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Die Rentenreform von 1957 war eine wesentliche Anderung der gesetzlichen Rentenversicherung in West Deutschland Zur Situation in der damaligen DDR siehe Sozialversicherung des Freien Deutschen Gewerkschaftsbunds und Staatliche Versicherung der DDR Das bisherige Kapitaldeckungsverfahren wurde zu Gunsten des Umlageverfahrens aufgegeben die Rentenhohe spurbar erhoht und die dynamische Anpassung der Rentenhohe an die Bruttolohnentwicklung eingefuhrt Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die Kapitalbasis der Rentenversicherung weitgehend zerstort Das Rentenniveau war demzufolge niedrig Altersarmut weit verbreitet Gleichzeitig fuhrte das Wirtschaftswunder zu stark steigenden Lohnen wodurch die Einkommensunterschiede zwischen der arbeitenden Bevolkerung und den Rentnern immer grosser wurden Dieser Unterschied zwischen Lohn und Rentenempfangern konnte mit der Reform wesentlich verkleinert werden Rentnern wurde die Moglichkeit eroffnet ebenfalls am Wirtschaftsaufschwung teilzuhaben und selbst ohne familiare Unterstutzung im Alter ihren Lebensunterhalt bestreiten zu konnen Inhaltsverzeichnis 1 Historischer Hintergrund 2 Der Weg zur Reform von 1957 3 Die Reform und ihre Massnahmen 4 Literatur 5 EinzelnachweiseHistorischer Hintergrund BearbeitenSeit der zweiten Halfte des 19 Jahrhunderts gab es Bemuhungen des Staates die arbeitende Bevolkerung bei alters oder krankheitsbedingtem Arbeits und damit Einkommensausfall zu unterstutzen und sie gegen Armut und sozialen Absturz abzusichern Mit dem Beginn der sozialen Marktwirtschaft in den 1950er Jahren wurde diese soziale Unterstutzung des Staates immer wichtiger Die erste Sozialgesetzgebung in Deutschland gab es unter Otto von Bismarck 1 Neben einem Gesetz zur Krankenversicherung 1883 und einem Gesetz zur Unfallversicherung 1884 wurde unter ihm im Jahre 1889 ein Gesetz uber die Invaliden und Altersversicherung verabschiedet Dieses Gesetz trat 1891 in Kraft Davor waren Arbeiter bei ihrer Altersversorgung auf sich allein gestellt Die beste Altersvorsorge waren viele Kinder die fur ihre Eltern sorgten wenn diese nicht mehr arbeiten konnten Ausserdem gab es bereits seit der Mitte des 19 Jahrhunderts erste Selbsthilfebemuhungen der Arbeiter die in Eigeninitiative Hilfskassen zur Altersversorgung einrichteten Das Bismarcksche Gesetz verhinderte dass Arbeiter die nicht mehr arbeiten konnten vollig auf ein Einkommen verzichten mussten Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlten beide einen festen Prozentsatz des Lohnes in die Versicherung ein solange der Arbeiter beschaftigt wurde Die Rentner bekamen spater einen festen Betrag ausbezahlt abhangig von dem was vorher eingezahlt worden war Die ausgezahlten Rentenbetrage waren jedoch lediglich als Zubrot oder Grundsicherung gedacht und dienten keineswegs zur ausschliesslichen Sicherung des Lebensunterhaltes Die Rentner waren weiterhin auf die Hilfe ihrer Familien oder die eigenen Ersparnisse angewiesen Ausserdem reagierte die Rentenversicherung nicht auf Lohnsteigerungen oder Inflation sodass Rentner in Armut geraten konnten wenn die Preise stiegen 2 Der Weg zur Reform von 1957 BearbeitenDiese Grundzuge des Rentensystems wurden in der Weimarer Republik und der Zeit des Nationalsozialismus fortgefuhrt und galten auch in den ersten Jahren der Bundesrepublik Jedoch wurde schon bald nach 1945 von den Alliierten eine Reform der deutschen Sozialversicherung in Angriff genommen Sie sollte nach dem Beispiel der nach 1945 bereits teilweise in Grossbritannien und Frankreich vorgenommenen Reformen gestaltet werden Jedoch endete dieser Reformanlauf 1948 mit dem Ende der Viermachteverwaltung uber Deutschland Im Zuge der Wahrungsreform vom 20 Juni 1948 legten die westlichen Besatzungsmachte fest dass die Neuordnung der Sozialversicherung von nun an in deutscher Hand lag und dass bis zu einer solchen Reform die Versicherungsleistungen zu demselben Nennbetrag in Deutscher Mark ausgezahlt werden sollten wie sie vorher in Reichsmark gezahlt wurden 3 Dieses Rentenanpassungsgesetz wurde von der deutschen Regierung am 17 Dezember 1948 verabschiedet So wurde zwar das Rentensystem an die neuen Wahrungsverhaltnisse angepasst jedoch gab es keine Reaktion auf die steigenden Lohne und Preise nach 1948 sodass die Renten hinter den Lohnen zuruckblieben 1950 lag die durchschnittliche monatliche Rente von Arbeitern bei 60 50 DM und damit nur gut 10 DM uber der gesetzlichen Mindestrente von 50 DM Dies fuhrte zu einer immer grosseren Unzufriedenheit der Rentner die im Vergleich zur arbeitenden Bevolkerung zusehends verarmten Hinzu kam dass durch Krieg und Kriegsgefangenschaft Rentner in vielen Fallen ohne lebende Kinder dastanden Die Rente die ursprunglich nur als Zuschuss zur familiaren Sicherung im Alter gedacht war war dadurch fur viele Rentner einzige Einkommensquelle zur Existenzsicherung und reichte bei Weitem nicht fur den Lebensunterhalt aus 4 Dies wurde zusatzlich dadurch verstarkt dass auch die privaten Ersparnisse durch Krieg Vertreibung und Inflation weitgehend vernichtet worden waren An dem steilen Wirtschaftsaufschwung der in Deutschland stattfand hatten die Rentner kaum Anteil Um die Rentenhohe zu sichern wurde der Staatszuschuss nach dem Krieg massiv erhoht In mehreren Schritten kam es beginnend mit dem Rentenzulagengesetz 1951 immer wieder zu Rentenerhohungen die jedoch das allgemeine Rentenniveau nicht wesentlich erhohten Vor allem die steigende Unzufriedenheit in der Bevolkerung uber die Verhaltnisse der Rentner bewog die Regierung der neuen Bundesrepublik schliesslich zum Handeln Am 20 Oktober 1953 kundigte Bundeskanzler Konrad Adenauer in einer Regierungserklarung eine umfassende Sozialreform an 5 Dennoch zielte die nachste Massnahme erneut nur auf eine punktuelle Rentenerhohung das Renten Mehrbetragsgesetz vom Oktober 1954 liess die Renten der Invalidenversicherung um durchschnittlich 13 und die Renten der Angestelltenversicherung um durchschnittlich 14 steigen Den Ausschlag fur eine grosse Reform gaben die Ergebnisse einer statistischen Erhebung zur sozialen Lage der Renten und Unterstutzungsempfanger die vom Bundesinnenministerium im August 1954 in Auftrag gegeben worden war und zur Jahreswende 1954 55 veroffentlicht wurde Diese forderte einen Ausbau der Sozialleistungen Bei 13 9 Mio laufenden Renten und Unterstutzungsfallen lag der durchschnittliche Nettobetrag bei 62 90 DM und damit deutlich unter den Fursorge Richtsatzen der Bundesrepublik Viele Haushalte die Rentenversicherungsleistungen bezogen lebten am Existenzminimum Das durchschnittliche Rentenniveau betrug etwa 28 bis 32 der vergleichbaren Lohne und Gehalter was der Situation in der Weimarer Republik entsprach 6 Nominal also ohne Kaufkraftunterschiede zu berucksichtigen waren die Mindestrenten in der Bundesrepublik bis 1957 sogar niedriger als die in der DDR und die Durchschnittsrenten auf demselben Niveau 7 Von nun an wurden der Bundesregierung eine Vielzahl von Planen und Entwurfen fur eine umfassende Sozialreform vorgelegt Einer dieser Vorschlage war der so genannte Schreiber Plan 8 Wilfrid Schreiber war Privatdozent der Nationalokonomie in Bonn sowie Geschaftsfuhrer des Verbandes Katholischer Unternehmer Er ging von drei Pramissen aus zum einen sei das Schutzbedurfnis der Arbeitnehmer in der industriellen Gesellschaft in der Mitte des 20 Jahrhunderts anderer Art als zu Bismarcks Zeiten 9 zweitens trete die Sozialrente nicht mehr erganzend zu anderen Quellen der Alterssicherung auf sondern musse zur Existenzsicherung im Alter ausreichen und ausserdem konnten die Mittel der Altersversorgung nicht langer einem angesparten Deckungsfonds entnommen werden weil dies in volkswirtschaftlicher Betrachtung gar nicht moglich sei sondern mussten aus dem laufenden Sozialprodukt entnommen werden die sogenannte Mackenroth These Hier schlug Schreiber eine so genannte Dynamisierung der Renten vor also eine laufende Anpassung der Renten an die Lohnentwicklung womit die Sozialrentner am wirtschaftlichen Aufschwung automatisch teilnehmen konnten 10 Diese Vorschlage Schreibers zogen die Aufmerksamkeit der Bundesregierung auf sich und wurden in einem Gesetzentwurf zur Neuregelung der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten vom 23 Mai 1956 berucksichtigt Dieser besagte dass die Renten nach dem durchschnittlichen Bruttolohn aller Versicherten im Mittel des vorausgegangenen Dreijahreszeitraums festgesetzt werden sollten Ausserdem sollte alle funf Jahre ein Sozialversicherungsbeirat die Gesamtsituation prufen und eine Empfehlung herausgeben nach der eine Rentenanpassung vorgenommen werden sollte Diese Vorschlage stiessen jedoch auf entschiedene Kritik von Arbeitgeberverbanden Banken sowie von Bundesfinanzminister Fritz Schaffer und Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard Sie befurchteten unter anderem dass eine Dynamisierung der Renten die Inflation fordere und die Investitionstatigkeit insgesamt gehemmt werde 11 Dennoch wurde die Reform angegangen Die Reform und ihre Massnahmen BearbeitenDer Grund dafur dass die Kritiker und Gegner der Reform bei ihrer Umsetzung kaum angehort wurden lag in der anstehenden Bundestagswahl 1957 Umfragen hatten ergeben dass das Ansehen Adenauers und der CDU in der Wahlergunst gesunken war und dass die Oppositionsparteien uber mehr als die Halfte der Stimmen verfugten Vor allem die unpopulare Streitfrage der Wiederaufrustung und die Einfuhrung der Wehrpflicht hatten die Bundesregierung in der Bevolkerung unbeliebt gemacht Es war Adenauer selbst der die Umsetzung der Reform vorantrieb um sie noch vor der Bundestagswahl abzuschliessen 12 Er machte die weit verbreitete Altersarmut zum zentralen Wahlkampfthema Die Rentenreform wurde aufgrund ihrer Popularitat zum Wahlkampfinstrument In der zweiten Halfte des Jahres 1956 beriet die Regierung uber die Inhalte der Reform Am 21 Januar 1957 wurden die Gesetze zur Neuregelung der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten mit den Stimmen von CDU CSU SPD und Freie Volkspartei FVP verabschiedet wahrend sich die Deutsche Partei DP enthielt und die FDP geschlossen dagegen stimmte Am 8 Februar stimmte der Bundesrat den Reformgesetzen zu Tatsachlich bewirkten diese offentlich ausgetragenen Reformbemuhungen einen Stimmungswandel in der Bevolkerung die nunmehr wieder mehrheitlich die Unionsparteien bevorzugten 13 Die Reform brachte eine massive Erhohung der Renten um mehr als 60 Prozent Okonomisch fuhrte diese Verbesserung der Lage der damaligen Rentner zu einem Aufbau einer inharenten Schuld mit der die kunftigen Generationen belastet wurden Dagegen wurde in der politischen Auseinandersetzung der 1950er Jahre die Verantwortung der Generationen fureinander unter dem Stichwort Generationenvertrag betont Dieser Begriff bestimmt heute weiter die Diskussion um die Sicherheit der Sozialrenten Die Hohe der Renten folgte nun in gewissen Abstanden den Lohnen wodurch die Rentner nach dem Ende ihres aktiven Berufslebens weiter am Wirtschaftswachstum teilnehmen konnten In den Jahren 1957 bis 1969 stiegen die Lohne um 115 7 die Renten folgten und stiegen um 110 5 Ein Paradigmenwechsel lag darin dass die Altersrente nicht mehr als Zuschuss zum Unterhalt galt sondern als Lohnersatz und somit allein zur Sicherung des Lebensstandards ausreichen sollte Es wurde festgesetzt dass die Standardrente 60 Prozent der aktuellen durchschnittlichen Bruttobezuge aller Versicherten umfassen sollte so dass kein Absinken des Lebensstandards im Alter zu befurchten war 14 Diese Reform brachte der CDU CSU schliesslich den Wahlsieg Sie trat ruckwirkend ab 1 Januar 1957 in Kraft 15 Entgegen den Befurchtungen ihrer Gegner hatte die Reform keine direkten negativen wirtschaftlichen Folgen Zwar wurde das gesteckte Ziel von 60 Prozent der Bruttolohne nicht erreicht die Standardrente bewegte sich in den folgenden Jahren lediglich zwischen 40 und 50 Prozent dennoch war dies immer noch eine deutliche Steigerung zur Zeit vor der Reform lag die Standardrente 1956 doch noch bei nur 34 5 Prozent Ausserdem trug die Reform wie kein zweites Ereignis dazu bei das Vertrauen der Burger in die westdeutsche Sozialstaatlichkeit wiederherzustellen und den sozialen Frieden dauerhaft zu festigen indem sie der Aussicht auf Armut im Alter ein Ende zu machen versprach 16 Literatur BearbeitenAbelshauser Werner Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945 Munchen 2004 Jecht Horst Rentenreform und wirtschaftliche Entwicklung Probleme und Gefahren Nurnberg 1957 Lilge Herbert Deutschland von 1955 1963 Von den Pariser Vertragen bis zum Ende der Ara Adenauer Hannover 1965 Roth Richard Rentenpolitik in der Bundesrepublik Zum Verhaltnis zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und der Gestaltung eines sozialstaatlichen Teilbereichs 1957 1986 Marburg 1989 Einzelnachweise Bearbeiten Vgl die 40 bandige Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914 von Wolfgang Ayass Florian Tennstedt u a Roth Richard Rentenpolitik in der Bundesrepublik Zum Verhaltnis zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und der Gestaltung eines sozialstaatlichen Teilbereichs 1957 1986 Marburg 1989 S 15 18 Abelshauser Werner Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945 Munchen 2004 S 194 Abelshauser Werner Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945 Munchen 2004 S 194f Lilge Herbert Deutschland von 1955 1963 Von den Pariser Vertragen bis zum Ende der Ara Adenauer Hannover 1965 S 36 Roth Rentenpolitik in der Bundesrepublik S 26 31 Roth Rentenpolitik in der Bundesrepublik S 36 Memorandum von Wilfrid Schreiber Zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung Abelshauser Deutsche Wirtschaftsgeschichte S 195 Abelshauser Deutsche Wirtschaftsgeschichte S 195f Roth Rentenpolitik in der Bundesrepublik S 33ff Abelshauser Deutsche Wirtschaftsgeschichte S 197f Roth Rentenpolitik in der Bundesrepublik S 36 39 Abelshauser Deutsche Wirtschaftsgeschichte S 198 Jecht Horst Rentenreform und wirtschaftliche Entwicklung Probleme und Gefahren Nurnberg 1957 S 28f Lilge Deutschland von 1955 1963 S 37 Abelshauser Deutsche Wirtschaftsgeschichte S 198f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Rentenreform 1957 amp oldid 233330420