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Matrilokalitat lateinisch mater Mutter locus Ort Wohnsitz bei der Mutter bezeichnet in der Ethnosoziologie eine Wohnfolgeordnung Residenzregel bei der ein Ehepaar nach der Heirat seinen Haushalt am Wohnort der Mutter eines der beiden Ehepartner einrichtet der andere Partner zieht hinzu 1 Die fruhe Sozialanthropologie verstand darunter das Wohnen bei der Mutter der Ehefrau 2 Langhaus der matrilinearen Irokesen Unterkunft fur etwa 500 Personen USA 1885 Innenansicht eines Langhauses Mokotakan Freilichtmuseum kanadische Provinz Quebec 2007 Uxorilokalitat am Ort der Ehefrau ist allgemeiner gefasst und bezeichnet die Einrichtung des ehelichen Wohnsitzes bei der Ehefrau ihrer Mutter Familie oder am Ort ihrer Abstammungsgruppe Lineage Clan der Ehemann zieht hinzu Uxorilokal wird mit der Bedeutung mit oder nahe der Familie der Frau dem missverstandlichen matrilokal vorgezogen 3 Die Bezeichnung uxori lokal ist vom lateinischen uxor Ehefrau abgeleitet Frau mulier wahrend sich die mannliche Entsprechung viri lokal von vir Mann ableitet Ehemann maritus eine Widerspiegelung der weiblichen Unterordnung in der romischen Ehe Frauenzentrierte Residenzregeln finden sich weltweit bei 32 Prozent aller matri linearen nur nach der Mutterlinie geordneten Ethnien und indigenen Volkern 4 die ihrerseits 13 Prozent der erfassten 1300 Ethnien ausmachen insbesondere aber in Sudostasien und Nordamerika 5 6 In ihnen bleiben die engen Beziehungen zwischen der Ehefrau ihren Schwestern ihrer Mutter und deren Schwestern Tanten bestehen wahrend die Familie des Ehemannes nicht als verwandt angesehen wird Gewohnlich bilden Mutter Schwestern und Tochter eine Kerngruppe 7 Diese Zentrierung auf die Mutter wird auch als Matrifokalitat bezeichnet von Fokus im Sinne von Mittelpunkt des Interesses 8 um auf die Frau als zentrale Figur der Familie der Haushaltsidentitat und der Kontinuitat hinzuweisen wobei der Vater oft nicht vorhanden ist oder eine sehr geringe Bedeutung hat 9 10 Die frauenzentrierten Kerngruppen konnen verbunden sein in umfangreichen Matri Lineages innerhalb derer sich alle Verwandtschaftsbeziehungen von einer gemeinsamen ursprunglichen Stammmutter herleiten Alle Ehemanner bleiben ihrer eigenen Familie zugerechnet sei diese matrilinear geordnet oder patri linear nach der Vaterlinie Weltweit findet sich nur eine Ethnie mit patri linearer Abstammungsregel aber matri lokaler Wohnfolgeregel Avunkulokalitat am Ort des Mutterbruders bezeichnet die Wohnsitznahme beim Onkel des Ehemannes beim Bruder seiner Mutter 1 11 Auch diese Residenzregel findet sich nur bei matrilinearen Gesellschaften der spiegelverkehrte Fall dass ein Ehemann zum Mutterbruder seiner Ehefrau zieht kommt praktisch nicht vor 38 Prozent aller matrilinearen Ethnien wohnen avunku lokal diese Residenzregel halt die uber die gemeinsame Abstammung miteinander verbundenen Manner zusammen und zerstreut die matrilinear verbundenen Frauen raumlich Mutterbruder und Schwestersohne bilden hier den Kern der Wohneinheit Die Schwestersohne kommen zwar im Haus des Mutterbruders des Ehemannes der Schwester zur Welt als Jugendliche oder Erwachsene verlassen sie jedoch diesen Haushalt und wohnen fortan bei ihrem eigenen Mutterbruder Oheim 12 Die avunkulokale Regel wird manchmal in der Fachliteratur im Sinne von am Ort des Mutterbruders der Ehefrau verstanden dorthin wechseln erwachsene Kinder auch oft weil sie sich nicht als Teil der Familie ihres Vaters verstehen sondern ihrer mutterlichen Linie folgen Deshalb gilt Avunkulokalitat als frauenzentrierte Wohnregel denn der Wohnsitz beim Bruder der Mutter des Ehemannes leitet sich von dessen Mutterlinie ab Allerdings ist Avunku Lokalitat nicht direkt mit der sozialen Vaterschaft des Avunkulats verbunden die besonders bei der nato lokalen Wohnfolge getrennter Wohnsitz am Geburtsort praktiziert wird Inhaltsverzeichnis 1 Residenzmuster 2 Residenz und Deszendenz 3 Siehe auch 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseResidenzmuster BearbeitenDas in der Praxis vorgefundene Residenzmuster der Wohnsitzwahl kann von der kulturellen Norm der in einer Gesellschaft ublichen Residenzregel abweichen In der Gegenwart wird in vielen Ethnien mit traditionell frauenzentrierten Wohnfolgeregeln die moderne Lebensform der Kernfamilie bevorzugt und ein neuer Wohnsitz gegrundet Neolokalitat vor allem in Stadten siehe die matrilinearen Minangkabau auf Sumatra oder Ehefrauen ziehen zur Familie ihres Ehemannes Patrilokalitat Oft hat dies wirtschaftliche Grunde beispielsweise die Abhangigkeit von Arbeitsplatzen 13 Residenz und Deszendenz BearbeitenAuswertungen der Datensatze von rund 1200 Ethnien des Ethnographischen Atlas 5 ergaben folgende Verteilungswerte fur die Wohnfolgeregeln Residenz bei Gesellschaften mit einer matrilinearen Abstammungsregel Deszendenz 4 13 Prozent aller Ethnien weltweit ordnen ihre Abstammung matri linear nur nach der Mutterlinie 164 Gesellschaften 37 8 Prozent wohnen avunku lokal beim Mutterbruder des Ehemannes 32 3 Prozent wohnen uxori matri lokal bei der Ehefrau ihrer Mutter Familie Abstammungsgruppe Lineage oder Clan 18 3 Prozent wohnen viri patri lokal beim Ehemann oder seinem Vater 11 6 Prozent wohnen vor allem nato lokal getrennt am Geburtsort verbleibend oder neo lokal Wohnsitz am neuen Ort Wahrend sich bei matrilinearen Volkern alle verschiedenen Moglichkeiten der Residenzwahl finden richten nach der Vaterlinie organisierte Volker den ehelichen Wohnsitz fast ausschliesslich beim Mann ein 14 Die Sozialanthropologin Gabriele Rasuly Paleczek merkt allerdings 2011 an Heute wird diese Bezugnahme auf die Deszendenzsysteme meist abgelehnt und daher auch dafur pladiert die Termini patri bzw matri lokal nicht zu verwenden Insgesamt gibt es in der Ethnosoziologie trotz umfangreicher Definitions und Prasisierungsvorschlage noch immer keine einheitliche Klassifikation der verschiedenen Residenzformen Eindeutiger sei Virilokalitat bei Verwandten des Ehemannes Uxorilokalitat bei Verwandten der Ehefrau 15 Siehe auch BearbeitenListe matrilinearer Gesellschaften nach der Mutterlinie organisiert Clanmutter bei Irokesen Indianern Mutter und vaterseitige Verwandtschaft matri oder patrilateral Exogame Heiratsregel ausserhalb der eigenen Gruppe Einlinige Abstammungsregeln unilineare Deszendenz Literatur BearbeitenThomas Bargatzky Ethnologie Eine Einfuhrung in die Wissenschaft von den urproduktiven Gesellschaften Buske Hamburg 1997 ISBN 3 87548 039 2 S 112 113 Kapitel Deszendenzgruppen und Lokalgruppen Seitenansichten in der Google Buchsuche William Tulio Divale An Explanation for Matrilocal Residence In Dana Raphael Hrsg Being Female Reproduction Power and Change Mouton Den Haag 1975 ISBN 90 279 7599 X S 99 108 Leseprobe in der Google Buchsuche Weblinks BearbeitenLukas Schindler Stockinger Uxorilokale Residenz Avunkulokale Residenz In Interaktives Online Glossar Ehe Heirat und Familie Institut fur Kultur und Sozialanthropologie Universitat Wien 1997 vertiefende Anmerkungen mit Quellenangaben Gabriele Rasuly Paleczek Definition von matrilokal uxorilokal avunkulokal PDF 705 kB 206 Seiten Nicht mehr online verfugbar In Einfuhrung in die Ethnosoziologie Teil 2 2 Institut fur Kultur und Sozialanthropologie Universitat Wien 2006 S 209 210 archiviert vom Original am 1 Oktober 2008 abgerufen am 1 September 2019 Unterlagen zu ihrer Vorlesung 2006 ausfuhrlicher als 2011 Brian Schwimmer Matrilocal Residence In Tutorial Kinship and Social Organization Department of Anthropology Universitat Manitoba Kanada 2003 abgerufen am 1 September 2019 englisch umfangreiches Verwandtschaftstutorial Einzelnachweise Bearbeiten a b Thomas Bargatzky Ethnologie Eine Einfuhrung in die Wissenschaft von den urproduktiven Gesellschaften Buske Hamburg 1997 ISBN 3 87548 039 2 S 112 Kapitel 5 2 Deszendenzgruppen und Lokalgruppen Seitenansicht in der Google Buchsuche Brian Schwimmer Matrilocal Residence In Tutorial Kinship and Social Organization Universitat Manitoba 1995 abgerufen am 22 Februar 2019 englisch Lukas Schindler Stockinger Uxorilokale Residenz In Interaktives Online Glossar Ehe Heirat und Familie Institut fur Kultur und Sozialanthropologie Universitat Wien 1997 abgerufen am 22 Februar 2019 a b Hans Rudolf Wicker Verhaltnis zwischen Deszendenz und postmaritaler Residenz PDF 387 kB 47 Seiten In Leitfaden fur die Einfuhrungsvorlesung in Sozialanthropologie 1995 2012 Universitat Bern 2012 S 14 abgerufen am 22 Februar 2019 Die Zahlen auf S 14 164 matrilineare Ethnien ihr ehelicher Wohnsitz nach der Heirat Residenzregel 62 37 8 wohnen avunkulokal beim Mutterbruder Onkel der Ehefrau oder des Ehemannes 53 32 3 wohnen uxori matri lokal bei der Ehefrau oder ihrer Mutter 30 18 3 wohnen viri patri lokal beim Ehemann oder seinem Vater 19 11 6 haben andere Wohnsitzregeln neolokal natolokal u a a b Ende 2012 waren im Ethnographic Atlas weltweit genau 1300 Ethnien erfasst von denen oft nur Stichproben ausgewertet wurden beispielsweise im internationalen HRAF Projekt Begrundet wurde der Ethnographic Atlas Anfang der 1950er vom US amerikanischen Anthropologen George P Murdock 1897 1985 zur standardisierten Daten Erfassung samtlicher Ethnien weltweit J Patrick Gray Ethnographic Atlas Codebook In World Cultures Band 10 Nr 1 1998 S 86 136 hier S 104 Tabelle 43 Descent Major Type englisch PDF 2 4 MB 52 Seiten ohne Seitenzahlen eine der wenigen Auswertungen aller damals 1267 erfassten Ethnien Zitat 584 Patrilineal 160 Matrilineal 52 Duolateral 49 Ambilineal 11 Quasi lineages 349 bilateral 45 Mixed 17 Missing data Prozente der 1267 Ethnien 1998 584 46 1 patri linear Herkunft vom Vater und dessen Vorvatern 160 12 6 matri linear Herkunft von der Mutter und deren Vormuttern0 52 0 4 1 bi linear duolateral Unterschiedliches von Mutter und vom Vater0 49 0 3 9 ambi linear Herkunft auswahlbar von Mutter oder Vater0 11 0 0 9 parallel einiges von der Mutter anderes vom Vater Quasi Linien 349 27 6 bilateral kognatisch Herkunft zugleich von Mutter und Vater wie in der westlichen Kultur 0 45 0 3 6 gemischt 17 1 6 fehlende Daten Hans Rudolf Wicker Verhaltnis zwischen Deszendenz und postmaritaler Residenz PDF 387 kB 47 Seiten In Leitfaden fur die Einfuhrungsvorlesung in Sozialanthropologie 1995 2012 Universitat Bern 2012 S 13 abgerufen am 22 Februar 2019 Zitat In Gesellschaften in welchen die matri oder uxorilokale Wohnfolge dominiert bilden gewohnlich Mutter Schwestern und Tochter eine Kerngruppe Avunkulokalitat steht in einem engen Zusammenhang mit Matrilinearitat Duden online Fokus 3 Abgerufen am 8 Dezember 2019 Zitat 3 Schwerpunkt Mittelpunkt des Interesses einer Sache einer Auseinandersetzung eines Diskurses Gabriele Rasuly Paleczek matrifocal PDF 747 kB 43 Seiten Nicht mehr online verfugbar In Einfuhrung in die Formen der sozialen Organisation Teil 4 5 Institut fur Kultur und Sozialanthropologie Universitat Wien 2011 S 152 archiviert vom Original am 5 Oktober 2013 abgerufen am 22 Februar 2019 Zitat matrifocal Hierbei handelt es sich um eine Gruppe die um die Mutter zentriert ist Hier ist der Vater oft nicht vorhanden oder spielt eine sehr untergeordnete Bedeutung Der Begriff Matrifokalitat wird u a verwendet um darauf hinzuweisen dass die Frau eine zentrale Figur der Familie der Haushaltsidentitat und der Kontinuitat ist SEYMOUR SMITH 1986 S 184 Definition von matrifocal nach BARGATZKY Damit bezeichnet man eine Familienform die im Wesentlichen aus Haushaltsgruppen besteht in der eine Frau sowie ihre Kinder und die Kinder ihrer Tochter den Kern darstellen Solch eine Familienform entsteht aufgrund einer scharfen Trennung in einen hauslichen sowie einen Offentlich politisch rituellen Bereich wobei die Geschlechterrollen den Frauen Aktivitat S 50 und Dominanz im ersteren Bereich zuweisen den Mannern aber im letz t eren Die Rolle der Manner im Offentlichen Bereich ist relativ unabhangig von der Rolle die sie im hauslichen Bereich ubernehmen Eheliche oder nicht eheliche Verbindungen zwischen einer Frau und einem Mann konnen somit durchaus instabil sein ohne dass die Stabilitat der matrifokalen Familie dadurch beeinflusst zu sein braucht eine Frau kann Beziehungen zu verschiedenen Mannern unterhalten die quasi Ehen auf Besuch visiting unions siehe R T Smith 1973 142 mit ihr BARGATZKY 1985 S 49 f Brian Schwimmer Matrifocality An emerging empirical and theoretical issue In Tutorial Kinship and Social Organization Universitat Manitoba 2003 abgerufen am 22 Februar 2019 englisch Brian Schwimmer Avunculocal Residence In Tutorial Kinship and Social Organization Universitat Manitoba 1995 abgerufen am 22 Februar 2019 englisch Lukas Schindler Stockinger Avunkulokale Residenz In Interaktives Online Glossar Ehe Heirat und Familie Universitat Wien 1997 abgerufen am 22 Februar 2019 Gabriele Rasuly Paleczek Residenzregeln und Residenzpraxis PDF 853 kB 52 Seiten Nicht mehr online verfugbar In Einfuhrung in die Formen der sozialen Organisation Teil 3 5 Institut fur Kultur und Sozialanthropologie Universitat Wien 2011 S 95 96 archiviert vom Original am 17 Oktober 2013 abgerufen am 22 Februar 2019 Robin Fox Kinship and Marriage An Anthropological Perspective Cambridge University Press Cambridge 1967 ISBN 0 521 27823 6 S 115 englisch Seitenansicht in der Google Buchsuche Gabriele Rasuly Paleczek Keine einheitliche Verwendung diverser Termini PDF 853 kB 52 Seiten Nicht mehr online verfugbar In Einfuhrung in die Formen der sozialen Organisation Teil 3 5 Institut fur Kultur und Sozialanthropologie Universitat Wien 2011 S 94 archiviert vom Original am 17 Oktober 2013 abgerufen am 22 Februar 2019 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Matrilokalitat amp oldid 229460396