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Als Sozialisierungsbewegung im Ruhrgebiet wird eine Reihe von Streikbewegungen im Jahr 1919 bezeichnet deren Ziel die Verstaatlichung der Montanindustrie war Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 2 Januarstreik 3 Sozialisierungsmodell 4 Verhandlungen mit der Reichsregierung 5 Februarstreik 6 Aprilstreik 7 Folgen 8 Einzelnachweise 9 LiteraturVorgeschichte BearbeitenIm Zuge der Novemberrevolution fasste ein Reichsratekongress der auf Initiative des Vollzugsrates des Arbeiter und Soldatenrates Gross Berlin aus Wahlen lokaler Soldaten und Arbeiterrate im Deutschen Reich hervorgegangen war den Beschluss grosse Industriebetriebe insbesondere den Bergbau zu sozialisieren Der Rat der Volksbeauftragten tat in den darauf folgenden Wochen allerdings wenig zur Umsetzung dieses Beschlusses er richtete nur eine Sozialisierungskommission ein Im Ruhrgebiet verstarkte sich aus diesem Grund die Unzufriedenheit Dort hatte es bereits seit Dezember 1918 vorwiegend okonomisch motivierte Streiks gegeben In Hamborn wurde am 21 Dezember 1918 zwar auch die Sozialisierung gefordert diese Forderung trat aber bald wieder hinter Forderungen nach Arbeitszeitverkurzungen und Lohnerhohungen zuruck Januarstreik BearbeitenIm Januar kam es zu einer Politisierung der Ausstande Einer der Ausloser dafur war der Berliner Januaraufstand Allerdings waren die Ziele unterschiedlich Wahrend es in Berlin um den Sturz der Regierung ging kampften die Streikenden im Ruhrgebiet fur die Umsetzung des Beschlusses des Reichsratekongresses Am 11 Januar 1919 beteiligten sich etwa 80 000 Arbeiter die Mehrheit von ihnen Bergarbeiter an der Streikbewegung Viele der Streikenden standen anfangs teilweise dem Syndikalismus nahe der um Hamborn eine Hochburg hatte In dieser Situation ubernahm der Arbeiter und Soldatenrat der Stadt Essen die Koordination und Leitung Aus Vertretern von KPD USPD und MSPD wurde dazu die so genannte Neunerkommission gebildet Vorsitzender war der Landrichter Ernst Ruben MSPD Neben der Durchsetzung der Sozialisierung ging es der Neunerkommission auch darum die Kontrolle uber die spontan entstandene Bewegung zuruckzugewinnen und die befurchtete wirtschaftliche Katastrophe zu verhindern In gewisser Weise verstand sich die Gruppe als Stellvertreter fur die Reichsleitung die die Stimmung der Arbeiter nicht kannte und im Revier wegen der Berliner Januarkampfe nicht handlungsfahig war Die Neunerkommission ordnete die Besetzung der Buros des Kohlesyndikats an und beschloss eine Preis und Lohnkontrolle Ausserdem wurde ein Volkskommissar fur die Sozialisierung eingesetzt Die Neunerkommission forderte die Streikenden allerdings auch auf die Arbeit wieder aufzunehmen Sozialisierungsmodell BearbeitenDas Sozialisierungsmodell der Neunerkommission stammte nicht von Anhangern des Syndikalismus Es wies jedoch starke syndikalistische Elemente auf staatssozialistische Vorstellungen waren in diesem Modell nachrangig Die Bergarbeiter wahlten Steigerrevierrate diese wiederum wahlten Zechenrate Letztere bestanden aus einem technischen und einem kaufmannischen Angestellten sowie drei Belegschaftsmitgliedern Die nachsthohere Stufe waren Bergrevierrate An der Spitze stand der Zentralzechenrat Zur Wahl der Rate riefen nicht nur der freigewerkschaftliche Alte Verband sondern auch die liberalen christlichen und polnischen Bergarbeiterverbande im Revier auf Bislang hatten die Gewerkschaften eine Sozialisierung abgelehnt An eine unmittelbare Verstaatlichung der Zechen war nicht gedacht es ging um die Erlangung wirtschaftlicher Kontrollrechte Julian Marchlewski KPD auch als Karski bekannt formulierte als volkswirtschaftlicher Berater der Neunerkommission Die Bergarbeiter sind denn auch bereit das Joch des Privatkapitals noch eine Zeitlang zu dulden aber sie bestehen darauf dass das Recht der Kontrolle das in ihrem Interesse wie im Interesse der Allgemeinheit absolut notwendig ist sofort eingefuhrt werden muss Dieser Kontrolle und nur dieser Kontrolle sollen die Rate dienen 1 Verhandlungen mit der Reichsregierung BearbeitenAm 13 Januar 1919 tagten die Delegierten samtlicher Arbeiter und Soldatenrate aus dem rheinisch westfalischen Industriegebiet Auch Abgesandte der Reichsregierung und Gewerkschaftsvertreter waren an den Verhandlungen beteiligt Zudem waren Otto Hue der Vorsitzende des Alten Verbandes sowie der Unterstaatssekretar des Reichsarbeitsministeriums Johannes Giesberts Zentrum anwesend Die Delegierten beschlossen einstimmig mit der Sozialisierung des Bergbaus sofort zu beginnen Daraufhin kehrten die meisten Streikenden an die Arbeit zuruck Die Beschlusse konnten aber nur Bestand haben wenn die Reichsregierung sie anerkannten Daraufhin reiste eine Delegation der Neunerkommission nach Berlin und verhandelte am 17 Januar mit der Regierung Der Rat der Volksbeauftragten erfullte die konkreten Forderungen nicht Stattdessen bekannte er sich in einer abstrakten Form zur gesetzlichen Regelung einer umfassenden Beeinflussung des gesamten Kohlebergbaus durch das Reich und zur Festlegung der Beteiligung der Volksgesamtheit an den Ertragen Sozialisierung 2 Des Weiteren ernannte die Reichsregierung neben der bestehenden Sozialisierungskommission drei Sozialisierungskommissare fur das Revier Bergrat Rohrig den Generaldirektor der Deutsch Luxemburgische Bergwerks und Hutten AG Albert Vogler sowie Otto Hue Zugestanden wurde zwar auch die Wahl von Raten allerdings ohne die von der Neunerkommission vorgesehenen weitreichenden Kontrollrechte Die Neunerkommission akzeptierte nur Teile der Regierungsmassnahmen So verzichtete sie auf die Ernennung eines Volkskommissars gleichzeitig bestand sie auf ihrer eigenen Anerkennung und forderte bis zum 15 Februar 1919 die Anerkennung des wirtschaftlichen Ratesystems Verhandlungen am 13 und 14 Februar brachten in den Hauptfragen kaum Annaherungen Februarstreik BearbeitenNachdem der Kommandierende General Oskar von Watter vorher das Einverstandnis Gustav Noskes eingeholt hatte liess er am 11 Februar 1919 den Generalsoldatenrat durch das Freikorps Lichtschlag auflosen und dessen anwesende Mitglieder verhaften Nach blutigen Kampfen besetzte das Freikorps am 14 Februar dann den Ort Dorsten Am selben Tag forderten Vertreter der Arbeiter und Soldatenrate die Wiedereinsetzung des Soldatenrates in Munster und stellten der Regierung ein Ultimatum bis zum 17 Februar Am 16 Februar ruckte des Freikorps auf Watters Befehl hin zu einer Befriedigungsaktion gegen Hervest aus Die hier beginnende Blutspur brachte der Formation den Namen Freikorps Totschlag ein 3 Schon am 16 Februar beschloss eine Konferenz von Arbeiterraten in Mulheim an der Ruhr den Generalstreik Syndikalisten und Kommunisten beherrschten die Versammlung Die eigentliche Entscheidung sollte dabei am 18 Februar auf einer Gesamtkonferenz der Arbeiter und Soldatenrate fallen Die Mehrheitssozialdemokraten hatten zwar auch mit dem Generalstreik gedroht sie wollten ein Bundnis mit Syndikalisten und Kommunisten allerdings nicht mittragen Ihre Delegierten sprachen sich gegen den Generalstreik aus verliessen die Konferenz und erklarten den Austritt der MSPD aus der Neunerkommission Die Vertreter von USPD und KPD bekraftigten den Beschluss zum Generalstreik An diesem Generalstreik beteiligten sich etwa 180 000 Arbeiter Dies entsprach etwa der Halfte der Belegschaft des Ruhrbergbaus Freikorps und streikenden Arbeiter lieferten sich teilweise blutige Auseinandersetzungen Am 21 Februar 1919 beschloss eine Delegiertenkonferenz an der nun auch wieder MSPD Vertreter beteiligt waren das Ende des Generalstreiks Unter den radikaleren Kraften verstarkte sich der Unmut uber die MSPD und die in der Sozialisierungsfrage tatenlose Regierung unter Philipp Scheidemann Aprilstreik BearbeitenIn der Folgezeit verlor die Forderung nach der Sozialisierung im Revier etwas an Bedeutung wichtiger wurden erneut Lohn und Arbeitszeitfragen Gleichzeitig nahm der Einfluss der radikalen Syndikalisten zu Blutige Kampfe zwischen Arbeitern und Angehorigen von Freikorps in Witten am 24 und 25 Marz losten eine dritte Phase der grossen Streiks im Revier aus Die Folge war eine neue Streikwelle zwischen Bochum und Dortmund Zu den nun aufgestellten Forderungen gehorten die Anerkennung der Rate die Auflosung der Freikorps und die Einfuhrung von Sechsstundenschichten im Bergbau Hinzu kam das Verlangen nach Anerkennung der Hamburger Punkte zur Militarpolitik wie sie der Reichsratekongress beschlossen hatte und nach Entwaffnung der Polizei Am 30 Marz 1919 trat eine Schachtdelegiertenkonferenz in Essen zusammen Die Verhandlung wurde von Vertretern der KPD und der Syndikalisten beherrscht Sie beschloss den Austritt aus den etablierten Gewerkschaften und die Grundung einer Allgemeinen Bergarbeiterunion An die Stelle der Neunerkommission trat ein Zentralzechenrat Ausserdem wurde ein unbefristeter Generalstreik beschlossen Am 1 April waren etwa 160 000 Bergarbeiter im ganzen Ruhrgebiet in den Ausstand getreten der Hohepunkt war am 10 April mit 307 000 Streikenden erreicht was drei Viertel der Belegschaften entsprach Am Streik beteiligten sich damit deutlich mehr Personen als nur die Syndikalisten und Anhanger der radikaleren Linksparteien Am Ausstand nahmen nunmehr auch viele MSPD Anhanger aktiv teil Die Behorden reagierten mit der Verhangung des Belagerungszustandes und kundigten zur Durchsetzung des Streikendes im volkswirtschaftlich zentralen Kohlebergbau den Einsatz von Militar an General Oskar von Watter dem militarischen Befehlshaber wurde der Bielefelder SPD Politiker Carl Severing als Reichs und Staatskommissar an die Seite gestellt Dadurch sollte die militarische Gewalt auf ein Mindestmass beschrankt werden In seinem Aufruf vom 8 April 1919 liess Severing verlauten er wolle als Arbeitervertreter zu den Arbeitern reden und als Arbeiter fur die Arbeiter handeln Die von ihm getroffenen Entscheidungen zielten nach Severing nicht in erster Linie auf gewaltsamer Unterdruckung ab Sie sollten stattdessen eine Verstandigung mit den streikenden Arbeitern erreichen und vorhandene Harten und Missstande abstellen Gewalt solle nur dort angewandt werden wo diese von unverantwortlichen Elementen provoziert wurden 4 Mit Zugestandnissen aber auch mit harten Druck mit Verhaftungen von Streikfuhrern und der Gewahrung von Sonderrationen fur Arbeitswillige versuchte Severing gegen den Ausstand vorzugehen Seine Politik zeigte Erfolg die Zahl der Streikenden ging seit dem 14 April 1919 stetig zuruck Einen Ruckschlag brachte am 15 April ein Ubergriff durch Soldaten des Freikorps Lichtschlag die im Kreis Mettmann in eine Versammlung Streikender schossen Daraufhin beschloss eine Streikkonferenz die Fortsetzung des Streiks Noch am 24 April streikte etwa ein Drittel der Belegschaften erst am 2 Mai 1919 war der Streik endgultig beendet Folgen BearbeitenIn der Folge des Streiks verloren die Gewerkschaften zahlreiche Mitglieder an die neue kommunistische Allgemeine Bergarbeiterunion und an die syndikalistische Freie Arbeiter Union Deutschlands Insbesondere jungere Arbeiter schlossen sich diesen neuen Organisationen an Allein der freigewerkschaftliche Verband verlor ein Drittel in einigen Orten sogar die Halfte der Mitglieder Innerhalb des alten Verbandes gewann die Opposition die meist der USPD nahestand an Einfluss Einzelnachweise Bearbeiten Zit nach Winkler Von der Revolution zur Stabilisierung 1984 S 171 Zit nach Winkler Von der Revolution zur Stabilisierung 1984 S 167 f Wolfgang Niess Die Revolution von 1918 19 Europa Verlag 2017 ISBN 978 3 95890 074 5 S 353 354 Winkler Von der Revolution zur Stabilisierung 1984 S 174 dort auch die Severing Zitate Literatur BearbeitenAxel Kuhn Die Deutsche Arbeiterbewegung Stuttgart 2004 ISBN 3 15 017042 7 S 156 158 Holger Marcks Als die Gruben in Proletenhand Die Streikbewegung 1919 im Ruhrgebiet In Holger Marcks Matthias Seiffert Hrsg Die grossen Streiks Episoden aus dem Klassenkampf Unrast Verlag Munster 2008 ISBN 978 3 89771 473 1 S 34 38 Heinrich August Winkler Von der Revolution zur Stabilisierung Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1918 bis 1924 Berlin Bonn 1984 ISBN 3 8012 0093 0 S 158 175 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Sozialisierungsbewegung im Ruhrgebiet amp oldid 237946525