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Der Begriff der stochastischen Differentialgleichung Abkurzung SDGL oder englisch SDE fur stochastic differential equation ist in der Mathematik eine Verallgemeinerung des Begriffs der gewohnlichen Differentialgleichung auf stochastische Prozesse Stochastische Differentialgleichungen werden in zahlreichen Anwendungen eingesetzt um zeitabhangige Vorgange zu modellieren die neben deterministischen Einflussen zusatzlich stochastischen Storfaktoren Rauschen ausgesetzt sind Die mathematische Formulierung des Problems stellte die Mathematiker vor grosse Probleme und so wurde die formale Theorie der stochastischen Differentialgleichungen erst in den 1940er Jahren durch den japanischen Mathematiker Itō Kiyoshi formuliert Gemeinsam mit der stochastischen Integration begrundet die Theorie der stochastischen Differentialgleichungen die stochastische Analysis Stochastische Differentialgleichungen sind im Allgemeinen keine Differentialgleichungen und zu unterscheiden von den zufalligen Differentialgleichungen RDE fur englisch random differential equations Letztere besitzen differenzierbare Pfade Inhaltsverzeichnis 1 Von der Differential zur Integralgleichung 2 Die Formulierung 2 1 Itōsche Differentialgleichung 2 2 Auf Mannigfaltigkeiten 3 Existenz und Eindeutigkeit 3 1 Allgemeine Situation lokale Lipschitz Bedingung und Maximallosungen 4 Beispiele 5 Losen von stochastischen Differentialgleichungen und Simulation der Losungen 6 Stochastische Delay Differentialgleichungen 7 Siehe auch 8 Literatur 9 EinzelnachweiseVon der Differential zur Integralgleichung BearbeitenGenau wie bei deterministischen Funktionen mochte man auch bei stochastischen Prozessen den Zusammenhang zwischen dem Wert der Funktion und ihrer momentanen Anderung ihrer Ableitung in einer Gleichung formulieren Was im einen Fall zu einer gewohnlichen Differentialgleichung fuhrt ist im anderen Fall problematisch da viele stochastische Prozesse wie beispielsweise der Wiener Prozess nirgends differenzierbar sind Jedoch lasst sich eine gewohnliche Differentialgleichung d y t d t f t y t displaystyle frac rm d y t rm d t f t y t nbsp immer auch aquivalent als Integralgleichung y t y t 0 t 0 t f t y t d t displaystyle y t y t 0 int t 0 t f tau y tau rm d tau nbsp schreiben die ohne explizite Erwahnung der Ableitung auskommt Bei stochastischen Differentialgleichungen geht man nun den umgekehrten Weg d h man definiert den Begriff mit Hilfe der zugehorigen Integralgleichung Die Formulierung BearbeitenGegeben sei ein filtrierter Wahrscheinlichkeitsraum W F P F F t t 0 displaystyle Omega mathcal F P mathbb F mathcal F t t geq 0 nbsp der die ublichen Bedingungen erfullt und die mit Lin R n R d displaystyle operatorname Lin mathbb R n mathbb R d nbsp bezeichnete Gesamtheit aller linearen Abbildungen von R n displaystyle mathbb R n nbsp nach R d displaystyle mathbb R d nbsp Itōsche Differentialgleichung Bearbeiten Seien zwei stetige Funktionen a R d R R d displaystyle a colon mathbb R d times mathbb R to mathbb R d nbsp s R d R Lin R n R d displaystyle sigma colon mathbb R d times mathbb R to operatorname Lin mathbb R n mathbb R d nbsp sowie eine F displaystyle mathbb F nbsp adaptierte n displaystyle n nbsp dimensionale brownsche Bewegung W t t 0 displaystyle W t t geq 0 nbsp gegeben Die dazugehorige stochastische Integralgleichung X t X 0 0 t a X s s d s 0 t s X s s d W s displaystyle X t X 0 int 0 t a X s s rm d s int 0 t sigma X s s rm d W s nbsp wird durch Einfuhrung der Differentialschreibweise d X t a X t t d t s X t t d W t displaystyle rm d X t a X t t rm d t sigma X t t rm d W t nbsp zur stochastischen Differentialgleichung Durch die Substitution Y t t W t T displaystyle Y t t W t T nbsp lasst sich die Gleichung auch verkurzt aufschreiben Das erste Integral ist als Lebesgue Integral und das zweite als Itō Integral zu lesen Zu gegebenen Funktionen a displaystyle a nbsp und s displaystyle sigma nbsp auch als Drift und Diffusionskoeffizient bezeichnet und einer brownschen Bewegung W t displaystyle W t nbsp wird hier also ein d displaystyle d nbsp dimensionaler Prozess X t displaystyle X t nbsp gesucht der die obige Integralgleichung erfullt Dieser Prozess ist dann eine Losung der obigen SDGL Um den infinitesimalen Generator zu berechnen wendet man die Itō Formel an und integriert dann Auf Mannigfaltigkeiten Bearbeiten Hauptartikel Stochastische Analysis auf Mannigfaltigkeiten Stochastische Differentialgleichungen konnen auch allgemeiner auf Mannigfaltigkeiten betrachtet werden diese sind Untersuchungsgegenstand der stochastischen Differentialgeometrie Eine SDGL auf einer Mannigfaltigkeit M displaystyle M nbsp ist ein Paar A Z displaystyle A Z nbsp wobei Z Z t t R displaystyle Z Z t t in mathbb R nbsp ein stetiges Semimartingal auf einem endlichdimensionalen R displaystyle mathbb R nbsp Vektorraum E displaystyle E nbsp ist A M E T M displaystyle A M times E to TM nbsp ein Homomorphismus von Vektorbundeln uber M displaystyle M nbsp A x e A x e displaystyle A x e mapsto A x e nbsp dd ist wobei A x E T M displaystyle A x E to TM nbsp eine lineare Abbildung bezeichnet Die stochastische Differentialgleichung A Z displaystyle A Z nbsp notieren wir als Fisk Stratonowitsch Integral d X t A X t d Z t displaystyle dX t A X t circ dZ t nbsp Existenz und Eindeutigkeit BearbeitenIst A displaystyle A nbsp eine beliebige auf demselben Wahrscheinlichkeitsraum wie W displaystyle W nbsp definierte Zufallsvariable so wird aus der obigen SDGL durch Hinzufugen der Bedingung X 0 A displaystyle X 0 A nbsp fast sicher ein stochastisches Anfangswertproblem als Pendant zum Anfangswertproblem fur gewohnliche Differentialgleichungen Auch zum Existenz und Eindeutigkeitssatz von Picard und Lindelof findet sich hier eine Entsprechung wenn die folgenden drei Eigenschaften erfullt sind A L 2 P displaystyle A in L 2 P nbsp d h A displaystyle A nbsp hat endliche Varianz Lipschitz Bedingung Es gibt eine Konstante K 0 displaystyle K geq 0 nbsp sodass fur alle x y R displaystyle x y in mathbb R nbsp und alle t 0 displaystyle t geq 0 nbsp gilt a x t a y t b x t b y t K x y displaystyle a x t a y t b x t b y t leq K x y nbsp dd Lineare Beschranktheit Es gibt eine Konstante C 0 displaystyle C geq 0 nbsp sodass fur alle x R displaystyle x in mathbb R nbsp und alle t 0 displaystyle t geq 0 nbsp gilt a x t b x t C 1 x displaystyle a x t b x t leq C 1 x nbsp dd Dann besitzt das Anfangswertproblem eine bis auf fast sichere Gleichheit eindeutige Losung X displaystyle X nbsp die zudem zu jedem Zeitpunkt t displaystyle t nbsp endliche Varianz besitzt Allgemeine Situation lokale Lipschitz Bedingung und Maximallosungen Bearbeiten Wir betrachten die allgemeine Form einer stochastischen Differentialgleichung d Y t a t Y t d X t displaystyle mathrm d Y t alpha t Y t mathrm d X t nbsp wobei X displaystyle X nbsp ein stetiges Semimartingal in R n displaystyle mathbb R n nbsp und Y displaystyle Y nbsp ein stetiges Semimartingal in R d displaystyle mathbb R d nbsp ist a R U Lin R n R d displaystyle alpha mathbb R times U to operatorname Lin mathbb R n mathbb R d nbsp ist eine Abbildung von einer nichtleeren offenen Menge U R d displaystyle U subset mathbb R d nbsp wobei Lin R n R d displaystyle operatorname Lin mathbb R n mathbb R d nbsp der Raum aller linearen Abbildungen von R n displaystyle mathbb R n nbsp nach R d displaystyle mathbb R d nbsp ist Ob die Losung der Gleichung explodiert oder nicht hangt von der Wahl der Funktion a displaystyle alpha nbsp ab Deshalb fuhren wir nun eine lokale Lipschitz Bedingung fur a displaystyle alpha nbsp ein Fur t 0 displaystyle t geq 0 nbsp eine kompakte Menge K U displaystyle K subset U nbsp und eine Konstante L t K displaystyle L t K nbsp sei a s y a s x L t K y x x y K 0 s t displaystyle alpha s y alpha s x leq L t K y x quad x y in K 0 leq s leq t nbsp wobei displaystyle cdot nbsp die euklidische Norm bezeichnet Diese Bedingung garantiert die Existenz und Eindeutigkeit einer Maximallosung Sei nun a displaystyle alpha nbsp stetig und erfulle die oben genannte lokale Lischpitz Bedingung weiter sei F W U displaystyle F Omega to U nbsp eine Initialbedingung das heisst eine messbare Funktion bezuglich der Initial s Algebra F 0 displaystyle mathcal F 0 nbsp Sei z W R displaystyle zeta Omega to overline mathbb R nbsp ein vorhersehbare Stoppzeit mit z gt 0 displaystyle zeta gt 0 nbsp fast sicher Ein U displaystyle U nbsp wertiges Semimartingal Y t t lt z displaystyle Y t t lt zeta nbsp heisst Maximallosung von d Y t a t Y d X t Y 0 F displaystyle dY t alpha t Y dX t quad Y 0 F nbsp mit Lebenszeit z displaystyle zeta nbsp falls fur eine und somit fur alle ankundigende Stoppzeiten z n z displaystyle zeta n nearrow zeta nbsp der gestoppte Prozess Y z n displaystyle Y zeta n nbsp eine Losung der gestoppten stochastischen Differentialgleichungd Y a t Y d X z n displaystyle dY alpha t Y dX zeta n nbsp dd ist auf z lt displaystyle zeta lt infty nbsp fast sicher Y t U displaystyle Y t to partial U nbsp mit t z displaystyle t to zeta nbsp gilt 1 z displaystyle zeta nbsp nennt man auch Explosionszeit Beispiele BearbeitenDie SDGL fur die geometrische brownsche Bewegung lautet d S t r S t d t s S t d W t displaystyle rm d S t rS t rm d t sigma S t rm d W t nbsp Sie wird beispielsweise im Black Scholes Modell zur Beschreibung von Aktienkursen verwendet Die SDGL fur einen Ornstein Uhlenbeck Prozess ist d X t 8 m X t d t s d W t displaystyle mathrm d X t theta mu X t mathrm d t sigma mathrm d W t nbsp Sie wird unter anderem im Vasicek Modell zur finanzmathematischen Modellierung von Zinssatzen uber den Momentanzins verwendet Die SDGL fur den Wurzel Diffusionsprozess nach William Feller lautet d X t k 8 X t d t s X t d W t displaystyle rm d X t kappa theta X t rm d t sigma sqrt X t rm d W t nbsp Kardar Parisi Zhang Gleichung Dysons brownsche Bewegung Tsirelsons stochastische DifferentialgleichungLosen von stochastischen Differentialgleichungen und Simulation der Losungen BearbeitenGenau wie bei deterministischen gibt es auch bei stochastischen Differentialgleichungen keinen allgemeinen Ansatz zur Ermittlung der Losung In manchen Fallen wie bei der oben erwahnten Black Scholes SDGL deren Losung eine geometrische brownsche Bewegung ist ist es auch hier moglich die Losung zu erraten und durch Ableiten zu verifizieren wobei das Differenzieren hier mit Hilfe der Itō Formel erfolgt Die Losungen einer stochastischen Differentialgleichung sind wiederum in starke und schwache Losungen unterteilt Der Unterschied liegt darin dass bei einer starken Losung mit Initialwert x 0 displaystyle x 0 nbsp der Wahrscheinlichkeitsraum und die brownsche Bewegung schon a priori gegeben sind bei der schwachen Losung konnen diese selber gewahlt werden und es muss nur P X 0 1 m displaystyle P circ X 0 1 mu nbsp fur ein gegebenes m displaystyle mu nbsp gelten In den meisten Fallen die in der Praxis auftauchen wie zum Beispiel auch im Fall des Wurzel Diffusionsprozesses ist jedoch keine geschlossene Form der Losung zu erreichen Doch ist man zumeist auch nur daran interessiert Zufallspfade der entsprechenden Losung zu simulieren Dies kann approximativ durch numerische Diskretisierungsverfahren erreicht werden etwa durch das Euler Maruyama Schema das dem expliziten Euler Verfahren fur gewohnliche Differentialgleichungen nachempfunden ist oder das Milstein Verfahren Stochastische Delay Differentialgleichungen BearbeitenBei einer stochastischen Delay Differentialgleichung SDDE stochastic delay differential equation hangt der zukunftige Zuwachs nicht nur von dem derzeitigen Zustand sondern auch von den Zustanden in einem davorliegenden beschrankten Zeitintervall ab Existenz und Eindeutigkeit sind unter ahnlichen Bedingungen wie in normalen SDGLs gegeben Seien f 0 C r 0 R d R d displaystyle f colon 0 infty times C r 0 mathbb R d to mathbb R d nbsp g 0 C r 0 R d R d m displaystyle g colon 0 infty times C r 0 mathbb R d to mathbb R d times m nbsp stetig r gt 0 displaystyle r gt 0 nbsp und W displaystyle W nbsp sei eine m dimensionale Brownsche Bewegung Dann ist eine stochastische Delay Differentialgleichung eine Gleichung der Form X t X 0 0 t f t X t d t 0 t g t X t d W t displaystyle X t X 0 int 0 t f tau X tau rm d tau int 0 t g tau X tau rm d W tau nbsp wobei X t s X t s s r 0 displaystyle X t s X t s forall s in r 0 nbsp Die dazugehorige Differentialschreibweise lautet dann d X t f t X t d t g t X t d W t displaystyle rm d X t f t X t rm d t g t X t rm d W t nbsp Siehe auch BearbeitenLangevin GleichungLiteratur BearbeitenBernt Oksendal Stochastic Differential Equations An Introduction with Applications 6 Auflage Springer Berlin 2003 ISBN 3 540 04758 1 Philip E Protter Stochastic Integration and Differential Equations Springer Berlin 2003 ISBN 3 540 00313 4 Einzelnachweise Bearbeiten Wolfgang Hackenbroch und Anton Thalmaier Stochastische Analysis Eine Einfuhrung in die Theorie der stetigen Semimartingale Hrsg Vieweg Teubner Verlag Wiesbaden ISBN 978 3 519 02229 9 S 297 299 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Stochastische Differentialgleichung amp oldid 238525834