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Der Obrigkeitsstaat ist ein Staatsmodell 1 dem ursprunglich in Abgrenzung zur Ratedemokratie die monokratischen Staaten zugeordnet wurden 2 In diesem Verstandnis wird ein Staat dann als Obrigkeitsstaat charakterisiert wenn die offentlichen Angelegenheiten nahezu ausschliesslich durch einen Herrscher sowie eine ihm zugeordnete aristokratische militarische oder burokratische Fuhrungsgruppe geregelt werden 3 Im engeren Sinne wird der Begriff in der Geschichtswissenschaft nicht zuletzt wegen des inflationaren Auftretens des Begriffs Obrigkeit zwischen dem 15 und 17 Jahrhundert 4 auch auf das Zeitalter des Absolutismus angewendet 5 Ferner wird ebenso der konstitutionell monarchische deutsche Staat des 19 Jahrhunderts als Obrigkeitsstaat gekennzeichnet in dem im Vergleich zum Verfassungssystem des Grundgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland die Moglichkeit der Partizipation des Burgers an staatlichen Entscheidungsprozessen weitaus geringer gewesen ist 6 Die dem Obrigkeitsstaat zugrunde liegende politische Idee dass alle Macht dem Staat ubertragen wird dieser die Sicherheit gewahrleiste und der Burger als Untertan apolitisch und rein privat handele ist auf die politische Philosophie von Thomas Hobbes zuruckzufuhren 7 Geschichte BearbeitenDurch Hugo Preuss der am 14 November 1918 im Berliner Tageblatt den viel beachteten Artikel Volksstaat oder verkehrter Obrigkeitsstaat im Rahmen der Ausarbeitung der Weimarer Reichsverfassung veroffentlichte wurde der Begriff Obrigkeitsstaat zu einem verbreiteten politischen Schlagwort 8 Die Tradierung des Begriffs Obrigkeitsstaat als eine polemische Kategorie ist indessen auf Otto von Gierke zuruckzufuhren auf dessen historisch rekonstruierte Genossenschaftslehre Hugo Preuss bei seiner Ablehnung der staatlichen Souveranitat die er als das tragende Prinzip des Obrigkeitsstaates verstand zuruckgriff Fur Preuss stellte sich der rechtstheoretische Genossenschaftsgedanke als eine Alternative zum Rechtsstaat Gedanken dar da er den Rechtsstaat unter dem Vorzeichen eines Obrigkeitsstaates wahrnahm und Staat und Gesellschaft einerseits sowie offentliches und privates Recht andererseits scharf voneinander trennte 9 Bei der Konzeption des von ihm bevorzugten Volkstaates den er in Anlehnung an Ideen von Gierke und Freiherr vom Stein als ein Gegenmodell zum Obrigkeitsstaat entwarf sollte der politischen Partizipation der Gesellschaft von unten mehr Raum geboten werden Auf diesem Hintergrund fasste Preuss Gemeinden Lander und Gesamtstaat als funktional abgegrenzte und gestufte Ebenen seines Volkstaatsmodells auf insbesondere die kommunale Selbstverwaltung sollte gestarkt werden 10 In der noch jungen Bundesrepublik Deutschland setzte sich der Philosoph Karl Jaspers angesichts der Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus fur eine konsequente Abkehr vom obrigkeitsstaatlichen Denken ein 11 Nach ihm drohe der Demokratie stets die Gefahr dass sie sich uber den autoritaren Staat hin zu einer Diktatur entwickeln konne Unter anderem unter dem Eindruck der Spiegel Affare der Grossen Koalition und der Diskussion um die Notstandsgesetze diagnostizierte er 1966 in seinem Buch Wohin treibt die Bundesrepublik Aus dem Jahrhunderte wahrenden Obrigkeitsstaat sind ohne helles Bewusstsein Gesinnungen geblieben die heute noch machtig sind 12 Als Beispiele fuhrte er neben anderen beobachteten Merkmalen das Bedurfnis nach Verehrung des Staates in Gestalt reprasentativer Politiker als Ersatz fur Kaiser und Konig sowie das Vertrauen die Regierung werde es schon recht machen an 12 Zwar erblickte Jaspers in der Bundesrepublik keinen Obrigkeitsstaat vermutete aber dass eine Entwicklung zu diesem mangels der Freiheit der Burger erneut stattfinden konne Aber dieser Staat selber hat in sich die Tendenzen die ihn zu einem autoritaren Gebilde machen in dem zwar kein Monarch herrscht und auch nicht mehr begehrt wird aber derart dass dieser Staat sich wandelt zu einem Obrigkeitsstaat mit Untertanengesinnung weitgehend ahnlich der wilhelminischen Zeit 13 In seinem Buch Antwort das er 1967 in Reaktion auf die Kritik an seinem Buch publizierte konkretisierte Jaspers dass er die Tendenzen zur Parteienoligarchie zum Autoritaren und zur Diktatur zwar fur moglich aber auch fur abwendbar hielt Tendenzen das heisst es muss nicht so kommen Je deutlicher die Staatsburger die Tendenzen wahrnehmen desto grosser ist die Chance dass sich diese nicht vollenden werden 14 Und er erganzte Ein Volk wird reif zur Demokratie indem es selber politisch aktiv ist Daher ist Voraussetzung einer Demokratie dass dem Volk ein Maximum von Mitwirkung zur Aufgabe wird oder dass es sich diese nimmt und das Vertrauen zum Volk nicht zu dem was es ist sondern zu dem was es werden kann 15 Literatur BearbeitenWolfgang Kaupen Theo Rasehorn Die Justiz zwischen Obrigkeitsstaat und Demokratie Ein empirischer Beitrag zur Soziologie der deutschen Justizjuristen Neuwied a Rh 1971 Gerhard Durr Walter Hahnle Burgerfreiheit gegen Obrigkeitsstaat Stuttgart 1979 ISBN 3 87173 553 1 Wilfried Loth Das Kaiserreich Obrigkeitsstaat und politische Mobilisierung Munchen 1996 ISBN 3 423 04505 1 Manfred Teufel Die sudwestdeutsche Polizei im Obrigkeits und Volksstaat Daten Fakten Strukturen 1807 1932 Holzkirchen 1999 ISBN 3 927983 41 1 Ralf Zoll Hrsg Vom Obrigkeitsstaat zur entgrenzten Politik Opladen Wiesbaden 1999 ISBN 3 531 13413 2 Winfried Becker Das Bismarckreich ein Obrigkeitsstaat Die Entwicklung des Parlamentarismus und der Parteien 1871 1890 Friedrichsruh 2000 ISBN 3 933418 08 9 Einzelnachweise Bearbeiten Werner Rosener Hrsg Staat und Krieg Vom Mittelalter bis zur Moderne Gottingen 2000 S 206 ISBN 3 525 01386 8 Susanne Baer Der Burger im Verwaltungsrecht Subjektkonstruktion durch Leitbilder vom Staat Tubingen 2006 S 95 ISBN 3 16 147514 3 Susanne Baer Der Burger im Verwaltungsrecht Subjektkonstruktion durch Leitbilder vom Staat Tubingen 2006 S 93 f Herder Lexikon Politik Mit rund 2000 Stichwortern sowie uber 140 Graphiken und Tabellen Sonderauflage fur die Landeszentrale fur politische Bildung NRW Freiburg Basel Wien 1993 S 154 Sigrid Schmitt Territorialstaat und Gemeinde im kurpfalzischen Oberamt Alzey vom 14 bis zum Anfang des 17 Jahrhunderts Institut fur Geschichtliche Landeskunde der Johannes Gutenberg Universitat Stuttgart 1992 1964 S 70 ISBN 3 515 06069 3 Hartmut Zuckert Die sozialen Grundlagen der Barockkultur in Suddeutschland Stuttgart 1988 S 338 ISBN 3 437 50315 4 Volker Schlette Die Verwaltung als Vertragspartner Empirie und Dogmatik verwaltungsrechtlicher Vereinbarungen zwischen Behorde und Burger Tubingen 2000 S 104 ISBN 3 16 147224 1 Schlette schrieb in diesem Zusammenhang von einem Wandel des Staates vom Obrigkeitsstaat zum kooperativen Staat Nikolai Blaumer Die kommunale Zivilgesellschaft als Ort der Integration Eine Skizze moderner Burgerschaft GRIN Verlag Munchen 2008 S 11 ISBN 3 640 16660 4 Richard Saage Faschismus Konzeptionen und historische Kontexte Eine Einfuhrung VS Verlag Wiesbaden 2007 S 78 ISBN 3 531 15387 0 Otto Brunner u a Hrsg Geschichtliche Grundbegriffe Historisches Lexikon zur politisch sozialen Sprache in Deutschland Bd 5 Stuttgart 1984 S 416 ISBN 3 12 903890 6 Susanne Baer Der Burger im Verwaltungsrecht Subjektkonstruktion durch Leitbilder vom Staat Tubingen 2006 S 93 f Marcus Llanque Demokratisches Denken im Krieg Die deutsche Debatte im Ersten Weltkrieg Berlin 2000 S 68 f ISBN 3 05 003517 X Michael Stolleis Geschichte des offentlichen Rechts in Deutschland Weimarer Republik und Nationalsozialismus Munchen 2002 S 82 f ISBN 3 406 48960 5 Kurt Salamun Karl Jaspers Eine Einfuhrung in sein Denken 2 verb und erw Aufl Wurzburg 2006 S 79 ISBN 3 8260 3253 5 a b Karl Jaspers Wohin treibt die Bundesrepublik Munchen 1966 S 146 Karl Jaspers Wohin treibt die Bundesrepublik Munchen 1966 S 155 Karl Jaspers Antwort Zur Kritik meiner Schrift Wohin treibt die Bundesrepublik Munchen 1967 S 86 Karl Jaspers Antwort Zur Kritik meiner Schrift Wohin treibt die Bundesrepublik Munchen 1967 S 130 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Obrigkeitsstaat amp oldid 224275927