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Durch Verwandtschaftssysteme werden blutsverwandtschaftliche und Heiratsbeziehungen zwischen Menschen einer gegebenen Kultur definiert und organisiert Unter dem Begriff System werden sowohl die Verwandtschaftsgruppe als auch ihre Klassifizierung durch die Ethnologie zusammengefasst Inhaltsverzeichnis 1 Beschreibung 2 Verwandtschaftssysteme nach Bezeichnungen 3 Verwandtschaftssysteme nach Abstammung 3 1 Unilineare Abstammung 3 2 Bilaterale kognatische Abstammung 4 Sechs Verwandtschaftssysteme nach Murdock 4 1 Irokesensystem 4 2 Crowsystem 4 3 Omahasystem 4 4 Eskimosystem 4 5 Hawaiisches System 4 6 Sudanesisches System 5 Siehe auch 6 Literatur 7 WeblinksBeschreibung BearbeitenIn allen Kulturen hat das Verwandtschaftssystem eine wichtige Funktion in Bezug auf die Sozialisation die Erbschaftsregelung sowie die Sukzession d h die Ubertragung der sozialen Stellung Status an die nachste Generation So wird uber die Verwandtschaft die gesellschaftliche Kontinuitat gewahrleistet Daneben ist die Verwandtschaft in den meisten Gesellschaften ein unzerstorbares soziales Netzwerk mit entsprechenden wirtschaftlichen Verpflichtungen der Mitglieder einer Verwandtschaftsgruppe untereinander Die Zugehorigkeit zu einer bestimmten Verwandtschaftsgruppe wirkt sich ausserdem oft auf die mogliche Partnerwahl der Individuen aus siehe auch Heiratsregeln In nicht industriellen Gesellschaften ist die Verwandtschaft die wichtigste gesellschaftliche Organisationsform In der postindustriellen Gesellschaft hingegen nehmen andere Zugehorigkeitsgruppen Klasse etc oft eine ebenso wichtige Funktion ein Verwandtschaftssysteme werden in der Ethnologie auf verschiedene Weise beurteilt und eingeteilt Verwandtschaftssysteme nach Bezeichnungen Bearbeiten Hauptartikel Verwandtschaftsterminologie Je nach ethnischer Gesellschaft konnen die verwendeten Bezeichnungen fur Verwandte und ihre Beziehungen untereinander sehr verschieden sein Grundsatzlich wird nach folgenden Merkmalen unterschieden wobei einige Gesellschaften alle andere nur einige dieser Merkmale verwenden Generation relatives Alter direkte oder indirekte Abstammung von einem gemeinsamen Vorfahren Stammmutter oder Stammvater Geschlecht des Verwandten oder auch eigenes Geschlecht und das Geschlecht der des verbindenden Verwandten Blutsverwandtschaft oder angeheiratete Verwandtschaft juristisch Schwagerschaft bei Blutsverwandten lineare oder kollaterale Verwandtschaft patrilaterale oder matrilaterale Verwandtschaft Polaritat zwei Verwandte bezeichnen sich gegenseitig unterschiedlich bei nichtpolaren Systemen wird fur Grossvater dieselbe Bezeichnung wie fur Enkel verwendet siehe Beispiel fur Verwandtschaftsbezeichnungen in Moieties Verwandtschaftssysteme nach Abstammung Bearbeiten Hauptartikel Abstammungsregeln Deszendenz Verwandtschaftssysteme nach der Deszendenz sind fur viele Gesellschaften die wichtigste soziale Zugehorigkeitsgruppe Es werden zwei grundlegende Formen unterschieden unilineare und bilateral kognatische Abstammungsregeln Unilineare Abstammung Bearbeiten Bei unilinearen Verwandtschaftssystemen wird die Zugehorigkeit eines Individuums Ego zu einer Abstammungsgruppe Lineage Clan Stamm entweder durch den Vater oder durch die Mutter ubertragen und vererbt daneben gibt es Abstammungsregeln bei denen beide Linien in unterschiedlichen Zusammenhangen zur Geltung kommen Bei der patrilinearen lateinisch fur in der Linie des Vaters Regelung wird die Zugehorigkeit des Individuums zu einer Verwandtschaftsgruppe nach der mannlichen Abstammung Vater Grossvater gemeinsamer Urahn gerechnet Kinder gehoren in diesem System zur Stammlinie des Vaters Die Kinder des Sohnes ebenfalls nicht aber die Kinder der Tochter diese werden zur Linie ihres Ehemannes gerechnet Patrilinearitat findet sich bei rund der Halfte der weltweit 1300 indigenen Volker und Ethnien Fast alle patri linearen Verwandtschaftssysteme folgen einer patri lokalen Wohnsitzregelung nach der Heirat die Ehefrau muss zum Mann oder seiner Familie ziehen meist verbunden mit der sexuellen und wirtschaftlichen Kontrolle des Mannes uber seine Ehefrau en Bei der matrilinearen lateinisch fur in der Linie der Mutter Regelung werden Kinder zur Linie der Mutter und deren Mutter gerechnet Dazu gehoren die Kinder der Tochter nicht aber die Kinder des Sohnes diese werden der Linie ihrer biologischen Mutter zugerechnet nicht der ihres Vaters Rund 13 der weltweit 1300 Ethnien folgen der matrilinearen Abstammungsregel ein Drittel von ihnen folgt einer matri lokalen Wohnsitzregelung nach der Heirat Der Ehemann zieht zur Ehefrau oder ihrer Familie In vielen matrilinearen Systemen ubernimmt der Mutterbruder Oheim fur die Kinder seiner Schwester die soziale Vaterschaft mitsamt den damit verbundenen Rechten und Verpflichtungen siehe Avunkulat Bei der bilinearen doppelten Regelung ubernimmt das Kind die Linie des Vaters und die Linie der Mutter aber in unterschiedlichen sozialen Zusammenhangen Bilineare Abstammung setzt sich aus Patri und Matrilinearitat zusammen und lasst jeweils unterschiedliche Gruppenzugehorigkeiten entstehen siehe Moiety Rund 4 der weltweiten Ethnien folgen dieser Abstammungsregel Auch in grossen Teilen des europaischen Judentums wird die Zugehorigkeit zum Judentum uber die Mutterlinie vermittelt die Zugehorigkeit zur Einzelfamilie aber uber die Vaterlinie Bei der ambilinearen lateinisch fur von beiden Seiten Regelung kann das Kind eines Ehepaares frei wahlen ob es sich auf seine Mutter mit ihrer Linie oder auf seinen Vater mit seiner Linie beziehen will Dadurch konnen gemischte Generationenabfolgen zustande kommen wie Vater Mutter Mutter Vater entsprechend der personlichen Vorliebe des Kindes oder ausgerichtet am relativen Reichtum und Einfluss der jeweiligen Elternfamilien Nach der Wahl ubernimmt das Kind die komplette bisherige gemischte Linie des Elternteils diese kann nicht nachtraglich verandert werden Das Kind bezieht sich also auf nur eine Linie unilinear die aber generationsweise aus einer Mutter oder einem Vater aufgebaut ist Rund 4 der weltweiten Ethnien folgen dieser Abstammungsregel Bei der parallelen Regelung werden zwei geschlechtlich getrennte Linien gefuhrt Der Vater ubertragt seine Linie und soziale Position auf die Sohne die Mutter ubertragt ihre matrilineare Linie und Position auf die Tochter Jedes Kind bezieht sich dadurch auf nur eine Vorfahrenlinie Tochter auf die ihrer Mutter Sohne auf die ihres Vaters Nur 1 der weltweiten Ethnien folgen dieser Abstammungsregel Bilaterale kognatische Abstammung Bearbeiten Bei der bilateralen lateinisch fur beidseitig oder kognatischen mitgeboren Abstammungsregel sind beide Geschlechter fur die Herleitung der Abstammung eines Individuums Egos von gleicher Bedeutung Mutter und Vater Ein Mensch gilt als Nachkomme all seiner Vorfahren ohne Hervorhebung einer der beiden Linien So werden alle acht Urgrosseltern als Vorfahren und Teil der eigenen Abstammungsgruppe angesehen Kinder gehoren immer zu den beiden Familien ihrer Eltern und die Vererbung lauft gleichberechtigt uber beide Linien Die gleichwertige Zuordnung zu den Vorfahren beider Eltern fuhrt dazu dass nicht sehr viele Generationen erinnert werden konnen ausserdem wird die Anzahl der Verwandten sehr gross Das hat zur Folge dass zwar die Angehorigen der Eltern Grosseltern und vielleicht Urgrosseltern Generation bekannt sind aber im Unterschied zu unilinearen Gesellschaften werden selten mehr als funf Generationen eines Stammbaums namentlich erinnert Kognatische Verwandtschaftssysteme finden sich bei sozialen Gruppen und Gesellschaften deren sozialer Zusammenhalt nicht hauptsachlich auf einem Verwandtschaftsnetz oder auf dauerhaften Verwandtschaftsgruppen aufbaut wie auch in den modernen Gesellschaften in denen die kindzentrierte Kernfamilie die kleinste soziale Gruppe bildet Die Verbreitung der bilateralen Abstammungsregel bei den weltweit 1300 indigenen Volkern und Ethnien betragt 28 Prozent Sechs Verwandtschaftssysteme nach Murdock BearbeitenDie folgenden 6 Unterteilungen hat der Forscher George P Murdock entwickelt Irokesensystem Bearbeiten Unterscheidet nach Geschlecht und Generation Geschwister desselben Geschlechts der Eltern heissen ebenfalls Vater oder Mutter und gelten als Blutsverwandte Geschwister anderen Geschlechts jedoch Onkel bzw Tante Die Schwester der Mutter wird also ebenfalls Mutter genannt der Bruder der Mutter jedoch Onkel Ebenso ist der Bruder des Vaters ebenfalls Vater die Schwester jedoch Tante Demzufolge werden auch die Kinder der Geschwister der Eltern verschieden behandelt Wahrend z B das Kind der Schwester der Mutter als blutsverwandt betrachtet wird ist das Kind des Bruders der Mutter nicht blutsverwandt Blutsverwandte durfen nicht geheiratet werden nicht blutsverwandte Kinder der Geschwister der Eltern aber wohl Obwohl nach den Irokesen benannt wird das System heute in vielen Gesellschaften verwendet z B in Teilen Sri Lankas und Indiens sowie diversen Indianerstammen Nordamerikas Das unter den ca 250 Millionen Hindi in Indien verwendete Verwandtschaftssystem entspricht dem Irokesensystem mit nur leichten Abwandlungen Crowsystem Bearbeiten Das Verwandtschaftssystem ist nach den Crowindianern aus Montana benannt wird jedoch in vielen Gesellschaften der Welt verwendet so auch bei anderen Indianerstammen z B den Hopi und den Navajo Ahnlich dem Irokesensystem jedoch wird im Crowsystem auf der vaterlichen Seite nicht mehr nach Generation oder Alter sondern nur noch nach Geschlecht differenziert Das Crowsystem ist ein matrilineares System das mehr Gewicht auf eine genaue Beschreibung der Mutterlinie legt wahrend die Vaterlinie eher ungenau ist So wird vaterlicherseits kaum zwischen Onkel Grossvater oder Urgrossvater unterschieden Omahasystem Bearbeiten Das System ist dem Crowsystem sehr ahnlich jedoch auf die vaterliche anstatt die mutterliche Linie ausgelegt also patrilinear Eskimosystem Bearbeiten Das Eskimosystem wird von den meisten westlichen Gesellschaften verwendet z B auch im deutschen Sprachraum und insgesamt von ca 10 der Weltbevolkerung Das Eskimosystem ist ein kognatisches Verwandtschaftssystem und unterscheidet nicht zwischen mutterlicher und vaterlicher Linie Geschwister der Eltern heissen immer Onkel oder Tante deren Kinder immer Cousin e Eltern der Eltern heissen immer Grossvater oder Grossmutter weswegen bei der Notwendigkeit genauerer Beschreibung zu Hilfskonstrukten wie Grossvater mutterlicherseits zuruckgegriffen werden muss Das Eskimosystem betont die Kernfamilie indem es die Eltern und Geschwister sehr genau unterscheidet es gibt nur eine Mutter und nur einen Vater aber bei entfernteren Verwandten sehr ungenau wird Diese Ungenauigkeit geht sogar so weit dass in einigen Sprachen in denen das System verwendet wird nicht einmal zwischen dem Geschlecht der Kinder der Geschwister der Eltern unterschieden wird So gibt es im Englischen nur ein Wort fur Cousine und Cousin namlich cousin Der Satz My cousin lives in London sagt also weder aus ob die Person mannlich oder weiblich ist noch ob sie das Kind eines Bruders oder einer Schwester eines Elternteils ist noch aus welcher Elternlinie die Person abstammt Hawaiisches System Bearbeiten Das hawaiische System ist mit das Einfachste der Verwandtschaftssysteme da es nur nach Generation und Geschlecht unterscheidet Alle weiblichen Verwandten aus der Generation der Mutter werden Mutter genannt alle mannlichen Vater Alle Verwandten der eigenen Generation sind Schwestern oder Bruder also auch Personen die nach z B dem Eskimosystem Cousins sind Sudanesisches System Bearbeiten Das sudanesische System ist recht genau in den Verwandtschaftsbeziehungen Geschwister der Eltern haben eigene Namen es wird also zwischen Onkeln und Tanten vaterlicherseits und mutterlicherseits unterschieden Auch deren Kinder werden unterschiedlich benannt sodass fur Cousins alleine acht verschiedene Begriffe existieren Benannt nach dem Sudan wurde das System auch im antiken Rom verwendet heute ist es verbreitet in arabischen Gesellschaften teilweise in der Turkei und Bulgarien sowie in weiten Teilen Chinas Siehe auch BearbeitenBlutsverwandtschaft Stammbaum Verwandtschaftsbeziehung Ubersicht Friedrich Engels Der Ursprung der Familie des Privateigenthums und des StaatsLiteratur BearbeitenMichael Mitterauer Warum Europa Mittelalterliche Grundlagen eines Sonderweges 5 durchgesehene Auflage Beck Munchen 2009 S 70 108 Kapitel 3 Gattenzentrierte Familie und bilaterale Verwandtschaft Vergleich europaischer islamischer und chinesischer Verwandtschaftssysteme 2004 mit dem Preis des Historischen Kollegs ausgezeichnet 4 Auflage von 2004 Seitenansichten in der Google Buchsuche Siehe dazu auch Hinnerk Meyer Fazit und Interpretation 28 Februar 2011 PDF 99 kB 5 Seiten auf uni hildesheim de A Schlemm Tabellen zum interkulturellen Vergleich 12 April 2010 PDF 287 kB 6 Seiten auf thur de Michael Mitterauer Die landwirtschaftlichen Grundlagen des europaischen Sonderwegs In Landlicher Raum Band 1 2001 PDF 244 kB 9 Seiten auf bmlrt gv at Weblinks BearbeitenGabriele Rasuly Paleczek Einfuhrung in die Ethnosoziologie Teil 1 2 Memento vom 1 Oktober 2008 im Internet Archive PDF 251 kB 82 Seiten Institut fur Kultur und Sozialanthropologie Universitat Wien 2006 S 12 82 Unterlagen zu ihrer Vorlesung im Sommersemester 2006 Hans Rudolf Wicker Leitfaden fur die Einfuhrungsvorlesung in Sozialanthropologie Memento vom 21 Oktober 2013 im Internet Archive PDF 532 kB 45 Seiten Institut fur Sozialanthropologie Universitat Bern 2005 S 12 13 und 29 30 uberarbeitete Version Brian Schwimmer Kinship Terminologies In Tutorial Kinship and Social Organization Department of Anthropology University of Manitoba Kanada 2003 englisch umfangreiches Verwandtschaftstutorial Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Verwandtschaftssystem amp oldid 235141797