die Lotharische Legende ist eine seit dem fruhen 16 Jahrhundert belegte und im 17 Jahrhundert widerlegte Legende nach der Kaiser Lothar III im Jahre 1135 nach der Eroberung Amalfis durch ein Gesetz das romische Recht im Heiligen Romischen Reich eingefuhrt habe und im gleichen Zug alles entgegenstehende Recht beseitigt sowie zukunftige Rechtsanderungen untersagt habe Mit dieser Legende wurde ein neuer Erklarungsversuch fur die Verbreitung des romischen Rechts im deutschen Raum des Spatmittelalters angeboten Rezeption Die bis dahin verbreitete Theorie der translatio imperii nach der das untergegangene Romische Reich uber das Frankische auf das Heilige Romische Reich ubergegangen sei und romisches Recht deshalb eine Art Naturrecht hoherer spiritueller Autoritat sei verlor aufgrund ihres metaphysischen Charakters an Unterstutzung Durch die Legende sollte ein pragmatischerer Erklarungsansatz geboten und die Verbreitung auf einen tatsachlichen Gesetzgebungsakt der dann Legitimationsgrundlage ist zuruckgefuhrt werden 1 Gleichzeitig hatte die Legende eine Starkung des romisch deutschen Kaisers bedeutet der seit der Grundung des Reiches zahlreiche Majestatsrechte Regalien an die geistlichen und weltlichen Landesherren verloren hatte Mit dem Ausbruch des Dreissigjahrigen Krieges im Jahr 1618 und dem sich anbahnenden Westfalischen Frieden von 1648 erschien aber auch diese pragmatischere Erklarung bald nicht mehr zeitgemass Eine solche Machtfulle des Kaisers ware allenfalls durch eine hohere spirituelle Stellung des Reiches zu erklaren gewesen an welche zu einem Zeitpunkt als sich die einzelnen Territorien des Reiches angefangen hatten zu eigenstandigen Staaten zu entwickeln nicht mehr geglaubt werden konnte Widerlegt wurde die Legende durch den Staatsrechtler und Polyhistor Hermann Conring in seinem 1643 veroffentlichten Werk De origine iuris germanici Uber den Ursprung des deutschen Rechts Er monierte die fehlende Urkunde des angeblichen Rechtsaktes und die zeitliche Verzogerung zwischen dem angeblichen Gesetzgebungsakt im Jahr 1135 und der tatsachlich erst im 15 Jahrhundert erfolgten Rezeption Fur diejenigen die wirklich die alten Dokumente befragen steht offensichtlich diese Geschichte von Kaiser Lothar nicht nur auf schwachen Fussen sondern sie ist auch vollkommen falsch Weil also heute kein Gesetz kein auch nur etwas alteres Zeugnis vorhanden ist dass Lothar die bis dahin gultigen Gesetze verworfen habe indem er allein die romischen an ihre Stelle setze ist doch vollig klar wie unbegrundet diese allgemein verbreitete Behauptung ist Weil es das romische Recht nach Deutschland aber erst im 15 Jahrhundert eindrang liegt klar auf der Hand was fur ein Marchen die Geschichte ist Hermann Conring Uber den Ursprung des deutschen Rechts 1643 2 Als neuen bis heute vertretenen Erklarungsversuch lieferte Conring eine rein pragmatische Erzahlung Das romische Recht sei seit der Entdeckung der Littera Florentina im 9 Jahrhundert in einem schleichenden Prozess rezipiert worden was vor allem praktische Grunde gehabt habe Zum einen waren Studenten des Rechts zumeist entweder kirchliche Ordensangehorige oder wohlhabende Kaufmannssohne die sich das Studium leisten konnten Erstere lernten das vom romischen Recht beeinflusste kanonische Recht letztere bevorzugten das romische Recht deshalb weil dieses Losungsansatze fur Handelsprobleme bot die die ortlichen Gewohnheitsrechte nicht enthielten 3 Zum anderen wurde das romische Recht durch die jahrhundertelange Arbeit der Glossatoren und Kommentatoren wissenschaftlich bearbeitet und systematisiert Ahnliche Vorzuge hatte das deutsche Recht aus Grunden seiner lediglich partikularen Anwendungsbereiche nicht sieht man von wenigen Ausnahmen wie der Glosse Johann von Buchs zum Sachsenspiegel ab Aus diesem Grund wurden die wichtigsten rechtsgebenden Positionen vorzugsweise mit romisch rechtlich ausgebildeten Juristen besetzt Sie waren tatig in der Verwaltung der Fursten als Richter als Ratgeber am Hof und wurden oft sogar unmittelbar an Gesetzgebungsprozessen beteiligt so etwa bei der ersten Gerichtsordnung des Reichskammergerichts bei der Constitutio Criminalis Carolina oder bei den revidierten Stadt und Landrechten 4 Uber diese Positionen integrierten sie das von ihnen gelernte romische Recht in einem schleichenden Prozess in das einheimische deutsche Recht Tatsachlich ist zu beobachten dass man teils durch eine gewisse stillschweigende Gewohnheit teils durch Erlasse der Fursten anfing zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten das romische Recht zu beachten Seitdem namlich den Doktoren des romischen Rechts das Gerichtswesen anvertraut war konnte es doch kaum anders geschehen dass viele von ihnen den Gebrauch des romischen Rechts allmahlich einfuhrten Hermann Conring Uber den Ursprung des deutschen Rechts 1643 5 Die Widerlegung der Legende durch Conring ist von grosser Bedeutung Zum einen begrundete dieser durch die Aufstellung allgemeiner Grundsatze 6 das neue Fach der Rechtsgeschichte Zum anderen verlor das romische Recht seine unumstossliche Autoritat Es war weder spirituell hoheres Naturrecht noch das vermeintlich allein geltende Recht Es habe sich vielmehr an die Probleme und Sitten der Gegenwart anzupassen konne auch verandert werden und sei notfalls auch ganz zu verwerfen Die Juristen der Gegenwart waren damit frei ein dogmatisch schlussiges Gemeinrecht zu entwerfen auch wenn dieses dem romischen Recht entgegenstand Aus dieser neuen Freiheit entstand die juristische Stromung des Usus modernus pandectarum 7 Wenn auch so uberall in Deutschland an den Gerichten das romische Recht seinen Anfang nahm mochte ich dennoch nicht glauben dass in irgend einer Gegend das romische Recht als einziges allein Anerkennung fand wahrend gleichzeitig alle alten Sitten und Gewohnheiten aufgehoben wurden Die Gesetze die heute in den einzelnen Stadten und Landschaften Deutschlands befolgt werden fliessen aus ganz verschiedenen Quellen deshalb muss man in verschiedenen Buchern die Satzungen nicht nur ganz Deutschlands sondern auch die der einzelnen Furstentumer und Gemeinwesen erforschen Hermann Conring Uber den Ursprung des deutschen Rechts 1643 8 Literatur BearbeitenHermann Conring Der Ursprung des deutschen Rechts Bibliothek des deutschen Staatsdenkens Bd 3 Frankfurt a M 1994 ISBN 978 3 458 16653 5 Alberto Jori Hermann Conring 1606 1681 Der Begrunder der deutschen Rechtsgeschichte Mit einer Grussadresse von Kristian Kuhl Tubingen 2006 ISBN 3 935625 59 6 Einzelnachweise Bearbeiten Franz Wieacker Privatrechtsgeschichte der Neuzeit Unter Berucksichtigung der deutschen Entwicklung 3 Auflage Vandenhoeck amp Ruprecht 2016 1 Auflage 1952 S 206 Hermann Conring Der Ursprung des deutschen Rechts S 149 149 164 Winfried Trusen Anfange des gelehrten Rechts in Deutschland Ein Beitrag zur Geschichte der Fruhrezeption F Steiner 1962 S 35 Gerhard Dilcher Eva Marie Distler Hrsg Leges Gentes Regna Zur Rolle von germanischen Rechtsgewohnheiten und lateinischer Schrifttradition bei der Ausbildung der fruhmittelalterlichen Rechtskultur 2006 S 503ff Hermann Conring Der Ursprung des deutschen Rechts S 222 Hermann Conring Der Ursprung des deutschen Rechts S 16 Erstens Alles was uber die alte menschliche Geschichte weder in zeitgenossischen Berichten noch in glaubwurdigen Dokumenten der folgenden Jahrhunderte uberliefert wird verdient keinen Glauben auch wenn man gestern oder vorgestern begonnen hat es uberall zu glauben Zweitens Alles was glaubwurdige und dem Ereignis zeitlich am nachsten stehende Autoren erwahnen verdient mehr Glauben als dasjenige was einige erst kurzlich Lebende ohne sich auf alte Dokumente zu stutzen versichern Drittens Ein Faktum der menschlichen Geschichte das in keinem bisher veroffentlichten Dokument erwahnt wird und das auch in Manuskripten nicht gefunden wird obwohl man mit Energie alle Archive und Bucherschranke untersucht hat gilt als nicht hinreichend glaubwurdig belegt Franz Wieacker Privatrechtsgeschichte der Neuzeit Unter Berucksichtigung der deutschen Entwicklung 3 Auflage Vandenhoeck amp Ruprecht 2016 1 Aufl 1952 S 207f Hermann Conring Der Ursprung des deutschen Rechts S 222 230 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Lotharische Legende amp oldid 235621013