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Unter einem Geschichtsbild versteht man im Allgemeinen die Summe der geschichtlichen Vorstellungen eines Menschen oder einer Gruppe Je weniger Wissen desto mehr Fantasie bestimmt das jeweilige Geschichtsbild Es ist Teil des umfassenderen Weltbildes eines Menschen oder der Gruppe Unter Geschichtsbild wird einerseits ein genereller Blickwinkel auf geschichtliches Geschehen in der Art eines Paradigmas verstanden siehe Abschnitt Geschichtsbilder anderseits aber auch die zeitbedingte und daher auch Anderungen unterliegende Interpretation bestimmter Ereignisse und Personen vor allem mit dem Zweck politischer Instrumentalisierung im Sinne von Geschichtspolitik siehe Abschnitt Wirkungen des Geschichtsbildes Daneben gibt es aber auch den Wortsinn Bild aus der Geschichte uber die Geschichte Davon handelt der Abschnitt Geschichtsbild konkret Zu unterscheiden ist zwischen Geschichtsbildern und der historischen Forschung Erstere sind mittlerweile selbst Forschungsgegenstand der Geschichtswissenschaft Inhaltsverzeichnis 1 Geschichtsbilder 1 1 Teleologisches Geschichtsbild 1 2 Zyklisches Geschichtsbild 1 3 Nichts Neues unter der Sonne 1 4 Kulturoptimismus 1 5 Kulturpessimismus 1 6 Schicksal 1 7 Vorsehung und Gott 1 8 Freier Wille 1 9 Strukturgeschichte 1 10 Geschichtsbild der Geschichtswissenschaft 2 Wirkungen des Geschichtsbildes Beispiele von Geschichtsbildern 3 Ursachen von Geschichtsbildern 4 Geschichtsbild konkret 5 Siehe auch 6 LiteraturGeschichtsbilder BearbeitenTeleologisches Geschichtsbild Bearbeiten Unter einem teleologischen Geschichtsbild versteht man die Vorstellung dass die Geschichte einem bestimmten Endzweck zustrebt Haufig handelt es sich um religiose Vorstellungen etwa die dass die Geschichte mit einem Jungsten Gericht endet Auch die Klassenlose Gesellschaft als Endzweck gesellschaftlicher Entwicklungen definiert ein teleologisches Geschichtsbild Zyklisches Geschichtsbild Bearbeiten Diese besonders in Asien verbreitete Vorstellung glaubt dass sich alles wiederhole Zwar gibt es eine eindeutige Bewegungsrichtung vorgestellt als Bewegung auf einem Kreis aber die Bewegung die nie endet kommt nach einiger Zeit wieder da an wo sie herkam Haufig werden dabei bestimmte auffallende Ereignisse als Kennzeichnung des Beginns eines neuen Zyklus gesehen etwa die Erleuchtung eines neuen Buddha Auch in Europa gab es zyklische Geschichtsvorstellungen etwa bei Oswald Spengler Geistiger Vater dieses zyklischen Geschichtsverstandnisses ist der griechische Geschichtsschreiber Polybios der dem antiken Rom eine Sonderstellung innerhalb seines Modells attestierte vereine es doch das Beste von Aristokratie Monarchie und Demokratie Doch nach Ansicht Polybios war auch diese Balance von hoher Fragilitat da die Dekadenz also fehlende Tugend der Burger drohte das Gleichgewicht zu kippen und Rom in eine Tyrannis zu uberfuhren Ausgang aus der Tyrannis der vermeintlich schlechtesten Form der Herrschaft ist nur durch den Tod oder die Totung des Herrschers zu finden Uber Zwischenstufen wird sich dann das vermeintlich beste Modell die Aristokratie herausbilden woraufhin der Zyklus wieder in die Ausbildung einer Tyrannis mundet Einer der Hauptgrunde fur das heute lineare Geschichtsverstandnis durfte das Aufkommen des Christentums sein das an den Anfang der Geschichte die Schopfung der Welt setzt und ans Ende die Erlosung Eine zyklische Vorstellung von Geschichte wurde so obsolet Nichts Neues unter der Sonne Bearbeiten Dass sich sub specie aeternitatis nichts andere und lediglich die Akzidentien unterscheidbar seien war eine weitere Vorstellung von Geschichte Ganz besonders wurde sie bei Niccolo Machiavelli deutlich Diesem Standpunkt der Konstanz der wesentlichen Elemente der Politik folgt die Moglichkeit des Lernens aus Geschichte Machiavelli abstrahierte von den Einzelereignissen und stellte Gesetzmassigkeiten auf die zeitlos gultig sein sollten Kulturoptimismus Bearbeiten Unter Kulturoptimismus versteht man die Vorstellung dass sich die Welt stets zum Besseren wende Er ist manchmal aber nicht immer mit einer teleologischen Vorstellung verbunden Die Vergangenheit erscheint so als das uberwundene Schlechte Haufig waren es so genannte fortschrittliche politische Theorien die die Vorstellung einer stetigen Verbesserung der Welt vertraten Ein Lernen aus der Geschichte ware hier sehr schwierig allenfalls eine Extrapolation der gegenwartigen Bewegungsrichtung ware als Lern und Prognosemoglichkeit denkbar Kulturpessimismus Bearbeiten Der Kulturpessimismus ist die gegenteilige Vorstellung dass sich die Welt standig zum Schlechteren hin entwickele Die Vorstellung wird durch die christliche Vorstellung der Vertreibung aus dem Paradies unterstutzt Mit einem kulturpessimistischen Geschichtsbild wird die Vergangenheit geradezu verklart Ein bekannter deutschsprachiger Vertreter des Kulturpessimismus war Ludwig Klages vgl auch Kulturkritik Schicksal Bearbeiten Haufig wird unterstellt dass der Ablauf der Geschichte vorbestimmt sei und vom Einzelnen gar nicht wesentlich beeinflusst werden konne Viele aber nicht alle kulturoptimistischen Theorien nehmen dies an In dieser Vorstellung kann man mit der Entwicklungsrichtung mitgehen fortschrittlich oder als Bremser konservativ oder reaktionar dazu verurteilt sein dass die Geschichte uber einen hinweggeht Auch der historische Materialismus der von ehernen Gesetzen spricht erlaubt einen Blick in die Zukunft durch Kenntnis ebendieser Gesetze Anhanger der Vorbestimmtheit welcher Art auch immer kennen daher Einzelpersonlichkeiten oder Institutionen die durch intensives Studium in der Lage sind den Verlauf der Geschichte mehr oder weniger klar zu erkennen Vorsehung und Gott Bearbeiten Die Vorbestimmtheit wird oft verstarkt oder modifiziert indem Gott mit ins Spiel gebracht wird Heilsgeschichte Dies kann sowohl die Vorstellung eines handelnden allmachtigen Gottes sein der in das Geschehen eingreift oder auch die Vorstellung dessen der die Entwicklungsrichtung kennt und sie daher vorhersieht In der Antike hielt man es fur moglich dass auch bestimmte Menschen Auguren Kassandra Mythologie die Zukunft vorhersehen konnten Das Orakel von Delphi war in der hellenistischen Welt die bekannteste Institution dieser Art in der die Pythia weissagte Heute geniesst der Rat von Weissagern im Allgemeinen keinen guten Ruf Aber es gibt immer noch Leute die sich gern ihre Zukunft vorhersagen lassen Freier Wille Bearbeiten Im Gegensatz dazu gibt es Vorstellungen die annehmen Menschen hatten einen freien Willen und wurden Geschichte deshalb grundsatzlich als menschengemacht ansehen Hier werden Einzelpersonlichkeiten herausgegriffen die Geschichte gestalten Der starke Mann und die zahlreichen historischen Personlichkeiten mit dem Beinamen der Grosse sind Beispiele fur die Annahme dass ein starker Wille die Menschen auf ein Ziel hin ausrichten und damit die Welt oder zumindest ein Land gestalten konne Eine Prognosemoglichkeit ergibt sich bei strenger Annahme des freien Willens nicht Auch ein Lernen aus der Geschichte ist kaum moglich Strukturgeschichte Bearbeiten Die Strukturgeschichtsschreibung vgl u a Annales Schule untersucht grosse historische Prozesse innerhalb derer Individuen und Einzelereignissen nur wenig Spielraum zukommt Gegenbegriff Ereignisgeschichte Ereignisse waren vielmehr stets Folgen derartiger Prozesse Zum Beispiel ware die Erfindung der Dampfmaschine Folge eines komplexen Prozesses der letztlich zur Industriellen Revolution fuhrte nicht deren Ausloser Technologischer Wandel als Folge dessen die Dampfmaschine entwickelt wurde ware nur ein Element dieses Prozesses Geschichtsbild der Geschichtswissenschaft Bearbeiten Auch die Geschichtswissenschaft kommt ohne Geschichtsbild nicht aus doch geht hier die Tendenz zu immer differenzierteren Bildern Im Allgemeinen werden Strukturgeschichte und die Bedeutung von Entscheidungen von Personen und Gremien darin eine grosse Rolle spielen Wirkungen des Geschichtsbildes Beispiele von Geschichtsbildern BearbeitenJe nachdem welches Geschichtsbild zugrunde gelegt wird wird Geschichte sehr unterschiedlich dargestellt Wer vom freien Willen ausgeht wird Geschichte vor allem als Handlungsfolgen starker Einzelpersonlichkeiten darstellen Wer hingegen mehr von Gesetzmassigkeiten ausgeht und damit die handelnden Personen im Extremfall als Protokollanten der geschichtlichen Entwicklung betrachtet der wird den Personen einen geringeren Stellenwert beimessen Einige Beispiele sollen dies zeigen Napoleon Bonaparte wurde etwa als ein Mensch gesehen der durch seine Ausstrahlung die Menschen in seine Gewalt zwang Verwiesen wird zum Beispiel auf seine Ruckkehr aus der Verbannung als er durch seine Ansprache die Truppen die ihn aufhalten sollten fur sich gewann Ich bin s Euer Kaiser Eine Variante dieser Vorstellung ist von Georg Wilhelm Friedrich Hegel uberliefert der beim Anblick Napoleons ausrief Der Weltgeist zu Pferde Hegel glaubte dass Napoleon nur ausfuhrendes Organ des Weltgeistes sei der sich in Napoleon verwirkliche Ein anderes Beispiel ist Adolf Hitler der oft als eine Personlichkeit angesehen wird die aufgrund eigenen Willens den Zweiten Weltkrieg entfesselte Auf die Person Hitlers bezogen ist dieses Geschichtsbild nach wie vor popular Wegen ihrer Einfachheit ist die Geschichtsdarstellung gemass dem Motto Grosse Manner machen Geschichte bis heute in der offentlichen Wahrnehmung weit verbreitet In der historischen Forschung hingegen gilt derart personenorientierte Geschichtsschreibung bereits seit Jahrzehnten als uberholt Sie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zunachst durch eine starke Dominanz strukturgeschichtlicher Analysen abgelost Hiernach ware der Zweite Weltkrieg eine Folge komplexer Entwicklungen und durch strukturelle Elemente wie die Nachkriegsordnung des Versailler Vertrages und die Weltwirtschaftskrise ausgelost worden Wie die Geistes und Sozialwissenschaft allgemein so ist auch die heutige Geschichtsschreibung durch eine Vielzahl von Ansatzen gepragt welche nach langen methodologischen Debatten heute oft in Kombination Verwendung finden Aktuelle Forschungen zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs etwa wurden die Person Hitlers ebenso einbeziehen wie strukturelle Rahmenbedingungen z B die Versailler Ordnung und das Verhalten anderer Akteure etwa der europaischen Grossmachte In der Westlichen Welt herrscht heute eine durch den Liberalismus gepragte Sichtweise vor Folge ist ein im Grunde fortschrittsoptimistisches Geschichtsbild Zur Zeit des Kalten Krieges konkurrierte es mit dem marxistischen Geschichtsbild das von gesellschaftlichen Strukturen ausging und daher den Zweiten Weltkrieg auch nicht dem Wirken einer Einzelperson sondern einer geschichtsnotwendigen Phase dem Faschismus als Hohepunkt des Kapitalismus zuschrieb Mit dem Ende des Ost West Konflikts erlebte das fortschrittsoptimische Geschichtsbild einen etwas vorschnellen Triumph im zunachst angenommenen Ende der Geschichte Fukuyama Nach dem Ende der Systemkonkurrenz erwartete man dass sich westlich liberale Werte wie Demokratie Marktwirtschaft und Menschenrechte im Zuge der Globalisierung nun durchsetzen wurden Neuere Entwicklungen und eine nuanciertere Bewertung der Globalisierung haben zu einer Dampfung des Optimismus gefuhrt Dennoch geht das heutige Geschichtsbild im Grunde auch weiterhin von Geschichte im Sinne einer Weiterentwicklung aus Der Islamismus hingegen geht von einer viel starker schicksalsgebundenen Geschichte aus als der liberalistisch gepragte Westen Das erste Drittel des 20 Jahrhunderts hingegen war in Deutschland von der Vorstellung gepragt dass sich Kulturen wie Organismen entwickeln und daher entstehen und vergehen Eines der bedeutendsten Werke dieses Geschichtsbildes war Der Untergang des Abendlandes Oswald Spenglers Wiederum anders war das Geschichtsbild des Nationalsozialismus eine Mischung aus solchen spenglerisch organisch preussischen und sozialdarwinistisch rassistischen Vorstellungen wonach das Recht des Starkeren das der so genannten Herrenrasse galt Die Geschichtswissenschaft vertritt ein durchweg komplexeres und vielschichtigeres Geschichtsbild als die offentliche Wahrnehmung Einzelne Geschichtsbilder wie etwa die Vorstellung von grossen Einzelgestalten von Geschichte im Sinne einer Fortschritts und Aufwartsbewegung oder auch Machiavellis Lernen aus der Geschichte halten sich bis heute hartnackig auch wenn die aktuelle Forschung derartige Geschichtsbilder in ihrer Einfachheit und Einseitigkeit meist verwirft Ursachen von Geschichtsbildern BearbeitenNicht idealistische wissenschaftliche Ansatze versuchen im Sinne einer Mentalitatsgeschichte Kultursoziologie oder Wissenssoziologie die verschiedenen Geschichtsbilder als Ergebnisse der gesellschaftlichen Entwicklung zu verstehen Beispielsweise werden kulturpessimistische Geschichtsbilder als Teil der Mentalitat von Bevolkerungsgruppen gedeutet die im Verlauf des gesellschaftlichen Wandels allmahlich von relativ privilegierten Positionen absteigen Umgekehrt ist eine gangige Deutung kulturoptimistischer Geschichtsbilder sie als Teil der Mentalitat einer allmahlich aufsteigenden Bevolkerungsgruppe zu sehen Geschichtsbild konkret Bearbeiten nbsp Illustration aus der Chronik des Konzils von KonstanzIm Unterschied zur Historienmalerei die im Nachhinein Bilder zur Geschichte erstellt die dem eigenen Geschichtsbild im ubertragenen Sinne entsprechen gibt es auch Bilder die geschichtliche Zustande und Vorgange ihrer Zeit darstellen Das vielleicht beruhmteste Geschichtsbild in diesem Sinne ist der Teppich von Bayeux der die Schlacht von Hastings darstellt Noch realistischer sind die Darstellungen auf romischen Triumphbogen und saulen Doch bereits Agypter und Assyrer haben Kampfe ihrer Zeit bildlich dargestellt Aus dem Mittelalter sind die Berner Chronik von Diebold Schilling dem Alteren und die Illustrationen zum Konstanzer Konzil von Ulrich von Richental zu nennen Auch bei zeitnahen Bildern spielt freilich die Darstellungsabsicht immer eine wichtige Rolle Dies kann zum Beispiel die Darstellung der Machtentfaltung sein so etwa bei den assyrischen oder babylonischen Darstellungen ihrer siegreichen Konige Ein anderes Beispiel das gerne zitiert wird ist die Kaiserproklamation von Versailles Davon gibt es mehrere Versionen und interessanterweise ist die Version in der Bismarck in den Mittelpunkt geruckt wurde die bekannteste Diese Version hat Kaiser Wilhelm I selbst in Auftrag gegeben um sie Bismarck zum Geburtstag zu schenken Fotos sind auch Gegenstand von Veranderungen in der Darstellung Ein gutes Beispiel aus dem 20 Jahrhundert ist die Falschung von Fotos durch Retuschieren zur damnatio memoriae von Gegnern Stalins Siehe auch Bearbeiten nbsp Portal Geschichte Ubersicht zu Wikipedia Inhalten zum Thema Geschichte Geschichtsbewusstsein Geschichtsdidaktik Geschichtsphilosophie Gemeinsame Kommission fur die Erforschung der jungeren Geschichte der deutsch russischen Beziehungen seit 1997 Literatur BearbeitenMarko Demantowsky Geschichtsbild In Ulrich Mayer Hans Jurgen Pandel Gerhard Schneider Bernd Schonemann Hrsg Worterbuch Geschichtsdidaktik Wochenschau Schwalbach am Taunus 2006 ISBN 3 89974 257 5 S 70 f online https hcommons org deposits item hc 23935 Karl Ernst Jeismann Geschichtsbilder Zeitdeutung und Zukunftsperspektive In Aus Politik und Zeitgeschichte 52 Jg Nr 51 52 2002 S 13 22 online Christina Jostkleigrewe Christian Klein Kathrin Prietzel Peter F Saeverin Holger Sudkamp Hrsg Geschichtsbilder Konstruktion Reflexion Transformation Europaische Geschichtsdarstellungen Bd 7 Bohlau Koln Weimar Wien 2005 ISBN 3 412 26605 1 Gerhard Schneider Geschichtsbild In Klaus Bergmann Klaus Frohlich Annette Kuhn Jorn Rusen Gerhard Schneider Hrsg Handbuch der Geschichtsdidaktik 5 Auflage Kallmeyer Seelze Velber 1997 ISBN 3 7800 4920 1 S 290 293 Normdaten Sachbegriff GND 4071769 0 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Geschichtsbild amp oldid 237599424