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Literarizitat bezeichnet den Grad eines Werkes literarisch zu sein Der Ausdruck Literarizitat als die spezifische Sprachverwendungsweise literarischer Texte wird auf mindestens vier verschiedene Arten verwendet die einander nicht ausschliessen Inhaltsverzeichnis 1 Vier Verwendungsweisen des Begriffs 2 Wort 3 Differenzierung des Literaturbegriffs 4 Poesiediskussion 5 Romandiskussion 6 Transmediale Erweiterung des Begriffs 7 Literatur 8 EinzelnachweiseVier Verwendungsweisen des Begriffs BearbeitenTilmann Koppe und Simone Winko schlagen in ihrer Einfuhrung von 2013 vier Verwendungsweisen des Begriffs vor Die erste Verwendungsweise bezieht sich demnach auf sprachliche Merkmale syntaktischer lexematischer oder stilistischer Art Dieser Auspragung des Begriffs liegt die Vorstellung zugrunde dass ein Text nicht bloss entweder literarisch oder nicht literarisch sei sondern dass er mehr oder weniger literarisch sein kann Diese Verwendung des Begriffs steht in Analogie zum Begriff der Poetizitat dem Mass an Poesiecharakter den ein Werk besitzt Zweitens ist Literarizitat die Bezeichnung einer Textsorten zugehorigkeit insofern Texte aufgrund einer solchen Eigenheit klassifikatorisch von anderen unterschieden werden konnen Drittens bezeichnet Literarizitat einen bestimmten Verarbeitungsmodus bei Lesenden Die Aufmerksamkeit gilt dabei nicht primar dem Text sondern der sprachlichen Gestalt beziehungsweise der Struktur des Textes russischer Formalismus Viertens findet Literarizitat als Bezeichnung fur einen literaturwissenschaftlichen Untersuchungsgegenstand Verwendung 1 Wort BearbeitenDas lateinische Adjektiv literaria das im 17 und 18 Jahrhundert in Wortfugungen wie Res publica literaria und Historia Literaria benutzt wurde bedeutete wissenschaftlich oder den Wissenschaftsbetrieb betreffend Die deutsche Adjektivbildung literarisch gewann dagegen erst im 19 und 20 Jahrhundert an Bedeutung als das Wort Literatur nicht mehr nur als alles Geschriebene sondern neu auch als Oberbegriff schriftlicher Kunstformen der Literatur im engeren Sinne Poesie und Romane definiert wurde Literarizitat wurde wie viele andere Fachbegriffe mit Hilfe des deutschen Suffixes itat gebildet welches einen Zustand oder Grad ausdruckt Differenzierung des Literaturbegriffs BearbeitenDer Begriff der Literatur wurde zu allen Zeiten weit gefasst schloss also neben den Kunstformen der Literatur mehr oder weniger alle sprachliche Uberlieferung ein wissenschaftliche Literatur Notenliteratur Schundliteratur und ahnliche Begriffe Bis zum 18 Jahrhundert zahlte jeder schriftliche Text zur Literatur mundliche Texte oder Uberlieferungen wurden diesem Verstandnis von Literatur entsprechend ausgeschlossen 2 In der Literaturdiskussion des 19 Jahrhunderts wurde die Abgrenzung der Kunstformen der Literatur zunehmend wichtig Kunstlerische Qualitaten wurden als literarische Qualitaten bezeichnet und Texte mit einem hohen Grad an solchen Qualitaten ruckten ins Zentrum der Diskussion und damit der Literaturgeschichte Die Erfassung dieses kunstlerischen Grades eines Textes seiner Literarizitat also ruckte in den Mittelpunkt wobei Fiktionalitat asthetische Formprinzipien Selbstreferenzialitat und kunstlerische Autonomie sowie Polysemie als Merkmale der schongeistigen Literatur im engeren Sinne gelten 3 Die heutige wissenschaftliche Diskussion uber Literatur entstand im spaten 18 und fruhen 19 Jahrhundert als sich die Literaturbetrachtung auf die sprachliche Uberlieferung der einzelnen Nationen ausrichtete Indem Literatur in dieser nationalen Form zum neuen Diskussionsgestand wurde wurden zwei vormals getrennte Felder zusammengelegt Die Poesie also die gebundene in Verse gesetzte Sprache einerseits und der Roman andererseits Diese neue Art der Diskussion uber literarische Fragen war befruchtend und fuhrte dazu dass die Frage nach dem Mass an Kunst Poesiediskussion sich von der Poesie auf den Roman ubertrug und dass sich gleichzeitig die Frage nach Fiktion und Interpretation vom Roman auf die Poesie ubertrug Romandiskussion Die Idee dass sich literarische Texte durch eine bestimmte Verwendung von Sprache auszeichnen geht ebenso wie der Begriff Literaturtheorie auf Vertreter des Russischen Formalismus zuruck der in den Jahren seit 1915 entstand bis Ende der 1920er Jahre sehr einflussreich war und neue Grundlagen fur die Betrachtungsweise von Literatur geschaffen hat Von den weiteren Literaturtheorien des 20 Jahrhunderts wurde vor allem von den Vertretern des New Criticism am Konzept der Literarizitat festgehalten und mit Begriffen wie Mehrdeutigkeit Ambiguitat Paradoxie oder emotive use of language umschrieben Spatere Literaturtheorien wie der Strukturalismus die Empirische Literaturtheorie die Rezeptionsforschung oder die kulturwissenschaftlichen Ansatze sehen das Spezifische der Literatur in der Regel nicht mehr in ihrer kunstlerischen Sprache sondern eher als Wirkung ihres Gebrauchs durch Institutionen Diskurse den Leser das literarische Feld oder einfach als Zuschreibung was dafur gehalten wird Die neuere Erzahltheorie hat sich in der zweiten Halfte des 20 Jahrhunderts ebenso von dem Konzept der Literarizitat gelost Die traditionelle deutsche z B Kate Hamburger und amerikanische z B Rene Wellek Austin Warren Theorie der literarischen Prosa mit ihrer Beschrankung auf fiktionale literarische Texte wurde ersetzt durch Ansatze die Narrativitat zum Gegenstand der Untersuchung machten 4 Poesiediskussion BearbeitenTraditionelle Forschung in diesem Gebiet befasst sich mit Abweichungen vom regularen Sprachgebrauch Man versucht Regeln aufzustellen und alles was nicht darunter subsumiert werden kann wird fur das Erklaren einer Spannung herangezogen Oder es wird ein Klangbild sound pattern daraufhin untersucht welcher Bezug zur Bedeutung bestehen konnte 5 Dabei gibt es eine Forschungsrichtung die die vorangegangenen Poesiedebatten mit den Mitteln der poetischen Stilanalyse fortsetzt Sie untersucht konventionelle Versmasse sowie rhetorische Figuren und stellt fur das 18 19 und 20 Jahrhundert eine Tendenz zu einem immer freieren Umgang mit den Regeln der Poesie fest Die Versmasse wurden freier und der Versrhythmus flexibler die Form wurde also zunehmend vom Autor selbst bestimmt Der Bruch mit formalen Konventionen wurde Teil der kunstlerischen Auseinandersetzung Der Kunstler und seine Gestaltung der Sprache blieben im Zentrum des Interesses Eine weniger auf Traditionslinien ausgerichtete Forschung entwickelte sich im 20 Jahrhundert mit dem Russischen Formalismus und dem Strukturalismus Literarizitat musste sich gemass dieser Theorie unabhangig von den historisch gewachsenen Formen des Sprachgebrauchs in der unmittelbaren Abweichung vom normalen Sprachgebrauch nachweisen lassen Zudem mussten sich so dieser Ansatz in dieser nicht historischen neutralen linguistischen Perspektive Unterschiede zwischen dem flachen normalsprachlichen und dem mutmasslich komplexeren kunstlerischen Sprachgebrauch zeigen Die Wiederholung auffalliger Merkmale zogen die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich Wiederholungen liessen sich in Handlungsverlaufen auf phonetischer graphischer syntaktischer und semantischer Ebene in Metrum Reim Rhythmus sowie in rhetorischen Figuren nachweisen Regelbruche intensivieren die Distanz zwischen der literarischen und der nicht literarischen Sprechweise Subjektive Sprache also der Stil eines einzelnen Autors oder einer bestimmten Kunstrichtung der sich der Autor zuordnet kann ein breites Spektrum einzigartiger Sprachmerkmale bis hin zu einer neuen Konvention verpflichteten Sprechweise schaffen Markant sind die sprachlichen Besonderheiten expressionistischer Literatur Sie fallen in jene Epoche die sich am intensivsten Gedanken zum Unterschied zwischen normalen und literarischen Sprechweisen machte Romandiskussion BearbeitenDer zweite Bereich der Kriterien fur Literarizitat von Texten stammt aus der Romandiskussion der zweiten Halfte des 18 Jahrhunderts welche ihrerseits auf die Aussagen zuruckgriff welche Pierre Daniel Huet in De Interpretatione 1661 und im Traitte de l origine des romans 1670 veroffentlicht hatte Beide Werke von Pierre Daniel Huet hatten in bahnbrechender Weise die theologische Textinterpretation auf den Roman ubertragen und die Vermutung angestellt dass man dieselbe Methodik auf Poesie ausdehnen konnte Huets Frage galt der Verwendung von Fiktionen im Sinne erfundener Geschichten in verschiedenen Kulturen Die Literaturdiskussion die sich zwischen 1750 und 1830 auf die nationalen Sprachkunstwerke ausrichtete ubernahm Huets Fragen Die gleichzeitige Einengung der Literaturdiskussion auf die eigene Sprache bzw Nation erzeugte politische Brisanz Die Kernfrage war Was sagt uns der fiktionale Text uber die Phase der Geschichte der Nation in der er entstand Die Frage danach was Fiktionalitat uberhaupt sei gewann Gewicht Besonders realistisch wirkende Romane warfen dabei die interessantesten Fragen auf da sie vorgaben die Wirklichkeit zu imitieren aber eben doch erkennbar Romane und somit sprachlich gestaltete Erfindungen waren Die Forschungsfrage lautete Was macht die Literarizitat in einem Satz aus wenn dieser Satz in einem Roman als literarisch gilt aber ausserhalb des Romans etwa in einer Zeitung nur als normaler Satz gilt Die Antworten auf diese Frage waren vielfaltig Zum einen scheint der Kontext die Bedeutungstiefe zu schaffen Der Roman kommt als Roman auf den Markt Im Untertitel weist er seine Gattung aus oder Klappentexte geben Hinweise darauf dass hier ein sprachliches Kunstwerk als Fiktion wahrzunehmen sei Ein und dieselbe Ausserung kann so betrachtet sowohl den blossen sachlichen Inhalt der Worter wiedergeben Sachtext als auch eine tiefere Absicht eines Autors in einem grosseren Zusammenhang Roman Das sogenannte uneigentliche Sprechen gelangte in den Brennpunkt der Forschung Auch wenn ein Leser nicht weiss dass eine Passage aus einem Roman stammt erfasst er dies meist nach wenigen Satzen der Leseprobe Der Romancharakter des Texts wird fortlaufend mit dem Text mitkommuniziert Das Erzahlte soll als mustergultig erinnerungswurdig imitierenswert oder als Warnung wahrgenommen werden Etwas die Zeit Uberdauerndes soll mitgeteilt werden eigene Motive und Stoffe geben in den Texten die weiteren Hinweise darauf dass ein Kunstwerk in der Tradition anderer Kunstwerke geschaffen wird Transmediale Erweiterung des Begriffs BearbeitenFur die Untersuchung von Zusammenhang von Literatur und visueller Kultur und speziell von Literarizitat in der Medienkunst hat Claudia Benthien vier kunstlerische Strategien herausgearbeitet Schrift und Schriftelemente werden poetisch integriert die Stimme wird eingesetzt und mundliche Sprache literarisiert verwendet literarische Genres werden adaptiert sowie viertens konkrete literarische Werke transformiert 6 Literatur BearbeitenRoman Ingarden Das literarische Kunstwerk 4 Auflage Niemeyer Tubingen 1972 ISBN 3 484 10037 0 Roman Ingarden Vom Erkennen des literarischen Kunstwerks Niemeyer Tubingen 1968 Helmut Hauptmeier Siegfried J Schmidt Einfuhrung in die empirische Literaturwissenschaft Vieweg Braunschweig und Wiesbaden 1985 ISBN 3 528 08597 5 Jurij Lotman Die Struktur literarischer Texte Ubersetzt von Rolf Dietrich Keil Fink Munchen 1993 ISBN 3 8252 0103 1 Gerhard Pasternack Claudia Thome Zum Problem der literarischen Semantik in Peter Finke Siegfried J Schmidt Hrsg Analytische Literaturwissenschaft Vieweg Braunschweig 1984 S 142 174 ISBN 3 528 08571 1 Einzelnachweise Bearbeiten Tilmann Koppe und Simone Winko Neuere Literaturtheorien Eine Einfuhrung 2 aktualisierte und erweiterte Auflage Metzler Stuttgart Weimar 2013 Inhaltsverzeichnis ISBN 978 3 476 02475 6 S 32 33 Katharina Philipowski Literarizitat Poetizitat In Gerhard Lauer und Christine Ruhrberg Hrsg Lexikon Literaturwissenschaft Hundert Grundbegriffe Philipp Reclam jun Verlag Stuttgart2011 ISBN 978 3 15 010810 9 S 172 174 hier S 172 Katharina Philipowski Literarizitat Poetizitat In Gerhard Lauer und Christine Ruhrberg Hrsg Lexikon Literaturwissenschaft Hundert Grundbegriffe Philipp Reclam jun Verlag Stuttgart2011 ISBN 978 3 15 010810 9 S 172 174 hier S 172 Katharina Philipowski Literarizitat Poetizitat In Gerhard Lauer und Christine Ruhrberg Hrsg Lexikon Literaturwissenschaft Hundert Grundbegriffe Philipp Reclam jun Verlag Stuttgart 2011 ISBN 978 3 15 010810 9 S 172 174 hier S 173f Reuven Tsur Issues in the Instrumental Study of Poetry Reading in Journal of Literary Theory Band 9 Heft 1 Marz 2015 Seiten 112 134 Claudia Benthien Literarizitat in der Medienkunst in Handbuch Literatur amp Visuelle Kultur herausgegeben von Claudia Benthien und Brigitte Weingart de Gruyter Berlin 2014 S 265 284 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Literarizitat amp oldid 236660077