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Die Onsagerschen Reziprozitatsbeziehungen engl Onsager reciprocal relations auch bekannt als Onsagerscher Reziprozitatssatz beschreiben den Zusammenhang zwischen verschiedenen Flussen und Kraften die in einem thermodynamischen System ausserhalb des thermodynamischen Gleichgewichts auftreten Sie gelten in einem Bereich in dem die auftretenden Flusse linear von den wirkenden Kraften abhangen Dazu darf das beschriebene System nicht zu weit vom Gleichgewicht entfernt sein da nur dann das Konzept eines lokalen Gleichgewichts zum Tragen kommt Als Beispiel fur ein solches System kann ein Metallstab dienen auf den als Kraft eine Temperaturdifferenz einwirkt Diese verursacht eine Warmeubertragung von den warmeren zu den kalteren Abschnitten des Systems In gleicher Weise bewirkt eine elektrische Spannung einen elektrischen Strom zu den Bereichen mit niedrigerem elektrischen Potential Hierbei handelt es sich um direkte Effekte bei denen eine Kraft einen fur sie spezifischen Fluss hervorruft Experimentell kann gezeigt werden dass Temperaturunterschiede in Metall neben der Warmeubertragung einen elektrischen Strom hervorrufen sowie eine elektrische Spannung zu einem Warmefluss fuhrt Kreuzeffekte Der Onsagersche Reziprozitatssatz besagt dass die Grosse solcher korrespondierenden indirekten Effekte identisch ist Im beschriebenen Beispiel sind die Grosse des Warmetransportes durch einen Stromfluss Peltierkoeffizient und die Grosse des Stromflusses verursacht durch einen Warmetransport Seebeckkoeffizient gleich 1 Diese bereits von William Thomson und anderen Forschern beobachtete Relation wurde von dem norwegischen Physikochemiker und theoretischem Physiker Lars Onsager auf eine fundierte theoretische Basis im Rahmen der Thermodynamik irreversibler Prozesse gestellt Die von ihm entwickelte Theorie ist auf eine beliebige Zahl von Kraft und Flusspaaren in einem System anwendbar Fur die Beschreibung dieser reziproken Beziehungen wurde er 1968 mit dem Nobelpreis fur Chemie ausgezeichnet 2 Inhaltsverzeichnis 1 Formale Beschreibung im Rahmen der Thermodynamik irreversibler Prozesse 1 1 Kreuzeffekte zwischen Kraften und Flussen 2 Beispiele 2 1 Die Reziprozitatsbeziehungen 2 2 Thermodynamisches Gleichgewicht und Entropieproduktion 3 Einzelnachweise 4 LiteraturFormale Beschreibung im Rahmen der Thermodynamik irreversibler Prozesse BearbeitenDie Physik kennt zahlreiche Gesetze bei denen zwei Grossen zueinander proportional sind Beispiele fur solche Zusammenhange zwischen auftretenden Flussen und Kraften in einem thermodynamischen System ausserhalb des Gleichgewichts sind bekannte Naturgesetze in vektorieller Darstellung Fouriersches Gesetz der Warmeleitung q l grad T displaystyle dot vec q lambda operatorname grad T nbsp ohmsches Gesetz der Stromleitung i s grad ϕ displaystyle vec i sigma operatorname grad phi nbsp Erstes Ficksches Gesetz der Diffusion j D grad c displaystyle vec j D operatorname grad c nbsp Newtonsches Reibungsgesetz F h A grad v y displaystyle vec F eta A operatorname grad v y nbsp Solche linearen Gesetze konnen allgemein in folgender Form aufgeschrieben werden J k L k X k displaystyle mathbf J k L k mathbf X k nbsp mit dem Fluss J k displaystyle mathbf J k nbsp einer beliebigen physikalischen Grosse k displaystyle k nbsp dem Transportkoeffizienten L k displaystyle L k nbsp dieser Grosse k displaystyle k nbsp X k displaystyle mathbf X k nbsp der zu k displaystyle k nbsp korrespondierenden antreibenden Kraft die als Gradient einer skalaren Grosse angegeben wird Die thermodynamischen Krafte und ihre korrespondierende Flusse werden aus einer Bilanzgleichung uber die Erhaltungsgrossen abgeleitet Das Produkt aus beiden Grossen beschreibt die Zunahme der Entropie wahrend eines freiwillig ablaufenden Vorgangs Entropieproduktion Kreuzeffekte zwischen Kraften und Flussen Bearbeiten Es gibt eine Reihe von Phanomenen bei denen eine thermodynamische Kraft nicht nur die nach den durch die oben angefuhrten Gesetze beschriebene Wirkung zeigt sondern weitere Vorgange beeinflusst Beispiele fur derartige Phanomene sind die thermoelektrischen Effekte thermomagnetischen und galvanomagnetischen Effekte oder die Interdiffusion zweier Stoffe ineinander Auf einen Fluss wirken in diesen Fallen nicht nur die korrespondierenden Krafte sondern zusatzlich Kreuzkrafte Diese Superposition ist mikroskopisch leicht nachvollziehbar da bei dem Fluss einer Grosse diese durch ein Medium transportiert werden muss Beispielsweise wird mit einem Stofffluss auch die Warme transportiert die dieser Stoff enthalt Bei der Beschreibung dieser Vorgange wird der Vorteil des oben eingefuhrten Formalismus deutlich fur zwei Flusse mit zwei korrespondierenden Kraften ergibt sich J k L k k X k L k i X i displaystyle mathbf J k L kk mathbf X k L ki mathbf X i nbsp J i L i k X k L i i X i displaystyle mathbf J i L ik mathbf X k L ii mathbf X i nbsp mit J k J i displaystyle mathbf J k mathbf J i nbsp Flusse von k displaystyle k nbsp und i displaystyle i nbsp L k k L i i displaystyle L kk L ii nbsp direkte Transportkoeffizienten Diagonalkoeffizienten analog zu den bereits beschriebenen Koeffizienten L i k L k i displaystyle L ik L ki nbsp Kreuzkoeffizienten beschreiben die Uberlagerungseffekte zwischen den FlussenX k X i displaystyle mathbf X k mathbf X i nbsp korrespondierende thermodynamische Krafte zu den Grossen k displaystyle k nbsp und i displaystyle i nbsp Die Kreuzkoeffizienten sind gleich gross d h es gilt L i k L k i displaystyle L ik L ki nbsp Reziprozitatsbeziehung Sie gelten in einem Bereich in dem Flusse und wirkende Krafte linear voneinander abhangen Das setzt voraus dass das beschriebene System nicht zu weit vom Gleichgewicht entfernt sein darf da dann das Konzept einer mikroskopischen Reversibilitat oder eines lokalen Gleichgewichts zum Tragen kommt Formal wird dann der beliebige funktionelle Zusammenhang zwischen den physikalischen Grossen als Taylorreihe die nach dem ersten Glied abgebrochen wird beschrieben Beispiele BearbeitenDie Reziprozitatsbeziehungen Bearbeiten In einem System in dem sowohl Warme als Volumenstrome auftreten kommt es zur Superposition von Flussen und Kraften Die Beziehungen erweitern sich zu J u L u u 1 T L u k m k T displaystyle mathbf J u L uu nabla frac 1 T L uk nabla frac mu k T nbsp und J k L k u 1 T L k k m k T displaystyle mathbf J k L ku nabla frac 1 T L kk nabla frac mu k T nbsp Mit diesen Gleichungen wird die Diffusion der Komponente k displaystyle k nbsp durch einen Temperaturgradienten beschrieben Thermophorese oder Soret Effekt J k L k u 1 T displaystyle mathbf J k propto L ku nabla frac 1 T nbsp und die Warmeleitung durch den Stofffluss Diffusionsthermoeffekt oder Dufour Effekt J u L u k m k T displaystyle mathbf J u propto L uk nabla frac mu k T nbsp Die Onsagerschen Reziprozitatsbeziehungen formulieren in diesem Fall wieder die Gleichheit der Kreuzkoeffizienten L u k L k u displaystyle L uk L ku nbsp Eine Dimensionsanalyse zeigt dass beide Koeffizienten in denselben Masseinheiten Temperatur mal Massendichte gemessen werden Thermodynamisches Gleichgewicht und Entropieproduktion Bearbeiten Ein abgeschlossenes System kein Austausch von Energie oder Materie mit der Umgebung keine sonstigen Wechselwirkungen mit der Umgebung befindet sich im thermodynamischen Gleichgewicht wenn sein thermodynamisches Potenzial den durch Zustandsanderungen im System zuganglichen Minimalwert und seine Entropie den durch Zustandsanderungen im System zuganglichen Maximalwert annimmt Die Grosse der Entropieproduktion s displaystyle sigma nbsp im System und damit im Universum ergibt sich dann aus der Kontinuitatsgleichung wie folgt s def d i s d t s t J s displaystyle sigma stackrel textrm def frac d mathrm i s dt frac partial s partial t nabla cdot mathbf J s nbsp wobei d i s displaystyle d mathrm i s nbsp die Anderung der lokalen Entropiedichte durch innere Vorgange t displaystyle partial partial t nbsp die partielle Ableitung nach der Zeit displaystyle nabla nbsp die Divergenz nach dem Ort und J s displaystyle mathbf J s nbsp die lokale Entropieflussdichte sind Da das Volumen des abgeschlossenen Systems konstant ist kann eine Entropiezunahme im System nur durch innere dissipative Vorgange erfolgen Allgemein ist unter isochoren Bedingungen die Anderung der inneren Energie U displaystyle U nbsp eines Systems geteilt durch die absolute Temperatur T displaystyle T nbsp gleich einer Entropieanderung Innerhalb eines abgeschlossenen Systems hangt s displaystyle sigma nbsp entsprechend wie folgt von der lokalen Flussdichte J u displaystyle mathbf J u nbsp der inneren Energie U displaystyle U nbsp ab s s t J u T displaystyle sigma frac partial s partial t nabla cdot frac mathbf J u T nbsp Die partielle Ableitung der lokalen Entropiedichte nach der Zeit kann durch die Gibbsche Fundamentalgleichung ausgedruckt werden Es ergibt sich damit fur ein isochores Mehrkomponentensystem s t 1 T u t k m k T r k t displaystyle frac partial s partial t frac 1 T frac partial u partial t sum k frac mu k T frac partial rho k partial t nbsp Die extensive Grossen innere Energie U displaystyle U nbsp und Stoffmenge n k displaystyle n k nbsp sind in abgeschlossenen Systemen Erhaltungsgrossen ihre Kontinuitatsgleichungen lauten u t J u 0 displaystyle frac partial u partial t nabla cdot mathbf J u 0 nbsp und da die Anderung der Stoffmenge n k displaystyle n k nbsp durch chemische Reaktionen j displaystyle j nbsp mit der Reaktionsgeschwindigkeit j n j k v j displaystyle sum j nu jk v j nbsp berucksichtigt werden muss r k t J k j n j k v j 0 displaystyle frac partial rho k partial t nabla cdot mathbf J k sum j nu jk v j 0 nbsp Die Gibbs Gleichung wird damit zu s t 1 T J u k m k T J k j n j k v j displaystyle frac partial s partial t frac 1 T nabla cdot mathbf J u sum k frac mu k T left nabla cdot mathbf J k sum j nu jk v j right nbsp Mit der Umformung aus der Vektoranalysis g J J g g J displaystyle nabla cdot g mathbf J mathbf J cdot nabla g g nabla cdot mathbf J nbsp und der Definition der chemischen Affinitat A j k n j k m k displaystyle A j sum k nu jk mu k nbsp ergibt sich fur die Entropieproduktion s J u 1 T k J k m k T j A j v j T displaystyle sigma mathbf J u cdot nabla frac 1 T sum k mathbf J k cdot nabla frac mu k T sum j frac A j v j T nbsp Hierbei ist J s displaystyle nabla cdot mathbf J s nbsp identifiziert worden mit dem Term 3 J s J u T k J k m k T displaystyle nabla cdot mathbf J s nabla cdot left frac mathbf J u T sum k frac mathbf J k mu k T right nbsp Aus dieser Gleichung konnen die zu den Variablen u displaystyle u nbsp und r k displaystyle rho k nbsp konjugierten thermodynamischen Krafte X u 1 T displaystyle mathbf X u nabla frac 1 T nbsp und X k m k T displaystyle mathbf X k nabla frac mu k T nbsp bestimmt werden Befindet sich ein System nicht weit entfernt von seinem Gleichgewichtszustand ist es sinnvoll einen linearen Zusammenhang zwischen einem Fluss und der thermodynamischen Kraft anzunehmen Der Proportionalitatsfaktor wird als Transportkoeffizient L displaystyle L nbsp bezeichnet Beim Fehlen eines Stoffflusses und einer Reaktion folgt damit das Fouriergesetz in der Form J u L u 1 T displaystyle mathbf J u L u nabla frac 1 T nbsp und in Abwesenheit eines Warmestroms das Ficksche Gesetz als J k L k m k T displaystyle mathbf J k L k nabla frac mu k T nbsp Einzelnachweise Bearbeiten Beschreibung des Praktikums Versuchs F7 Der Diffusionsthermoeffekt PDF 405 kB Institut fur Physikalische Chemie IPC am Karlsruher Institut fur Technologie www ipc kit edu 1 Dezember 2016 abgerufen am 5 Mai 2019 Nobelpreisvortrag Lars Onsager The motion of ions principles and concepts PDF 129 kB The Nobel Foundation nobelprize org 11 Dezember 1968 archiviert vom Original am 9 August 2017 abgerufen am 5 Mai 2019 englisch Dilip Kondepudi Ilya Prigogine Modern thermodynamics From heat engines to dissipative structures Hrsg Wiley John amp Sons 1 Auflage 1998 ISBN 978 0 471 97394 2 S 345 Literatur BearbeitenSybren Ruurds de Groot Peter Mazur Non Equilibrium Thermodynamics Dover Publications 1985 ISBN 0 486 64741 2 Bogdan Baranowski Nichtgleichgewichts Thermodynamik in der physikalischen Chemie Leipzig Deutscher Verlag fur Grundstoffindustrie 1975 D Kondepudi Ilya Prigogine Modern Thermodynamics From Heat Engines to Dissipative Structures Wiley amp Sons 1998 ISBN 0 471 97394 7 S 351ff Aharon Katchalsky Peter F Curran Nonequilibrium Thermodynamics in Biophysics Harvard University Press Cambridge 1965 ISBN 0 674 62550 1 Lars Onsager Reciprocal Relations in Irreversible Processes I In Physical Review Band 37 Nr 4 1931 S 405 426 doi 10 1103 PhysRev 37 405 PDF Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Onsagersche Reziprozitatsbeziehungen amp oldid 226936390