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Die palaosibirischen Sprachen auch palaoasiatische oder altsibirische Sprachen genannt sind eine Gruppe von etwa zehn Sprachen mit zusammen nicht mehr als 11 000 Sprechern die heute im Wesentlichen in Sibirien gesprochen werden Karte mit dem Verbreitungsraum der palaosibirischen Sprachen Der rosa eingefarbte Bereich beinhaltet das Sprachgebiet der jukagirischen und tschuktscho kamtschadalischen Sprachen der grun markierte Bereich das Gebiet der niwchischen Sprachen Verbreitung der jenisseischen Sprachen im 17 Jahrhundert rot schraffiert und im 20 Jahrhundert rot Historisch nachgewiesene dunkelrot und vermutete hellrot Verbreitung des AinuVerbreitung der eskimo aleutischen SprachenSie sind die Reste mehrerer alteingesessener Sprachfamilien die bereits vor der Einwanderung der turkischen tungusischen und uralisch samojedischen Ethnien nach Nord und Ostsibirien dort ansassig waren Die palaosibirischen Sprachen bilden keine genetische Einheit sondern zerfallen genetisch in funf oder sechs Gruppen zwei Giljakisch und Ainu sind nach heutiger Kenntnis isolierte Sprachen Der Begriff palaosibirisch bezeichnet also eine reine Restkategorie die die Sprachen einer bestimmten Region zusammenfasst die nicht in die grosseren Sprachfamilien Uralisch Turkisch Tungusisch oder Indogermanisch eingeordnet werden konnen Bei allen handelt es sich um mehr oder weniger bedrohte Sprachen Inhaltsverzeichnis 1 Verweis auf palaosibirische Untergruppen und Sprachen 2 Klassifikation und Sprecherzahlen 3 Geschichte der palaosibirischen Sprachen 4 Bemerkungen zur Sprachtypologie 5 Beziehungen und genetische Verwandtschaft 5 1 Typologische Ahnlichkeiten 5 2 Lehnworter 5 3 Jukagirisch und Uralisch 5 4 Palaosibirische Sprachen im Rahmen von Makrofamilien 6 Literatur 7 Siehe auchVerweis auf palaosibirische Untergruppen und Sprachen BearbeitenDie folgenden Artikel enthalten Informationen uber die einzelnen palaosibirischen Gruppen oder Sprachen Der vorliegende Artikel stellt hingegen die Informationen zusammen die sich auf die Gesamtgruppe der palaosibirischen Sprachen beziehen Jenisseische Sprachen Jukagirische Sprachen Tschuktscho kamtschadalische Sprachen Niwchisch oder GiljakischVon manchen Autoren werden auch das Ainu und die eskimo aleutischen Sprachen Sibiriens zu den palaosibirischen Sprachen hinzugerechnet Ainu Eskimo aleutische SprachenKlassifikation und Sprecherzahlen BearbeitenDie palaosibirischen Sprachen bestehen aus funf oder sechs nicht genetisch verwandten Spracheinheiten Sibiriens namlich dem Jenisseischen dem Jukagirischen dem Tschuktscho Kamtschadalischen oder Luorawetlanischen und den isolierten Sprachen Niwchisch fruher Giljakisch genannt und dem Ainu Insgesamt sind 16 Sprachen bekannt geworden davon sind inzwischen 7 ausgestorben Ket und Jukagirisch konnen nicht als isoliert betrachtet werden obwohl sie jeweils die einzige uberlebende Sprache ihre jeweiligen Familie sind Die Sprecherzahlen sind gepruften Quellen von 2005 entnommen Kerek ist wahrscheinlich schon ausgestorben Jenisseisch 6 Sprachen davon 5 600 1 000 Sprecher Ket Yug Ket Ketisch Jenissei Ostjakisch Inbatsk 600 1 000 Sprecher Jug Jugisch Yugh Sym Ketisch ca 1990 Kott Pumpokol Pumpokol Kott Arin Assan Assan Arin Jukagirisch 3 Sprachen davon 2 40 200 Sprecher Jukagirisch Odulisch max 200 ethnisch 1 000 Sprecher Dialekte Nord Tundra Sud Kolyma Omok Tschuwanisch Tschuktscho Kamtschadalisch 5 Sprachen 14 Tsd Sprecher Tschuktscho Korjakisch Tschukot Tschuktschi Tschukot 10 Tsd ethnisch 15 Tsd Sprecher Korjak Aliutor Korjak Nymylan 3 5 Tsd ethnisch 7 Tsd Sprecher Aliutor 200 ethnisch 2 Tsd Sprecher Kerek fast oder schon Kamtschadalisch Itelmenisch Kamtschadalisch max 100 ethnisch 2 5 Tsd Sprecher Niwchisch Giljakisch Niwchisch Giljakisch 700 ethnisch 5 Tsd Sprecher Dialekte Amur Nord Sachalin Ost SachalinAinu Ainu 15 Sprecher Dialekte Hokkaido Sachalin Kurilen ethnisch 15 Tsd Sprecher Das Ainu wird nicht von allen Forschern zu den palaosibirischen Sprachen gerechnet obwohl es die obige Definition im Wesentlichen erfullt Aufgrund gewisser typologischer Ahnlichkeiten zu den ubrigen sibirischen Sprachen zahlen einige Forscher auch die in Nordost Sibirien und auf den zu den USA gehorenden Aleuten gesprochenen eskimo aleutischen Sprachen zu den palaosibirischen Sprachen Eskimo Aleutisch Eskimo Inuit Inuit Sibirischer Dialekt Imaklik Yupik Chaplino Chaplinski 1500 Sprecher Naukan Naukanski 100 Sprecher Sirenik Sireniksi 1997 Aleutisch Aleutisch 350 Sprecher Unublich ist die Einbeziehung der grossen fernostlichen Sprachen Koreanisch und Japanisch auch wenn diese Sprachen nicht zu den altaischen Sprachen gehoren sollten Geschichte der palaosibirischen Sprachen BearbeitenSicherlich sind die palaosibirischen Sprachen die Uberreste von einst grosseren uber weite Teile Sibiriens verbreiteten Sprachfamilien die zunachst von den eindringenden uralischen turkischen und tungusischen Stammen zuruckgedrangt und teilweise aufgesogen wurden Noch im 17 Jahrhundert waren jenisseische jukagirische und tschuktschische Sprachen nachweislich in wesentlich grosseren und weiter westlich gelegenen Gebieten als heute verbreitet Innerhalb der letzten 400 Jahren nahmen Gruppen von Sprechern palaosibirischer Sprachen allmahlich das Jakutische oder andere turkische und tungusische Sprachen an Die zur uralischen Sprachfamilie gehorenden samojedischen Sprachen haben die Sprachen heute ausgestorbener jenisseischer Stamme absorbiert Endgultig wurden sie durch die Russifizierung des Landes auf ihre heutigen Restbestande reduziert und in entlegene Ruckzugsgebiete gezwungen Dieser Prozess wird in naher Zukunft mit dem volligen Verlust dieser Sprachen und der spateren Aufgabe der ethnischen Identitat ihrer Sprecher enden wohl nur das Tschuktschische hat mit 10 000 Sprechern noch eine etwas langere Uberlebensperspektive Bemerkungen zur Sprachtypologie BearbeitenDie grammatischen und phonetischen Strukturen der funf oder sechs palaosibirischen Gruppen sind durchaus unterschiedlich so dass man kaum von einem Sprachbund sprechen kann Gemeinsam haben sie eine agglutinierende Morphologie umfangreiche Moglichkeiten komplexer Wortbildungen verschiedene Formen der Vokalharmonie nicht die Eskimo Sprachen und Konsonantenalternation und eine Tendenz zu Konsonantenclustern ausser im Jukagirischen und den Eskimo Sprachen Fast alle palaosibirischen Sprachen erhielten seit 1920 einen schriftlichen Standard und zwar zunachst auf Basis der lateinischen seit 1930 der kyrillischen Schrift Diese Schriftformen werden vor allem in der Primarausbildung verwendet Die umfangreichen mundlich uberlieferten Volksliteraturen wurden seit dem vorigen Jahrhundert von russischen und westlichen Forschern gesammelt und ubersetzt Alle linguistischen Detailinformationen siehe unter den jeweiligen Gruppen oder Sprachnamen Beziehungen und genetische Verwandtschaft BearbeitenTypologische Ahnlichkeiten Bearbeiten Es wurden etliche Versuche unternommen verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den palaosibirischen Gruppen oder zwischen ihnen und anderen Sprachfamilien aufzuzeigen Keiner dieser Vorschlage konnte bis heute die Anerkennung der Forschermehrheit finden Blosse Ahnlichkeiten im Bereich der Grammatik z B die weit verbreitete Agglutination oder Phonetik z B Vokalharmonie Konsonantenstufung konnen durch langfristige Sprachkontakte in gemeinsamen oder benachbarten Lebensraumen entstanden sein und sind kein Beweis fur genetische Beziehungen Allerdings sind die palaosibirischen Sprachen in ihrer Struktur zu unterschiedlich um sie insgesamt als einen Sprachbund betrachten zu konnen Lehnworter Bearbeiten Es gibt zahlreiche Lehnworter in fast allen palaosibirischen Sprachen die einen Hinweis auf historische Kontakte geben Die meisten alteren Lehnworter stammen aus den tungusischen Sprachen aber auch die Turksprachen insbesondere das Jakutische dienten als Quelle Das Ket hat vom samojedischen Selkup entlehnt das Giljakische Termini der Rentierzucht von tungusischen Sprachen andere Begriffe aus dem Ainu Als Hauptquelle aller neueren Entlehnungen fur die Begriffe der modernen Technik und Zivilisation dient naturlich das Russische Dieses Lehnwortmaterial wird grammatisch und phonetisch relativ schnell in den meisten palaosibirischen Sprachen integriert Jukagirisch und Uralisch Bearbeiten Eine durchaus ernst zu nehmende Hypothese ist die der Verwandtschaft des Jukagirischen mit den uralischen Sprachen Jukagirisch wird von maximal 200 Menschen in Nordost Sibirien gesprochen und ist mit den ausgestorbenen Sprachen Omok und Tschuwanisch eng verwandt Nach M Ruhlen 1991 beweisen die Arbeiten von Collinder 1965 und Harms 1977 jenseits jeden Zweifels die Verwandtschaft des Jukagirischen mit den uralischen Sprachen Collinder 1965 stellt fest Die Gemeinsamkeiten des Jukagirischen und Uralischen sind so zahlreich und charakteristisch dass sie Uberreste einer ursprunglichen Einheit sind Das Kasus System des Jukagirischen ist fast identisch mit dem des Nord Samojedischen Der Imperativ wird mit denselben Suffixen gebildet wie im Sud Samojedischen und den konservativsten finno ugrischen Sprachen Jukagirisch hat ein halbes Hundert gemeinsamer Worter mit dem Uralischen und zwar ohne die Lehnworter Man sollte bemerken dass alle finno ugrischen Sprachen in der Kasus Flexion mehr vom Samojedischen abweichen als das Jukagirische Es ware danach durchaus moglich von einer uralisch jukagirischen Sprachfamilie zu sprechen Palaosibirische Sprachen im Rahmen von Makrofamilien Bearbeiten Wesentlich umfassendere Vorstellungen werden von den Vertretern der Makrofamilien Nostratisch Eurasiatisch Dene Kaukasisch postuliert Das Eurasiatische in der Definition von Joseph Greenberg 2000 umfasst neben dem Indogermanischen Uralischen Altaischen Koreanischen Japanischen und den Eskimosprachen fast alle palaosibirischen Sprachen mit der auffalligen Ausnahme des Jenisseischen Eine fast identische eurasische Sprachfamilie postulierte Heinrich Koppelmann schon 1933 Das aus dem Eurasiatischen ausgeschlossene Jenisseische wiederum ist ein Kandidat fur die hypothetische dene kaukasische Makrofamilie die unter anderen die sino tibetischen nordkaukasischen nordamerikanischen Na Dene Sprachen das Baskische und eben das Jenisseische umfassen soll Beide Thesen werden bisher nur von einer kleinen Gruppe von Linguisten akzeptiert oder auch nur fur wahrscheinlich gehalten Die Hauptschwierigkeit bei ihrer Verifizierung ist das grosse Alter von mehr als zehntausend Jahren das man fur die gemeinsame Protosprache ansetzen musste und die damit verbundenen ausserst sparlichen noch greifbaren Gemeinsamkeiten Somit sollte man bis zum Vorliegen zwingender neuer Argumente weiter davon ausgehen dass die palaosibirischen Gruppen weder untereinander noch mit anderen Sprachen oder Sprachfamilien genetisch verwandt sind Literatur BearbeitenErnst Kausen Palaosibirische Sprachen In Die Sprachfamilien der Welt Teil 1 Europa und Asien Buske Hamburg 2013 ISBN 978 3 87548 655 1 S 371 434 Heinrich Werner Das Jenissejische Phanomen in historischer Perspektive In Galina T Polenova Olga E Bondarets Hrsg Collected Articles of the IInd International Linguistics Conference Taganrog Russia Cambridge Scholars Publishing Cambridge 2008 ISBN 978 1 84718 652 2 S 2 14 online Siehe auch BearbeitenPalaosibirische Volker Indigene Volker SibiriensNormdaten Sachbegriff GND 4120305 7 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Palaosibirische Sprachen amp oldid 206300839