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Die Pharmakogenetik befasst sich mit dem Einfluss der unterschiedlichen genetischen Ausstattung von Patienten auf die Wirkung von Arzneimitteln Sie erlaubt Vorhersagen uber die fallspezifische Wirkung eines Arzneimittels was eine naher an den individuellen Bedarf eines Patienten angepasste Dosierung ermoglicht und relative Uberdosierungen vermeiden hilft Forschungsziel ist die genetische Variabilitat der Arzneimittelwirkungen auf breiter Basis aufzuschlusseln um diese Erkenntnisse fur die Arzneimittelentwicklung und zur Individualisierung der Pharmakotherapie einzusetzen Inhaltsverzeichnis 1 Grundlagen 2 Geschichte 3 Stand der Forschung 3 1 Pharmakokinetik 3 2 Pharmakodynamik 4 Klinische Anwendung 4 1 Diagnostik 4 2 Therapie 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseGrundlagen BearbeitenLebewesen verstoffwechseln Fremdstoffe mithilfe komplexer Enzymsysteme Diese variieren von Individuum zu Individuum da die Gene von denen sie sich ableiten in diversen leicht bis stark unterschiedlichen Varianten Polymorphismen auftreten Daraus ergeben sich vorhersagbare Aktivitatseinschrankung bis hin zum volligen Ausfall bei homozygoten Tragern der jeweiligen Gene Besonders einflussreich und deutlich schwieriger einzuschatzen sind Polymorphismen bei Transportproteinen und Zielstrukturen von Medikamenten etwa Rezeptoren oder intrazellulare Molekule der Signaltransduktion und Genregulation Geschichte BearbeitenDie erste Beobachtung eines genetisch begrundeten Unterschiedes in der Wirkung eines Arzneimittels stammt aus den 1950er Jahren und betrifft das fur Narkosen verwandte Muskelrelaxans Suxamethonium In seltenen Fallen 1 3500 bei Menschen weisser Hautfarbe ist die Dauer der durch Suxamethonium verursachten Muskellahmung stark verlangert weil das zum Abbau des Medikaments erforderliche Enzym Pseudocholinesterase verringert ist Die Bezeichnung Pharmakogenetik wurde 1959 von Friedrich Vogel gepragt 1 zu den Mitbegrundern des Faches gehorte ferner Arno Motulsky 2 Stand der Forschung BearbeitenPharmakokinetik Bearbeiten Unterschiede in der Pharmakokinetik eines Arzneimittels fuhren zu unterschiedlichen Konzentrationen von Arzneistoffen und deren Metaboliten im Blut und in den Zielgeweben Unterschieden wird hierbei in die so genannten Phase I und Phase II Reaktionen Phase I Reaktionen beinhalten geringfugige Modifikationen der Molekule Oxidations und Reduktionsreaktionen welche in Phase II Reaktionen durch Konjugationen mit wasserloslichen Saureresten erganzt und so die Arzneistoffe nierengangig gemacht werden Phase I Reaktionen werden meist durch die Familie der Cytochrom P450 Enzyme CYP vermittelt allein funf davon CYP3A4 CYP2D6 CYP2C19 CYP2C9 und CYP1A2 setzen bereits den grossten Teil der lebergangigen Arzneimittel um Fur CYP2D6 und CYP2C19 sind Genvarianten bekannt die deren Synthese verunmoglicht Bei CYP2C9 kann die Aktivitat stark herabgesetzt sein CYP2D6 ist am Stoffwechsel etwa jedes vierten Arzneimittels beteiligt darunter vielen Antidepressiva Neuroleptika Beta Adrenozeptor Antagonisten Antiarrhythmika Antitussiva und Antiemetika Eine genetisch bedingte Defizienz fuhrt zu einer deutlich verlangsamten Elimination aus dem Korper was zu einer relativen Uberdosierung mit den entsprechend verstarkten Nebenwirkungen fuhrt Bei CYP2D6 gibt es zudem sehr selten eine stark erhohte Aktivitat aufgrund einer Genduplikation auf Chromosom 22 wodurch CYP2D6 Substrate bei homozygoten Tragern extrem schnell eliminiert werden ultraschnelle Metabolisierer ultrafast metabolizer UM Weitaus haufiger sind jedoch heterozygote Trager etwa 40 der weissen Bevolkerung intermediare Metabolisierer intermediate metabolizer IM und Trager zweier aktiver CYP2D6 Allele etwa 50 Normal Metabolisierer extensive metabolizer EM Wichtige Enzyme des Arzneimittel bzw Fremdstoff Stoffwechsels mit einem erblichen PolymorphismusEnzym Funktionelle Bedeutung Haufigkeit homozygoter genetischer Varianten Bedeutung u a fur folgende ArzneistoffePhase ICytochrom P450 CYP 1A2 hohe Induzierbarkeit 46 Clozapin Imipramin Koffein Lidocain Paracetamol TheophyllinCYP2A6 reduzierte Aktivitat 1 Fadrazol Halothan Losigamon Nikotin TegafurCYP2B6 reduzierte Aktivitat 2 Bupropion PropofolCYP2C8 reduzierte Aktivitat 1 7 Carbamazepin Cerivastatin Paclitaxel Pioglitazon Rosiglitazon Tolbutamid Verapamil WarfarinCYP2C9 reduzierte Aktivitat 1 3 Celecoxib Clopidogrel Diclofenac Fluvastatin Glibenclamid Ibuprofen Lornoxicam Losartan Phenprocoumon Phenytoin Piroxicam Sildenafil Tenoxicam Tolbutamid Torasemid WarfarinCYP2C19 fehlende Aktivitat 3 Diazepam Lansoprazol Omeprazol Pantoprazol Proguanil Propranolol RabeprazolCYP2D6 fehlende Aktivitat extrem hohe Aktivitat durch Genduplikation 7 2 3 Ajmalin Amitriptylin Carvedilol Codein Flecainid Fluoxetin Galanthamin Haloperidol Metoprolol Mexiletin Ondansetron Propafenon Tamoxifen Timolol TropisetronCYP3A4 CYP3A5 CYP3A7 Aktivitatsabschwachung Expression von CYP3A7 beim Erwachsenen mehrere teils seltene Mutationen Chinidin Cyclosporin A Cortisol Dapson Diltiazem Erythromycin Lidocain Midazolam Nifedipin Paclitaxel Sildenafil Simvastatin Tacrolimus Triazolam Verapamil ZolpidemFlavinabhangige Monooxygenase 3 FMO3 verminderte Aktivitat 9 Perazin Sulindac Albendazol BenzydaminButyrylcholinesterase BCHE verminderte Aktivitat 0 03 SuccinylcholinDihydropyrimidindehydrogenase DPYD verminderte Aktivitat lt 1 5 FluoruracilPhase IIArylamin N Acetyltransferase 2 NAT2 langsame Acetylierer 55 Isoniazid Hydralazin Dapson Sulfonamide ProcainamidUridin Diphosphat Glukuronosyltransferase 1A1 UGT1A1 reduzierte Aktivitat 10 9 IrinotecanGlutathion S Transferase M1 GSTM1 fehlende Aktivitat 55 Disposition zu HarnblasenkarzinomCatechol O Methyltransferase COMT verminderte Aktivitat 25 Estrogene L Dopa a Methyldopa AmphetaminThiopurin S Methyltransferase TPMT fehlende Aktivitat 0 3 Azathioprin 6 Mercaptopurin Haufigkeit auf homozygoten Genotyp unter Kaukasiern bezogen Tabelle nach Kirchheiner 2003 Pharmakodynamik Bearbeiten Die Pharmakodynamik wird beeinflusst durch Unterschiede in den Zielstrukturen der Arzneimittel wie Rezeptoren oder Molekule der Signaltransduktion die Wirkung und Vertraglichkeit von Arzneimitteln variieren konnen Der b2 Adrenozeptor beispielsweise Regulation des Gefasstonus und der Bronchodilatation kann zwei Punktmutationen Arg16Gly und Gln27Glu aufweisen die die Wirkung von b2 Sympathomimetika beeinflussen Polymorphe Gene mit Einfluss auf die Arzneimittelwirkung am Rezeptor oder an der ZielstrukturGen Beispiel Klinische Auswirkungb2 Adrenozeptor ADRB2 Albuterol Isoproterenol Unterschiedliche Bronchodilatation bei bestimmten Allelen Tachyphylaxie durch Agonist vermittelte Desensibilisierung und Wirkung von Genotyp abhangigDopamintransporter DAT1 L Dopa Auftreten von Psychose oder Dyskinesie5 Lipoxygenase ALOX5 Zileuton Keine antiasthmatische Wirksamkeit bei Tragern der Tandem Repeat Promotor VarianteApolipoprotein E APOE Tacrin Wirksam nur bei ApoE4 negativen Patienten mit M AlzheimerO 6 Methylguanin DNAMethyl transferase MGMT Alkylantien Promotor Methylierung und gunstige Therapieergebnisse bei Patienten mit GliomenSpannungsabhangiger Kaliumkanal Typ 2 KCNE2 Sulfamethoxazol Procainamid Oxatomid durch Arzneimittel induziertes Long QT Syndrom bei Tragern der VarianteGlycoprotein IIIa ITGB3 Thrombozytenaggregationshemmer ASS Abciximab Geringere Wirksamkeit bei Tragern von PLA2Cholesterylestertransferprotein CETP Pravastatin Verlangsamte Entwicklung einer koronaren Arteriosklerose nur bei Tragern von B1B1a Adducin ADD1 Hydrochlorothiazid HCT Bei Kochsalzreduktion und Therapie mit HCT starkerer Blutdruckabfall bei Tragern von 460Gly TrpAngiotensin konvertierendes Enzym ACE Enalaprilat Langer anhaltende und starkere Wirksamkeit bei Tragern des Genotyps Ins InsTabelle nach Kirchheiner 2003 Klinische Anwendung BearbeitenDiagnostik Bearbeiten Eine pharmakogenetische Diagnostik bietet altersunabhangig die Moglichkeit bereits vor Beginn einer Therapie abzuklaren welches Medikament in welcher Dosierung den individuellen Besonderheiten des Stoffwechsels eines einzelnen Patienten am ehesten gerecht wird Die Suche nach einem passenden Medikament kann so erheblich verkurzt und das Risiko unangenehmer Zwischenfalle deutlich vermindert werden Sinnvoll ist eine Genotypisierung derzeit jedoch nur bei Therapien mit Medikamenten die eine enge therapeutische Breite oder ein Risiko fur schwere unerwunschte Arzneimittelwirkungen haben welche bekanntermassen genetisch mitbestimmt werden Dies gilt beispielsweise fur Trastuzumab einen spezifischen Antikorper gegen Her 2 Rezeptoren Dieser wird zur Behandlung des Mammakarzinoms nur bei dem Drittel der Patientinnen eingesetzt bei dem eine Uberexpression an Her 2 Rezeptoren im Tumorgewebe nachgewiesen wurde In 50 Jahren pharmakogenetischer Forschung haben jedoch neue Erkenntnisse nur in den bislang wenigen Fallen Eingang in die klinische Praxis gefunden in welchen eine Abklarung als ausreichend relevant fur die Therapieplanung erschien und in klinischen Studien bei vertretbarem Kosten Nutzen Verhaltnis tatsachlich zu erheblichen Verbesserungen der Lebensqualitat und der Uberlebensrate von Patienten gefuhrt hat Therapie Bearbeiten Empfehlungen zur Anpassung der Therapie konnen in Form von Dosierungsempfehlungen und Behandlungs Algorithmen formuliert werden Unterschiede in der Pharmakokinetik die einen verlangsamten oder beschleunigten Abbau bewirken konnen dabei zumeist recht einfach entsprechend dem errechneten Blutplasmaspiegel durch erhohte oder erniedrigte Dosierungen oder veranderte Einnahmeintervalle kompensiert werden Schwieriger wird es wenn mehrere Enzymsysteme berucksichtigt werden mussen die gesamthaft nicht zuverlassig abschatzbar sind Bezuglich genetischer Variablen der Zielstrukturen gestaltet sich dagegen die Ableitung von Therapieempfehlungen grundsatzlich schwierig da in den meisten Fallen lediglich eine Wahrscheinlichkeitsaussage bezuglich eines veranderten Ansprechens auf die Medikamentengabe moglich ist Eine ausreichend zuverlassige Vorhersage ist dann moglich wenn die Arzneimittelwirkung an das Vorhandensein einer einzigen Variante gebunden ist wie bei Trastuzumab In den meisten Fallen aber bestimmen nicht nur diverse Gene sondern auch weitere Faktoren wie Krankheitsbesonderheit individuelle Charakteristika des Patienten Alter Geschlecht und Korperfunktionen den Erfolg einer Arzneitherapie Literatur BearbeitenJulia Kirchheiner Arzneitherapieempfehlungen auf pharmakogenetischer Basis Habilitationsschrift zur Klinischen Pharmakologie 2004 Charite Berlin I Shamovsky L Ripa u a Explanation for main features of structure genotoxicity relationships of aromatic amines by theoretical studies of their activation pathways in CYP1A2 In Journal of the American Chemical Society Band 133 Nummer 40 Oktober 2011 S 16168 16185 doi 10 1021 ja206427u PMID 21894985 ISSN 1520 5126 Weblinks BearbeitenLinde Peters Pharmakogenetik Pharmacogenomics Knowledge Base umfangreiche Datensammlung zur Auswirkung genetischer Variabilitat des Menschen auf die Wirksamkeit von Medikamenten genetische Determinanten der Therapieantwort Einzelnachweise Bearbeiten F Vogel Moderne Probleme der Humangenetik In Ergeb Inn Med Kinderheilk 12 1959 S 52 125 Professor Arno Motulsky Trager der GfH Ehrenmedaille Deutsche Gesellschaft fur HumangenetikNormdaten Sachbegriff GND 4271255 5 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Pharmakogenetik amp oldid 205749257