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An Zimmern ist der Titel von zwei Gedichten Friedrich Holderlins Bei der Familie des Schreinermeisters Ernst Friedrich Zimmer 1772 1838 mit dessen Frau Marie Elisabetha 1774 1849 und der Tochter Lotte 1813 1879 wohnte Holderlin im Tubinger Holderlinturm von 1807 bis 1843 von seiner Entlassung aus dem Tubinger Klinikum als unheilbar bis zu seinem Tod 1 Beide Gedichte sind durch Abschriften Zimmers erhalten geblieben Holderlin um 1825 in Morikes Aufsatz in der Freya 1863Das erste Gedicht Die Linien des Lebens sind verschieden schrieb Zimmer 1812 ohne Uberschrift in einen Brief an Holderlins Mutter Johanna Christiana geborene Heyn 1748 1828 in Nurtingen Es wurde erstmals 1846 in den von Christoph Theodor Schwab 1821 1883 herausgegebenen Sammtlichen Werken Holderlins gedruckt und zwar im zweiten Band in einer Abteilung Gedichte aus der Zeit des Irrsinns 2 Das zweite Gedicht Von einem Menschen sag ich wenn der ist gut schrieb Zimmer um 1825 auf einen Zettel auf dessen andere Seite Holderlin eigenhandig seinen hymnischen Entwurf Was ist Gott 3 geschrieben hatte Hier setzte Zimmer den Gedichttitel An Zimmern uber seine Abschrift Eduard Morike kopierte das zweite Gedicht mehrfach und brachte es 1863 in Freya Illustrirte Blatter fur die gebildete Welt zuerst gedruckt heraus 4 Inhaltsverzeichnis 1 Texte 2 Kommentar 3 Literatur 4 EinzelnachweiseTexte BearbeitenDie Texte sind der von Fredrich Beissner Adolf Beck und Ute Oelmann 1949 herausgegebenen historisch kritischen Stuttgarter Ausgabe entnommen 5 Die Leseausgaben von Michael Knaupp und Jochen Schmidt bieten geringfugig abweichende Texte Das erste Gedicht lautet im Dokumentband 7 2 der StuttgarterAusgabe im Kontext des Zimmerschen Briefs vom 19 April 1812 6 Hochgeehriste Frau Kammerrathe Bey Ihren lieben Holderle ist eine sehr wichtige veranderung eingetretten lt gt Sein dichterischer Geist zeigt Sich noch immer thatig so sah Er bey mir eine Zeichnung von einem Tempel Er sagte mir ich solte einen von Holz so machen ich vesetze Ihm drauf dass ich um Brod arbeiten musste ich sey nicht so gluklich so in Philosofischer ruhe zu leben wie Er gleich versetze Er Ach ich bin doch ein armer Mensch und in der nehmlichen Minute schrieb Er mir folgenden Vers mit Bleistift auf ein Brett Die Linien des Lebens sind Verschieden Wie Wege sind und wie der Berge Granzen Was Hir wir sind kan dort ein Gott erganzen Mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden dd dd dd lt gt In ansehung seiner verpflegung durfen Sie ganz beruhig sein lt gt Ihr gehorsamer Dinner Ernst Zimmer Im Gedichtband 2 1 der Stuttgarter Ausgabe ist das Gedicht aus Zimmers Schreibung in Holderlins Orthographie uberfuhrt 7 Dem zweiten Gedicht stellt Morike in der Freya eine Einleitung voran Das Gedicht ist an den wackern Tischler Zimmer zu Tubingen gerichtet in dessen Hause Holderlin so viele Jahre im Zustande des Irrsinns verbrachte Der Dichter suchte diesen Versen dem Manne zu gefallen dem sie gewidmet sind ein moglichst individuelles Geprage dadurch zu geben dass einerseits auf dessen landwirthschaftlichen Besitz die liebevolle Pflege seines Weinbergs andererseits auf seine Handwerksgeschicklichkeit angespielt wird und es macht einen komisch ruhrenden Eindruck zu sehen wie er der bekanntlich in der altgriechischen Welt lebte und webte auch diese Aufgabe mit Herbeiziehung des Dadalus jenes hochberuhmten mythischen Kunstlers dem unter Anderem die Erfindung der Sage und des Bohrers zugeschrieben wird in seiner gewohnten feierlich idealischen Weise behandelt An Zimmern dd dd dd dd Von einem Menschen sag ich wenn der ist gutUnd weise was bedarf er Ist irgend einsDas einer Seele gnuget ist ein Halm istEine gereifteste Reb auf Erden dd dd dd dd dd dd Gewachsen die ihn nahre Der Sinn ist dessAlso Ein Freund ist oft die Geliebte vielDie Kunst O Theurer dir sag ich die Wahrheit Dadalus Geist und des Walds ist deiner dd dd dd dd dd dd Morikes Fassung in der Freya weicht von der hier wiedergegebenen im Gedichtband 2 1 der Stuttgarter Ausgabe 8 geringfugig ab Kommentar BearbeitenDie Gedichte aus Holderlins Jahren bei der Familie Zimmer werden meist als Spateste Gedichte oder Turmgedichte zusammengefasst In der Stuttgarter Ausgabe sind es achtundvierzig Dem 19 und der ersten Halfte des 20 Jahrhunderts mit Ausnahme Gustav Schwabs galten sie lediglich als Produkte eines Geisteskranken bestenfalls medizinisch psychiatrisch interessant und ohne Kunstcharakter Morike schrieb 1838 Ich habe dieser Tage einen Rummel Holderlinischer Papiere erhalten meist unlesbares ausserst mattes Zeug 9 Diese Einstellung anderte sich mit einem Aufsatz Bernhard Boschensteins im Holderlin Jahrbuch 1965 1966 Boschenstein und die Forschung nach ihm unterscheiden eine fruhere Gruppe vor von einer spateren Gruppe ab 1838 Die 27 Gedichte der spateren Gruppe beginnend mit Der Fruhling Es kommt der neue Tag aus fernen Hohn herunter sind oft mit einem fiktiven Datum im genannten Gedicht d 3ten Marz 1648 und dem fingierten Namen Scardanelli unterschrieben Sie sind seltsam unlebendig mit stereotypen Titeln siebenmal Der Fruhling sechsmal Der Winter oder Winter Die Antike ist aus ihnen verschwunden die Worter Gott und ich kommen nicht mehr vor Die Fahigkeit bei konkretem menschlichen Leben zu verweilen ist verloren Mensch und Natur befinden sich Gedicht fur Gedicht in spannungslosem Einklang Aber wenn etwas an diesen Gedichten auf Krankheit weist so ist es die gleichmassige Wiederkehr solcher Bestatigung Sie ist Zeichen ausserster Selbstentfremdung 10 Anders die fruhere Gruppe so exemplarisch die beiden Gedichte An Zimmern Es spricht ein Ich Mit Dadalus wird die Antike zitiert Dem Ich steht Gott gegenuber Menschliche Gefuhle sind prominent prasent Holderlin verweilt bei konkretem menschlichen Leben Das erste Gedicht beruhmte ergreifende Verse 11 in funffussigen Jamben mit einem umarmenden Reim antwortet einfuhlsam auf Ernst Zimmers Einwurf er Zimmer lebe nicht in so glucklicher philosophischer Ruhe wie Holderlin Holderlin schrieb die vier Zeilen typisch fur diese Jahre in kurzester Zeit Im Brief an einen Unbekannten vom 22 Dezember 1835 berichtet Zimmer Dass Gedicht dass beifolgt hat er in 12 Minuten nidergeschrieben ich foderde ihn dazu auf mir auch wieder etwas zu schreiben er machte nur dass Fenster auf that einen Blick ins Freue und in 12 Minuten war es fertig 12 Das Eingehen des Dichters auf den Weinbergbesitzer und Schreiber Zimmer im zweiten Gedicht in alkaischem Versmass mit uberschussigen Silben in den dritten Zeilen hat Morike interpretiert Nach Cyrus Atabay fragt Holderlin was der Seele auf ihrer Reise genugen konnte In einem Antwortversuch wird das fluchtigste irdische Gewachs das Gras Ps 90 5 EU der Rebe als Merkmal fortgeschrittener menschlicher Kultur gegenubergestellt Liebe und Freundschaft vermogen viel ebenso die Kunst Bis zu seinem Tod uber drei Jahrzehnte lebte Holderlin in der Gemeinschaft des Schreinermeisters Zimmer und seiner Familie ein Zusammensein an dem gewiss auch die Duldsamkeit und das Schweigen ihren Anteil hatten dort Dadalus der Handwerker der mit Holz und Hobel arbeitete und hier der Dichter der im Gesang sein Asyl fand Literatur BearbeitenCyrus Atabay Dadalus und sein Dichter Interpretation von Holderlins An Zimmern Von einem Menschen sag ich wenn der ist gut In Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8 August 1992 Bernhard Boschenstein Holderlins spateste Gedichte In Friedrich Beissner Paul Kluckhohn Hrsg Holderlin Jahrbuch Band 14 J C B Mohr Paul Siebeck Tubingen 1965 66 S 35 56 Friedrich Holderlin Samtliche Werke Stuttgarter Ausgabe Herausgegeben von Friedrich Beissner Adolf Beck und Ute Oelmann Kohlhammer Verlag Stuttgart 1946 bis 1985 Friedrich Holderlin Samtliche Werke und Briefe Herausgegeben von Michael Knaupp Carl Hanser Verlag Munchen 1992 bis 1993 Friedrich Holderlin Gedichte Herausgegeben von Jochen Schmidt Deutscher Klassiker Verlag Frankfurt am Main 1992 ISBN 3 618 60810 1 Ute Oelmann Spateste Gedichte In Johann Kreuzer Hrsg Holderlin Jahrbuch Leben Werk Wirkung J B Metzler sche Verlagsbuchhandlung Stuttgart 2002 ISBN 3 476 01704 4 S 403 409 Einzelnachweise Bearbeiten Zur Familie Zimmer Stuttgarter Ausgabe Band 7 2 S 376 377 Christoph Theodor Schwab Hrsg Friedrich Holderlin s sammtliche Werke Zweiter Band J G Cotta scher Verlag Stuttgart Tubingen 1846 Stuttgarter Ausgabe Band 2 S 210 Eduard Morike Erinnerung an Friedrich Holderlin In Freya Illustrirte Blatter fur die gebildete Welt 3 S 337 338 1863 Siehe Literatur Stuttgarter Ausgabe Band 7 2 S 422 425 Stuttgarter Ausgabe Band 2 1 S 268 Stuttgarter Ausgabe Band 2 1 S 271 Stuttgarter Ausgabe Band 2 2 S 897 Boschenstein 1965 1966 S 49 Stuttgarter Ausgabe Band 7 3 S 137 Stuttgarter Ausgabe Band 7 3 S 134 Werke von Friedrich Holderlin RomanHyperion oder Der Eremit in GriechenlandDramaDer Tod des EmpedoklesLyrikAbbitte Abendphantasie Andenken An die Madonna An die Parzen An Zimmern Brod und Wein Der Abschied Der Archipelagus Der Gang aufs Land An Landauer Der Nekar Der Rhein Der Tod furs Vaterland Der Wanderer Der Winkel von Hahrdt Des Morgens Die Eichbaume Die Heimath Die Kurze Halfte des Lebens Heidelberg Heimath Hyperions Schicksalslied Ihr sichergebaueten Alpen Lebensalter Lebenslauf Meiner verehrungswurdigen Grosmutter zu ihrem 72sten Geburtstag Menons Klagen um Diotima Patmos Rukkehr in die Heimath Sokrates und Alcibiades Wie Meereskusten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title An Zimmern amp oldid 213521756