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Unter feministischer Erkenntnistheorie werden Erklarungsmodelle zusammengefasst die soziokulturelle und politische Einflusse des Geschlechts auf die Gewinnung von Erkenntnis und Wissen zum Gegenstand haben Alle diese Modelle gehen davon aus dass Frauen dabei historisch stets benachteiligt waren und es gegenwartig immer noch sind Frauen wurde einerseits der Zugang zu den Institutionen der Wissensproduktion erschwert und andererseits erhielten ihre Erkenntnisse nicht denselben Status wie die ihrer mannlicher Kollegen Durch diesen Ausschluss werde nicht nur die wissenschaftliche Tatigkeit von Frauen herabgewurdigt sondern es entstehe auch ein Defizit im Erkenntnisprozess der Wissenschaften Inhaltsverzeichnis 1 Ubersicht 2 Fachdiskussion 3 Positionen 3 1 Feministische Standpunkt Theorie 3 2 Feministischer Empirismus 3 3 Postmoderne Epistemologie 4 Kritik an der feministischen Erkenntnistheorie 5 Siehe auch 6 Literatur 7 EinzelnachweiseUbersicht BearbeitenDie verschiedenen Positionen der feministischen Erkenntnistheorie entwickelten sich seit Ende der 1970er Jahre an der Schnittstelle zwischen Erkenntnistheorie Wissenssoziologie und den kritischen Uberlegungen der zweiten Welle des Feminismus Zunachst wurde vor allem in Nordamerika damit begonnen die Rolle von Geschlecht in der Wissenschaft zu analysieren und zwar hinsichtlich der Institutionen und Organisation von Wissenschaft aber auch mit Blick auf Forschungsinhalte Theorien und Methoden 1 Gerade dadurch dass die feministische Erkenntnistheorie zur Erforschung der Voraussetzungen fur Erkenntnis die soziale Wirklichkeit der Forschung berucksichtigt grenzt sie sich von traditionellen Erkenntnistheorien ab und weist eine Nahe zur Wissenssoziologie auf Feministische Theoretikerinnen gehen davon aus dass die Frage uber wessen Erkenntnis wir sprechen wenn wir uber Wissen und Wissenschaft sprechen in eine zentrale analytische Position zu rucken sei 2 In der klassischen Erkenntnistheorie von Rene Descartes bis Karl Popper liegt der Fokus meist auf der rationalen Erklarung und Begrundung von wissenschaftlichem Wissen Singulare subjektive und gruppenspezifische Einflusse denen ein Forscher ausgesetzt ist werden nicht berucksichtigt Fur die feministische Erkenntnistheorie steht daher vor allem der faktische Entstehungszusammenhang von Wissen und der Blick auf das konkrete erkennende Subjekt im Fokus 3 Fachdiskussion BearbeitenDie feministische Erkenntnistheorie teilt das Paradigma der Situiertheit des Wissens mit der Wissenssoziologie die sich ebenfalls mit der sozial bedingten Entstehung Verbreitung Verwendung und Bewahrung von Wissen beschaftigt Wissen gilt daher stets als situiert also als in kulturellen sozialen okonomischen oder historischen Zusammenhangen stehend Im Kontrast zur starker auf die Erforschung gesellschaftlicher Wissensbestande ausgerichteten Wissenssoziologie richtet die feministische Erkenntnistheorie ihren Fokus jedoch auf die etablierten erkenntnistheoretischen Vorannahmen und Rahmenbedingungen von Wissen und stellt aktive Forderungen diese zu transformieren So stellt die Philosophin Helen Longino bereits in den 1990er Jahren den Status etablierter wissenschaftlicher Werte wie Neutralitat oder Einfachheit insofern infrage als sie diese ahnlich der Theorienwahl bei Thomas S Kuhn als aktive Entscheidungen fur eine bestimmte Wissensform Entsprechend kann man sich auch aktiv fur andere Werte entscheiden die nicht nur rational sondern zudem sozial legitimierbar sind wie etwa ein Heterogenitatsprinzip im Kontrast zum Sparsamkeitsprinzip siehe Feministischer Empirismus 4 Fragen nach der Auswirkung von Geschlecht auf den Erkenntnisprozess aber auch von gesellschaftlicher und ethnischer Herkunft auf die Einstiegschancen und Akzeptanz im Wissenschafts und Forschungsbetrieb waren zuvor weitgehend unbeachtet und wurden erstmals durch Vertreter einer feministischen Erkenntnistheorie in einen erkenntnistheoretisch relevanten Zusammenhang gestellt 5 Damit grenzt sie sie sich trotz aller Nahe von beiden genannten Disziplinen ab da sie im Hinblick auf die sozialen Bedingungen und theoretischen Voraussetzungen von Wissen zentral die Rolle von Geschlechtlichkeit in den Fokus nimmt die in der Wissenschaftssoziologie hochstens als ein Teilaspekt und in der traditionellen Erkenntnistheorie gar keine Rolle spielt Auch wenn die feministische Erkenntnistheorie nicht uber eine einheitliche konsistente Theorie verfugt sondern ein heterogenes Spektrum an Positionen siehe Positionen setzt sich zunehmend der Begriff der feministischen Erkenntnistheorie in Uberblickswerken und Handbuchern durch 6 Allen Positionen gemein ist die Beobachtung dass Frauen in der Wissenschaft unterreprasentiert sowie strukturell benachteiligt sind was sich jedoch nicht mit Unterschieden der biologischen Geschlechter begrunden lasst Stattdessen liegt diesem Phanomen eine Ausrichtung der Gesellschaft und folglich auch der Wissenschaft an mannlichen Interessen und Idealen Androzentrismus zugrunde Hierzu zahlen auch stereotype Zuschreibungen wie die Assoziation von mannlich mit rational analytisch objektiv unabhangig einerseits und von weiblich mit emotional intuitiv subjektiv abhangig andererseits 7 Der ursprungliche Fokus auf Frauen als benachteiligte Gruppe geriet im Rahmen der Dritten Welle des Feminismus zunehmend in die Kritik und wurde zu einem intersektionalen Ansatz erweitert der die Perspektiven aller marginalisierten Gruppen ins Zentrum ruckt Dieser Entwicklung liegt die Erkenntnis zugrunde dass bei der Analyse von Ungleichheit und Machtverhaltnissen neben Geschlecht auch andere soziale Strukturkategorien wie soziale Klasse sexuelle Orientierung und Ethnizitat wichtig sind Ein wichtiges Schlagwort im Bereich der feministischen Erkenntnistheorie ist der Begriff des Malestream Damit wird kritisiert dass Wissen typischerweise von mannlichen weissen Europaern beziehungsweise Nordamerikanern mittleren Alters generiert wird die einer gehobenen Bildungsschicht entstammen Basierend auf der paradigmatischen These der Situiertheit von Wissen berge diese Einschrankung der Perspektive die Gefahr einer kognitiven Verzerrung englisch bias Diese Verzerrung nicht nur sichtbar zu machen sondern ihr auch entgegenzuwirken um die erkenntnistheoretische Perspektive zu weiten und die Chancen von marginalisierten Personen zu verbessern im Wissenschaftsbetrieb Fuss zu fassen ist ein Grundanliegen der feministischen Erkenntnistheorie 8 Positionen BearbeitenIn der Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Subjekt des Erkennens haben sich unterschiedliche Richtungen und Ansatze feministischer Erkenntnistheorie ausgebildet Eine Moglichkeit das heterogene Feld zu strukturieren bietet die britische Philosophin Susan Haack 9 Ihr zufolge lassen sich die verschiedenen Ansatze anhand der jeweiligen Auslegung des Standpunkts einer Frau a woman s point of view in zwei Stromungen unterscheiden einerseits in Ansatze die feministische Erkenntnistheorie als die Art wie Frauen die Welt sehen beschreiben und andererseits in Ansatze die den Standpunkt einer Frau als den Interessen der Frauen dienlich beschreiben Gegenstand der ersten Gruppe von Ansatzen ist demnach das spezifisch Weibliche am jeweiligen Erkenntnisbegriff wahrend Gegenstand der zweiten Gruppe eher die Umstande des Erkenntnisprozesses im Hinblick auf Frauen sind und damit auch Aspekte wie Sexismus und Androzentrismus von Belang sind Gerade die erste Perspektive ist jedoch insofern problematisch als dass Haack im Konzept eines spezifisch weiblichen Wissens einen geschlechtsspezifischen Essentialismus sieht von dem nicht nur sie sich distanziert sondern der daruber hinaus auch innerhalb der von ihr beschriebenen Ansatze nicht vertreten wird Eine alternative Einteilung der Ansatze schlagt die Philosophin Mona Singer in Anschluss an Sandra Harding vor nach der sich drei Ausrichtungen innerhalb der feministischen Erkenntnistheorie unterscheiden lassen feministische Standpunkt Theorie feministischer Empirismus und Postmoderne Epistemologie 10 11 Feministische Standpunkt Theorie Bearbeiten Hauptartikel Standpunkt Theorie Der alteste Ansatz der feministischen Erkenntnistheorie ist die feministische Standpunkt Theorie Die 1981 von der Philosophin Lorraine Code gestellte Frage ob das Geschlecht des Erkennenden beim Erlangen von Erkenntnis eine Rolle spielt wird hier bejaht 12 Zudem konnen der feministischen Standpunkt Theorie zufolge Frauen potenziell eine adaquatere und komplexere Sicht auf die Welt gewinnen als Manner Diese Aussage begrundet sich auf der bereits bei Hegel zu findenden Annahme dass die innerhalb eines Systems unterdruckten Gruppen der jeweilig herrschenden Gruppe gegenuber einen erkenntnistheoretischen Vorteil haben da sie im Erkenntnisprozess nicht nur den jeweiligen Gegenstand sondern auch die systemischen Rahmenbedingungen erkennen Entsprechend geht die feministische Standpunkt Theorie davon aus dass Frauen im Gegensatz zu Mannern im historischen Kontext zu den Unterdruckten gezahlt werden und eine solche gesellschaftliche Positioniertheit zu einer objektiveren Erkenntnis fuhrt Zu beachten ist dass durch den Standpunkt der Frauen keine vollkommen objektive Erkenntnis erlangt werden kann Jedoch konne eine objektivere Sicht auf die gesellschaftlichen und institutionellen Verhaltnisse in den Wissenschaften entstehen wenn die Lebensbedingungen und Erfahrungen von Frauen berucksichtigt werden Durch den erkenntnistheoretisch vorteilhaften Standpunkt der Frauen werde sich lediglich dem Ideal der wissenschaftlichen Objektivitat in der Erkenntnis angenahert Am radikalsten formulierte das Donna Haraway wenn sie sich gegen die Vision eines universalen Wissens wendet Die Moral ist einfach Nur eine partiale Perspektive verspricht einen objektiven Blick 13 Der Anspruch auf wissenschaftliche Wahrheit sei rein rhetorischer Natur 14 Dass in der feministischen Standpunkt Theorie der Fokus anfangs nur auf Frauen als marginalisierter Personengruppe lag fuhrte ab den 1990er Jahren zu Kritik und zahlreichen Revisionen dieses Ansatzes Eine zentrale Revision innerhalb der feministischen Erkenntnistheorie mundet in der sogenannten dialogischen Standpunkt Theorie Diese besagt dass es nicht den einen Standpunkt gibt der eine umfassende kritische Sicht beanspruchen kann sondern ein Austausch von unterschiedlichen Standpunkten notig ist Die Soziologin Patricia Hill Collins hat im Jahr 1990 in postkolonialistischer Absicht das Konzept eines black feminist standpoint entwickelt 15 Sie teilt die Annahmen der Standpunkt Theorie dass Unterdruckte die Regeln der Unterdruckung besser in ihre Erkenntnistatigkeit einbeziehen und daher einen komplexeren Standpunkt einnehmen konnen Doch bezieht sie in ihr Konzept der Unterdruckung nicht mehr nur das Merkmal des Geschlechts sondern erweitert den Ansatz um verschiedene sich uberschneidende Aspekte der Unterdruckung wie beispielsweise Hautfarbe Ethnizitat und Behinderung Collins Ansicht nach ist es daher notwendig die spezifischen Erfahrungen von afro amerikanischen Frauen in wissenschaftliche Diskurse einzubringen Nach Collins werden diese von der Teilnahme am Mainstream Wissenschaftsdiskurs ausgeschlossen und nehmen so im westlichen feministischen Diskurs eine Aussenseiterrolle ein In ihrem Modell wird gefordert dass die Standpunkte der outsider within also jener Positionen die am Rande angesiedelt sind und wenig Mitspracherecht an den wirkmachtigen Diskursen haben zu bevorzugen sind und dass diese unterdruckten Standpunkte in einen herrschaftskritischen Dialog treten Dieses Konzept kann als eine Position der dialogischen Standpunkt Theorie angesehen werden denn Collins erklart dass es keinen Standpunkt gibt der eine umfassende kritische Sicht beanspruchen kann Eine im Hinblick auf die Erkenntnis besseremarginal Perspektive entstehe nur dann wenn Vertreter verschiedener Standpunkte in einen konstruktiven Dialog treten 16 Die Wissenschaftstheoretikerin Sandra Harding hat die postkolonistische Kritik von Collins in ihre Arbeiten aufgenommen so zum Beispiel die Annahme der Beschrankung der eigenen Perspektive aufgrund ihrer privilegierten westlichen Verortetheit So revidiert sie ihre vorherige standpunkttheoretische Ansicht dahingehend dass nun nicht bloss vom Leben der Frauen sondern vom Leben aller Marginalisierten auszugehen sei 17 Eine uberarbeitete Standpunkt Theorie ist ihrer Ansicht nach am besten geeignet um die Diversitat von Frauen zu thematisieren Harding pladiert unter anderem dafur dass privilegierte weisse Frauen ihre Privilegiertet also ihren eigenen privilegierten Standpunkt kritisch hinterfragen und vom Wissen und den Erfahrungen der von Collins beschriebenen outsiders within lernen Hardings Konzept der starken Objektivitat besagt dass der Entstehungszusammenhang also das Vor und Umfeld wissenschaftlicher Erkenntnisprozesse aufgeklart und demokratisiert werden soll um objektiveres Wissen zu erlangen also Wissen in seinen komplexen Produktionszusammenhangen 18 Es sollten in der Wissenschaft moglichst viele verschiedene Perspektiven einbezogen werden die im vorherrschenden Diskurs marginalisiert werden Hardings Schlussfolgerung lautet dass mit zunehmender Heterogenitat der wissenschaftlichen Gemeinschaften die Chance steigt objektiveres Wissen zu produzieren Den Vorteil einer solchen dialogischen Standpunktepistemologie sieht Harding darin dass die verschiedenen Standpunkte in einen Dialog treten und dadurch bislang ignorierte Wissens und Erfahrungsweisen in wissenschaftliche Erkenntnisprozesse eingebracht werden konnen Offen bleibt ob wissenschaftliche Reflexion aus einer privilegierten Position heraus den vermeintlichen Erkenntnisvorteil einer nicht privilegierten Positionierung tatsachlich ausgleichen kann Feministischer Empirismus Bearbeiten So wie der Empirismus im klassischen Sinn geht auch der feministische Empirismus davon aus dass sinnliche meist empirisch gewonnene Befunde die Grundlage von Erkenntnis sind Im Kontrast zu eher positivistischen Ansatzen des Empirismus bei denen der Entstehungszusammenhang von Wissen als wissenschaftsextern erachtet wird revidiert der feministische Empirismus diese Annahme dahingehend dass er Wissenschaft als ein soziales Unternehmen erachtet und so dem Kontext des Erkenntnisprozesses starkere Aufmerksamkeit widmet Teil dieser veranderten Auffassung ist auch dass eine wissenschaftliche Wertfreiheit faktisch nicht gegeben ist und so auch soziale Zusammenhange berucksichtigt werden die fur die Erkenntnis konstitutiv sind Basierend auf der These der Unterdeterminiertheit empirischer Theorien durch die Evidenz hinterfragen Vertreterinnen wie etwa die Philosophin Helen Longino den klassischen Wertekanon der Wissenschaften Wenn eine empirische Theorie nicht vollstandig von den erhobenen empirischen Daten belegt werden kann sondern der Theorie stets Hintergrundannahmen vorausgehen die selbst nicht empirisch begrundet werden konnen dann mussen diese Hintergrundannahmen zum Gegenstand der Erkenntnistheorie werden 4 Longino stellt so den klassischen wissenschaftlichen Tugenden scientific virtues wie Objektivitat Widerspruchsfreiheit Einheitlichkeit oder Einfachheit von Erklarungen ein neues Set von Tugenden entgegen das neben empirischer Adaquatheit auch ontologische Heterogenitat Neuartigkeit und die Komplexitat von untersuchten Bezugen und Beziehungen umfasst und welches sie als sowohl rational als auch sozial begrundet sieht Nehmen wir zum Beispiel das Kriterium der ontologischen Heterogenitat Es hat epistemische Begrundungen Eine Gemeinschaft die durch Vielfalt gekennzeichnet ist ist epistemisch zuverlassiger Es hat auch soziale Begrundungen Erklarungsmodelle die ontologische Heterogenitat bewahren konnen Heterogenitat in der sozialen Welt naturalisieren so wie Modelle die ontologische Homogenitat aufweisen soziale Homogenitat naturalisieren 19 Der Einfluss dieser Uberlegungen zeigt sich insbesondere in der Biologie allen voran in der Primatologie aber auch der Mikrobiologie bei denen geradezu von einem Paradigmenwechsel und der erfolgreichsten Interventionen innerhalb der Biologie 20 die Rede ist Als Grunde fur diese Einschatzung werden vor allem die Aufdeckung und anschliessende Uberwindung von geschlechtsspezifischen Verzerrungen in biologischen Darstellungen von Sex und Gender und die Aufgabe etablierter wissenschaftlicher Werte wie Distanz zum Forschungsobjekt und die Einfachheit der Erklarung des Verhaltens zugunsten von Involviertheit und der Berucksichtigung komplexer Verhaltensausserungen in der Forschung benannt 21 Postmoderne Epistemologie Bearbeiten Der Ansatz der postmodernen Epistemologie vertritt die These dass es in den Wissenschaften ausschliesslich Konstruktionen gibt Fakten sind demnach stets ideologisch aufgeladen und wissenschaftliche Erkenntnis ist eher mit Macht verbunden als mit Wahrheit Auch die Frage nach dem Subjekt des Wissens wird in dieser Hinsicht neu gedacht Anstatt ein rationales autonomes sowie psychisch und physisch als Einheit auftretendes Subjekt zu behaupten muss es selbst als diskursiv zwischen Sprache Bedeutung Unbewusstem und Macht erzeugt verstanden werden wie die Philosophin Jane Flax schreibt 22 Im Fokus der postmodernen Epistemologie steht eine Orientierung welche die lokale und perspektivische Beschranktheit Kontingenz und Instabilitat Ambiguitat und prinzipielle Bestreitbarkeit aller Wissensanspruche in den Vordergrund stellt 23 Daraus folgt auch dass es keine privilegierten lokalen Perspektiven gibt die eine relativ sichere Erkenntnis verburgen Kritik an der feministischen Erkenntnistheorie BearbeitenDa die feministische Erkenntnistheorie ein heterogenes Feld ist fallt auch die Kritik an ihr sehr unterschiedlich aus So wird von der britischen Philosophin und Feministin Susan Haack kritisiert dass die Bestrebungen von feministischen Erkenntnistheoretikern nicht in der Starkung einer ausschliesslich weiblichen Perspektive liegen soll sondern von einer gemeinsamen Menschlichkeit von Mannern und Frauen und deren Egalitat ausgehen muss Haack bezweifelt in diesem Zusammenhang die Annahme dass es einen dezidiert weiblichen Blick gibt der bisher von einem androzentrischen Wissenschaftsbetrieb vernachlassigt worden sei 24 Allerdings ist anzumerken dass die Idee eines distinktiv weiblichen Erfahrungszugangs von vielen Vertretern der feministischen Erkenntnistheorie nicht behauptet wird Ebenfalls von Haack stammt der Hinweis dass es innerhalb der feministischen Erkenntnistheorie weder eine einheitliche noch koharente oder konsistente Argumentation gibt 25 Wie oben beschrieben lasst sich die feministische Erkenntnistheorie eher als ein Sammelbegriff einer Reihe heterogener Positionen verstehen und gibt folglich nicht vor einheitlich zu sein Allen Positionen gemein ist jedoch die Pramisse der Situiertheit von Wissen 10 In Bezug auf diese allen Ansatzen gemeinsame Pramisse besteht der Vorwurf dass durch ein als situiert charakterisiertes Subjekt der Erkenntnis der wissenschaftliche Anspruch auf Objektivitat zugunsten einer relativistischen Beliebigkeit verloren geht 26 Ausserdem sei die feministische Erkenntnistheorie durch diese Grundannahme zu sehr um Werte bemuht da sie versuche gesellschaftliche politische soziale und geschlechterspezifische Einflusse in wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung mit einzubeziehen Diesem Einwand zufolge vermische die feministische Erkenntnistheorie empirische als objektiv geltende Studien mit einer Befurwortung und Propagierung soziologischer Kontexte Haack sieht in diesem Zugang sogar eine ausgesprochene Gefahr der es entgegenzuwirken gilt wenn sie von den Ambitionen des imperialistischen Feminismus spricht die Erkenntnistheorie zu kolonialisieren 27 Dieser Kritik wird entgegengebracht dass mit der These der Situiertheit von Wissen nicht dafur argumentiert wird die Wertfreiheit der Wissenschaften zugunsten von politisierenden Entscheidungen ersetzen zu wollen Vielmehr wird im Einklang mit den Befunden der Wissenschaftssoziologie und Wissenschaftsforschung betont dass wissenschaftliche Erkenntnis niemals wertfrei ist sondern als Prozess in sozialen politischen und okonomischen Kontexten beschrieben und verstanden werden muss 4 Durch die Offenlegung der jeweiligen Umstande des Erkennens gilt es fur die jeweiligen Forscher verantwortungsbewusst mit ihren Entscheidungen umzugehen und den Wissensrahmen stets mitzureflektieren Die Transparenzmachung der Kontexte stellt fur Code sogar einen erkenntnistheoretischen Vorteil gegenuber klassischen Positionen dar da hiermit vielseitige Perspektiven entwickelt werden 28 Diese perspektivische Vielfalt zieht jedoch den Vorwurf des erkenntnistheoretischen Relativismus nach sich Zuruckgewiesen wird der Vorwurf durch die Philosophin Kathrin Honig Sie sieht in der relativistischen Tendenz vor allem in Codes Ansatz in erster Linie ein rhetorisches Problem welches durch die Umformulierung in eine anti anti relativistische Haltung eine treffendere Beschreibung findet Gemeint ist hiermit dass Code und andere im Kern gar keine relativistische Position beziehen sondern vielmehr gegen universalistische oder essentialistische d h anti relativistische Einwande argumentieren 29 Einwande erfahrt ausserdem die explizite Berufung auf die Relevanz der sozialen Kategorie des Geschlechts fur den Erkenntnisgewinn Die Kritik fusst auf einerseits auf der allgemeinen Annahme dass das wissende Subjekt geschlechtslos und somit rein objektiv konstituiert ist Das Geschlecht des Forschenden sei von daher irrelevant fur die Ergebnisse Allerdings spielt die Kategorie des Geschlechts sichtbar eine Rolle im Wissenschaftsbetrieb Historisch betrachtet wurde Wissen schon immer geschlechterspezifisch konnotiert und auch der sexistische Umgang mit Forscherinnen basiert auf geschlechterbezogenen Vorurteilen 30 Andererseits vertreten postmoderne Feministinnen wie Seyla Benhabib die These dass eine einheitliche weibliche Identitat und damit auch eine einheitliche Position von der aus eine feministische Wissenschaft konstruiert werden konne angesichts der Vielfalt der Identitaten und Positionen in Raum und Zeit nicht existiere 31 Siehe auch BearbeitenFeministische Wissenschaftstheorie Soziale Epistemologie Wissenschaftsforschung Wissenschaftssoziologie WissenschaftstheorieLiteratur BearbeitenElizabeth S Anderson Feminist Epistemology and Philosophy of Science In Edward N Zalta Hrsg The Stanford Encyclopedia of Philosophy 2020 englisch uberarbeitete Version vom 13 Februar 2020 online auf sydney edu au Lorraine Code Is the Sex of the Knower Epistemologically Significant In Metaphilosophy Band 77 Nr 3 1981 S 267 276 englisch Nachdruck 2003 ISBN 978 0 534 55822 2 S 559 571 Waltraud Ernst Feministische Erkenntnistheorie In Martin Grajner Guido Melchior Hrsgg Handbuch Erkenntnistheorie J B Metzler Stuttgart 2019 ISBN 978 3 476 04631 4 S 412 417 Waltraud Ernst Feministische Erkenntnistheorien In Thomas Bonk 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epistemic grounds a community characterized by diversity is more epistemically reliable It also has social grounds explanatory models that preserve ontological heterogeneity may naturalize heterogeneity in the social world just as models that feature ontological homogeneity naturalize social homogeneity Helen Longino In Search of Feminist Epistemology In The Monist Band 77 Nr 4 1994 S 472 485 hier S 475 476 hier S 480 Kerstin Palm Biologie Geschlechterforschung zwischen Reflexion und Intervention In Ruth Becker Beate Kortendiek Hrsg Handbuch Frauen und Geschlechterforschung Theorie Methoden Empirie VS Verlag fur Sozialwissenschaften Wiesbaden 2008 ISBN 978 3 531 17170 8 S 843 851 hier S 848 Lisa M Fedigan Is Primatology a Feminist Science In Lori D Hager Hrsg Women in Human Evolution Routledge New York 1997 ISBN 978 0 415 10833 1 S 56 75 Jane Flax Disputed Subjects Essays on Psychoanalysis Politics and Philosophy Routledge New York 1993 ISBN 978 0 415 75222 0 S 49 f Mona Singer 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imperialist feminism to colonize epistemology Susan Haack Knowledge and Propaganda Reflections of an Old Feminist In Susan Haack Hrsg Manifesto of a Passionate Moderate University of Chicago Press Chicago 1998 ISBN 978 0 226 31136 4 S 123 136 hier S 128 Lorraine Code Is the Sex of the Knower Epistemologically Significant In Louis P Pojman Hrsg The Theory of Knowledge Classical and Contemporary Readings 3 Auflage Wadsworth Belmont 2003 ISBN 978 0 534 55822 2 S 559 571 hier S 570 Kathrin Honig Relativism or Anti Anti Relativism Epistemological and Rhetorical Moves in Feminist Epistemology and Philosophy of Science In European Journal of Women s Studies Band 12 Nr 4 2005 S 407 419 Lorraine Code Is the Sex of the Knower Epistemologically Significant In Louis P Pojman Hrsg The Theory of Knowledge Classical and Contemporary Readings 3 Auflage Wadsworth Belmont 2003 ISBN 978 0 534 55822 2 S 559 571 hier S 563 Seyla Benhabib From identity politics to social feminism a plea for the nineties In 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