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Juri Nikolajewitsch Nassonowitsch Tynjanow russisch Yurij Nikolaevich Nasonovich Tynyanov wiss Transliteration Jurij Nikolaevic Nasonovic Tynjanov 6 Oktoberjul 18 Oktober 1894greg in Reschiza Gouvernement Witebsk 20 Dezember 1943 in Moskau war ein russischer bzw sowjetischer Schriftsteller Literaturwissenschaftler Ubersetzer Drehbuchautor und Filmtheoretiker Tynjanows Ruhm als Schriftsteller grundet sich insbesondere auf seine historischen Romane Literaturwissenschaftlich ist er primar als erfolgreicher Literaturtheoretiker in Erscheinung getreten und gilt als bedeutendster Vertreter des Russischen Formalismus dessen bis Mitte der 1920er Jahre durchdiskutierte Grundideen er reformulierte systematisierte und erfolgreich ausbaute Entscheidend beteiligt war er etwa an der Entwicklung des Konzepts einer literarischen Evolution das bis heute in der Literaturwissenschaft vor dem Hintergrund der Legitimationskrise der Literaturgeschichtsschreibung diskutiert wird Inhaltsverzeichnis 1 Wissenschaftliche Leistungen 2 Kunstlerisches Schaffen 3 Ehrung 4 Einzelnachweise 5 Literaturwissenschaftliche Werke 6 Literarische Werke 7 Sekundarliteratur 8 WeblinksWissenschaftliche Leistungen BearbeitenVon 1904 bis 1912 besuchte Tynjanow das Pleskauer Gymnasium und studierte von 1912 bis 1918 russische Philologie an der Historisch philologischen Fakultat der Universitat Petersburg Zu seinen Lehrern gehorten der vom Positivismus und Idealismus beeinflusste Literaturhistoriker S A Vengerov sowie der Sprachwissenschaftler Baudouin de Courtenay der Tynjanow mit der These bekannt machte dass der allgemeine Sprachwandel als Kampf zwischen konservativen und innovativen Kraften zu verstehen sei Ab 1921 lehrte und forschte Tynjanow am Russischen Institut fur Geschichte der Kunste in Petrograd wo er auch der Gesellschaft zur Untersuchung der schonen Literatur angehorte 1 Den Futuristen Vladimir Majakovskij und Welimir Chlebnikov kunstlerisch nahestehend und zunehmend vom vorherrschenden Positivismus der zeitgenossischen Geisteswissenschaften aufgrund deren Theorielosigkeit sowie statischem Substanzdenken entfremdet trat Tynjanow 1921 der 1916 von Viktor Sklovskij und Boris Ėjchenbaum gegrundeten Gesellschaft zum Studium der poetischen Sprache genannt OPOJAS bei Ziel der Gruppe war es das Theoriedefizit der Literaturwissenschaft durch intensive Methodenreflexion und durch Konzentration auf die Machart der literarischen Texte zu uberwinden Dabei stand von Anfang an die Frage nach den spezifischen Verfahren die Texten eigentlich erst ihren literarischen Charakter verleihen also die Frage nach der Literarizitat sprachkunstlerischer Rede im Vordergrund der Bemuhungen Um die Literarizitat eines Textes literaturnost und damit die Eigengesetzlichkeit der Literatur objektiv bestimmen zu konnen fuhrte Tynjanow als erster systematisch die Begriffe Funktion und System in den literaturtheoretischen Diskurs ein die er mit dem Verfremdungstheorem Sklovskijs zu einem eigenen Ansatz kombinierte Das literarische Werk konzipiert er dabei als Werk System das sich aus einzelnen Elementen zusammensetzt deren konstruktive Funktion jedoch niemals isoliert sondern immer nur in Relation zu den Funktionen der anderen Elemente des eigenen Werk Systems und den Funktionen der Elemente anderer Werk Systeme oder sogar ausserliterarischer Reihen analysiert werden durfe Dabei definiert er die konstruktive Funktion eines gegebenen Elementes in Bezug zu andersartigen Elementen des gleichen Werk Systems als dessen gewissermassen integrative dem Werk seine innere Einheit stiftende Synfunktion seine konstruktive Funktion gegenuber gleichartigen Elementen in anderen Werk Systemen als dessen Autofunktion Dem Substanzdenken der Positivisten und ihrer ontologisierenden Suche nach dem Wesen der Literatur setze Tynjanow einen ausserst dynamischen Funktionsbegriff entgegen und betonte dass die Grenze zwischen Literatur und Nicht Literatur permanenten Definitionskampfen ausgesetzt sei und sich daher standig verandere Daruber hinaus ging der sowjetische Literaturtheoretiker davon aus dass das literarische System intern nach dem Prinzip von Zentrum und Peripherie organisiert sei wobei er die gerade dominierenden Genres im Zentrum die weniger bedeutenden Gattungen am Systemrand verortet von wo aus sie allerdings bei gunstigen evolutionaren Bedingungen jederzeit ins Schwerkraftzentrum des literarischen Systems vorzurucken imstande seien Unabdingbare Voraussetzung fur ein solches Ins Zentrum Rucken ist allerdings die sog Automatisierung des dominierenden Paradigmas d h das durch Gewohnung hervorgerufene Einbussen der Fahigkeit die Wahrnehmung der Leser dauerhaft noch durch uberraschende Arrangements im Rahmen einer erschwerten Form fesseln zu konnen In diesem Zusammenhang sei Literaturgeschichte als Evolution der literarischen Reihe als Kampf um die Position im Zentrum anzusehen in dessen Fortgang ein Paradigma das vorhergehende ablose und so die Entwicklung der Literatur vorantreibe Konkret beschrieb Tynjanow solche evolutionaren Ablosungen als Prozesse die immer nach dem folgenden Schema ablaufen Bei der Analyse der literarischen Evolution stossen wir nun auf folgende Etappen 1 in dialektischer Beziehung zum automatisierten Konstruktionsprinzip kundigt sich ein entgegengesetztes Konstruktionsprinzip an 2 es vollzieht sich seine Anwendung das Konstruktionsprinzip sucht sich die leichteste Anwendungsmoglichkeit 3 das Konstruktionsprinzip dehnt sich auf eine grosstmogliche Zahl von Erscheinungen aus 4 es wird automatisiert und ruft entgegengesetzte Konstruktionsprinzipien hervor 2 Kunstlerisches Schaffen BearbeitenEng verbunden mit der kunstlerischen Avantgarde der 1910er und 1920er Jahre beschrieb Tynjanow in seinen historischen Romanen unter anderem den Schriftsteller Alexander Gribojedow Zeitgenosse und Bekannter von Puschkin der als bevollmachtigter Minister Wesir Muchtar 1828 nach Persien geschickt wird um dort uber die Zahlungen der Kriegskosten an Russland zu wachen Von aufgebrachten Persern wird er deswegen umgebracht Die Sprache in Tynjanows Werken ist vor allem durch eine berauschende Metaphorik und Bildlichkeit gepragt die Tynjanow insbesondere auch dazu einsetzt um ironischen Humor zu entwickeln und die eigentlich tragischen Lebenslaufe mit feinem Witz darzustellen Die folgende Leseprobe stammt aus der Ausgabe Juri Tynjanow Der Tod des Wesir Muchtar 2 Auflage Verlag Volk und Welt Berlin 1976 S 148f Nesselrode winkte mit dem Handchen Sie wissen bester Alexander Sergejewitsch dass unser Graf von Eriwan mit einer Million belohnt wurde Dies sagte uberflussigerweise Rodofinikin Sie stimmten nicht uberein die beiden Chefs weder im Blick noch im Wort Sie erwarteten keine Antwort sondern sprachen in die Luft als ob sie auf etwas oder auf jemanden warteten Der Monarch hat mit mir uber Sie gesprochen Nesselrodes Augen kamen zum Stillstand Er rieb sich die frierenden Handchen und sah Rodofinikin an Wir haben endlich eine Aufgabe gefunden die Ihrer wurdig ist Gribojedows Mund wurde zum Ganseschnabel Vorgeneigt sass er da die Beine unter den Sessel gezogen und seine Augen blickten starr Eine wichtige einmalige Aufgabe Nesselrode seufzte als diplomatischer Bevollmachtigter fur unsere Angelegenheiten in Persien Er hob bedeutsam den Finger Juri Nikolajewitsch Tynjanow ubersetzte auch westeuropaische Autoren u a Heinrich Heine Ehrung Bearbeiten31 Januar 1939 Orden des Roten Banners der Arbeit Einzelnachweise Bearbeiten Jurij N Tynjanov Das Problem der Verssprache Munchen Fink 1977 S 37 Jurij Tynjanov Das literarische Faktum in Jurij Striedter Hrsg Russischer Formalismus Munchen Fink 1971 S 411f Literaturwissenschaftliche Werke BearbeitenJurij N Tynjanov Das Problem der Verssprache Fink Munchen 1977 Orig 1924 Jurij Tynjanov Das literarische Faktum In Jurij Striedter Hrsg Russischer Formalismus Fink Munchen 1971 S 392 430 Orig 1924 Jurij Tynjanov Uber die literarische Evolution In Jurij Striedter Hrsg Russischer Formalismus Fink Munchen 1971 S 432 460 Orig 1927 Literarische Werke BearbeitenWilhelm Kuchelbecker Dichter und Rebell Historischer Roman Ubers Maria Einstein Kyuhlya povest o dekabriste Kjuchlja 1925 1990 ISBN 3 257 21812 5 russische Ausgabe von 1935 Digitalisat Russische Staatsbibliothek Moskau deutsche Ausgabe von 1929 Berlin Kiepenheuer vorhanden in UB Illinois 2025 zum Scannen bestellbar Der Tod des Wesir Muchtar 1927 Ubers amp Nachdichter Thomas Reschke Smert Vazir Muhtara Smert Vazir Muchtara Suhrkamp 1988 ISBN 3 518 38093 1 russische Originalausgabe von 1937 Digitalisat Russische Staatsbibliothek Moskau Sekondeleutnant Saber auch Secondelieutenant Sjedoch Podporuchik Kizhe Podporutschik Kische 1927 Ubers Maria Einstein in Dreissig neue Erzahler des neuen Russland eine Sammlung junger russischer Prosa Berlin Malik 1929 Digitalisat Google Books S 9 56 Diese Ubersetzung versehen mit Federzeichnungen von Rudolf Fuhrmann gehort 1948 zu den vom Borsenverein der Deutschen Buchhandler zu Leipzig ausgewahlten 50 schonsten Buchern Volk und Welt Berlin 1948 Ubers Elisabeth Kottmeier mit einem Nachwort von E G Kostetzky Diogenes Zurich 1987 ISBN 3 257 21445 6 Die Wachsperson Erzahlung 1930 Der Minderjahrige W Erzahlung 1933 Der 14 Dezember Dekabristen Drama 1939 Puschkin Romanfragment 1943 russische Ausgabe von 1938 Teil 1 2 in 1 Band Digitalisat Russische Staatsbibliothek Moskau Der Affe und die Glocke Erzahlungen Drama Essays 1975 Poetik Ausgewahlte Essays 1982 Problema stichotvornogo jazyka 1924 Das Problem der Verssprache Dostojevskij i Gogol k teorii parodii 1921 Dostoevskij i Gogol k teorii parodii Sborniki po teorii poeticheskogo yazyka Petrograd Tip Z Sokolinskogo 1916 1923 Dostojewskij und Gogol zur Theorie der Parodie russische Ausgabe von 1921 Digitalisat Russische Staatsbibliothek Moskau Archaisty i novatory 1929 dt Archaiker und Neuerer 1967 russische Originalausgabe von 1929 Digitalisat Russische Staatsbibliothek Moskau Uber die Grundlagen des Films 1927 deutsch in Franz Josef Albersmaier Texte zur Theorie des Films 3 erw Auflage Reclam Stuttgart 1998 S 138 171 Sekundarliteratur BearbeitenReinhard Lauer Tynjanov 1894 1943 In Horst Turk Hrsg Klassiker der Literaturtheorie von Boileau bis Barthes Beck sche schwarze Reihe Band 192 Beck Munchen 1979 S 267 285 ISBN 3 406 06792 1 Nina Segal Rudnik Opoyaz In Dan Diner Hrsg Enzyklopadie judischer Geschichte und Kultur EJGK Band 4 Ly Po Metzler Stuttgart Weimar 2013 ISBN 978 3 476 02504 3 S 419 424 Christoph Veldhues Jurij Tynjanow In Matias Martinez Michael Scheffel Hrsg Klassiker der modernen Literaturtheorie Von Sigmund Freud bis Judith Butler Beck sche Reihe 1822 Beck Munchen 2010 ISBN 978 3 406 60829 2 S 57 79 Lew Wenjaminowitsch Zyrlin Tynjanov Belletrist Leningrad Izd vo pisateleĭ v Leningrade 1935 in russischer Sprache Digitalisat Hathitrust frei zuganglich mit VPN USA ab 2031 Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Juri Tynjanow Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Literatur von und 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