www.wikidata.de-de.nina.az
Holtzmanns Gesetz auch Verscharfung ist ein urgermanisches Lautgesetz das nach Adolf Holtzmann 1810 1870 benannt ist der zwischen 1835 und 1836 erstmals auf das Phanomen der aus Halbvokalen entstandenen geminierten Obstruenten im Gotischen und Altnordischen aufmerksam machte 1 2 Indogermanisch Urgermanisch Altnordisch Gotisch Beispiele Bedeutungenidg u gt urgerm u u gt an ggv gt got ggw urgerm trewwjaz gt an tryggr tryggva gt got triggws triggwa treu sicher zuverlassig sicher idg i gt urgerm i i gt an ggj gt got ddj urgerm twajjḗ twajjṓ gt got twaddje gt an tveggja zwei bzw von zwei Gen Pl Holtzmanns Gesetz gewann in der umstrittenen Hypothese des Gotonordischen durch Ernst Schwarz in der germanischen Sprachwissenschaft an Bedeutung So fuhrt Schwarz 1951 die Verscharfung er nennt es Gutturalisierung als einen sprachwissenschaftlichen Beweis fur die skandinavische Urheimat der Goten und fur die nahere Verwandtschaft des Nordgermanischen und Ostgermanischen gegenuber dem Westgermanischen an 3 Das als Holtzmanns Gesetz bezeichnete Phanomen sowie seine Bedingungen sind in der Forschung allerdings bis heute umstritten Inhaltsverzeichnis 1 Ausgangslage 1 1 Holtzmanns Beobachtung 1 2 Problematik 1 3 Kognaten Beispiele 2 Forschungsgeschichte und Erklarungsversuche 2 1 Indogermanischer Wortakzent 2 2 Indogermanischer Laryngal 2 3 Morphologischer Ausgleich 2 4 Diphthongierung oder Diphthongverhartung 3 Verscharfung im Westgermanischen 3 1 Kognaten Beispiele 4 Sprachtypologie 5 Literatur 5 1 Einfuhrende Literatur 5 2 Weiterfuhrende Literatur Auswahl 6 EinzelnachweiseAusgangslage BearbeitenHoltzmanns Beobachtung Bearbeiten In seiner Altdeutschen Grammatik in der die altgermanischen Sprachen Althochdeutsch Altsachsisch Angelsachsisch Altnordisch und Gotisch behandelt werden halt Holtzmann ausgehend von Beispielen fest dass die Lautfolgen got ddj ggw und an ggj ggv durch Verhartung aus jj bzw vv entstanden seien 4 Holtzmann verbindet so explizit die gotischen und altnordischen Lautfolgen miteinander und setzt sie miteinander gleich 5 Problematik Bearbeiten Die Verscharfung als gemeinsame Innovation des Altnordischen und des Gotischen im Gegensatz zum Westgermanischen ist vor allem aus zwei Grunden umstritten Erstens zeigen im Altnordischen und Gotischen nicht immer die gleichen Worter Verscharfung wie z B an Frigg Name der Gottin Frigg mit Verscharfung im Gegensatz zu got frijōn lieben ohne Verscharfung 1 Zweitens scheint die Verscharfung auch im Westgermanischen vereinzelt eingetreten zu sein so z B in ahd brucca brukka und afries brigge bregge bregga Brucke 6 Als kontrovers gilt daruber hinaus auch die Aussprache der Lautfolgen ggv ggw ggj ddj So wurde zum Beispiel uber einen moglichen Lautwert jj von ddj und ggj und ŋg des got ggw entsprechend der Aussprache got gg ŋg nach griechischem Vorbild spekuliert 7 Kognaten Beispiele Bearbeiten Germanisch allgemein Westgermanisch Nordgermanisch Ostgermanisch Bedeutungen ww ahd gitriuwi as triuwiae treowe an tryggvan Akk got triggws wahr treu zuverlassig sicher ww ahd glauwer as glauworroae gleaw klug an glǫggr streng klar got glaggwo glaggwaba vorsichtig verschiedene Bedeutungen ww ahd houwan as hauwanae heawan an hǫggva nicht belegt zer hauen schneiden jj ahd zwei i o as tweioae tweġea j an tveggja got twaddje zwei von zwei Gen Pl jj ahd as ei ae ǣġ j an egg krimgot ada Ei jj as wei aisl veggjar Gen Sg von veggr got waddjus Wand Forschungsgeschichte und Erklarungsversuche BearbeitenDie Bedingungen dieses Lautwandels wurden lange diskutiert da anscheinend zufallig gewisse Worter davon betroffen waren und andere nicht Die fruhesten Erklarungsversuche fur das Phanomen der Verscharfung waren kaum mehr als Verfeinerungen der Beobachtung Holtzmanns Parallel zum Vernerschen Gesetz wurde dann der Einfluss des indogermanischen Wortakzents angenommen Abgelost wurde diese Theorie wiederum durch die Annahme der Abhangigkeit von einem indogermanischen Laryngal Weitere nachfolgende Erklarungsversuche beinhalteten u a Analogie Apophonie und Allophonie Zudem wurde immer wieder diskutiert ob es sich um eine gotisch altnordische Innovation oder einen universalen Lautwandel handelt und ob der Lautwandel im Indogermanischen Germanischen oder in den Einzelsprachen stattfand 8 Indogermanischer Wortakzent Bearbeiten Als Ausloser fur die Verscharfung wurde in der Forschung zunachst der indogermanische Wortakzent angefuhrt wobei auch diskutiert wurde ob es dabei ein vorausgehender oder ein nachfolgender Akzent oder sogar zwei flankierende Akzente seien 9 Als Gegenargument gilt das allgemeine Eintreten der Verscharfung beim gotischen starken Verb bliggwan schlagen bliggwan Infinitiv blaggw 1 3 Pers Sg Prat bluggwum 1 Pers Pl Prat bluggwans Part Perf 6 Unter Einfluss des indogermanischen Wortakzents mussten die Formen des Verbs namlich lauten bliwan blaw bliggwum bluggwans 10 Indogermanischer Laryngal Bearbeiten Die Wortakzent Theorie wurde spater durch Erklarungsversuche anhand von indogermanischen Laryngalen abgelost Es wurde angenommen dass die Halbvokale nach einem Laryngal der wiederum geschwunden war und vor einer betonten Silbe gedehnt wurden 11 Als Einwand wird hier erhoben dass die Verscharfung in einigen Fallen in denen kein Laryngal rekonstruiert wird trotzdem eintritt 12 Ein Beispiel dafur sind die Worter an egg und krimgot ada Ei 13 Morphologischer Ausgleich Bearbeiten Eine morphologische Erklarung durch Ablaut und morphologischen Ausgleich bzw Analogie bietet Jerzy Kurylowicz 1967 14 15 Als Gegenargument wird hier jedoch angebracht dass ein einfacher phonologischer Lautwandel d h die Einfugung eines Halbvokals in den Hiat einer solchen komplexen Erklarung durch Analogie vorzuziehen sei 16 Diphthongierung oder Diphthongverhartung Bearbeiten Hjalmar P Petersen interpretiert die Verscharfung als eine Diphthongierung oder Diphthongverhartung mit einer Plosiv Aussprache als Resultat 17 Als Ursache fur den Lautwandel sieht Petersen den ambisyllabischen Charakter der Halbvokale 18 Nach Petersen findet die Verscharfung zunachst in zwei oder mehrsilbigen Wortformen statt und zwar in den Strukturen eu e ew e und ei e ej e bezeichnet die Silbengrenze Ist das erste Element der Diphthonge dabei ein geschlossener kurzer und vorderer hinterer Vokal wird ein Halbvokal eingeschoben ej je und ew we um einen Hiat zu vermeiden Besonders wenn die Wortform in einer betonten Position eines Satzes steht wandelt sich der Halbvokal in einen Frikativ eɣ we und eɣ je Die Frikative werden dann zu Plosiven eg we und ed je bzw eg je Schliesslich findet ein analogischer Ausgleich auch in einsilbigen Wortformen statt 19 Verscharfung im Westgermanischen BearbeitenHinweise auf Verscharfungen im Westgermanischen wurden in der Forschungsgeschichte relativ fruh entdeckt und anschliessend immer wieder behandelt 1 6 20 Es handelt sich bei der Verscharfung also sehr wahrscheinlich nicht um eine gemeinsame Innovation des Nord und Ostgermanischen Somit steht das Westgermanische auch nicht unbedingt isoliert diesen beiden Sprachzweigen gegenuber Kognaten Beispiele Bearbeiten Westgermanisch Nordgermanisch Ostgermanisch Bedeutungahd brucca brukka afries brigge bregge breggaas bruggiaae bryċġ an bryggja Pier an bru Brucke nicht belegt Brucke ahd mucca as muggiaae myċġe an my aschwed mygg a nicht belegt Mucke as suga ae suġu an syr Dat Akk Sg su nicht belegt Sau Sprachtypologie BearbeitenBeispiele fur Verscharfungen in Form eines Einschubs von Plosiven oder Frikativen nach einem geschlossenen vorderen hinteren Vokal finden sich auch in anderen indogermanischen und nicht indogermanischen Sprachen und Sprachfamilien Parallele Erscheinungen zur germanischen Verscharfungen in indogermanischen Sprachen existieren z B im Faroischen Faroische Verscharfung in danischen Dialekten Westjutlands deutschen Dialekten in romanischen Dialekten und im Lettischen Ausser indogermanische Beispiele der Verscharfung gibt es z B im Baskischen in der birmanischen Sprache Maru Lhao Vo und in Bantusprachen Solche universalen Beispiele sind von Bedeutung fur sprachtypologische Erklarungsversuche der germanischen Verscharfung 21 22 Literatur BearbeitenEinfuhrende Literatur Bearbeiten Neville E Collinge The Laws of Indo European Amsterdam 1985 Holtzmann s Law S 93 101 Joseph B Voyles Early Germanic Grammar Pre Proto and Post Germanic Languages San Diego 1992 Weiterfuhrende Literatur Auswahl Bearbeiten Friedrich Bechtel Ueber die urgermanische Verscharfung von j und v In NAWG Nr 6 1845 S 235 239 Robert S P Beekes Germanic Verscharfung and no laryngaeals In Orbis Nr 21 1972 S 327 336 Wilhelm Braune Gotisches ddj und Altnordisches ggj In PBB Nr 9 1884 S 545 448 Sophus Bugge Zur altgermanischen Sprachgeschichte Germanisch ug aus uw In PBB Nr 13 1888 S 504 515 James E Cathey A reappraisal of Holtzmann s Law In SL Nr 24 1967 S 56 63 Jens Elmegard Rasmussen Germanic Verscharfung Tying up loose ends In Henning Andersen E F K Koerner Hrsg Historical Linguistics Papers from the 8th International Conference on Historical Linguistics Amsterdam 1990 S 425 441 englisch Adolf Holtzmann Altdeutsche Grammatik umfassend die gothische altnordische altsachsische angelsachsische und althochdeutsche Sprache Erster Band Erste Abteilung Die specielle Lautlehre Leipzig 1870 https archive org details altdeutschegram00holtgoog page n8 Jay Jasanoff Observations on the Germanic Verscharfung In Munchener Studien zur Sprachwissenschaft Nr 37 1978 S 77 90 Friedrich Kluge Beitrage zur Geschichte der germanischen Conjugation Excurs uber gotisch dd und gg In Quellen und Forschungen Nr 32 1879 S 127 130 Jerzy Kurylowicz The Germanic Verscharfung In Lg Nr 43 1967 S 445 451 Fredrik O Lindemann La Verscharfung germanique In Studia Linguistica Nr 1 1962 S 1 23 Fredrik O Lindemann Les origines indo europeennes de la Verscharfung germanique Oslo 1962 Fredrik O Lindemann Nochmals Verscharfung In Nordisk Tidskrift for Sprogvidenskab Nr 23 1968 S 25 36 Jooseppi J Mikkola Die Verscharfung des intervokalischen j und w im Gotischen und Nordischen In Festschrift Streitberg 1924 S 267 271 Hjalmar P Petersen Verscharfung in Old Norse and Gothic In Arkiv for Nordisk Filologi Nr 117 2002 S 5 27 Edgar Polome A West Germanic reflex of the Verscharfung In Lg Nr 25 1949 S 182 189 Edgar Polome Laryngaaltheorie en germaanse verscherping In Handelingen der Zuidnederlandse Maatschappij voor Taal en Letterkunde en Geschiedenis Nr 4 1950 S 61 75 Edgar Polome Remarks on the problem of the Germanic Verscharfung In Festschrift Buyssens 1970 S 117 190 H A Roe Verscharfung in Faroese Diss Harvard University 1965 Charley Rowe The problematic Holtzmann s Law in Germanic In Indogermanische Forschungen Nr 108 2003 S 258 266 Ernst Schwarz Goten Nordgermanen Angelsachsen Bern Munchen 1951 Henry Lee Smith Jr The Verscharfung in Germanic In Lg Nr 17 1941 S 93 98 Laura Catharine Smith What s all the fuss about 16 words A new approach to Holtzmann s Law In Gottinger Beitrage zur Sprachwissenschaft Nr 1 1999 S 66 93 Yoshio Tanaka A proposed hypothesis for Holtzmann s Law In La Linguistique Nr 6 1970 S 65 80 Frans Van Coetsem Le renforcement des semivoyelles intervocaliques en germanique j jj gt jj gt Gotique ddj etc In Leuvense Bijdragen Nr 39 1949 S 41 78 Einzelnachweise Bearbeiten a b c Neville E Collinge The Laws of Indo European Amsterdam 1985 Holtzmann s Law S 93 Joseph B Voyles Early Germanic Grammar Pre Proto and Post Germanic Languages San Diego 1992 S 25 Ernst Schwarz Goten Nordgermanen Angelsachsen Bern Munchen 1951 S 64 f 144 Adolf Holtzmann Altdeutsche Grammatik umfassend die gothische altnordische altsachsische angelsachsische und althochdeutsche Sprache Erster Band Erste Abteilung Die specielle Lautlehre Leipzig 1870 S 29 42 f 109 Adolf Holtzmann Altdeutsche Grammatik umfassend die gothische altnordische altsachsische angelsachsische und althochdeutsche Sprache Erster Band Erste Abteilung Die specielle Lautlehre Leipzig 1870 S 109 a b c Neville E Collinge The Laws of Indo European Amsterdam 1985 Holtzmann s Law S 94 Neville E Collinge The Laws of Indo European Amsterdam 1985 Holtzmann s Law S 93 f Neville E Collinge The Laws of Indo European Amsterdam 1985 Holtzmann s Law S 101 Neville E Collinge The Laws of Indo European Amsterdam 1985 Holtzmann s Law S 94 f Hjalmar P Petersen Verscharfung in Old Norse and Gothic In Arkiv for Nordisk Filologi Nr 117 2002 S 10 Neville E Collinge The Laws of Indo European Amsterdam 1985 Holtzmann s Law S 95 f Neville E Collinge The Laws of Indo European Amsterdam 1985 Holtzmann s Law S 96 Hjalmar P Petersen Verscharfung in Old Norse and Gothic In Arkiv for Nordisk Filologi Nr 117 2002 S 13 Neville E Collinge The Laws of Indo European Amsterdam 1985 Holtzmann s Law S 97 Hjalmar P Petersen Verscharfung in Old Norse and Gothic In Arkiv for Nordisk Filologi Nr 117 2002 S 11 Hjalmar P Petersen Verscharfung in Old Norse and Gothic In Arkiv for Nordisk Filologi Nr 117 2002 S 12 Hjalmar P Petersen Verscharfung in Old Norse and Gothic In Arkiv for Nordisk Filologi Nr 117 2002 S 5 19 Hjalmar P Petersen Verscharfung in Old Norse and Gothic In Arkiv for Nordisk Filologi Nr 117 2002 S 22 Hjalmar P Petersen Verscharfung in Old Norse and Gothic In Arkiv for Nordisk Filologi Nr 117 2002 S 5 7 Edgar Polome A West Germanic reflex of the Verscharfung In Lg Nr 25 1949 Hjalmar P Petersen The Verscharfung in Old Norse and Gothic In Arkiv for Nordisk Filologi Nr 117 2002 S 15 f 18 f Charley Rowe The problematic Holtzmann s Law in Germanic In Indogermanische Forschungen Nr 108 2003 S 263 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Holtzmanns Gesetz amp oldid 237848276