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Das nach seinem Entdecker dem danischen Sprachwissenschaftler Karl Verner benannte und im Jahr 1875 von diesem formulierte Vernersche Gesetz 1 auch Verners Gesetz beschreibt eine im Urgermanischen wirksame Ausnahme der ersten germanischen Lautverschiebung namlich das Stimmhaftwerden Sonorisierung der neu entstandenen stimmlosen Reibelaute Frikative f th x xʷ s unter bestimmten Bedingungen Jacob Grimm nannte diese zu seiner Zeit nicht erklarbaren Ausnahmen der ersten Lautverschiebung grammatischen Wechsel Mit der neuen Erklarung fanden die Junggrammatiker eine Bestatigung fur die von ihnen postulierte Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze Inhaltsverzeichnis 1 Ablauf 2 Datierung 2 1 Traditionelle Sichtweise 2 2 Neue Uberlegungen zur Datierung 2 3 Folgen der Fruhdatierung des Vernerschen Gesetzes 2 4 Akzeptanz der Fruhdatierung 3 Siehe auch 4 Literatur 5 EinzelnachweiseAblauf BearbeitenNach traditioneller Auffassung 2 wurden die indogermanischen stimmlosen Verschlusslaute Explosiva durch die erste Lautverschiebung entweder zu stimmlosen Reibelauten Frikativen f th x xʷ oder deren stimmhaften Entsprechungen ƀ đ ǥ ǥʷ sinngemass wurde der ererbte Sibilant s durch das stimmhafte z ersetzt Verner fand nun heraus dass die stimmhafte Variante immer dann eintrat wenn dem indogermanischen Verschlusslaut der Stimmton Akzent folgte Ging er voraus blieb es beim stimmlosen Reibelaut ebenso am Wortanfang oder in sogenannter gedeckter Stellung ein s geht voraus ein zweiter Verschlusslaut folgt Hier das Standardbeispiel Der Vergleich zwischen lateinisch frater und pater und altindisch bhratar und pitar zeigt dass den beiden Wortern Bruder und Vater im Inlaut ein indogermanisches t zugrunde lag Wie kommt es also zu den unterschiedlichen Ergebnissen d und t im Neuhochdeutschen Mit den Regeln der ersten Lautverschiebung war nur die Form Bruder zu erklaren Das indogermanische t wird zu th verschoben welches zum Althochdeutschen hin regelmassig zu d umgewandelt wird Das t in Vater konnte man so nicht erklaren man wurde analog zu Bruder die Form Vader erwarten Erst mit Verners Erkenntnis wird der Ablauf klar Da das Wort im Indogermanischen nach dem t betont war ph ter macht diese Konstellation th zu đ das uber d im Althochdeutschen regelmassig zu t wird Euler 2009 54 erklart die Frikativierung anders und vereinfacht t gt tʰ gt dh gt d siehe unten Datierung BearbeitenTraditionelle Sichtweise Bearbeiten Nach traditioneller Lehrmeinung auch nach der Uberzeugung von Karl Verner selbst folgten die mit dem Vernerschen Gesetz beschriebenen Veranderungen der ersten Lautverschiebung Fest steht dass das Vernersche Gesetz die alten indogermanischen Betonungsverhaltnisse voraussetzt Seine Geltung muss also vor dem Aufkommen der germanischen Initialbetonung Betonung auf der Stammsilbe gelegen haben Diese wiederum habe dann relativ bald zur Schwachung von Nachsilben und Nebentonsilben gefuhrt und damit zum zugigen Verfall der morphologischen Systeme der sich in den germanischen Einzelsprachen seit Beginn ihrer Uberlieferung vielfach beobachten lasst Die traditionell und in vielen Lehrbuchern bis heute angenommene Reihenfolge war also Erste Lautverschiebung Grimmsches Gesetz markiert die Entstehung des Germanischen Ausnahme davon Vernersches Gesetz Aufkommen der Initialbetonung Schwachung der unbetonten Silben Verfall Umbau der morphologischen Systeme Flexionssysteme Neue Uberlegungen zur Datierung Bearbeiten Die traditionell angenommene Reihenfolge wurde seit etwa 1998 mit folgenden Hauptargumenten in Frage gestellt 1 Mehrere Linguisten wiesen darauf hin dass das Vernersche Gesetz durchaus auch vor der ersten Lautverschiebung gegolten haben kann Zumindest gibt es fur die traditionell angenommene umgekehrte Reihenfolge keine positiven Belege 2 Die Entdeckung von Argumenten fur die Datierung des Grimmschen Gesetzes erst auf das ausgehende 1 Jahrhundert v Chr vgl Urgermanisch Insbesondere der Stammesname Kimbern vgl danisch Himmerland und der alte Name des Flusses Waal lateinisch Vacalus deuten auf den Wandel von anlautendem k zu h x erst kurz vor der Zeitenwende hin allerdings sind diese Beispiele keineswegs schlussig selbst wenn man ausschliessen konnte dass z B keltische Vermittlung eine Rolle spielte da ein urgermanisches h oder x im Lateinischen ohnehin nur als lt c gt wiedergegeben werden konnte denn das lateinische lt h gt war nach Meiser zu dieser Zeit bereits langst verstummt und fur den germanischen Laut gab es im Lateinischen keine genauere Entsprechung Umgekehrt gilt das bisherige Hauptargument allerdings langst nicht das einzige vgl urgermanisch Walhaz Kelt aus Volcae fur die Fruhdatierung dieses Wandels auf die Mitte des 1 Jahrtausends v Chr namlich die Veranderung des skythischen Wortes kanba in urgermanisch hanapiz neuhochdeutsch Hanf als nicht mehr tragfahig und zumindest keineswegs zwingend Die angenommene Spatdatierung des Grimmschen Gesetzes auf das spate 1 Jahrhundert v Chr wiederum setzt bei Geltung der oben genannten traditionellen Reihenfolge eine enorm schnelle Veranderung des spaten Gemeingermanisch um die Zeitenwende voraus Binnen weniger Jahrzehnte mussten die ersten drei der oben genannten funf tiefgreifenden Veranderungen in schneller Folge vollzogen worden sein Nur so ware zu erklaren dass samtliche germanischen Sprachen diese Veranderungen aufweisen obwohl sich die germanische Spracheinheit im Osten bereits um 5 v Chr durch die Ablosung des Ostgermanischen aufzulosen begann Ein so rapider Sprachwandel erscheint jedoch weniger plausibel Er hatte pointiert gesagt die Folge gehabt dass der Enkel den eigenen Grossvater kaum mehr verstanden hatte Allerdings ist rapider Sprachwandel belegt z B im Lateinischen oder Fruhaltirischen Vor diesem Hintergrund ist die These das Vernersche Gesetz konne womoglich lange vor dem Grimmschen Gesetz gegolten haben aufgestellt worden Dann ware folgende Reihenfolge anzunehmen Vernersches Gesetz erste mogliche Abgrenzung Indogermanisch Germanisch Aufkommen der Initialbetonung zweite mogliche Abgrenzung zum Indogermanisch Germanisch Grimmsches Gesetz erste Lautverschiebung im spaten 1 Jahrhundert v Chr sie markiert demnach nicht die Entstehung des Germanischen Schwachung der unbetonten Silben im Deutschen erst im 10 Jahrhundert n Chr schliesslich bald danach wenn nicht gleichzeitig Verfall Umbau der FlexionssystemeIm Deutschen markieren die Schritte 4 und 5 den Ubergang vom Althochdeutschen zum Mittelhochdeutschen Gegen diese fruhe Datierung des Vernerschen Gesetzes kann ein phonologisches Argument ins Feld gefuhrt werden Mit der traditionellen Abfolge kann man die Wirkung des Vernerschen Gesetzes auf eine phonetisch zusammengehorige Lautgruppe namlich die stimmlosen Frikative einschranken Will man hingegen die erste Lautverschiebung nach dem Vernerschen Gesetz ansetzen so muss man davon ausgehen dass es auf zwei phonetisch vollig unterschiedliche Lautgruppen namlich die stimmlosen Plosive p t und k einerseits und den Frikativ s andererseits gewirkt habe Folgen der Fruhdatierung des Vernerschen Gesetzes Bearbeiten Der Einwand in dieser hypothetischen Reihenfolge sei der zeitliche Abstand zwischen dem Aufkommen der Initialbetonung und den Schritten vier und funf zu gross wird durch den Befund des Islandischen und Walliserdeutschen widerlegt In diesen germanischen relativ isolierten Idiomen existieren bis heute uber 2000 Jahre nach dem Einsetzen der Initialbetonung vokalische Nebentonsilben und archaische Flexionssysteme mit Postdetermination wie sie historisch etwa im Althochdeutschen Altenglischen und Gotischen belegt sind Aus dieser Faktenlage lasst sich die Vermutung gewinnen Wenn Initialbetonung und solche morphologische Systeme nachweislich 2000 Jahre lang miteinander kompatibel waren konnen sie auch 3000 Jahre lang miteinander kompatibel gewesen sein Mit dieser Relativchronologie stellt sich der Wandel des spaten Gemeingermanisch im 1 Jh v Chr weniger dramatisch dar Es ist damit auch verstandlich warum samtliche germanische Sprachen die Veranderungen 1 bis 3 vollstandig vollzogen haben Angesichts der Ablosung der Ostgermanen von der Gesamtheit der Germanen bereits im 2 oder 1 Jahrhundert vor Christus ist diese Gemeinsamkeit bei der heute uberwiegend angenommenen Spatdatierung von Grimms Gesetz namlich kaum zu erklaren Selbst mit der neuen Relativchronologie ist die Durchfuhrung von Grimms Gesetz in samtlichen germanischen Sprachen nicht ganz einfach zu erklaren Naheliegend und angesichts des empirischen Befundes sehr plausibel erscheint die Ausbreitung der ersten Lautverschiebung innerhalb des germanischen Sprachgebietes von Ost nach West im ausgehenden 1 Jahrtausend v Chr Die Waal deren lautlich erst spat verschobener antiker Name fur diese Spatdatierung ein wichtiger Beleg ist liegt im aussersten Westen des damaligen germanischen Sprachgebietes In jedem Falle markiert Grimms Gesetz dann keineswegs mehr den Beginn des Germanischen sondern im Gegenteil eine der letzten von allen germanischen Sprachen gemeinsam vollzogenen Veranderungen Das bislang als Urgermanisch oder Gemeingermanisch bezeichnete Idiom ware dann genauer als spatestes Gemeingermanisch zu bezeichnen Die von den Germanen in der spaten Bronzezeit oder Eisenzeit gesprochene Sprache wiederum hatte dann ein weitaus archaischeres Geprage und gliche weit mehr als traditionell angenommen ihrem indogermanischen Vorlaufer Akzeptanz der Fruhdatierung Bearbeiten Die Fruhdatierung des Vernerschen Gesetzes hat bisher keine allgemeine Akzeptanz gefunden Autoren neuerer Publikationen etwa Schaffner 2001 Stricker 2005 halten meist an der traditionellen Chronologie fest Eine detaillierte Zusammenfassung der Diskussion enthalt die neue Monographie von Wolfram Euler 3 der weitere Argumente fur die Fruhdatierung nennt Zitate Die Fruhdatierung impliziert eine harmonischere und einfachere Abfolge der Lautveranderungen Die Abschwachung aspirierter Tenues zu aspirierten Mediae in unbetonter Stellung ist phonologisch ein winziger Schritt der zudem naher liegt als die Annahme dass stimmlose Frikative in unbetonter Stellung sonorisiert worden seien Die Fruhdatierung sei damit auch wissenschaftstheoretisch vorzuziehen weil in Zweifelsfallen diejenige Hypothese plausibler ist die mit weniger und einfacheren Annahmen auskommt Euler fuhrt zwei weitere Argumente fur die Fruhdatierung an Nach neuestem Forschungsstand war die Erste Lautverschiebung zumindest im Westen des germanischen Sprachgebietes selbst im 1 Jahrhundert v Chr noch nicht abgeschlossen Waren Verners Gesetz und die Akzentverlagerung aber erst danach geschehen dann musste sich die germanische Sprache in den letzten Jahrzehnten vor Christi Geburt in einem sich geradezu ubersturzenden Umbruchprozess befunden haben Wendet man den Blick dagegen von diesem Punkt aus in die Vergangenheit dann steht ein langer Zeitraum zur Verfugung in dem die phonologischen Veranderungen in der hier vertretenen Reihenfolge geschehen sein konnen 4 Ein weiteres Argument Eulers betrifft den Zusammenhang des fruhgermanischen Wechsels zur Initialbetonung und der Spirantisierung Die alternative Abfolge Fruhdatierung bedeutet auch dass die Verlagerung des Akzents auf die Stammsilbe bereits dann erfolgt sein kann als die Tenues noch nicht spirantisiert waren also vor der Ersten Lautverschiebung Die Akzentverlagerung kann sogar gleichsam die causa movens fur die Spirantisierung gewesen sein und eine Spirantisierung bei durchgehender Initialbetonung erscheint jedenfalls naheliegender als eine Spirantisierung ganz unabhangig vom Akzent wie die bisherige Reihenfolge sie ja voraussetzt 5 Siehe auch BearbeitenGrassmannsches Gesetz Sprachwissenschaft Rasmus Christian RaskLiteratur BearbeitenWilhelm Braune Althochdeutsche Grammatik I Laut und Formenlehre Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte A Hauptreihe Bd 5 1 16 Auflage neu bearbeitet von Frank Heidermanns Walter de Gruyter Berlin Boston 2018 S 142 f Kapitel Grammatischer Wechsel Neville E Collinge The Laws of Indo European Amsterdam 1985 S 203 216 Gerhard Eis Historische Laut und Formenlehre des Mittelhochdeutschen Carl Winter Heidelberg 1950 Sprachwissenschaftliche Studienbucher S 54 56 Kapitel Verners Gesetz Wolfram Euler Konrad Badenheuer Sprache und Herkunft der Germanen Abriss des Protogermanischen vor der Ersten Lautverschiebung London Hamburg 2009 ISBN 978 3 9812110 1 6 Stefan Schaffner Das Vernersche Gesetz und der innerparadigmatische grammatische Wechsel des Urgermanischen im Nominalbereich Innsbrucker Beitrage zur Sprachwissenschaft Band 103 Innsbruck 2001 Stefanie Stricker Vernersches Gesetz In Helmut Gluck Hrsg Metzler Lexikon Sprache 3 Auflage Stuttgart 2005 Joseph B Voyles Early Germanic Grammar Pre Proto and Post Germanic Languages Emerald 2007 ISBN 978 0 12 728270 1 S l Harald Wiese Eine Zeitreise zu den Ursprungen unserer Sprache Wie die Indogermanistik unsere Worter erklart Logos Verlag Berlin Berlin 2007 ISBN 978 3832516017 Jorma Koivulehto Theo Vennemann Der finnische Stufenwechsel und das Vernersche Gesetz In Beitrage zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur Nr 118 1996 S 163 182 bes 170 174 Einzelnachweise Bearbeiten Otto v Guericke Universitat Magdeburg Bereich Germanistik Vernersches Gesetz Michael Meier Brugger Indogermanische Sprachwissenschaft De Gruyter Berlin New York 2010 9 Auflage L336 L421 2009 S 54f sowie 61 64 2009 S 54f 2009 62 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Vernersches Gesetz amp oldid 232707910