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Das Traitte de l origine des romans deutsch Traktat uber den Ursprung der Romane verfasst von Pierre Daniel Huet Bischof von Avranches erschien erstmals 1670 als Vorrede der Zayde Marie Madeleine de La Fayettes und wurde die erste grosser angelegte Geschichte des Romans Titelblatt der Zayde Marie de LaFayettes Erstausgabe 1670Huets Traktat kann heute als erste Literaturgeschichte im modernen Wortsinn angesehen werden wenn auch das Wort Literatur hier noch genauso fehlt wie die Eingrenzung auf die Uberlieferung einer einzelnen Nation Romangeschichte wird hier zu einer Geschichte der Fiktionen Huets Fragen entwickeln grosse Dimensionen Wie definiert man den Roman Wie entwickelte er sich im weltweiten Fluss der Traditionen zwischen dem antiken Mittelmeerraum und dem Norden der nach der Sintflut in Barbarei verfiel Warum ersinnt der Mensch Fiktionen Welche Rolle spielen sie in der Kultur Inhaltsverzeichnis 1 Publikationsgeschichte 2 Inhalt 2 1 Eroffnung Was ist ein Roman 2 2 Traditionslinien Fiktionen des Luxus aus dem antiken Mittelmeerraum gegen Fiktionen des barbarischen Nordens 2 3 Erkenntnistheorie und Kulturthese Warum der Mensch Fiktionen entwickelt 3 Nachwirkung 4 Literatur 4 1 Ausgaben 4 2 SekundarliteraturPublikationsgeschichte BearbeitenDer Text erschien erstmals 1670 einem Roman vorgeschaltet Bald nach 1670 konnte man ihn bereits in eigenstandigen Ausgaben auf franzosisch lateinisch wie englisch erwerben Die erste eigenstandige englische Ausgabe erschien 1672 unter dem Titel A Treatise of Romances and their Original By Monsieur Huet Translated out of French Heyrick London 1672 Die Karriere des Traktats in der Gelehrsamkeit begann mit den lateinischen Ausgaben Eine deutsche Ubersetzung erschien mit Eberhard Werner Happels Insularischem Mandorell Th Roos Hamburg 1682 Daneben blieb der Text den Neuausgaben der Zayde beigegeben die vor allem in den Niederlanden auf den Markt kamen Ein ausfuhrliches Exzerpt der englischen Ubersetzung von Stephen Lewis nach der Londoner Ausgabe von 1715 findet sich auf der englischen Parallelseite Traitte de l origine des romans Inhalt BearbeitenEroffnung Was ist ein Roman Bearbeiten Huets Traktat tragt deutlich die Handschrift des Theologen der ein ganz fachliches Interesse an der Interpretation von Fiktionen entwickelt Tatsachlich schreckt der Bischof von Avranches nicht davor zuruck die Gleichnisse seiner eigenen Religion in den Kontext seiner Romangeschichte zu stellen Selbst vor der Moglichkeit dass Priesterkasten mit Fiktionen die nur mehr Eingeweihte entratseln konnten die Geschichte unter ihre Kontrolle brachten macht Huet nicht halt Das Fiktionale durchdringt in seiner Darstellung Gattungen und Einzeltexte und wird unversehens zum eigentlichen bestimmenden Kriterium aller Poesie Grosse Linien von Einflussen verlaufen durch die Epochen und Kulturraume In Detailanalysen kommt Huet auf Individuen und Kontakte zwischen Volkern zu sprechen Im grossen folgt sein Bericht den grossen Stromen in denen Traditionen sich im Lauf der Zeiten uber den Globus verbreiteten Ubermittlungslinien bestimmen das Bild Eine Grussadresse an den Monsieur de Segrais eroffnet Jean Regnault de Segrais zeichnet offiziell als Autor der Zayde Huet dankt ihm fur sein Interesse und macht sich unverzuglich an sein Thema Der Roman habe bereits Historiker beschaftigt Huet nennt sie Er will jedoch eigenstandig und aus der Gegenwart heraus arbeiten Er beginnt mit einer Definition Autrefois sous le nom de Romans on comprenoit non seulement ceux qui etoient ecrits en Prose mais plus souvent encore ceux qui etoient ecrits en Vers Le Giraldi amp le Pigna son Disciple dans leurs Traitez de Romanzi n en reconnoissent presque point d autres amp donnent le Boiardo amp l Arioste pour modeles Mais aujourd hui l usage contraire a prevalu amp ce que l on appelle proprement Romans sont des fictions d avantures amoureuses ecrites en Prose avec art pour le plaisir amp l instruction des Lecteurs Marie Madeleine de La Fayette Zayde 1715 S vi Fruher bezeichnete der Name Romane nicht nur Werke die in Prosa geschrieben wurden sondern ofter noch in Versen gesetzte Giraldi und Pigna sein Schuler haben dort wo sie Romanzen behandelten beinahe gar keine anderen gekannt und geben Boiardo und Arioste als Muster an Aber heute hat sich der gegensatzliche Gebrauch durchgesetzt und was man eigentlich Romane nennt sind Fiktionen von Liebes Abenteuern geschrieben in kunstvoller Prosa zum Vergnugen und zur Unterrichtung der Leser Fiktionalitat zeichne den Roman aus Liebes Geschichten eine kunstvolle Prosa dargeboten ganz wie Horaz es der Poesie empfahl um zu erfreuen und zu nutzen Die Definition wird in einem zweiten Durchgang in alle Richtungen ausgedehnt Man musse die fiktionalen Historien von den wahren unterscheiden eine problematische Aussage angesichts der fabulosen Historien die das Mittelalter fur wahr hielt Die Liebe solle die wichtigste Materie des Romans sein eine Materie die nicht immer mit der Moral vereinbar sein wird zudem eine Materie an die der Romanautor nicht gebunden ist Die Prosa sei Vorliebe des gegenwartigen Zeitalters die Gattungsgeschichte ist damit den Versromanzen geoffnet Kunst und gewisse Regeln seien in der Ausgestaltung zu beachten auf dass niemand eine konfuse Ansammlung ohne Ordnung und Schonheit un amas confus sans ordre amp sans beaute als Roman verkaufe Uber den Tugendbegriff kommt Huet auf die Frage nach der instruction Es bleibt offen welche Instruktion wir erwarten sollen Unterschiedliche Zeiten und Volker konnten da unterschiedliche Anspruche gestellt haben In all diesen Ausweitungen gibt Huet gezielt Eindeutigkeit auf Sein Traktat gewinnt gleichzeitig seine wichtigsten Fragen Wenn wir die Ausgangslage die Huet herstellt genauer ansehen so sind mit ihr nahezu alle Diskussionen umrissen innerhalb derer die Literaturwissenschaft nach wie vor festlegt was sie an Literatur betrachtet Die einzelnen Faden der Definition lassen sich durch den gesamten Traktat verfolgen Die Abgrenzung gegenuber dem heroischen Gedicht macht den Anfang Huet lasst sich auf ein Sprechen von Poesie in Prosa nicht ein Aristoteles habe in der Fiktionalitat das Wesentliche der Poesie gesehen Der Roman gerat wo ihn primar Fiktionalitat auszeichnet unversehens in das Zentrum der Poesie Petron habe behauptet dass eine grosse Maschinerie von Gottern und gewaltigen Ausdrucken im epischen Gedicht bewege Fureur bestimme das Epos nicht une narration exacte amp fidele Romane bewahrten dagegen Einfachheit les Romans sont plus simples Vrai semblances Wahrscheinlichkeit wahrend tendierten sie nicht ins Wunderbare Epen handelten von militarischen Aktionen und Politik von Liebe aber nur am Rande anders Romane Die Aussage wird sofort eingeschrankt Die alteren franzosischen spanischen und italienischen Romane voller Kriegszuge hatten es mit anderen Konventionen gehalten Huet grenzt den Roman von den Fabeln wie von den Historien ab Wohl gibt es in den Historien fiktionale Gefilde uberall dort wo fehlerhafte irrtumliche Uberlieferungen zustande kommen Im Roman ist die Fiktion jedoch intendiert darin steht der Roman eher der Fabel nahe Fabeln versuchen indes nicht wahren Historien zu gleichen Mit den Fabeln teilt der Roman die Intentionalitat seiner Fiktionen mit den Historien die Gegenstande und die Schreibart Zwischen Epos Historie und Fabel entfaltet sich seine Geschichte im Spektrum der Gattungen Historisch ist jedoch zwischen Traditionen des Sudens und des Nordens zu teilen Traditionslinien Fiktionen des Luxus aus dem antiken Mittelmeerraum gegen Fiktionen des barbarischen Nordens Bearbeiten Dass das Fiktionale die Volker Asiens beschaftigte ist offensichtlich Sie mystifizierten ihre eigenen Historien ins Fabulose Priesterkasten bestimmten wer in sie eingeweiht werden sollte Die Hieroglyphen zeugten von der Kunst der Verschlusselung die die Essenz aller Fiktion ist Die Reisen die Pythagoras und Plato nach Agypten fuhrten belegten den Kulturkontakt in dem Griechenland das Verschleiern und Mystifizieren kennenlernte Die Tradition beruhrte Nordeuropa weit spater uber die Araber die ihren Glauben mit Fiktionen propagierten Doch auch die Heilige Schrift ist von Fiktionen angefullt von Allegorien wie von Gleichnissen Jesus sprach in solchen zu den Juden Huet fuhrt von einfachen Bewertungen fort Man konne nicht das Hohe Lied nach dem franzosischen eleganten Stil bewerten Geschmack und die Art wie man lebte seien zu bedenken Die erste Blute von Liebesgeschichten muss vor dem Hintergrund der Verfeinerungen des Lebensstils gesehen werden der im antiken Kleinasien zustande kam Kostbare Parfums wollustige Tanze Luxus im Essen und im Wohnen korrespondierten hier mit der Produktion wollustiger das Leben versussender Fiktionen Les Ioniens Peuple de l Asie Mineure s etant elevez a une grande puissance amp ayant aquis beaucoup de richesses s etoient plongez dans le luxe amp dans les voluptez compagnes inseparables de l abondance Ils raffinerent sur les plaisirs de la table ils y ajouterent les Fleurs amp les Parfums ils trouverent de nouveaux Ornements pour les Batimens les Laines les plus fines amp les plus belles Tapisseries du monde venoient de chez eux ils surent Auteurs d une Dance lascive que l on nomme Ionique amp ils se signalerent si bien par leur molesse qu elle passa en Proverbe Mais entre eux les Milesiens l emporterent en la science des Plaisirs amp en delicatesse ingenieuse Ce furent eux qui les premiers apprirent des Perses l art de faire les Romans amp y travaillerent si heureusement que les Fables Milesiennes c est a dire leurs Romans pleines d Histoires amoureuses amp de recits dissolus furent en reputation Il y a assez d apparence que les Romans avoient ete innocens jusqu a eux amp ne contenoient que des Avantures singulieres amp memorables qu ils les corrompirent les premiers amp les remplirent de narrations lascives amp d evenemens amoureux Zayde 1715 p XXV XXVI Nachdem die Ionier ein kleinasiatisches Volk sehr machtig und sehr reich geworden waren lebten sie in Luxus und Vergnugungen wie alle die kein Mangel leiden Sie begnugten sich dabei nicht mit Tafelfreuden Blumen und Parfume verfeinerten den Genuss sie entwarfen neue Designs zum Schmuck ihrer Gebaude die feinsten Stoffe und die schonsten Tapisserien der Welt brachten sie hervor sie erfanden einen lasziven Tanz den ionischen und sie zeichneten sich durch eine Bequemlichkeit aus die sprichwortlich wurde Unter ihnen wiederum ragten die Einwohner Milets in der Wissenschaft des Vergnugens und Raffinements hervor Sie wurden die ersten die bei den Persern die Kunst der Romane erlernten und sie entwickelten dabei eine solche Kunstfertigkeit dass die miletischen Fabeln ihr Produktion von Romanen voller Liebesgeschichten und freizugiger Erzahlungen grossten Ruhm errangen Es ist sehr wahrscheinlich dass die Romane vor ihnen nicht unmoralisch waren und nur Abenteuer enthielten die ob ihrer Seltsamkeit wert waren erzahlt zu werden sie waren die ersten die sie unmoralisch machten und mit aufreizenden Liebesbegebenheiten fullten Den Historiker beschaftigt wie sich sein Gegenstand verbreitete wie Fiktionalitat nach Griechenland gelangte und von dort nach Italien von wo sie den Norden erreichte falls dieser nicht eigene Formen von Fiktionalitat entwickelt hatte Es ist Huets Sprache und nicht die Sprache der Historia Literaria an die die Literaturhistorik anknupfen konnte Huet spricht von Quellen und Wegen der Verbreitung Die Fiktionen verbreiten sich in Stromen Die englische Ubersetzung von Stephen Lewis 1715 liest we must see by what Streams they have spread and convey d themselves Mais il ne suffit pas d avoir decouvert la source des Romans il faut voir par quels chemins ils se sont repandus dans la Grece amp s ils ont passe de la jusqu a nous ou si nous les tenons d ailleurs Zayde 1715 S XXIV XXV Aber es genugt nicht den Ursprung der Romane offenbart zu haben man muss betrachten auf welchen Wegen sie sich durch Griechenland verbreiteten und ob sie eben von dort bis zu uns kamen oder ob wir sie von anderswo erhielten Huet berichtet von den Runen Inschriften die er in Danemark sah Uberlieferungen dunkelster Historie verfasst von Volkern denen das Licht der wahren Geschichte nach der Sintflut abhandengekommen war Von den Sagen des Nordens verlief die Entwicklung in die Artusepik und die Versromanzen des Mittelalters was es nahelegt neben der Genese des Fiktionalen aus dem Luxus das Gegenteil fur moglich zu erachten dass Fiktionen dort zustande kommen wo Mangel auch einen Mangel an wahrer Geschichte bedingt En effet comme dans la necessite pour conserver notre vie nous nourissons nos corps d herbes amp de racines lors que le pain nous manque de meme lors que la connoissance de la verite qui est la nourriture propre amp naturelle de l esprit humain vient a nous manquer nous le nourissons du mensonge qui est l imitation de la verite Et comme dans l abondance pour satisfaire a notre plaisir nous quittons souvent le pain amp les viandes ordinaires amp nous cherchons des ragouts de meme lors que nos esprits connoissent la verite ils en quittent souvent l etude amp la speculation pour se divertir dans l image de la verite qui est le mensonge car l image amp l imitation selon Aristote sont souvent plus agreables que la verite meme De sorte que deux chemins tout a fait opposez qui sont l ignorance amp l erudition la rudesse amp la politesse menent souvent les hommes a une meme fin qui est l etude des Fictions des Fables amp des Romans Zayde 1715 S LXXIII LXXIV Eben so wie wir unseren Korper in der Not wenn wir kein Brot mehr haben um unser Leben zu erhalten mit Grasern und Wurzeln ernahren ganz genau so nahren wir unseren Geist wenn uns die Kenntnis der Wahrheit uns abhandenkommt obwohl sie die passende und naturliche Nahrung des menschlichen Geistes ware mit der Luge die die Imitation der Wahrheit ist Und so wie wir im Uberfluss unsere Vergnugen befriedigend Brot und gewohnliche Nahrungen oft verachten und nach verfeinerter Nahrungen streben genau so verhalten wir uns im Geistigen dann wenn wir die Wahrheit kennen Wir legen unsere Studien und Spekulationen beiseite und lenken uns mit dem falschen Bild der Wahrheit ab das die Luge ist weil das Bild und die Imitation nach Aristoteles oft mehr gefallen als die Wahrheit selbst So dass zwei ganz unterschiedliche Wege der der Unwissenheit und der der Gelehrsamkeit und so dass die Grobheit wie die Hoflichkeit die Menschen zu derselben Sache bringen sich namlich mit Fiktionen mit Fabeln und mit Romane zu beschaftigen Erkenntnistheorie und Kulturthese Warum der Mensch Fiktionen entwickelt Bearbeiten Huet hat sich an selber Stelle nicht von der Akribie losgesagt mit der er seine Skizze der Einflusslinien fuhrte Frankreichs und Deutschlands Universitaten seien im 13 und 14 Jahrhundert die fuhrenden Europas gewesen Dante und Boccaccio hatten in Paris studiert und hier die Fiktionalitat des Nordens kennengelernt Die Neigung zu Fiktionen gelte es jedoch hier schlagt die Untersuchung in Erkenntnistheorie um als naturliche zu begreifen Es habe mit dem Verstand des Menschen zu tun dass er Erfindungen produziere Die der Erkenntnis gegenwartigen Objekte konnten dem Vermogen des Verstandes niemals genugen Schon wenn man sich angesichts der Gegenwart frage was eben passiert sei oder gleich passieren werde schaffe man fiktionale Welten Cette inclination aux Fables qui est commune a tous les hommes ne leur vient pas par raisonnement par imitation ou par coutume elle leur est naturelle amp a son amorce dans la disposition meme de leur esprit amp de leur ame Cela vient selon mon sens de ce que les facultez de notre ame etant d une trop grande etendue amp d une capacite trop vaste pour etre remplies par les objets presens l ame cherche dans le passe amp dans l avenir dans la verite amp dans le mensonge dans les espaces imaginaires dans l impossible meme de quoi les occuper amp les exercer Zayde 1715 p LXXIV LXXV Dieser Geschmack an erfundenen Geschichten der allen Menschen gemeinsam ist kommt ihnen nicht aus einer Uberlegung einer Imitation oder einer Gewohnheit er ist bei ihnen naturlich und kommt aus der Formation selbst von ihrem Geist und aus ihrer Seele Das ruhrt meiner Meinung nach daher dass die Moglichkeiten unserer Vernunft zu zahlreich und zu gross sind und die Wirklichkeit uns nicht genugen kann unsere Seele sucht also in der Vergangenheit und in der Zukunft in der Wahrheit und in der Luge in den imaginaren Orten im Unmoglichen sogar etwas um es einzunehmen und sie abzulenken Die nuchterne allen Fiktionen entsagende Erkenntnis sei gegenuber der fiktionalen schmerzvoll Muhen gezielter Erkenntnissuche blieben oft unbelohnt Der Roman hingegen biete der Imagination uberschaubare Welten Man sehne sich mit seinen Helden nach der Erfullung ihrer Wunsche ein gluckliches Spiel das man mit den eigenen Emotionen geschehen lasse liefert man sich als Leser des Romans doch nur einer kalkulierten uberschaubaren Produktion von Ungewissheit aus Ils n emeuvent nos passions que pour les appaiser ils n excitent notre crainte ou notre compassion que pour nous faire voir hors du peril ou de la misere ceux pour qui nous craignons ou que nous plaignons ils ne touchent notre tendresse que pour nous faire voir heureux ceux que nous aimons ils ne nous donnent de la haine que pour nous faire voir miserables ceux que nous haissons enfin toutes nos passions s y trouvent agreablement excitees amp calmees Zayde 1715 S LXXVII Sie ruhren unsere Leidenschaften aber nur um sie zu beruhigen sie erregen unsere Furcht oder unser Mitleid nur damit wir diejenigen aus der Gefahr oder aus dem Not gezogen sehen fur die wir furchten oder wir bedauern sie beruhren unsere zartliche Liebe nur um uns das Gluck derjenigen zu zeigen die wir gern haben sie geben uns den Hass nur um uns das Elend von denjenigen zu zeigen die wir hassen schliesslich befinden sich alle unsere Leidenschaften dabei angenehm erregt und beruhigt Es ist damit geklart woran es liegt dass der Roman gerade mit all seinem langen verzweifelten Suchen begluckt Dem der nach wirklicher Wahrheit sucht mag er als Blendwerk erscheinen Wenn aber klar ist wieso der Roman erfreut kann man Romane dem Publikum das sie liebt zum Nutzen prasentieren Huet kommt auf die Gegenwart und so flussig er die kleinasiatischen Liebesgeschichten aus denen Petron Heliodor und Longos noch schopften aus den Bedingungen des reichen Kulturraums erklarte die Artusepik hingegen als Zuflucht des Geistes in den Irrtum da Wahrheit ihm abhandenkam so selbstverstandlich nimmt er nun abermals Lebensumstande und Sitten in den Blick um den Roman in seiner gegenwartigen Ausgestaltung zu begreifen In wenigen Satzen durchmisst Huet das Areal der letzten anderthalb Jahrhunderte Miserabelstes wurde hier produziert Fiktionen wie Till Eulenspiegel und der beruhmte Amadis de Gaula deren gewaltige Erfindungen vom Mangel an Erkenntnis gezeichnet sind Dann aber entstanden die grossen franzosischen Romane denen der Schluss gehort Huet liest sie im Blick auf die Sitten Frankreichs Abermals kommt er zu keiner Abbildtheorie sondern zu einem Raisonnement uber den Gebrauch den der Roman in einer Kultur erfullt Die neuen Romane zeichneten sich durch Komplexitat im Umgang der Geschlechter aus Das habe mit der Komplexitat zu tun die man in Frankreich einrichtete um ein freieres Zusammenleben der Geschlechter zu ermoglichen Italiener und Spanier hielten ihre Frauen verschlossen Habe in Italien oder Spanien ein Mann erst einmal Zutritt bei einer Frau erlangt so komme er ohne grossere Formalitaten zur Sache Frankreichs Frauen seien zwar weniger behutet sie trugen dafur aber selbst die Verantwortung fur ihre Tugend Belagerung kunstvoller Angriff und stete Verteidigung bestimmten in Frankreich die Conversation zwischen den Geschlechtern Dies sei die Materie von der die neuen Romane lebten Zuerst hatten Frauen diese Romane von den Belagerungen ihres Geschlechts gelesen um sich aus ihnen zu wappnen Bald hatten sie alles Verstandnis fur die Historien und Fabeln verloren die ihnen so lange Instruktion geboten hatten Die Manner seien der neuen Sucht gefolgt und nannten rasch das Verhalten Pedanterie das kurz zuvor noch Sitte war An dieser Stelle ist der gesamte Siegeszug der galanten Conduite rekapituliert Les hommes ont donc ete obligez d assieger ce rampart par les formes amp ont employe tant de soin amp d adresse pour le reduire qu ils s en sont fait un Art presque inconu aux autres Peuples C est cet Art qui distingue les Romans Francois des autres Romans qui en a rendu la lecture si delicieuse qu elle a fait negliger des lectures plus utiles Les Dames ont ete les premieres prises a cet apas elles ont fait toute leur etude des Romans amp ont tellement meprise celle de l ancienne Fable amp de l Histoire qu elles n ont plus entendu des Ouvrages qui tiroient de la autrefois leur plus grand ornement Les hommes les ont imitees pour leur plaire ils ont condamne ce qu elles condamnoient amp ont apelle pedanterie ce qui faisoit une partie essencielle de la Politesse encore du temps de Malherbe Zayde 1715 S LXXXIII LXXXIV Die Menschen wurden also gezwungen diesen Schutzwall geschickt zu belagern und sie haben so viel Sorge und Adresse gebraucht um ihn zu erobern dass sie sich eine den anderen Volkern fast unbekannte Kunst geschaffen haben Ebendiese Kunst unterscheidet die franzosischen Romane von den anderen Romanen die das Lesen so angenehm gemacht hat dass sie nutzlichere Lekturen vernachlassigen lassen hat Die Damen waren die ersten die verfuhrt worden sind Sie haben sich mit nichts mehr beschaftigt als Romanen und sie haben die ehemaligen Erzahlungen und die Historie so verachtet dass sie keine Bucher mehr verstanden haben als die von den Romanen inspirierten die Manner haben sie nachgeahmt um ihnen zu gefallen sie haben es verurteilt das sie verurteilten und Pedanterie das genannt haben was zur Zeit des Malherbe noch ein wesentlicher Teil von der guten Bildung war Die Autoren hatten sich auf das Publikum eingestellt und dabei an Bildung verloren Damit ist der letzte der Faden aufgetaucht die Huet in seiner Definition des Romans ausgelegt hatte die Frage nach dem Nutzen und dem Schaden der Romane Huet hakt alle Invektiven gegen die sundhafte Gattung ab Die Romane konnten schaden da sie Anleitungen im Spiel zwischen den Geschlechtern geben Sie konnten ebenso nutzen wenn sie auf die Anschlage vorbereiteten denen man sich ausgesetzt finden wird Der Schluss des Traktats ist ambivalent gehalten Huet nutzt diese Offenheit um auf den Roman zu kommen dem er die Ehre hat die Vorrede zu geben Der Zayde sei der Nutzen anders als anderen Romanen sicherlich nicht abzusprechen Huets Traktat endet ohne grosse Schlussthese Eine stille Bescheidenheit bestimmt den Schluss von dem aus der Leser in den folgenden Roman tritt Nachwirkung BearbeitenDer Gelehrsamkeit blieb keinen Moment verborgen dass mit Huets Traktat etwas Aufsehenerregendes geschehen war Huet hatte eine Geschichte des Romans geschrieben ohne dabei in eine Aufzahlung von Titeln zu geraten Literaturgeschichten waren im Moment noch Geschichten der Wissenschaften Fachbibliographien Poesiegeschichten gab es Geschichten der Produktion in Versen Beide Literatur und Poesiegeschichten konnten mit Romanen wenig anfangen Literaturgeschichten mussten dem Roman die Wissenschaftlichkeit aberkennen und kamen selbst bei Sympathien mit der Gattung die modernes Verhalten vermittelte kaum uber das bibliographische Projekt hinaus sie listeten Titel Poesiegeschichten waren dagegen mit Regeln der Poesie befasst und konnten allein darum kaum auf Inhalte eingehen das traf die Inhalte von Poesie wie von Romanen Der Roman war indes ohnehin Prosa kaum Poesie Huet hatte eine Moglichkeit eroffnet Romane und Poesie in einer fortschreitenden Erzahlung zu prasentieren die Inhalte erfasste Er interpretierte die Fiktionen und das erforderte es von ihm als ein Erzahler aufzutreten der Fiktionen referierte und dann Interpretationsrahmen absteckte Der Traktat war an dieser Stelle klugerweise als Romanvorrede veroffentlicht es gab in der Gelehrsamkeit im Moment keinen Raum fur Bucher die Romane auf diese Weise betrachteten Ja es schien fragwurdig ob hier nicht einer skandalosen Produktion eine Ehre zuteilwurde die allein religiosen Gleichnissen zukommen sollte die der Interpretation Aus heutiger Perspektive ist Huets Traktat die erste Literaturgeschichte das erste Werk das Poesie und Romane unter ein einheitliches Definiens der Kunst und der Fiktion bringt Dennoch verlauft keine gerade Linie von Huet in die moderne Literaturgeschichte Unsere Literaturgeschichten entstanden in den 1830ern massgeblich auf deutschem Boden im Aus und Umbau der vorangegangenen Literaturgeschichten Die Schriften der Gelehrsamkeit waren in diesen im Lauf des 18 Jahrhunderts zunehmend an den Rand gedrangt worden zugunsten eines Blicks auf Poesie und Romane die man zuerst noch immer bibliographisch nach Gattungen und Genres erfasste Dann gab man zu Beginn des 19 Jahrhunderts das bibliographische Muster auf und stieg um auf eine kontinuierliche Erzahlung massgeblich das Verdienst der von Georg Gottfried Gervinus vorgelegten Geschichte der poetischen National Literatur der Deutschen Leipzig 1835 1842 Gervinus folgte nicht Huet sondern den Vorgangern der Literaturgeschichtsschreibung die Ende des 18 Jahrhunderts einen entscheidenden weiteren Schritt gemacht hatten als sie sich entschlossen allein auf nationale Uberlieferungen zu sehen Die Literatur kam in Sprachen auf und entwickelte sich in Nationalliteraturen so die Perspektive die fur Gervinus unverruckbar feststand Es ist unklar ob Gervinus Huet je las sicherlich las er jedoch die romangeschichtlichen Versuche wie Christian Friedrich von Blankenburg Versuch uber den Roman 1774 die an Huet anschlossen und die die Option der interpretierenden Erzahlung beibehielten Mit der nationalen Literaturgeschichte war gegenuber der von Huet vorgelegten Weltgeschichte der Fiktionen ein politisch brisantes Projekt eroffnet Huet hatte kein solches geliefert Ruckblickend mag offenbleiben ob Huet nicht eine sehr interessante Option gerade mit seiner internationalen Sicht eroffnete Es lasst sich kaum beweisen dass die Literaturen sich in nationalen Linien entwickeln Fur den Leser sind Ubersetzungen aus auslandischen Sprachen so selbstverstandlich und so frei verfugbar wie Texte seiner eigenen Literatur und jeder Autor ist bevor er die Feder in seiner Sprache ergreift erst einmal lange Zeit Leser eines internationalen Marktes Huet bleibt das Verdienst diesen Markt in den Blick genommen zu haben ihm bleibt das Verdienst die Interpretation von Fiktionen von der Theologie auf den Roman und die Poesie ubertragen zu haben Er fasziniert im Ruckblick durch die erstaunliche Bereitschaft Romane und Poesie dabei auf einer Ebene mit beliebigen kulturellen Gebrauchsartikeln von Parfums und Tapeten bis zu Tanzen und religiosen Uberlieferungen gesehen zu haben eine Breite der Perspektive riskiert zu haben die sich gegenuber den poetologischen Debatten seiner Zeit kaum recht entfalten konnte und heute kaum ihresgleichen findet Literatur BearbeitenAusgaben Bearbeiten 1670 Pierre Daniel Huet Traitte de l origine des romans Vorrede zu Marie Madeleine Pioche de La Vergne comtesse de La Fayette Zayde histoire espagnole Claude Barbin Paris 1670 pdf edition Gallica France Ausg 1671 Sekundarliteratur Bearbeiten Olaf Simons Marteaus Europa oder der Roman bevor er Literatur wurde Rodopi Amsterdam Atlanta 2001 S 165 172 ISBN 90 420 1226 9 Der obige Text ist von dort mit Genehmigung des Autors ubernommen und darf beliebig verandert werden Camille Esmein Le Traite de l origine des romans de Pierre Daniel Huet apologie du roman baroque ou poetique du roman classique communication lors de la journee d etude sur Le roman baroque organisee par M le Professeur Jonathan Mallinson colloque de l Association internationale des etudes francaises AIEF Paris 9 juillet 2003 publiee dans les Cahiers de l Association internationale des etudes francaises CAIEF mai 2004 p 417 436 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Traitte de l origine des romans amp oldid 209360126