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Unter Verwandtschaftsterminologien versteht man allgemein die Terminologie zur Beschreibung von Verwandtschaftsbeziehungen Die Untersuchung verschiedener Verwandtschaftsterminologien war lange Zeit das zentrale Forschungsfeld der Ethnosoziologie Zentrum der Untersuchung ist wie Personen in gewissen Verwandtschaftsverhaltnissen entweder unterschiedlich benannt werden oder mit einer Bezeichnung Terminus zusammengefasst werden Beispiel aus dem Deutschen Onkel kann der Bruder der Mutter oder des Vaters sein aber auch der Ehemann einer Schwester eines Elternteils wahrend Tochter nur fur einen Verwandtschaftstyp verwendet wird Wichtige Vertreter der Forschungsrichtung sind zum Beispiel Carl August Schmitz George P Murdock Lewis Henry Morgan und Robert Lowie Es konnen grob zwei verschiedene Vorgehensweisen bei der Forschung unterschieden werden Eine nahert sich den einzelnen Termini selbst die andere widmet sich den gesellschaftlichen Systemen der Kategorisierung von Verwandten in bestimmte Gruppen anhand derer Benennung Inhaltsverzeichnis 1 Untersuchung eines Terminus 1 1 Gebrauch der Termini 1 2 Linguistische Struktur 1 3 Genealogische Reichweite 2 Verwandtschaftsterminologische Systeme und Kriterien 2 1 Systeme nach Morgan 2 2 Klassifikationsschema nach Lowie 2 3 Klassifikationsschema nach Murdock 2 4 Dravidisches verwandtschaftsterminologisches System 2 5 Kriterien 3 Siehe auch 4 Literatur 5 WeblinksUntersuchung eines Terminus BearbeitenEin einzelner Verwandtschaftsterminus enthalt drei grosse Bezugsebenen Art des Gebrauchs linguistische Struktur genealogische ReichweiteGebrauch der Termini Bearbeiten Man unterscheidet hier Adresstermini und Referenztermini Referenztermini verwendet man um uber eine nicht anwesende Person zu sprechen Adresstermini werden herangezogen um eine Person direkt anzusprechen In diese Kategorie fallen somit auch Kosenamen und samtliche andere Formen wie man Personen direkt anspricht wodurch die Bandbreite der Adresstermini deutlich grosser sein kann als die der Referenztermini Adress und Referenztermini konnen ganzlich oder teilweise ident aber auch ganzlich voneinander abweichend sein Unterschiede konnen zum Beispiel dadurch entstanden sein dass Meidungstabus Personen verpflichten beim Ansprechen einer hoheren Person gewisse Ausdrucke nie zu verwenden Dadurch geben Adresstermini einen guten Einblick in Sozialstrukturen und die Hierarchie Der Verwandtschaftsgrad der in einer Anrede verwendet wird muss nicht gleich der biologischen Verwandtschaftsart entsprechen Personlich nahestehende Personen werden haufig mit Termini naher Verwandtschaft gewurdigt Linguistische Struktur Bearbeiten Die Untersuchung von Verwandtschaftstermini anhand ihrer linguistischen Struktur geht auf Carl August Schmitz zuruck der drei verschiedene Arten von Termini unterscheidet elementare Termini Diese sind nicht weiter reduzierbar und bestehen aus nur einem Wort Elementare Termini sind also Vater Schwester Onkel abgeleitete Termini Solche werden aus einem elementaren Terminus Adjektiv gebildet Beispiele der deutschen Sprache sind Schwiegermutter Grossvater deskriptive Termini Sie beschreiben die Verwandtschaft durch Aneinanderreihen elementarer Termini sehr genau Ein Beispiel ware der ethnosoziologische Begriff Vatermutter fur die vaterlicherseitige Grossmutter vergleiche etwa Schwedisch farmor aus far Vater und mor Mutter oder im Turkischen die Differenzierung zwischen amcamin oglu Sohn meines Onkels vaterlicherseits halamin oglu Sohn meiner Tante vaterlicherseits dayimin oglu Sohn meines Onkels mutterlicherseits oder teyzemin oglu Sohn meiner Tante mutterlicherseits wofur im Deutschen heute nur noch ein Sammelbegriff Cousin oder Vetter zur Verfugung steht Genealogische Reichweite Bearbeiten Hier werden denotative und klassifikatorische Termini unterschieden Denotative Termini sind fur nur einen einzigen Verwandtschaftstyp in Gebrauch Im Deutschen gibt es acht solcher Termini Vater Mutter Sohn Tochter Bruder Schwester Ehemann und Ehefrau Alle anderen Termini sind klassifikatorisch So fallen unter unseren Begriff Grossmutter die Vatermutter und die Muttermutter Eine Tante kann die Schwester des Vaters oder der Mutter sein oder auch die Frau des Bruders eines Elternteils Kriterien nach denen man klassifikatorische Termini weiter differenzieren kann sind ob mit einem Terminus Verwandte in nur einer Generation oder in unterschiedlichen Generationen zusammengefasst werden oder das Ignorieren des Geschlechts von Verwandten vergleiche Geschwister die Nicht Unterscheidung von Blutsverwandtschaft und Heiratsbeziehung etwa Onkel oder Kollateralitat und Linearitat Verwandtschaftsterminologische Systeme und Kriterien BearbeitenGrundprinzip der Erforschung verwandtschaftsterminologischer Systeme ist dass bestimmte nahestehende Verwandte in der Regel die Eltern und deren Geschwister auf der Welt unterschiedlich klassifiziert werden und dass diese terminologischen Unterschiede in Kategorien eingeteilt werden konnen Der erste der entdeckt hat dass es auf der Erde unterschiedliche Systeme zur Benennung von Verwandten gibt war der Missionar und Ethnograph Joseph Francois Lafiteau der Ende des 18 Jahrhunderts zu der Erkenntnis kam dass die Irokesen ein anderes System verwenden als die Europaer Systeme nach Morgan Bearbeiten Lewis Henry Morgan machte diese Entdeckung im 19 Jahrhundert erneut Der Evolutionist Morgan gilt als Begrunder der Verwandtschaftsforschung da er infolge dieser Entdeckung begann verschiedene Systeme zu vergleichen und die Daten zu systematisieren Er unterteilte die verschiedenen Systeme grob in deskriptive und klassifikatorische Systeme Als deskriptiv bezeichnete er Systeme bei denen Kollateralitat und Linearitat unterschieden werden klassifikatorisch sind demnach die Systeme bei denen terminologisch etwa Mutter und Mutterschwester nicht unterschieden werden Als Evolutionist sah er in deskriptiven Systemen zivilisierte Gesellschaften wahrend fur ihn klassifizierende Gesellschaften primitiv waren Er erkannte allerdings bereits dass Verwandtschaftstermini alter als das Gesellschaftssystem sind Deshalb waren sie fur ihn ein Blick zuruck in die Geschichte der jeweiligen Gesellschaft und deren Struktur Klassifikationsschema nach Lowie Bearbeiten Robert Lowie erstellte ein Schema mit vier Hauptsystemen bei denen jeweils ein unterschiedliches Benennungsschema fur die Geschwister der Eltern vorliegt Lineales System Unterscheidet zwischen linealen und kollateralen Verwandten Es gibt einen Terminus fur Mutter Vater Onkel und Tante Dieses System dem auch die deutsche Sprache folgt nennt George P Murdock Eskimotypus Generationales System Alle Manner oder Frauen innerhalb einer Generation werden mit demselben Terminus bezeichnet es erfolgt keine Unterscheidung von linearen und kollateralen Verwandten Alle Manner oder Frauen der Elterngeneration werden gleich bezeichnet fur Onkel und Vater oder Mutter und Tanten existiert je ein gemeinsamer Terminus Dieses System entspricht dem klassifikatorischen Schema von Morgan oder dem Hawaiitypus von Murdock Bifurcate Merging Die Eltern und deren Verwandte desselben Geschlechts tragen denselben Terminus so wird zum Beispiel der Bruder des Vaters wie der Vater bezeichnet Fur kreuzverwandte Onkel und Tanten die Vaterschwestern und Mutterbruder wird je ein eigener Terminus verwendet Diese Gruppe wurde von Murdock weiter differenziert Bifurcate Collateral Eigene Termini fur Mutter Mutterschwester und Vaterschwester analog bei mannlichen Verwandten Entspricht dem Sudantypus von Murdock Klassifikationsschema nach Murdock Bearbeiten Im Gegensatz zu Lowie benennt George P Murdock seine verwandtschaftsterminologischen Systeme nicht nach deren Struktur sondern nach einer Gesellschaft die diesem Schema folgt Murdock zieht zur Differenzierung sowohl die erste aufsteigende Generation als auch die Ego Generation heran Drei seiner sechs Systeme entsprechen den Systemen die Lowie erarbeitet hat Das bifurcate merging jedoch unterteilte er in drei weitere Systeme Eskimotypus Dieser Typus entspricht dem linealen System Lowies Wahrend etwa das englische System die kollateralen Verwandten der Egogeneration nicht nach Geschlecht unterscheidet cousin erfolgt im Deutschen diese Differenzierung sehr wohl Vetter oder Base Dieses System findet man ausser in der westlichen Welt auch z B bei den Eskimo Hawaiitypus Entspricht dem generationalen System von Lowie Sudantypus Entspricht Lowies bifurcate collateral Fur die acht verschiedenen Basen oder Vetternbeziehungen gibt es ebenso viele Termini Der Sudantypus ist der seltenste von allen Iroquoi Crow und Omahatypus sind bei Lowie im bifurcate merging enthalten Alle drei Systeme benennen parallele Tanten und Onkeln wie Vater und Mutter deren Sohne und Tochter tragen ebenso pro Geschlecht einen gemeinsamen Terminus Die Unterscheidung erfolgt anhand der Kreuz Cousins und Cousinen Iroquoitypus gleicher Terminus fur Mutterbrudersohn tochter und Vaterschwestersohn tochterBei Crow und Omahatypus kommt es zur Schragstellung von Generationen Ein Terminus kann in verschiedenen Generationen auftreten Bei beiden Typen ist daruber hinaus das Geschlecht des Sprechers ausschlaggebend hier aus mannlicher Sicht dargelegt Crowtypus Fur die Kinder der Vaterschwestern wird ebenfalls der Terminus Vater bruder oder Vaterschwester verwendet fur matrilaterale Kreuzcousinen verwendet ein mannliches Ego denselben Terminus wie fur seine Kinder nbsp Schematische Darstellung des OmahatypusOmahatypus Mutterbruderkinder werden wie die Mutter schwester oder ein Mutterbruder bezeichnet Patrilaterale Kreuzcousinen werden wie Neffen und Nichten bezeichnet Bei 597 in Marvin Harris ethnographischen Atlas untersuchten Gesellschaften verwenden 251 das Hawaiisystem 166 das Iroquoisystem 102 ein Crow Omahasystem 71 das Eskimosystem nur 7 den Sudantypus Dravidisches verwandtschaftsterminologisches System Bearbeiten Als siebtes System neben den sechs von Murdock beschriebenen entdeckte Louis Dumont 1953 einen dravidischen Typus der 1964 von Floyd Lounsbury endgultig als eigenstandig identifiziert wurde zuvor war er dem Iroquoi Typus zugerechnet worden In diesem System ist die gerade oder ungerade Anzahl von verbindenden mannlichen Verwandten zu Cousinen und Grosscousinen von Signifikanz Kriterien Bearbeiten Alfred Kroeber erkannte als erster dass die ledigliche Unterscheidung von linealen und kollateralen Verwandten wie bei Morgan nicht ausreicht um eine ausreichende Differenzierung vorzunehmen Seine Forschungen fuhrten zu einer Liste von acht Kriterien die in einer jeweiligen Gesellschaft entweder angewandt werden und dadurch zu einer unterschiedlichen Benennung von Verwandten fuhren oder nicht und somit verschiedene Verwandtschaftstypen terminologisch verschmelzen Kriterien dieselbe oder eine andere Generation blutsverwandt oder angeheiratet Affinitat lineare oder kollaterale Verwandtschaft relatives Alter innerhalb einer Generation anderer Terminus fur altere oder jungere Bruder Geschlecht mannl weibl des Verwandten Geschlecht mannl weibl des Sprechers Geschlecht des verbindenden Verwandten Bifurkation Tot oder Lebendstatus des verbindenden Verwandten Polaritat Verwandte verschiedener Generationen bezeichnen sich gegenseitig mit demselben Terminus oder nichtSiehe auch BearbeitenVerwandtschaftssysteme Verwandtschaftsbezeichnungen in Moieties Erblinien EthnosoziologieLiteratur BearbeitenClaude Levi Strauss Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft Aus dem Franzosischen von Eva Moldenhauer 3 Auflage Suhrkamp Frankfurt M 2009 ISBN 3 518 28644 7 franzosische Erstausgabe 1948 Levi Strauss 1908 2009 war Ethnologe Begrunder des ethnologischen Strukturalismus und fruher Vertreter einer Ethnosoziologie George P Murdock Social Structure Macmillan New York 1949 englisch Floyd G Lounsbury A Formal Account of the Crow and Omaha Type Kinship Terminologies In Ward H Goodenough Hrsg Explorations in Cultural Anthropology Essays in Honor of George Peter Murdock McGraw Hill New York 1964 S 351 393 englisch P Kay On the multiplicity of cross parallel distinctions In American Anthropologist Band 69 1967 S 83 85 englisch M V Kryukov Historical Interpretation of Kinship Terminology Institute of Ethnography USSR Academy of Sciences Moskau 1968 englisch Marvin Harris Culture Man and Nature An Introduction to General Anthropology New York 1971 englisch Harold W Scheffler Dravidian Iroquois The Melanesian Evidence In L R Hiatt E Jayawardena Hrsg Anthropology in Oceania Angus and Robertson Sydney 1971 S 231 254 englisch B Pasternak Introduction to Kinship and Social Organization Prentice Hall Englewood Cliffs 1976 englisch Franklin E Tjon Sie Fat More Complex Formulae of Generalized Exchange In Current Anthropology Jahrgang 22 Heft 4 1981 S 377 399 englisch B Pasternak M Ember C Ember Sex Gender and Kinship A Cross Cultural Perspective Prentice Hall Upper Saddle River 1997 englisch Weblinks BearbeitenGabriele Rasuly Paleczek Einfuhrung in die Ethnosoziologie Teil 1 2 PDF 250 kB Institut fur Kultur und Sozialanthropologie Universitat Wien 2006 S 12 82 archiviert vom Original am 1 Oktober 2008 abgerufen am 13 Marz 2020 82 Seiten ohne Seitenzahlen und Abbildungen Unterlagen zu ihrer Vorlesung im Sommersemester 2006 Hans Rudolf Wicker Verwandtschaft als primare Form von sozialer Organisation PDF 387 kB 47 S In Leitfaden fur die Einfuhrungsvorlesung in Sozialanthropologie 1995 2012 Institut fur Sozialanthropologie Universitat Bern 31 Juli 2012 S 2 17 Brian Schwimmer Kinship Terminologies In Tutorial Kinship and Social Organization Department of Anthropology University of Manitoba Kanada 2003 abgerufen am 13 Marz 2020 englisch umfangreiches Verwandtschaftstutorial Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Verwandtschaftsterminologie amp oldid 216031609