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Lebenslauf ist eine Ode in asklepiadeischem Versmass von Friedrich Holderlin Eine erste einstrophige Fassung schrieb Holderlin Mitte 1798 Zur zweiten vierstrophigen Fassung erweiterte er sie im Sommer 1800 Die einstrophige Fassung gehort zu seinen epigrammatischen Oden Man hat ein und vierstrophige Fassung zusammennehmend von einem poetischen Wunderwerk gesprochen 1 Ehmals und Jezt und einstrophige Fassung von Lebenslauf Erstdruck der einstrophigen FassungInhaltsverzeichnis 1 Uberlieferung 2 Texte 3 Interpretation 3 1 Einstrophige Fassung 3 2 Vierstrophige Fassung 4 Literatur 5 EinzelnachweiseUberlieferung BearbeitenHolderlin schickte die einstrophige Fassung im Juni und August 1798 zusammen mit 17 anderen epigrammatischen Oden an seinen Freund Christian Ludwig Neuffer fur dessen Taschenbuch fur Frauenzimmer von Bildung Neuffer publizierte Lebenslauf im Jahrgang 1799 Holderlins Manuskript ist in der Bibliotheca Bodmeriana erhalten auf einem Blatt auf dem ausserdem die Gedichte Ehmals und Jezt und umseitig Die Kurze stehen nbsp Vierstrophige Fassung Strophen 1 und 2 nbsp Vierstrophige Fassung Strophen 3 und 4Die vierstrophige Fassung erschien erstmals 1826 in der von Ludwig Uhland und Gustav Schwab veranstalteten Sammelausgabe der Gedichte In der Wurttembergischen Landesbibliothek in Stuttgart existieren mehrere Manuskripte darunter die hier abgebildete vorlaufige Reinschrift in die Holderlin spater Anderungen eingetragen hat 2 Holderlin wird hier nach der von Friedrich Beissner Adolf Beck und Ute Oelmann 1949 besorgten historisch kritischen Stuttgarter Ausgabe seiner Werke zitiert Die von Dietrich Sattler herausgegebene historisch kritische Frankfurter Ausgabe und die Leseausgabe von Michael Kaupp bieten identische Texte des Gedichts Die Leseausgaben von Gerhard Kurz und Wolfgang Braungart sowie Jochen Schmidt sind orthographisch modernisiert Texte BearbeitenLebenslauf Hoch auf strebte mein Geist aber die Liebe zogSchon ihn nieder das Laid beugt ihn gewaltiger So durchlauf ich des Lebens Bogen und kehre woher ich kam Lebenslauf Grossers wolltest auch du aber die Liebe zwingtAll uns nieder das Laid beuget gewaltiger Doch es kehret umsonst nicht Unser Bogen woher er kommt Aufwarts oder hinab herrschet in heil ger Nacht Wo die stumme Natur werdende Tage sinnt Herrscht im schiefesten Orkus Nicht ein Grades ein Recht noch auch Diss erfuhr ich Denn nie sterblichen Meistern gleichHabt ihr Himmlischen ihr Alleserhaltenden Dass ich wusste mit Vorsicht Mich des ebenen Pfads gefuhrt Alles prufe der Mensch sagen die Himmlischen Dass er kraftig genahrt danken fur Alles lern Und verstehe die Freiheit Aufzubrechen wohin er will Interpretation BearbeitenHolderlin kleidet das menschliche Leben in das Bild des Bogens wie es schon Heraklit tat der mit der Ahnlichkeit der griechischen Worter fur Leben bios bios und Bogen bios bios spielte 3 In der einstrophigen Fassung beschrankt er sich auf die eigene Biographie In der vierstrophigen Fassung deren erste Strophe das einstrophige Gedicht mit wenigen aber einschneidenden Veranderungen wiederholt ubersteigt er das Subjektive Individuelle Personliche und reflektiert uber die menschliche Existenz allgemein Aus der einstrophigen Fassung spricht sanfte Resignation aus der vierstrophigen heroische Selbstbehauptung Einstrophige Fassung BearbeitenHolderlin versucht sein eigenes Leben und Erleben zu fassen mit Personal und Possessivpronomina der 1 Person spricht er von sich Hatte er fruher ins Ideal Unermessliche gestrebt etwa in der Tubinger Hymne von 1790 An die Unsterblichkeit Nein Unsterblichkeit du bist du bist 4 so hat die Liebe jetzt Schon ihn nieder gezogen Im Erstdruck steht Bald ihn nieder vermutlich eine willkurliche Anderung Neuffers Im wirklichen Leben hat Holderlin die Liebe zu Susette Gontard als schon erlebt in Susette hat sich ihm die Schonheit geoffenbart Gleichzeitig mit den epigrammatischen Oden entstand in Frankfurt Holderlins Roman Hyperion Den Hyperion des Romans fuhrt die Liebe zur Diotima des Romans zur Auffassung der Schonheit als des schlechthin Vollkommenen Hyperion meint damit nicht nur den ausseren Augenschein sondern mehr noch das ideale Sein in seiner Allharmonie 5 Hyperion schreibt an seinen Briefpartner Bellarmin 6 Ich hab es Einmal gesehn das Einzige das meine Seele suchte und die Vollendung die wir uber die Sterne hinauf entfernen die wir hinausschieben bis an s Ende der Zeit die hab ich gegenwartig gefuhlt Es war da das Hochste in diesem Kreise der Menschennatur und der Dinge war es da Ich frage nicht mehr wo es sey es war in der Welt es kann wiederkehren in ihr es ist jezt nur verborgner in ihr Ich frage nicht mehr was es sey ich hab es gesehn ich hab es kennen gelernt lt gt Sein Nahme ist Schonheit Mit der Liebe zu Susette Gontard ist auch Leid gekommen das ihn jetzt beugt das Prasens zeigt wie die Pronomina der 1 Person die Konzentration auf das eigene Leben Der Dichter scheint sich die Verben bleiben im Prasens mit seinem Geschick abzufinden So durchlauf ich des Lebens Bogen und kehre woher ich kam Das Sich Abfinden ist eine individuelle Losung So bietet diese erste Fassung des Gedichtes ein vollendetes Bild von Holderlins eigener geistiger Entwicklung bis zu seiner Trennung von Diotima 7 Die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines durch die Liebe niedergezogenen und durch Leid gebeugten Lebens bleibt unbeantwortet Vierstrophige Fassung Bearbeiten Aus der Uberschau uber das eigene Leben und Erleben ist eine Uberschau uber das Leben allgemein geworden Die erste Strophe fangt wie die eine Strophe der ersten Fassung mit umarmender Bewegung Anfang Mitte und Ende des Lebens ein Das Ich ist geloscht Die Pronomina du all uns und unser verweisen auf den Lebensbogen der ganzen Menschheit Holderlin redet von uns allen 8 Die Menschen die Grossers wollten das Gegebene aufsprengen wollten zwingt die Liebe nieder Holderlin nimmt die beruhmte Wendung Vergils omnia vincit amor Die Liebe bezwingt alles auf 9 Das Laid beuget gewaltiger so gewaltig dass das Objekt des Beugens der Mensch ganz verschwunden ist 10 Unter der Gewalt des Leides kann der Mensch gewissermassen nicht mehr auf sich reflektieren die rein sinnliche Erfahrung der beugenden Gewalt nimmt ihn den Schwachen Zuruckgenommenen ganz in Anspruch 11 Mit Doch lt gt umsonst nicht aber kommt ein neuer Ton auf ein energisches Aufbegehren der Versuch das Gebeugtwerden als positiv zu begreifen und darzustellen Die Bewegungen Aufwarts oder hinab versteht der Sprecher nicht mehr als ein Besseres und Schlechteres sondern als gleichwertig Wieder bezieht sich Holderlin auf Heraklit ὁdὸs ἄnw katw mia kaὶ wὑth Der Weg hinauf hinab ein und derselbe 12 Der heroische Grundton bringt den Geist bis an die Grenzen seiner Vorstellungskraft in die Nacht den Orkus Herrschet in heil ger Nacht lt gt Herrscht im schiefesten Orkus Nicht ein Grades ein Recht noch auch Nach dem Konstanzer Germanisten Ulrich Gaier 1935 erfordert die scheinbar zweifelnde rhetorische Frage als Antwort ein kraftiges Doch 13 Ja selbst hier herrscht ein Grades ein Recht Ahnlich schrieb Holderlin wenig spater in der Elegie Brod und Wein 14 Fest bleibt Eins es sei um Mittag oder es gehe Bis in die Mitternacht immer bestehet ein Maas Allen gemein Im Kosmos herrschen letztlich ein Grades ein Recht Die dritte Strophe begrundet diese Behauptung mit personlicher Erfahrung Diss erfuhr ich Erstmals taucht das Ich auf Die eigene unebene Lebensbahn hat den Sprecher gelehrt dass steigende und fallende Lebensrichtungen fur das Ich von gleichem Wert sind Dem lakonischen Satz folgt die bedachtige an die Himmlischen gerichtete Uberlegung Nie habt ihr mich des ebenen Pfads gefuhrt Die Himmlischen lassen sich zu einer Antwort herab Sie die von vorneherein jene Erkenntnis besitzen um die im Gedicht gerungen wird bestatigen Alles prufe der Mensch fur Alles soll er danken fur das Leben Freud und Leid Aufwarts und Hinab Durch die Bejahung guter und schlimmer Erfahrungen gewinnt er die innere Freiheit Aufzubrechen wohin er will und wird zugleich kraftig genahrt fur neue Aufbruche Eduard Morike lasst die Agnes seines Romans Maler Nolten 1832 beten 15 Wollest mit Freuden Und wollest mit Leiden Mich nicht uberschutten Doch in der Mitten Liegt holdes Bescheiden Anders als fur Morike ist fur Holderlin das was den Menschen auszeichnet dass die Himmlischen ihn aus dem Ubervollen schopfen lassen mit den Extremen der Hohen und Tiefen 16 Das akzeptierend und dem Prinzip des Graden Rechten gehorchend findet er den Sinn seines Lebenslaufs Literatur BearbeitenElisabeth Borchers Die Irdischen und die Himmlischen In Marcel Reich Ranicki Hrsg Frankfurter Anthologie Band 11 1988 S 97 100 Ulrich Gaier Aufmerksamkeits Ebenen Ein Holderlin Lehrgang Internetseite der Holderlin Gesellschaft Abgerufen am 10 Januar 2015 Friedrich Holderlin Homburger Folioheft Homburg F Digitalisat der Wurttembergischen Landesbibliothek Stuttgart Abgerufen am 9 Januar 2015 Friedrich Holderlin Samtliche Werke Grosse Stuttgarter Ausgabe Herausgegeben von Friedrich Beissner Adolf Beck und Ute Oelmann Kohlhammer Verlag Stuttgart 1943 bis 1985 Friedrich Holderlin Samtliche Werke Historisch kritische Ausgabe in 20 Banden und 3 Supplementen Herausgegeben von Dietrich Sattler Frankfurter Ausgabe Verlag Stroemfeld Roter Stern Frankfurt am Main und Basel 1975 2008 Friedrich Holderlin Samtliche Werke und Briefe Herausgegeben von Michael Knaupp Carl Hanser Verlag Munchen 1992 bis 1993 Friedrich Holderlin Gedichte Herausgegeben von Gerhard Kurz und Wolfgang Braungart Philipp Reclam jun Stuttgart 2000 ISBN 3 15 056267 8 Friedrich Holderlin Gedichte Herausgegeben von Jochen Schmidt Deutscher Klassiker Verlag Frankfurt am Main 1992 ISBN 3 618 60810 1 Jochen Schmidt Holderlins Ode Lebenslauf als Kunstwerk und pantheistisches Programmgedicht In Sabine Doering Waltraud Maierhofer und Peter Philipp Riedl Hrsg Resonanzen Festschrift fur Joachim Kreutzer zum 65 Geburtstag Konigshausen amp Neumann Wurzburg 2000 ISBN 3 8260 1882 6 S 203 209 Andreas Thomasberger Oden In Johann Kreuzer Hrsg Holderlin Handbuch Leben Werk Wirkung S 309 319 J B Metzler sche Verlagsbuchhandlung Stuttgart 2002 ISBN 3 476 01704 4 Einzelnachweise Bearbeiten Schmidt 2000 Im Konvolut Die Heimath Homburg H 15 18 der Wurttembergischen Landesbibliothek Stuttgarter Ausgabe Band 1 2 S 565 Stuttgarter Ausgabe Band 1 1 S 117 Friedrich Holderlin Hyperion Empedokles Aufsatze Ubersetzungen Herausgegeben von Jochen Schmidt Deutscher Klassiker Verlag Frankfurt am Main 1994 ISBN 3 618 60820 9 S 953 Stuttgarter Ausgabe Band 3 S 52 53 Lebenslauf auf der Internetseite litde com Abgerufen am 10 Januar 2015 Borchers 1988 Schmidt 1992 S 677 Holderlin hatte metrisch korrekt auch beugt uns gewaltiger schreiben konnen Gaier S 48 Schmidt 1992 S 677 Gaier S 51 Stuttgarter Ausgabe Band 2 1 S 91 Eduard Morike Maler Nolten Herausgegeben von Herbert Meyer Ernst KLett Verlag Stuttgart 1967 S 386 Borchers 1988 Werke von Friedrich Holderlin RomanHyperion oder Der Eremit in GriechenlandDramaDer Tod des EmpedoklesLyrikAbbitte Abendphantasie Andenken An die Madonna An die Parzen An Zimmern Brod und Wein Der Abschied Der Archipelagus Der Gang aufs Land An Landauer Der Nekar Der Rhein Der Tod furs Vaterland Der Wanderer Der Winkel von Hahrdt Des Morgens Die Eichbaume Die Heimath Die Kurze Halfte des Lebens Heidelberg Heimath Hyperions Schicksalslied Ihr sichergebaueten Alpen Lebensalter Lebenslauf Meiner verehrungswurdigen Grosmutter zu ihrem 72sten Geburtstag Menons Klagen um Diotima Patmos Rukkehr in die Heimath Sokrates und Alcibiades Wie Meereskusten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Lebenslauf Holderlin amp oldid 229103111