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Die Wurfstocke von Schoningen sind zwei holzerne Wurfstocke aus der Altsteinzeit die 1994 beziehungsweise 2016 in Schoningen in Niedersachsen entdeckt wurden Archaologen fanden sie bei Ausgrabungen auf einer Ausgrabungsstatte im Tagebau Schoningen in der Fundschicht der Schoninger Speere Die Wurfstocke sind rund 300 000 Jahre alt und damit weltweit die altesten bekannten Exemplare Der zweite Wurfstock von Schoningen in Fundlage 2016 Inhaltsverzeichnis 1 Fundstelle 2 Beschreibung 3 Vergleichsfunde und Funktionsweise 4 Forschungsgeschichte 5 Bewertung und Interpretation 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseFundstelle BearbeitenDie Fundstelle der Wurfstocke Schoningen 13 II liegt am Rande des Braunkohletagebaus Schoningen in etwa 10 Metern Tiefe unter der ursprunglichen Gelandeoberflache Sie befindet sich an der Tagebaukante und umfasst das Grabungsareal mit den bedeutenden Schoninger Speeren Speeerhorizont sowie das sudlich daran anschliessende Gelande Speerhorizont Sud Beide Objekte lagen damit rund 120 m auseinander An beiden Fundstellen befindet sich eine Fundschicht aus Ufersedimenten eines einstigen Sees der ausgehenden Holstein Warmzeit Das daraus geborgene Fundmaterial besteht weitgehend aus den Hinterlassenschaften des Wildpferde Jagdlagers mit den Schoninger Speeren Die aussergewohnlich gute Erhaltung der beiden holzernen Gegenstande und anderer organischer Materialien in Schoningen uber 300 000 Jahre ist schwankenden Wasserstanden des fruheren Sees und seinen Verlandungsprozessen zu verdanken Durch die schnelle und luftdichte Bedeckung der Fundschicht durch Mudden bestanden gunstige Erhaltungsbedingungen fur organisches Material wie Holz Fur die gute Fundkonservierung sorgten das vom Elm stammende kalkhaltige Wasser des Sees und die dauerhafte Lage unter dem Grundwasserspiegel der erst durch den Schoninger Braunkohle Tagebau ab 1979 kunstlich gesenkt wurde Beschreibung Bearbeiten nbsp Der erste Wurfstock entdeckt 1994 nbsp Originalsedimente der Fundlage des zweiten Wurfstocks mit einem nachgebauten ExemplarBeide Wurfstocke sind aus Fichtenholz gefertigt Der erste Fund ist 77 2 Zentimeter lang und maximal 2 5 Zentimeter dick Der grosste Durchmesser wird bei einer Lange von rund 47 Zentimeter ab der vorderen Spitze erreicht Das Gewicht betrug ursprunglich rund 140 Gramm Quer zur Langsrichtung des Stuckes zeigen sich Risse die durch Sedimentauflast entstanden sind Aus diesem Grund ist der Wurfstock nach der Bergung in zwei Teile zerbrochen Das zweite Stuck hat eine Lange von 64 5 Zentimetern und einen Durchmesser von 2 9 Zentimetern bei einem Gewicht von 260 Gramm Der Querschnitt ist bei beiden Stucken asymmetrisch Die Enden der leicht gebogenen Holzgerate sind zugespitzt laufen aber im Gegensatz zu den Speeren von Schoningen etwas stumpf aus Sie liegen ausserdem entsprechend zu den Speeren von Schoningen leicht asymmetrisch so dass die weichere Markrohre des Fichtenastes jeweils seitlich der Spitzen austritt 1 2 Nach genaueren Untersuchungen der beiden Wurfstocke entstanden sowohl die leichte Krummung als auch die stumpfen Enden intentionell wahrend des Herstellungsprozesses und sind kein Resultat der Lagerung im Sediment Die Oberflache ist bei beiden Stucken mit steinernem Werkzeug bearbeitet worden Dabei wurden die Rinde entfernt und die Oberflache geglattet Wahrend des Bearbeitungsprozesses mussten am ersten Wurfstock insgesamt 47 am zweiten 21 kleinere Aste und Zweige entfernt werden Im Vergleich zu den Speeren zeigen sich die Bearbeitungsspuren aber weniger sorgfaltig Beim ersten Wurfstock lassen sich bis zu 50 Millimeter lange Schnittmarken erkennen von denen einige einen Endschnitt aufweisen an dem der Span Stuck getrennt wurde Anhand dieser kann aufgezeigt werden dass der Wurfstock am Schaft von der Mitte zu den Spitzen hin bearbeitet wurde An den Spitzen hingegen war die Arbeitsrichtung entgegengesetzt und orientierte sich zur Schaftmitte hin Im Mittelteil weist der zweite Wurfstock Gebrauchsspuren auf Dabei handelt es sich um Aussplitterungen und unregelmassige Vertiefungen Im Gegensatz zu den Bearbeitungsmarken die auf die Herstellung des Wurfstocks zuruckzufuhren sind und durch die damals vorhandene Feuchtigkeit des Holzes etwas unscharf wirken sind diese Aussplitterungen vor allem an ihren Randern deutlich scharfer ausgebildet Das indiziert dass sie zu einem Zeitpunkt entstanden als das Holz bereits einem gewissen Austrocknungsprozess ausgesetzt war Ihr Ursprung ist somit deutlich spater anzusetzen als die Herstellungsmarken Ihrer Form zufolge ruhren sie vom Aufprall des Stockes bei hoher Geschwindigkeit auf einen festen Widerstand her und sind dadurch als Einschlagnarben anzusehen Die Verteilung der Aussplitterungen auf der Oberflache ist regellos und lasst keine grosseren Konzentrationen erkennen Das geringe Gewicht des Artefakts die regellose Verteilung der Einschlagnarben und das Fehlen von Gebrauchsspuren an den Enden sprechen gegen eine Interpretation als Keule oder Grabstock 1 2 Vergleichsfunde und Funktionsweise Bearbeiten nbsp Ein von den Wissenschaftlern zu Testzwecken nachgebauter WurfstockDie Schoninger Wurfstocke zeigen Ahnlichkeiten zu gefundenen Wurfstocken in Tasmanien die teilweise mehr als hundert Meter weit fliegen Bis zur Entdeckung des ersten Schoninger Wurfstocks im Jahr 1994 stammten die altesten bekannten Exemplare aus Sudaustralien mit einem Alter von rund 10 000 Jahren Derartige Gerate wurden von Naturvolkern in Afrika Australien und Amerika genutzt 3 Etwas alter ist der alteste bekannte Bumerang aus der Oblazowa Hohle in den polnischen Karpaten mit einem Alter von etwa 23 000 Jahren BP Weitere europaische Funde sind aus dem Mesolithikum belegt 1 Die Funktionsweise eines Wurfstocks besteht darin dass sein Massenmittelpunkt beim Wurf parallel zur Erdoberflache mit gleichbleibender horizontaler Richtung auf einer ballistischen Kurve zum Ziel fliegt Wahrend des Flugs dreht sich der Stock mit maximalen Tragheitsmoment senkrecht zu seiner Langsachse und hat aufgrund des dadurch resultierenden hohen Drehimpulses eine stabile Fluglage Experimentelle Tests mit nachgebauten Exemplaren durch den Grabungsleiter Jordi Serangeli ergaben auf kurze Distanzen eine hohe Treffsicherheit 4 Bei weiteren Wurfversuchen mit der stark gekrummten Shar der Dassanetch wurden Hochstgeschwindigkeiten von rund 30 Metern pro Sekunde und Wurfweiten von 60 bis 110 m erreicht Die dafur verwendeten Wurfstocke bestanden aus Commiphora Holz und waren rund 60 Zentimeter lang sowie 350 Gramm schwer 5 1 Forschungsgeschichte Bearbeiten nbsp Der erste Wurfstock 1994 in FundlageDer erste Wurfstock wurde bereits 1994 im Fundzusammenhang mit den Schoninger Speeren gefunden Schon damals vermutete der zu dieser Zeit verantwortliche Archaologe Hartmut Thieme eine Funktion als Wuf oder Wirbelholz das bei der Vogeljagd Einsatz fand Er schloss aber auch eine Verwendung als Kurzlanze nicht aus Eine erste Vorstellung des Stuckes erfolgte im Jahr 1995 6 wahrend es zwei Jahre spater im Rahmen eines Fachaufsatzes in der Zeitschrift Nature internationale Erwahnung fand 7 Seit seiner Entdeckung wurde auf das Holzgerat verschiedentlich hingewiesen 8 9 10 11 eine umfassende Publikation und genaue Beschreibung erreichte die Offentlichkeit aber erst im Jahr 2023 Nach der Bergung wurde das Stuck in einer Formaldehydlosung eingebettet Der heutige Bruch entstand vermutlich nach dem Jahr 2015 Gegenwartig ist es Bestandteil der Ausstellung im Forschungsmuseum Schoningen nahe der Fundstelle Die Funktion des Objekts war aufgrund fehlender Gebrauchsspuren lange Zeit nicht eindeutig Neben der Ansicht es handele sich um einen Wurfstock bestanden auch Uberlegungen uber einer Verwendung als Grabstock als Kinderspeer oder zum Abschalen von Baumrinde Im Rahmen der wissenschaftlich fundierten Beschreibung veroffentlicht im Jahr 2023 konnte das Gerat genauer untersucht werden Hierbei ergab sich einerseits eine intentionelle Herstellung bei der das Ausgangsstuck zuerst geformt getrocknet und anschliessend geschliffen wurde andererseits verdichteten sich die Indizien fur eine Funktion als Wurfstock 2 nbsp Der zweite Wurfstock lag in Sedimentschichten links neben der dunklen RinneDer zweite Wurfstock wurde 2016 entdeckt und in einer Blockbergung entnommen Die Grabungen werden im Rahmen des Forschungsprojekts Schoningen unter Leitung des Archaologen Nicholas J Conard vom Senckenberg Zentrum fur menschliche Evolution und Palaoumwelt an der Universitat Tubingen durchgefuhrt Das Forschungsprojekt beruht auf einer seit 2008 bestehenden Kooperation zwischen dem Niedersachsischen Landesamt fur Denkmalpflege und der Universitat Tubingen Nach seiner Entdeckung wurde der Wurfstock von Archaologen des Senckenberg Zentrums und der Universitat Luttich vier Jahre lang untersucht Erst nach ihrem Abschluss wurde die Entdeckung im April 2020 offentlich bekannt gegeben Nach den Untersuchungen kam das Fundstuck in die Restaurierungswerkstatt des Niedersachsischen Landesamtes fur Denkmalpflege in Hannover wo es unter Lichtabschluss in destilliertem Wasser lagert Vermutlich wird die Konservierung mehrere Jahre andauern Der niedersachsische Landesarchaologe Henning Hassmann befurwortete im Jahr 2020 eine schnelle museale Prasentation der Untersuchungsergebnisse im Forschungsmuseum Schoningen was wegen der Restaurierung zunachst nur mittels Bildern Grafiken oder einer 3D Animation moglich sei 12 Bewertung und Interpretation BearbeitenDie Wurfstocke gehoren laut den an den Untersuchungen beteiligten Wissenschaftlern zu den altesten erhaltenen Jagdwerkzeugen der Welt Im Fundzusammenhang mit den Schoninger Speeren darunter eine Lanze sind sie ein wichtiger Beleg fur die aktive Jagd des Fruhmenschen Homo heidelbergensis vor 300 000 Jahren Die drei verschiedenartigen Holzgerate zeigen dass er uber ein breitgefachertes Arsenal an Jagdwaffen verfugte Die Wissenschaftler vermuten eine fruhere Verwendung der Wurfstocke bei der Jagd auf kleine Beutetiere wie Wasservogel da sich an der Fundstelle auch Knochen von Schwanen und Enten fanden Ebenso seien die Wurfstocke in Kombination mit anderen Jagdwaffen fur die Treibjagd auf Wildpferde geeignet gewesen 1 Zweifel an der Funktion der Holzartefakte als Wurfstocke ausserte die Palaoarchaologin Sabine Gaudzinski Windheuser vom Romisch Germanischen Zentralmuseum in Mainz die nicht an den Untersuchungen beteiligt war Sie erwartete signifikante Einschlagspuren an den Enden des Stocks und nicht im Mittelteil 13 Literatur BearbeitenNicholas J Conard Jordi Serangeli Gerlinde Bigga Veerle Rots A 300 000 year old throwing stick from Schoningen northern Germany documents the evolution of human hunting In Nature Ecology amp Evolution Band 4 2020 S 690 693 doi 10 1038 s41559 020 1139 0 Annemieke Milks Jens Lehmann Dirk Leder Michael Sietz Tim Koddenberg Utz Bohner Volker Wachtendorf Thomas Terberger A double pointed wooden throwing stick from Schoningen Germany Results and new insights from a multianalytical study In PLoS ONE Band 18 Nr 7 2023 S e0287719 doi 10 1371 journal pone 0287719 Hartmut Thieme Altpalaolithische Holzgerate aus Schoningen Lkr Helmstedt Bedeutsame Funde zur Kulturentwicklung der fruhen Menschen In Germania Band 77 1999 S 451 487 doi 10 11588 ger 1999 91650Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Wurfstock von Schoningen Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien 300 000 Jahre alter Wurfstock dokumentiert die Evolution der Jagd Pressemitteilung der Universitat Tubingen vom 20 April 2020 Guido Kleinhubbert Vogelkiller aus der Steinzeit bei Spiegel Online vom 20 April 2020 Wurfstock des Homo heidelbergensis entdeckt bei Bild der Wissenschaft vom 20 April 2020 Steinzeitjager verfugten uber ganzes Arsenal todlicher Waffen bei Welt Online vom 20 April 2020 Altester Wurfstock der Welt entdeckt bei scinexx de vom 20 April 2020 Wissenschaftler Wurfholz 300 000 Jahre alt bei ndr de vom 21 April 2020 Homo heidelbergensis jagte schon vor 300 000 Jahren mit Wurfholz bei BR 24 vom 22 April 2020 Fortgeschrittene Holzbearbeitung schon vor 300 000 Jahren bei scinexx de vom 20 Juli 2023Einzelnachweise Bearbeiten a b c d e Nicholas J Conard Jordi Serangeli Gerlinde Bigga Veerle Rots A 300 000 year old throwing stick from Schoningen northern Germany documents the evolution of human hunting In Nature Ecology amp Evolution Band 4 2020 S 690 693 doi 10 1038 s41559 020 1139 0 a b c Annemieke Milks Jens Lehmann Dirk Leder Michael Sietz Tim Koddenberg Utz Bohner Volker Wachtendorf und Thomas Terberger A double pointed wooden throwing stick from Schoningen Germany Results and new insights from a multianalytical study In PLoS ONE Band 18 Nr 7 2023 S e0287719 doi 10 1371 journal pone 0287719 Hubert Filser Eiszeitmenschen benutzten komplexe Waffen zur Jagd in Die Zeit vom 20 April 2020 Flugholz gegen Mammuts in Suddeutsche Zeitung vom 20 April 2020 Neil T Roach und Brian G Richmond Clavicle length throwing performance and the reconstruction of the Homo erectus shoulder In Journal of Human Evolution Band 80 2015 S 107 113 Hartmut Thieme und Reinhard Maier Archaologische Ausgrabungen im Braunkohletagebau Schoningen Hannover 1995 S 1 191 S 99 104 Hartmut Thieme Lower palaeolithic hunting spears from Germany In Nature Band 385 1997 S 807 810 Hartmut Thieme Altpalaolithische Wurfspeere aus Schoningen Niedersachsen Ein VVorbericht In Archaologisches Korrespondenzblatt Band 26 1996 S 377 393 Hartmut Thieme Altpalaolithische Holzgerate aus Schoningen Lkr Helmstedt Bedeutsame Funde zur Kulturentwicklung der fruhen Menschen In Germania Band 77 1999 S 451 487 doi 10 11588 ger 1999 91650 Hartmut Thieme The Lower Palaeolithic art of hunting the case of Schoningen 13 II 4 Lower Saxony Germany In Chris Gamble und Martin Porr Hrsg The hominid individual in context Archaeological investigations of Lower and Middle Palaeolithic landscapes locals and artefacts London New York 2005 S 115 132 Hartmut Thieme Rudolf Musil Werner H Schoch Hermann Rieder Elke Behrens Christa Fuchs Monika Lehmann Solveig Schiegl und Utz Bohner Ein Befund von Weltbedeutung Ein Wildpferd Jagdlager vor 400 000 Jahren In Hartmut Thieme Hrsg Die Schoninger Speere Mensch und Jagd vor 400 000 Jahren Stuttgart 2007 S 151 152 Markus Brich Forschungsmuseum Schoningen will Wurfholz Fund dokumentieren in Helmstedter Nachrichten vom 21 April 2020 Throwing Stick Hints at Ancient Ancestors Hunting Techniques in The New York Times vom 22 April 202052 13266 10 98873 Koordinaten 52 7 57 6 N 10 59 19 4 O Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Wurfstocke von Schoningen amp oldid 237239071