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Die Volksgerichte nicht zu verwechseln mit dem Volksgerichtshof waren ausserordentliche Gerichtshofe die im Nachkriegsosterreich nach Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 bis 1955 zur Ahndung von NS Verbrechen eingerichtet wurden Inhaltsverzeichnis 1 Hintergrund 2 Verbotsgesetz und Kriegsverbrechergesetz 3 Einrichtung der Volksgerichte 4 Verfahren und Urteile 5 Sonstiges 6 Siehe auch 7 Literatur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseHintergrund BearbeitenIn Anlehnung an die Moskauer Deklaration welche die Verantwortung Osterreichs am NS Regime festgehalten hatte kundigte die Provisorische Staatsregierung in ihrer Regierungserklarung am 27 April 1945 an dass jene welche aus Verachtung der Demokratie und der demokratischen Freiheiten ein Regime der Gewalttatigkeit des Spitzeltums der Verfolgung und Unterdruckung uber unserem Volke aufgerichtet und erhalten welche das Land in diesen abenteuerlichen Krieg gesturzt und es der Verwustung preisgegeben haben und noch weiter preisgeben wollen auf keine Milde rechnen konnen Sie werden nach demselben Ausnahmsrecht behandelt werden das sie selbst den anderen aufgezwungen haben und jetzt auch fur sich selbst fur gut befinden sollen Jene freilich die nur aus Willensschwache infolge ihrer wirtschaftlichen Lage aus zwingenden offentlichen Rucksichten wider innerer Uberzeugung und ohne an den Verbrechen der Faschisten teilzuhaben mitgegangen sind sollen in die Gemeinschaft des Volkes zuruckkehren und haben nichts zu befurchten Verbotsgesetz und Kriegsverbrechergesetz BearbeitenEines der vordringlichen Anliegen der Regierung war somit die Ahndung von NS Verbrechen die durch sogenannte Volksgerichte erfolgen sollte Deren Bezeichnung lehnte die neue Regierung bewusst an die nationalsozialistischen Volksgerichtshofe an um mit dieser ahnlichen Namensgebung eine ahnlich strenge Vorgangsweise gegen Nationalsozialisten anzuzeigen wie sie diese gegen Oppositionelle geubt hatten Bereits am 8 Mai 1945 nur wenige Stunden vor der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht hatte der Kabinettsrat der Provisorischen Regierung das bis heute in Teilen gultige Verbotsgesetz VG beschlossen das gegen nationalsozialistische Organisationen sowie gegen deren Mitglieder gerichtet war Am 26 Juni 1945 wurde das Verbotsgesetz durch das Kriegsverbrechergesetz KVG erganzt welches die Ahndung folgender NS Verbrechen vorsah Kriegsverbrechen im engeren Sinn 1 KVG Kriegshetze 2 KVG Qualereien und Misshandlungen 3 KVG Verletzungen der Menschenwurde 4 KVG Vertreibung aus der Heimat und Beteiligung an der Deportation der Judinnen und Juden 5a KVG missbrauchliche Bereicherung worunter die so genannte Arisierung subsumiert werden kann 6 KVG Denunziation 7 KVG sowie Hochverrat 8 KVG Neben dem fur die Ahndung von NS Verbrechen eigens erlassenen KVG und VG bildeten auch das osterreichische Strafgesetz StG sowie das deutsche Reichsstrafgesetzbuch RStGB die materiell rechtliche Basis fur die Volksgerichtsbarkeit Wilhelm Malaniuk begrundete dazu 1945 die rechtsdogmatische Grundlage fur die Zulassigkeit der Nichtanwendung des Ruckwirkungsverbotes bei Kriegsverbrechergesetz und Verbotsgesetz fur Verbrechen des NS Regimes Denn dabei handelt es sich um strafbare Handlungen welche die Gesetze der Menschlichkeit so groblich verletzen dass solchen Rechtsbrechern kein Anspruch auf die Garantiefunktion des Tatbestandes zukommt Die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes stellen weiters Verletzungen von Vertragen und des Volkerrechtes dar 1 Einrichtung der Volksgerichte BearbeitenDie Volksgerichte wurden bei den Landesgerichten am Sitz der Oberlandesgerichte bereits 1945 in Wien und ab 1946 nach Anerkennung der Provisorischen Regierung durch die westlichen Alliierten auch in Graz Linz und Innsbruck eingerichtet Fur die Volksgerichtsverfahren waren die Bestimmungen der osterreichischen Strafprozessordnung uber Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde ausser Kraft gesetzt worden Nur der Prasident des Obersten Gerichtshofs hatte die Moglichkeit das Urteil aufzuheben Die Volksgerichte waren Schoffengerichte bestehend aus drei Laienrichtern sowie zwei Berufsrichtern von denen einer den Vorsitz fuhrte Die Schoffen wurden anfangs von den drei politischen Parteien die 1945 die Provisorische Regierung gebildet hatten nominiert Das Justizpersonal musste politisch unbelastet sein d h es durfte nicht in die NS Strafjustiz involviert gewesen sein Die Volksgerichte litten unter standigem Personalmangel da in der Justiz der Anteil von Nationalsozialisten besonders hoch gewesen war Verfahren und Urteile BearbeitenDen Verfolgungsschwerpunkt dieser Gerichte zusatzlich zu den oben genannten Punkten bildeten Verbrechen im Zusammenhang mit dem Marz und Novemberpogrom 1938 Misshandlungen und Morde in Konzentrationslagern die Denunziation von Widerstandskampfern so genannten judischen U Booten etc Gewaltverbrechen und Morde in Euthanasieanstalten Endphaseverbrechen wie z B der Grazer Partisanenmordprozess1945 bis 1955 wurden vor den Volksgerichten in Wien Graz inklusive Aussensenate Leoben und Klagenfurt Linz inklusive Aussensenate Salzburg und Ried Innkreis sowie Innsbruck in 136 829 Fallen Vorerhebungen und Voruntersuchungen wegen des Verdachts nationalsozialistischer Verbrechen oder Illegalitat eingeleitet davon knapp 80 Prozent bis Anfang 1948 In diesen Prozessen wurden insgesamt 23 477 Urteile gegen rund 20 000 Personen gefallt davon 13 607 Schuldspruche 341 Strafen lagen im oberen Bereich 43 Angeklagte wurden zum Tode verurteilt 30 Todesurteile wurden vollstreckt davon 25 in Wien vier in Graz und eines in Linz zwei Verurteilte begingen vor der Vollstreckung Selbstmord Die letzte Hinrichtung fand 1950 statt 29 Angeklagte wurden zu lebenslangem Kerker 269 zu Kerkerstrafen zwischen zehn und zwanzig Jahren verurteilt Viele der letzteren wurden 1955 amnestiert nachdem die Volksgerichte nach Abschluss des Staatsvertrags abgeschafft wurden und der Einfluss der Alliierten weggefallen ist Sonstiges Bearbeiten2006 ubernahm das Wiener Stadt und Landesarchiv 170 Regalmeter an Strafakten vom Landesgericht fur Strafsachen Wien Nach Erschliessungsarbeiten zeigte das Wiener Stadt und Landesarchiv bis Mai 2010 eine Ausstellung zu den Verfahren vor dem Volksgericht in Wien in den Jahren 1945 bis 1955 2 3 Siehe auch BearbeitenNS Prozesse Aufhebung von NS Unrechtsurteilen Verbrechen der Wehrmacht VergangenheitsbewaltigungLiteratur BearbeitenThomas Albrich Winfried R Garscha Martin Polaschek Hrsg Holocaust und Kriegsverbrechen vor Gericht Der Fall Osterreich Studienverlag Innsbruck u a 2006 ISBN 3 7065 4258 7 Marianne Enigl Terror und Tod Die Akten der Volksgerichte wurden erstmals geoffnet In Profil 8 Mai 2010 online Heimo Halbainer Martin F Polaschek Hrsg Kriegsverbrecherprozesse in Osterreich Eine Bestandsaufnahme CLIO Verein fur Geschichts und Bildungsarbeit Graz 2003 ISBN 3 9500971 5 5 Historische und gesellschaftspolitische Schriften des Vereins CLIO 2 Claudia Kuretsidis Haider Das Volk sitzt zu Gericht Osterreichische Justiz und NS Verbrechen am Beispiel der Engerau Prozesse 1945 1954 Studienverlag Innsbruck u a 2006 ISBN 3 7065 4126 2 Osterreichische Justizgeschichte 2 Hellmut Butterweck Verurteilt und begnadigt Osterreich und seine NS Straftater Czernin Wien 2003 ISBN 3 7076 0126 9 Roland Pichler Volksgerichtsbarkeit und Entnazifizierung unter besonderer Berucksichtigung der Verfahren gegen Frauen vor dem Volksgericht Wien Dissertation Universitat Wien Wien 2016 PDF othes univie ac at 8 MB Jeanette Toussaint Nichts gesehen nichts gewusst Die juristische Verfolgung ehemaliger SS Aufseherinnen durch die Volksgerichte Wien und Linz In Gehmacher Johanna Gabriella Hauch Hrsg Frauen und Geschlechtergeschichte des Nationalsozialismus Fragestellungen Perspektiven neue Forschungen Querschnitte Bd 23 Wien 2007 S 222 239 ISBN 978 3 7065 4488 7 Jeanette Toussaint Ermittlungen des Volksgerichtes Linz gegen ehemalige SS Aufseherinnen des KZ Aussenlagers Lenzing 1945 1949 In Baumgartner Andreas Ingrid Bauz Jean Marie Winkler Hrsg Zwischen Mutterkreuz und Gaskammer Taterinnen und Mitlauferinnen oder Widerstand und Verfolgung Wien 2008 S 121 131 ISBN 978 3 902605 07 8 Weblinks BearbeitenAllgemein http www nachkriegsjustiz at prozesse Kriegsverbrechergesetz http www nachkriegsjustiz at service gesetze kvg1 php Verbotsgesetz http www nachkriegsjustiz at service gesetze gs vg 3 index php Sammelakt des Volksgerichts zur Wiener Gestapo Wiener Stadt und Landesarchiv wien gv at abgerufen am 18 Februar 2011 Claudia Kuretsidis Haider Dissertation 2003 Verbrechen an ungarisch judischen Zwangsarbeitern vor Gericht Die Engerau Prozesse vor dem Hintergrund der justiziellen Vergangenheitsbewaltigung in Osterreich 1945 1955 Dissertation zum grossten Prozess Komplex der Geschichte der osterreichischen VolksgerichteEinzelnachweise Bearbeiten vgl u a Claudia Kuretsidis Haider in NS Prozesse und deutsche Offentlichkeit Besatzungszeit fruhe Bundesrepublik und DDR 2012 S 415 Claudia Kuretsidis Haider Das Volk sitzt zu Gericht 2006 S 55ff Malaniuk Lehrbuch S 113 u 385 Brigitte Rigele Verhaftet Verurteilt Davongekommen Volksgericht Wien 1945 1955 Veroffentlichungen des Wiener Stadt und Landesarchivs Heft 80 Wien 2010 Kurzinfo zur Ausstellung wien gv at abgerufen am 18 Februar 2011 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Volksgericht Osterreich amp oldid 222445686