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Das Inquisitionsverfahren lateinisch inquisitio Befragung Untersuchung ist eine unter Papst Innozenz III 1161 1216 entwickelte Form des Ermittlungs und Strafprozesses Das Inquisitionsverfahren wurde zunachst als Verfahren gegen Kleriker im innerkirchlichen Bereich angewendet Es etablierte sich in den ersten Jahrzehnten des 13 Jhs zur Grundlage von Prozessen im Rahmen der Inquisition die ihren Namen von dem Verfahren ableitet entwickelte sich im Laufe des Spatmittelalters zur Hauptverfahrensform der weltlichen und geistlichen Gerichtsbarkeit und kam als solche bis ins 18 Jh zum Einsatz Der Vorsitzende eines geistlichen Inquisitionsgerichtes wurde als Inquisitor bezeichnet Szene aus einem Inquisitionsprozess Gemalde von Francisco de Goya 1746 1828 Inhaltsverzeichnis 1 Kennzeichen 2 Geschichte 2 1 Romische Konigszeit 2 2 Spatantike 2 3 Mittelalter 2 4 Neuzeit 3 Theorie des kirchenrechtlichen Inquisitionsverfahrens im Mittelalter 4 Umsetzung im Heiligen Romischen Reich Deutscher Nation 4 1 Kirchliches Inquisitionsverfahren und germanisches Akkusationsverfahren 4 1 1 Akkusationsverfahren 4 1 2 Unterschiede zum Inquisitionsverfahren 4 1 3 Rechtsunsicherheit durch das Inquisitionsverfahren 5 Mangel des Inquisitionsverfahrens 6 Keine Anwendung im modernen Strafprozess 7 Literatur 8 WeblinksKennzeichen BearbeitenIm Unterschied zu anderen Gerichtsformen vergleiche Romisches Recht wie z B dem bis zur Etablierung des Inquisitionsverfahrens vorherrschenden Akkusationsverfahren in dem Streitigkeiten zweier privater Klager verhandelt wurden erhob in einem Inquisitionsprozess nicht eine Konfliktpartei sondern ein obrigkeitlicher Anklager Klage von Amts wegen ex officio und im offentlichen Interesse Offizialprinzip Anklager und Richter fielen somit in Personalunion zusammen Aktiv konnte ein Inquisitor bereits dann werden wenn der schlechte Leumund mala fama einer Person ruchbar wurde Im Gegensatz zum Akkusationsverfahren waren im Inquisitionsverfahren auch Verwandte Minderjahrige oder schlecht Beleumundete zeugnisfahig Alle Ermittlungen die nach anderem Rechtsverstandnis fur eine Verdachtsbegrundung eine Anklage sowie die Eroffnung eines Prozesses notig waren wurden bis auf die Beweis und Anklagssuche im Prozess selbst erledigt In einem Inquisitionsverfahren stand die Ermittlung der moglichst durch Gestandnis zu offenbarenden Wahrheit im Vordergrund und nicht die Anklage Vor dem Inquisitionsgericht hatten Sachbeweise keine Gultigkeit Das heisst zum Beweis von Schuld oder Unschuld gab es nur die Moglichkeit der Aussage von Zeugen die haufig durch weitere Zeugenaussagen gestutzt wurden wobei gegenuber dem Angeklagten die Namen der gegen ihn aussagenden Zeugen geheim gehalten wurden Durch diese Verfahrensweise dauerten die Inquisitionsprozesse oft sehr lange Als oberstes Beweismittel wurde ein Gestandnis angestrebt Sowohl in kirchlichen als auch in weltlichen Inquisitionsverfahren wurde seit dem 13 Jh die Folter als Mittel zur Erlangung eines Gestandnisses zugelassen Im Inquisitionsverfahren kamen anders als im Akkusationsverfahren Gottesurteile oder Reinigungseide als Mittel der Schuldermittlung nicht mehr zum Einsatz die rationale Beweisfuhrung stand im Vordergrund Ferner wurde der Prozessablauf nunmehr im Beisein von Zeugen protokolliert Niemals zuvor waren derart systematisch Informationen bei Prozessen verschriftlicht und gesammelt worden Insofern kann das Inquisitionsverfahren gegenuber dem Akkusationsverfahren als modernisierte Verfahrensform gelten Das mittelalterliche Inquisitionsverfahren ist nicht zu verwechseln mit der Inquisitionsmaxime Amtsermittlungsgrundsatz des spatantiken romischen Rechts der besagt dass der Sachverhalt von Amts wegen ermittelt wird wobei die Ermittlungen und die abschliessende Entscheidung nicht zwingend durch dieselbe Institution erfolgen siehe unten Geschichte BearbeitenRomische Konigszeit Bearbeiten Ein dem Prinzip des Inquisitionsverfahrens ahnliches Verfahren war bereits in der romischen Konigszeit bekannt Es war vollkommen ungeregelt und wurde durch die Willkur des auf Denunziation tatigen Magistrates als Leiter des Verfahrens bestimmt Aufgrund dieser Problematik wurde das Verfahren durch ein vom Anklagegrundsatz bestimmtes Verfahren ersetzt Spatantike Bearbeiten Unter Kaiser Justinian I wurde zwischen 528 und 534 n Chr mit dem Corpus iuris civilis die sog Inquisitionsmaxime Amtsermittlungsgrundsatz eingefuhrt Diese besagt dass grundsatzlich eine Institution von sich aus gegen eine bestimmte Person oder Organisation ermitteln kann Ein Klager wie beim Akkusationsverfahren Anklageverfahren oder eine Denunziation durch Dritte Infamationsverfahren ist nicht Voraussetzung fur die Eroffnung eines Prozesses Ermittlung und Urteilsfallung sollen von Amts wegen entsprechend dem Kenntnisstand erfolgen Die umfassende Ermittlung von Fakten und Beweisen soll Grundlage fur ein schlussrichtiges Urteil sein Die Ergebnisse des Vorverfahrens sind Grundlage des Urteils Mittelalter Bearbeiten Die Einfuhrung des Inquisitionsverfahrens das nur nominell auf die Inquisitionsmaxime des spatantiken romischen Rechts Bezug nahm in das Kirchenrecht geht auf Papst Innozenz III 1161 1216 zuruck 1215 wurde die neue Verfahrensform fur die Kirche verbindlich Die Inquisition erwies sich als wirkungsvolles Instrument in erster Linie gegen Ketzer und kam im kirchlichen Bereich als Ermittlungsverfahren und Strafprozess auch gegen mit der Haresie in Verbindung gebrachte Verbrechen wie Hexerei oder Unzucht zum Einsatz Die weltliche Gerichtsbarkeit ubernahm die Verfahrenspraxis der Inquisition fur ihre Strafprozesse wo das Inquisitionsverfahren u a auch wahrend der spateren neuzeitlichen Hexenverfolgungen zum Einsatz kam Im Heiligen Romischen Reich Deutscher Nation begann die Adaption in das Strafrecht mit der Wormser Reformation von 1498 und der Constitutio Criminalis Bambergensis von 1507 Reichsrecht wird es mit der Constitutio Criminalis Carolina zu deutsch der Peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V von 1532 Neuzeit Bearbeiten Mit dem Erlass des Code d instruction criminelle der franzosischen Strafprozessordnung unter Kaiser Napoleon am 16 November 1808 und der Ubernahme der dort entwickelten Rechtsinstitute auch in den deutschen Staaten fand der Inquisitionsprozess in ganz Deutschland sein Ende Theorie des kirchenrechtlichen Inquisitionsverfahrens im Mittelalter BearbeitenDas Inquisitionsverfahren war vom Grundsatz her kein Parteiprozess zumal weder der Anklager noch der Beschuldigte als Prozesspartei im heutigen Sinn auftrat Die Wahrheitsfindung oblag dem Inquisitionsrichter Der Beschuldigte war Objekt des Verfahrens und hatte kein rechtliches Gehor wie es heute einem Beschuldigten als Prozesspartei zusteht Seine Beteiligung am Prozess erfolgte nur insoweit als dieses fur die Ermittlung eines Urteiles erforderlich war Umsetzung im Heiligen Romischen Reich Deutscher Nation BearbeitenFormell leitete sich der Name der Heiligen Inquisition wie des ihr obliegenden Inquisitionsverfahrens von der Inquisitionsmaxime s Amtsermittlungsgrundsatz des spatantiken romischen Rechts ab in der Praxis aber bedeutete seine Einfuhrung eine zunehmende Rechtsunsicherheit aufgrund religiosen Eifers da seine Neuerungen in der Aufhebung jeglicher prozessualer Gewaltenteilung und der Einfuhrung der Folter bestanden Kirchliches Inquisitionsverfahren und germanisches Akkusationsverfahren Bearbeiten Akkusationsverfahren Bearbeiten Das germanische Recht sah eine Einbringung der Klage ausschliesslich durch den Geschadigten in Form des Akkusationsprozesses vor Alles was der Klager tun konnte war die Einbringung der Klage Die Beweisaufnahme erfolgte durch Reinigungseid von Eidhelfern des Angeklagten die nicht als Zeugen uber das Geschehen berichteten sondern fur den Leumund des Angeklagten geradestanden Sobald der Angeklagte diese Eideshelfer beschaffen konnte war die Anklage fehlgeschlagen Verurteilt wurde folglich in der Regel nur ein gestandiger Angeklagter oder ein Angeklagter mit schlechtem Leumund Wo es keine Privatklage gab konnte kein Verfahren eroffnet werden Somit funktionierte das Akkusationsverfahren auch nach dem Prinzip Wo kein Klager da kein Richter Blieben dennoch Zweifel so griff man zumeist zum Gottesurteil oft in Form des Zweikampfes zwischen Klager und Beklagtem siehe Holmgang und Gerichtskampf Es gab Streitigkeiten aufgrund derart ehrenruhriger Beleidigungen nach germanischem Recht sog Vollrechtsworte die dem Rechtsbrauch nach unmittelbar den Zweikampf bis zum Tode oder der Rucknahme der Beleidigung erforderten um die Ehre des Beleidigten wiederherzustellen siehe dazu Neiding Unterschiede zum Inquisitionsverfahren Bearbeiten Vor diesem Hintergrund ist es verstandlich dass die Regelung von Rechtsstreitigkeiten im Fruhmittelalter im Wesentlichen durch die Fehde bestimmt war die durch Gottesfrieden und Landfrieden lediglich eingeschrankt wurde wahrend gerichtliche Verfahren praktisch keine Rolle spielten Juristisch war das Inquisitionsverfahren aus heutiger Sicht ein Fortschritt da die Beweisfuhrung nicht mehr ausschliesslich vom Leumund des Angeklagten beeinflusst wurde sondern durch objektive Ermittlungen einer dafur zustandigen Stelle erfolgen konnte praktisch aber wurde jegliche Rechtssicherheit im Inquisitionsverfahren aufgrund der Aufhebung der Gewaltenteilung und der Folter unterlaufen Rechtsunsicherheit durch das Inquisitionsverfahren Bearbeiten Fur den Zeitgenossen bedeutete die Einfuhrung des rationalen Beweismittels faktisch eine erhebliche Einschrankung der Rechte des Angeklagten und damit ein deutlich erhohtes Risiko der Verurteilung Weitaus verheerender war aber die Verschmelzung der unabhangigen Instanzen Richter Ermittler Klager und Verteidiger zu einem allmachtigen klerikalen Inquisitionsrichter Dem verstandlichen Unbehagen gegen diese erheblichen Eingriffe in die Rechte des Angeklagten wurde von kirchlicher Seite damit vorgegriffen dass zusatzlich zum die Schuld des Angeklagten erweisenden Ermittlungsergebnis ein Gestandnis des Angeklagten erforderlich war das praktischerweise mittels der Folter zu erzielen war Man nahm an Gott wurde dem Unschuldigen die notige Standhaftigkeit gewahren um nicht zu gestehen Die Zeitgenossen sahen durchaus die Problematik dass die Folter sehr leicht falsche Selbstbezichtigungen oder Fremdbeschuldigungen hervorrufen konnte Folglich sah das lothringische Recht vor dass die Folter durch die ortlichen Gerichtsherren erst nach Prufung des Sachverhaltes und der Ermittlungsergebnisse durch den prokurateur general in Nancy erfolgen durfte Mangel des Inquisitionsverfahrens BearbeitenDas mittelalterliche Inquisitionsverfahren besass aus damaliger wie heutiger Sicht eine Reihe von Nachteilen Die Aufhebung jeglicher prozessualen Gewaltenteilung Das Verfahren wurde von einer einzelnen Person gefuhrt dem allmachtigen Inquisitionsrichter Das Verfahren war ein Geheimverfahren Der heute selbstverstandliche Grundsatz der Offentlichkeit galt nicht Speziell aufgrund der Tatsache dass das Verfahren vollstandig in der Hand des Inquisitionsrichters lag drohte Gefahr dass ohne die offentliche Kontrolle nicht die Wahrheit sondern ein vorgefasstes Ergebnis angestrebt und erreicht wurde Es bestand keine Neutralitat des Richters zum Ergebnis der Ermittlungen auf dem sein Urteilsspruch beruhte schliesslich hatte er selbst diese Ermittlungen angeordnet und durchgefuhrt Da das Inquisitionsverfahren uberdies nach kirchlichem Recht stattfand handelte es sich beim Inquisitionsrichter um den ortlichen oder einen gesandten Kleriker der oft nach kirchlichen Interessen und nicht nach weltlichem nicht einmal nach christlichem Rechtsempfinden richtete Durch die Folter konnte jedes gewunschte Ergebnis erreicht werden Wo Folter ein auch noch so unbedeutender Teil der Ermittlungen war konnten diese durch Anwendung der Folterung jederzeit auf jedes Ergebnis hin manipuliert werden Aufgrund der Einfuhrung vollkommener Anonymitat des Klagers bestand die Gefahr der Denunziation Diese war nach dem germanischen Akkusationsverfahren nicht vorgesehen gewesen denn danach erfolgte eine Anzeige durch einen Anklager der fur die Richtigkeit seiner Anklage auch einzustehen hatte Der Anzeigende hatte im Fall der Feststellung der Unschuld des Angeklagten selbst erhebliche Strafe zu befurchten Noch die weltliche Gerichtsbarkeit der Constitutio Criminalis Carolina verordnete 1532 Jtem so balldt der angeclagt zu gegenngknuss Angenommen ist soll der Anclager oder sein gwallthaber mit seinem leip verwart werden biss er mit burgenn Caution vnd bestanndt vnd sicherung die der Richter mitsampt Vier Schepfenn nach gelegenheit der sache vnd achtung beder personen fur genugsam erkennt gethan hat Constitutio Criminalis Carolina Art 12 zit n Sellert Ruping Studien und Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege Bd 1 Von den Anfangen bis zur Aufklarung S 229 Die Alternative bestand darin dass das Inquisitionsgericht selbst Kenntnis von einer Straftat erlangte Tatsachlich degenerierte das System in der Praxis bei den Hexenprozessen bis zum Einsatz von Denunziationskasten wo man anonym durch Einwurf eines Zettels ohne Risiko und ohne Beweise einen Prozess initiieren konnte Keine Anwendung im modernen Strafprozess BearbeitenDie moderne Inquisitionsmaxime zu deutsch Amtsermittlungsgrundsatz die nicht auf den kirchenrechtlichen Grundsatzen der Heiligen Inquisition beruht sondern auf dem romischen Zivilrecht des Corpus Juris Civilis hat mit dem mittelalterlichen Inquisitionsverfahren nichts zu tun Gegenentwurfe zum inquisitorischen Strafverfahrenstyp nach dem Amtsermittlungsgrundsatz sind der kontradiktorische und der konsensuale Typ Literatur BearbeitenChristina Buschbell Die Inquisition im Hochmittelalter Wurzeln Bedeutung Missbrauche Diplomica Hamburg 2010 ISBN 978 3 8366 8790 4 Hermann Conrad Deutsche Rechtsgeschichte Band 1 Fruhzeit und Mittelalter Muller Heidelberg Munchen Landsberg Frechen Hamburg 2011 ISBN 978 3 8114 5427 9 Heinrich Mitteis Heinz Lieberich Deutsche Rechtsgeschichte Beck Munchen 1992 ISBN 3 406 36506 X Eberhard Schmidt Einfuhrung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege Vandenhoeck und Ruprecht Gottingen 1995 ISBN 3 525 18101 9 August Schoetensack Der Strafprozess der Carolina 1904 Reprint Kessinger 2010 ISBN 978 1 16 044535 1 Winfried Trusen Der Inquisitionsprozess Seine historischen Grundlagen und fruhen Formen In Zeitschrift der Savigny Stiftung fur Rechtsgeschichte Kanonistische Abteilung Band 74 1988 S 168 230 Emmanouil Billis Die Rolle des Richters im adversatorischen und im inquisitorischen Beweisverfahren Modelltheoretische Ansatze englisches und deutsches Beweisfuhrungssystem internationalrechtliche Dimensionen Duncker amp Humblot Berlin 2015 ISBN 978 3 86113 804 4 Weblinks BearbeitenDie Inquisition und die inquisitio Rechtsgeschichtlicher Uberblick mit weiterfuhrenden Literaturnachweisen Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Inquisitionsverfahren amp oldid 231315136