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Eine Maitrise ist im franzosischen Sprachraum die Bezeichnung fur eine historische Einrichtung zur kirchlichen Chorschulung 1 2 Inhaltsverzeichnis 1 Begriff 2 Geschichte und Bedeutung 3 Literatur Auswahl 4 QuellenBegriff BearbeitenMit Maitrise auch Psallette wird im Bereich der franzosischen Kirchenmusik zum einen die Gesamtheit der Chorknaben Kapellknaben bezeichnet zum anderen auch die Ausbildungsstatte Singschule der Chorknaben die einer Kathedrale oder einer Kollegiatkirche angegliedert war und zwar im heutigen nordfranzosischen und belgischen Raum des 14 bis 18 Jahrhunderts Diese wurden vom jeweiligen Kapitel eigenstandig organisiert und finanziert und von mindestens einem maitre Magister oder magister puerorum geleitet Das ebenfalls oft mit Maitrise bezeichnete Gebaude in dem die Sangerknaben untergebracht waren befand sich meistens in unmittelbarer Nahe der Kirche Diese Hauser wurden uberwiegend mit Hilfe von Stiftungen errichtet ein Beispiel ist das bedeutende Geldgeschenk von Konig Ludwig XI Regierungszeit 1461 1483 an die Chorknaben der Kathedrale von Rouen vom Jahr 1462 zum Neubau einer Maitrise Gerade fur die betreffenden Gebaude war teilweise auch die Bezeichnung Psallette ublich belegt fur Chartres im Jahr 1479 Der Begriff der Maitrise hatte im ausgehenden Mittelalter noch die Bedeutung einer Ausbildungsstatte im Allgemeinen und bekam die Bedeutung einer kirchenmusikalischen Schulungsstatte endgultig erst im Lauf des 18 Jahrhunderts Nach Auflosung der Maitrisen im Zuge der Franzosischen Revolution wurden die im 19 Jahrhundert wieder errichteten Ausbildungsstatten dieser Art dann von Anfang an Maitrisen genannt Geschichte und Bedeutung BearbeitenNach dem Vorbild der romischen Schola cantorum kam es in Frankreich zur Zeit der karolingischen Reformen 8 und 9 Jahrhundert zur Grundung der ersten Schulen fur Musikunterricht von Knaben an bedeutenden Kathedralen des Landes z B in Cambrai Lille oder Paris Ziel war die Vereinheitlichung des Choralgesangs mit Hilfe geschulter Knabenstimmen welchen eine besondere ideelle und qualitative Bedeutung zugemessen wurde Diese Schulen konnen als Vorformen der Maitrisen angesehen werden Zur Grundung der einheitlich aufgebauten Maitrisen als strikt organisierten Korperschaften kam es dann im 14 Jahrhundert z B Amiens 1324 oder Cambrai spatestens 1386 auf der Grundlage der von Papst Johannes XXII Amtszeit 1316 1334 eingeleiteten Verwaltungsreformen Diese Massnahmen hatten die Ausschaltung ortlicher Traditionen der Machtvergabe zum Ziel und damit eine weitgehende Steuerung der Kollegiat und Kathedral Kapitel durch die Kurie dieser Zentralisierungsschritt veranderte auch grundlegend die Ausbildungsform der Kapellknaben Die organisatorische und wirtschaftliche Grundlage der Maitrisen bestand in der Umwidmung einer oder mehrerer Pfrunden fur die Unterbringung Versorgung Kleidung und den Unterricht der Knaben und eines oder mehrerer Magister Auf diese Weise konnte das Kapitel die Auswahl der Schuler oder Lehrer uberwachen Diese Organisationsform der Maitrisen blieb bis zu ihrer Auflosung am Ende des 18 Jahrhunderts gultig Die Anzahl der Knaben lag zwischen vier und zwolf je nach Moglichkeiten und Engagement des Kapitels Die erwahnte Umwidmung der Pfrunden benotigte immer die papstliche Erlaubnis folglich sind die Grundungen von Maitrisen nicht nur in ortlichen Archiven sondern auch in den Akten des Vatikans zu finden In einer Maitrise hatte eine kleine Anzahl sorgfaltig ausgewahlter Knaben ab dem sechsten oder siebenten Lebensjahr die Moglichkeit einer fundierten Ausbildung die in der Regel bis zum Stimmbruch dauerte Im Zentrum stand der chorale Gesangsunterricht und der allgemeine Musikunterricht hinzu kam der Unterricht in Latein und in den drei unteren der sieben mittelalterlichen Lehrfacher Grammatik Rhetorik und Dialektik Trivium Gut ausgestattete Maitrisen hatten ausser dem Magister fur den musikalischen Bereich auch einen solchen fur den allgemeinen Unterricht Der Tagesablauf war streng nach dem Stundengebet geregelt Ausser dem Unterricht bestand die meist ganztagige Verpflichtung zum Chordienst bei den Gottesdiensten Der einzige fruhe Beleg fur Unterricht und Tagesablauf ist die Doctrina pro pueris ecclesie parisiensis von Jean Charlier de Gerson 1363 1429 aus dem Jahr 1411 eine umfangreichere Beschreibung der Ordnung in Reims ist vom 25 August 1681 uberliefert Eine grosse Zahl von Maitrisen wurde im 15 Jahrhundert gegrundet wobei die burgundischen Herzoge insbesondere Philipp der Gute Regierungszeit 1419 1465 eine erhebliche Rolle gespielt haben Besonders zu erwahnen sind hier die Grundungen in Troyes 1406 Saint Omer 1417 Beaune 1418 19 Bourges 1420 Dijon 1424 Brugge und Lille 1425 Chinon 1429 Nantes 1433 Loches 1448 Macon 1467 und Autun 1473 Diese fruhesten und bedeutendsten musikalischen Ausbildungsstatten im franzosischen Sprachraum waren ein deutliches Vorbild fur ahnliche Grundungen im deutschen englischen und italienischen Sprachgebiet bis zur papstlichen Kapelle und behielten ihre Bedeutung bis zur Franzosischen Revolution 1789 Weitere wichtige Maitrisen entstanden in Aix en Provence Clermont Ferrand Langres Rouen und Saint Quentin Auffallend ist das Parallelgehen des musikpadagogischen Rangs der Maitrisen im spaten 14 und im 15 Jahrhundert mit der rapiden Zunahme musikalischer Talente in dieser Zeit im Bereich der franko flamischen Musik wobei schwer zu entscheiden ist welche der beiden Bewegungen die andere begunstigt oder gefordert hat Gesichert ist dass der Werdegang fast aller namhaften franko flamischen Komponisten des 15 und 16 Jahrhunderts von Maitrisen ausgegangen ist wo sie nicht nur ausgebildet wurden sondern wohin sie spater zumindest zeitweilig als Magister zuruckgekehrt sind Nicholas Grenon beispielsweise leitete als Magister von 1403 bis 1408 die Maitrise von Laon und ubernahm anschliessend die Leitung dieser Einrichtung in Cambrai Guillaume Dufay selbst Schuler der Maitrise von Cambrai wurde hier 1442 Grenons Nachfolger Jacob Obrecht war magister puerorum in Utrecht und hatte 1477 78 den beruhmten Humanisten Erasmus von Rotterdam als Schuler Auch hatten schliesslich Orlando di Lasso und Philippe de Monte ihre Ausbildung in Maitrisen erhalten Ab dem 16 Jahrhundert kam es ebenfalls zur Neugrundung von Maitrisen Daruber hinaus ist eine gewisse Ausweitung der Tatigkeiten der ausgebildeten Kapellknaben festzustellen Ausser zu den alltaglichen wie zu den besonderen liturgischen Anlassen sangen sie auch zu offiziellen weltlichen Anlassen wie zur Ankunft gekronter Haupter in einer Stadt Noch im 17 und 18 Jahrhundert waren die Maitrisen fur die allgemeine Musikerausbildung in Frankreich von erheblicher Bedeutung was auch an den uberlieferten Notenbestanden erkennbar ist Einen zunehmenden Rang bekam ausserdem die Ausbildung im Instrumentalspiel schon im 15 Jahrhundert gingen etliche Organisten aus Maitrisen hervor Besonders zu nennen ist hier die Ausbildungsstatte in Aix en Provence die bis 1962 bestanden hat und solch namhafte Instrumentalisten und Komponisten hervorbrachte wie Andre Campra 1660 1744 Claude Mathieu Pellegrin 1682 1763 Etienne Joseph Floquet 1748 1785 und Felicien Cesar David 1810 1876 der hier von 1818 bis 1825 seine Ausbildung bekam Auch so bekannte Komponisten wie Francois Joseph Gossec 1734 1829 Andre Ernest Modeste Gretry 1741 1813 und Francois Adrien Boieldieu 1775 1834 wurden in Maitrisen ausgebildet Nach Schatzung des franzosischen Musikhistorikers Joseph Louis d Ortigue 1802 1866 gab es vor der Revolution in Frankreich etwa 400 Maitrisen mit rund 4000 Schulern und etwa ebenso vielen fest angestellten Lehrern Die Auflosung der Maitrisen proklamiert 1789 und umgesetzt 1791 erfolgte um die Musikerausbildung unter staatliche Kontrolle zu bringen Einrichtung der Institution eines Conservatoire 1794 95 In anderen Landern Europas bestanden die betreffenden Einrichtungen jedoch meistens weiter Am Anfang des 19 Jahrhunderts entstanden Bewegungen der Restauration und der Choralreform die mit der Wiedererrichtung zahlreicher Maitrisen verbunden waren so in Rouen 1805 Aix en Provence 1807 Autun 1808 und weiteren Stadten Hundert Jahre spater versuchte Papst Pius X Amtszeit 1903 1914 mit seinem kirchenmusikalischen Erlass Motu proprio von 1903 auch den Maitrisen ihre einstige Fuhrungsrolle wieder zu verschaffen hatte damit aber nur geringen Erfolg Im heutigen franzosischen Sprachgebrauch ist Maitrise mit dem deutschen Wort Kirchenchor gleichbedeutend Dieser Begriff wird in Frankreich heute auch in dem Namen von Chorvereinigungen verwendet beispielsweise Maitrise de Radio France oder Psallette de Lorraine Literatur Auswahl BearbeitenH B Schonnefeld Geschichte der Knabenstimmen im Dienste der Kirchenmusik nebst einigen Folgerungen In Caecilien Kalender Nr 4 1879 Seite 57 67 A E Prevost Histoire de la maitrise de la cathedrale de Troyes In Memoires de la Societe academique d agriculture des sciences arts et belles lettres du departement de l Aube Nr 42 1905 Seite 213 276 selbstandig Troyes 1906 H Bachelin Les Maitrises et la musique de choer Paris 1930 G van Doorslaer La Maitrise de Saint Rombaut a Malines jusqu en 1580 In Musica sacra Nr 43 1936 Seite 162 185 N Joachim Apercu historique sur la maitrise de la cathedrale de Tournai Tournai 1942 G Roussel Les maitrises d enfants et les offices liturgiques In Atti del Congresso internazionale di Musica Sacra Rom 1950 P Pimsleur The French Maitrise In The Musical Times Nr 95 1954 Seite 361 und folgende F Raugel Une maitrise celebre au grand siecle la maitrise de la cathedrale d Aix en Provence In Revue des etudes du XVIIe siecle in Musica Paris Nr 1 1954 Seite 16 19 G Roussel Le Role exemplaire des maitrises de cathedrale In La Revue musicale Nr 239 240 1958 Seite 263 265 O Fr Becker The Maitrise in Northern France and Burgundy During the Fifteenth Century Dissertation am George Peabody College for Teachers Ann Arbor 1967 G Bourligueux La Vie quotidienne a la psallette de la cathedrale de Rennes au XVIIIe siecle In Recherches Nr 7 1967 Seite 205 216 Derselbe La Maitrise de la cathedrale de Vannes au XVIIIe siecle In Societe d histoire et d archeologie de Bretagne Nr 9 1969 70 J Rodriguez La Musique et les musiciens a la cathedrale d Avignon au XVIIIe siecle In Recherches Nr 13 1973 Seite 64 101 Reinhard Strohm Music in Late Medieval Bruges Oxford 1985 C Lohmer Die Welt der Kinder im 15 Jahrhundert Weinheim 1989 I Boghossian Aix en Provence catalogue de fonds musical de l ancienne maitrise de la cathedrale Saint Sauveur Aix en Provence 1990 Gl P Johnson Aspects of Late Medieval Music of the Cathedral of Amiens Dissertation an der Yale University 1991 Artikel Maitrise im Dictionnaire de musique en France herausgegeben von N Dufourq und M Brenet Paris 1992Quellen Bearbeiten Laurenz Lutteken Maitrise In Ludwig Finscher Hrsg Die Musik in Geschichte und Gegenwart Zweite Ausgabe Sachteil Band 5 Kassel Meiningen Barenreiter Metzler Kassel u a 1996 ISBN 3 7618 1106 3 Online Ausgabe fur Vollzugriff Abonnement erforderlich Marc Honegger Gunther Massenkeil Hrsg Das grosse Lexikon der Musik Band 5 Koth Mystischer Akkord Herder Freiburg im Breisgau u a 1981 ISBN 3 451 18055 3 Normdaten Sachbegriff Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Maitrise Kirchenmusik amp oldid 235477233