www.wikidata.de-de.nina.az
Die direkte Demokratie im Kanton St Gallen formte sich im 19 Jahrhundert mit dem Ausbau der Volksrechte auf Staats und Gemeindeebene und der Konkretisierung der Volkssouveranitat Dem Kanton St Gallen gelang 1831 mit der Einfuhrung des Volksvetos eine Pionierleistung Sie war das Resultat einer politischen Kompromisslosung zwischen der burgerlich liberalen und landlich demokratischen Stromung im Verfassungsrat Die Einfuhrung des Vetos als Vorlaufer des Referendums bildete die Geburtsstunde der modernen Demokratie in der Schweiz Inhaltsverzeichnis 1 Souveranitat durch Bundnispolitik 2 Die Entstehung des Kantons aus eigenstandigen Republiken 3 Aufstand und Niederlage der landlichen Demokraten 1814 15 4 Verfassungskampf und Kompromiss fur die direkte Demokratie 1830 31 5 Friedensverfassung von 1861 bis heute 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseSouveranitat durch Bundnispolitik BearbeitenDie sich um das Kloster gebildete stadtische Siedlung unterstand seit dem Fruhmittelalter der Furstabtei St Gallen 1180 begann die Verselbstandigung als der deutsche Konig St Gallen zur Freien Reichsstadt machte in dem er aus der Burgerschaft einen Reichsvogt einsetzte der an seiner Stelle Recht sprach Im Spatmittelalter versuchten Stadt und Abtei sich von Konig und Kaiser Vorteile gegenuber der anderen Seite zusichern zu lassen 1270 fand ein organisierter Widerstand von St Galler Gotteshausleuten gegen den Abt statt 1 Mit eigener gesetzgeberischer Tatigkeit Stadtsatzungsbucher Mitte des 14 Jh 1426 1508 Zunftordnung und Einfuhrung von Raten wuchs die Autonomie gegenuber dem Kloster Im 14 Jahrhundert beteiligte sich St Gallen an Stadtebunden im Bodenseeraum und ab dem 15 Jahrhundert mit den eidgenossischen Orten Der 1401 erfolgte Versuch der Furstabtei ausser Gebrauch gekommene Abgaben wieder einzufordern weckte den Widerstand und fuhrte zu einem Bundnis mit dem Land Appenzell In den Appenzellerkriegen kampfte St Gallen an der Seite der Appenzeller und Schwyzer gegen Furstabtei und die Habsburger was 1412 zum Bundnis mit den eidgenossischen Acht Alten Orte fuhrte 1454 wurde die selbstandige Stadtrepublik St Gallen Zugewandter Ort der Eidgenossenschaft Der Versuch der Stadt durch Vogteien und Ausburger eine Herrschaft aufzubauen scheiterte im St Gallerkrieg Rorschacher Klosterbruch Die von der Stadt angenommene Reformation fuhrte zu einem langjahrigen Streit zwischen Burgerschaft Stadt und dem Furstabt im Klosterhof dem das ganze nun katholische Umland gehorte Beigelegt wurde dieser Streit erst nach der Grundung des Kantons nbsp Die Bestandteile des Kantons St Gallen seit 1798 eigenstandige RepublikenDie Entstehung des Kantons aus eigenstandigen Republiken BearbeitenIm Rahmen der in der Helvetik erfolgten neuen Kantonsaufteilungen in der Schweiz wurden die Gebiete der Furstabtei der Stadt St Gallen und Appenzells zum Kanton Santis zusammengefasst Am 19 Marz 1803 verfugte Napoleon Bonaparte mit der Mediationsakte die Grundung des Kantons St Gallen Das Gebiet des Kantons entstand aus der Verschmelzung derjenigen Gebiete welche nach der Wiederherstellung von Glarus Schwyz und Appenzell von den helvetischen Kantonen Linth und Santis ubrig geblieben waren und die vor 1798 keine Einheit gebildet hatten Die einzige Gemeinsamkeit der weder kulturell noch wirtschaftlich oder konfessionell eine Einheit bildenden Gebiete war der Wille zu Freiheit und Selbstandigkeit 1798 hatten sie alle eigenstandige Republiken ausgerufen Der erste Landammann St Gallens Karl von Muller Friedberg war an der Grundung massgeblich beteiligt Mit dem Kanton entstand 1803 auch die erste Kantonsverfassung Aufstand und Niederlage der landlichen Demokraten 1814 15 BearbeitenDer Versuch der Wiederherstellung der Alten Ordnung Restauration nach dem Ende des franzosischen Einflusses und seine antidemokratischen Tendenzen weckten den Widerstand in der landlichen Bevolkerung und den alten Untertanengebieten Die in der Schweiz gestreute Proklamation des Siegers gegen Napoleon Furst Schwarzenberg dass sich die Kantone nach ihrem eigenen Gutdunken konstituieren durften interpretierten die Bewohner der ehemaligen Untertanengebiete in der Ostschweiz als Freibrief um ihre demokratischen Anliegen einzufordern Als eine Mehrheit der Gemeinden im Sarganserland den Anschluss an den Landsgemeindekanton Glarus forderte sah sich der Grosse Rat gezwungen 1814 eine neue Kantonsverfassung zu verabschieden Die verordneten Wahlversammlungen fur die Kantonsrate fuhrten zu weiteren Unruhen Als das Militar aus der Hauptstadt ins Rheintal einruckte wurde es vom mit Knuppeln und Gewehren bewaffneten einheimischen Landsturm aufgehalten Nachdem die von der Tagsatzung nach Sargans geschickten Vertreter von der Volksbewegung beinahe tatlich angegriffen wurden folgte eine Intervention eidgenossischer Truppen weil man die kantonale Integritat in Frage gestellt sah Auch einige europaische Minister monierten dass ein Zerstuckeln des Kantons St Gallen nicht in Frage komme Der militarische und politische Druck liess die St Galler Volksbewegung verstummen 2 Verfassungskampf und Kompromiss fur die direkte Demokratie 1830 31 BearbeitenDie zweite St Galler Volksbewegung erfolgte wahrend der Regeneration als nach der Pariser Julirevolution die benachbarten Monarchien mit sich selbst beschaftigt waren Weil England Frankreich und Preussen zudem das Prinzip der Nichteinmischung verfolgten waren die Emanzipationsbewegungen unter ihrem Schutz uberall erfolgreich so auch in der Schweiz wo viele Kantonsverfassungen auf eine moderne demokratische Basis gestellt wurden Den Auftakt zur Veranderung machte Joseph Anton Henne 1830 als er die Kantonsratsmitglieder aufforderte ihre Berichte und Meinungen uber die parlamentarischen Debatten zur Veroffentlichung einzusenden Im gleichen Jahr brachte Gallus Jakob Baumgartner seine Flugschrift Wunsche und Antrage eines St Galler Burgers fur Verbesserung der Staatseinrichtungen dieses Kantons in siebenundvierzig Punkten in Umlauf Der Grosse Rat beschloss darauf am 14 Dezember 1830 eine Verfassungsrevision und sprach sich fur das Prinzip der Volkssouveranitat aus Eine breite Volksbewegung wollte jedoch weitergehen und die herrschenden Verhaltnisse durch eine rein demokratische Verfassung beseitigen Populare Wirte wie Joseph Eichmuller in Altstatten und Kreuz Wirt Raymann in St Gallenkappel sowie Wirte in den Bezirken Uznach und Gaster und bei Wattwil organisierten Volksversammlungen an denen jeweils bis zu 3 000 Manner teilnahmen Als Reaktion beschloss das Kantonsparlament vom Volk einen Verfassungsrat wahlen zu lassen wobei der verhasste Zensus per sofort fallengelassen wurde Im Zuge der St Galler Regeneration und Verfassungsentwicklung und um die Einfuhrung des Gesetzesvetos zu unterstutzen verfasste der Jurist Franz Anton Good 1830 einen der ersten und wichtigsten theoretischen Texte zur direkten Demokratie den er 1831 nach Annahme der Verfassung unter dem Titel Die Souveranitat und das Veto des St Gallischen Volkes veroffentlichte Entscheidend war fur Good die Ratsversammlung vom 14 Dezember 1830 gewesen in der die Volkssouveranitat des Kantons St Gallen ausgesprochen wurde die fur das Volk eine neu zuerkannte Wurde im Sinne Pufendorfs bedeuten wurde Am 7 Januar 1831 versammelte sich der Verfassungsrat beschloss seine Sitzungen offentlich abzuhalten und ermunterte das Volk Wunsche und Entwurfe einzureichen was es dann auch ausgiebig tat Dieser Wandel war das Ergebnis einer Koalition von reformfreudigen Liberalen und Demokraten im Verfassungsrat Die Reformkoalition zerbrach als die Demokraten drohten den Rat zu verlassen falls die Verfassung nicht auf dem Prinzip der direkten Demokratie basieren wurde Als die Liberalen realisierten dass sie mit ihrer reprasentativen Demokratie keine Mehrheit finden wurden tauchte mit der Idee des Vetos ein Kompromissvorschlag auf dem die Mehrheit im Verfassungsrat zustimmen konnte In den landlichen Regionen verfolgte man die Debatte mit Argwohn und personlicher Prasenz wie beim Stecklidonstig als rund 600 mit Stocken bewaffnete Rheintaler in St Gallen aufmarschierten Am 23 Marz 1831 wurde die dritte Verfassung von der Mehrheit der stimmberechtigten St Galler Manner angenommen wobei auch die Nichtstimmenden mitgezahlt wurden Obschon sich die Demokraten wegen dieses Abstimmungstricks als Verlierer sahen brachte die Verfassung von 1831 nachhaltige Mitbestimmungsmoglichkeiten auf kantonaler Ebene und das Veto bildete den ersten Schritt zur direkten Demokratie Da die politische Debatte nun offen und kontrollierbar im Rahmen eines demokratisch legitimierten Verfassungsrates gefuhrt wurde wurden Gewaltaktionen obsolet 2 nbsp Der Frieden von Gallorien dargestellt im neugeflickten und frisch geschnurten St Gallerwappen Karikatur auf die St Galler Verfassung von 1861 In der Mitte der Fasces Gallus Jakob Baumgartner der wesentlich im Verfassungsrat mitwirkteFriedensverfassung von 1861 bis heute BearbeitenDer Staat Kirche Gegensatz zwischen dem katholisch konservativen und dem liberal radikalen Lager spitzte sich zu und die unter diesem Einfluss durchgefuhrten Grossratswahlen von 1859 endeten mit einem Sieg der Konservativen Arnold Otto Aepli gelang es im leidenschaftlichen Parteienkampf zu vermitteln So wurde er zum Vater der neuen vierten kantonalen Verfassung von 1861 Die sogenannte Friedensverfassung entscharfte wesentlich den Parteienkampf zwischen Radikalen und Konservativen und legte dadurch eine wichtige Grundlage fur die gedeihliche Entwicklung des Kantons Der Streit zwischen Demokraten und den Liberalen bei dem erstere die direkte Demokratie und letztere das Reprasentativsystem bevorzugten fuhrte 1880 zu deren Trennung Eine demokratische Parteiversammlung 1888 in Wil gab schliesslich den Anstoss fur eine demokratische Verfassungsrevision bei der neben den alteren demokratischen Forderungen obligatorisches Gesetzesreferendum Volksinitiative Volkswahl der Regierungs und Standerate auch neue obligatorisches Finanzreferendum proportionales Wahlverfahren Schwurgerichte einen Ausbau der Sozialpolitik berucksichtigt werden sollten Der 1889 zusammengetretene Verfassungsrat konnte nicht alle Forderungen erfullen sondern erreichte fur die funfte kantonale Verfassung vom 16 November 1890 einen Kompromiss zwischen dem Programm der Allianz zwischen den Demokraten und den Katholisch Konservativen sowie dem Programm der Liberalen Erweiterung der Volksrechte Volksinitiative Volkswahl der Regierung Ausbau der Sozialpolitik und des burgerlichen Schulwesens Frauen erhielten im Jahr 1972 das kantonale Stimm und Wahlrecht 3 Die heute gultige sechste Verfassung wurde in der Volksabstimmung vom 10 Juni 2001 angenommen Literatur BearbeitenErnst Ehrenzeller Der konservativ liberale Gegensatz im Kanton St Gallen bis zur Verfassungsrevision von 1861 St Gallen 1947 Walter Muller Freie und leibeigene St Galler Gotteshausleute vom Spatmittelalter bis zum Ende des 18 Jahrhunderts Band 101 von Neujahrsblatt Historischer Verein des Kantons St Gallen Verlag der Fehr schen Buchhandlung St Gallen 1961 Bruno Wickli Politische Kultur und die reine Demokratie Verfassungskampfe und landliche Volksbewegungen im Kanton St Gallen 1814 15 und 1830 31 St Gallen 2006 Rolf Graber Hrsg Demokratisierungsprozesse in der Schweiz im spaten 18 und 19 Jahrhundert Forschungskolloquium im Rahmen des Forschungsprojekts Die demokratische Bewegung in der Schweiz von 1770 bis 1870 Eine kommentierte Quellenauswahl Unterstutzt durch den FWF Austrian Science Fund Peter Lang Verlag Frankfurt am Main Berlin Bern Bruxelles New York Oxford Wien 2008 93 S Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770 1850 Bd 40 Herausgegeben von Helmut Reinalter ISBN 978 3 631 56525 4 Hans Hiller Die Erfindung der Mitte Staatsmann Arnold Otto Aepli 1816 1897 VGS Verlagsgenossenschaft St Gallen 2011 Im Anhang weitere Publikationen zu Aepli 88 S ISBN 978 3 7291 1128 8 Rene Roca Andreas Auer Hrsg Wege zur direkten Demokratie in den schweizerischen Kantonen Schriften zur Demokratieforschung Band 3 Zentrum fur Demokratie Aarau und Verlag Schulthess AG Zurich Basel Genf 2011 ISBN 978 3 7255 6463 7 Weblinks BearbeitenVerfassung des Cantons Sanct Gallen vom 1 Marz 1831Einzelnachweise Bearbeiten Christian Kuchimaister St Galler Chronist Nuwe Casus monasterii Sancti Galli Casus St Galli in deutscher Sprache Klostergeschichte von 1226 1329 a b Bruno Wickli Landliche Volksbewegungen und der Durchbruch der direkten Demokratie im Kanton St Gallen 1814 31 in Rene Roca Andreas Auer Hrsg Wege zur direkten Demokratie in den schweizerischen Kantonen Schriften zur Demokratieforschung Band 3 Zentrum fur Demokratie Aarau und Verlag Schulthess AG Zurich Basel Genf 2011 ISBN 978 3 7255 6463 7 Meyers Enzyklopadisches Lexikon 1977 Band 20 S 686 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Direkte Demokratie im Kanton St Gallen amp oldid 216577301