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Hermann Samuel Reimarus 22 Dezember 1694 in Hamburg 1 Marz 1768 ebenda war Gymnasialprofessor fur orientalische Sprachen in Hamburg Vertreter des Deismus und Wegbereiter der Bibelkritik in der Fruhzeit der Aufklarung Hermann Samuel Reimarus Olgemalde von Gerloff Hiddinga 1749 Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Werk 3 Die von Lessing veroffentlichten Fragmente 3 1 Fragmente eines Wolfenbuttelschen Unbekannten 3 2 Von dem Zwecke Jesu und seiner Junger 4 Werkverzeichnis 5 Gegenschrift 6 Trivia 7 Literatur 8 Einzelnachweise 9 WeblinksLeben BearbeitenHermann Samuel Reimarus wurde am 22 Dezember 1694 als erstes Kind von Nikolaus Reimarus und Johanna Wetken in Hamburg geboren Vaterlicherseits einer lutherischen Pfarrerfamilie mutterlicherseits einer angesehenen Familie des Hamburger Burgertums entstammend erhielt Reimarus von 1708 an eine grundliche Schulbildung am Hamburger Johanneum an dem sein Vater als Lehrer tatig war Diese vertiefte er ab 1710 unter der Obhut des Theologen Latinisten und Grazisten Johann Albert Fabricius am Akademischen Gymnasium Mit 19 Jahren nahm Reimarus 1714 sein Studium der Theologie Philosophie und der orientalischen Sprachen an der Universitat Jena auf Mit Hilfe seines Hamburger Lehrers Fabricius wechselte er 1716 nach Wittenberg wo er mit einer Disputation uber hebraische Lexikologie die Magisterwurde erreichte und 1719 zum Adjunkt der philosophischen Fakultat wurde In den Jahren 1720 21 unternahm Reimarus eine Studienreise in die Niederlande und nach England und nahm nach kurzem Aufenthalt in Wittenberg 1723 den Rektorposten an der Wismarer Stadtschule an Nachdem er von Fabricius unterstutzt 1728 die Professur fur orientalische Sprachen am Akademischen Gymnasium in Hamburg angenommen hatte heiratete Reimarus noch im selben Jahr die Tochter seines Kollegen und ehemaligen Lehrers Johanna Friederike Fabricius 1707 1783 Von den sieben Kindern der Familie erreichten nur der alteste Sohn Johann Albert Heinrich Reimarus und die Tochter Margaretha Elisabeth genannt Elise Reimarus das Erwachsenenalter 40 Jahre lang blieb Reimarus in seinem Rektoramt am Akademischen Gymnasium In dieser Zeit verfasste er einige philologische theologische und philosophische Schriften siehe unten entwickelte sich zu einer bedeutenden und angesehenen Person der Hamburger Offentlichkeit bewegte sich in aufgeklarten Kreisen und knupfte Kontakte zu wichtigen Personlichkeiten seiner Zeit Reimarus war einer der Initiatoren der 1765 gegrundeten Hamburger Gesellschaft zur Beforderung der Kunste und nutzlichen Gewerbe Seit 1760 war er Ehrenmitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg 1 Knapp zehn Tage vor seinem Tod am 1 Marz 1768 lud Reimarus seine Freunde zum Essen ein und sagte ihnen dies sei sein Abschiedsmahl Werk BearbeitenIn schriftstellerischer Hinsicht war Reimarus zeitlebens ausserst produktiv Nach kleineren Studien und Editionen in jungeren Jahren vollendete er 1734 eine Ubersetzung und Kommentierung des Buches Hiob die der Hamburger Fruhaufklarer Johann Adolf Hoffmann begonnen hatte 1737 publizierte Reimarus eine Wurdigung von Leben und Werk seines Schwiegervaters Johann Albert Fabricius dessen Werkausgabe des romischen Historikers Dio Cassius 155 235 n Chr er fortfuhrte und in zwei Banden 1750 sowie 1752 veroffentlichte Die Reihe seiner eigenen philosophischen Werke begann 1754 mit der Veroffentlichung der zehn Abhandlungen uber Die vornehmsten Wahrheiten der naturlichen Religion einem Werk mit dem er sich als typischer Vertreter der deutschen Aufklarung und philosophisch gewandter Verteidiger des christlichen Glaubens gegen den Atheismus franzosischer oder englischer Machart etablierte 2 Auf diese uberaus erfolgreiche Schrift folgten 1756 die Vernunftlehre als eine Anweisung zum richtigen Gebrauch der Vernunft in der Erkenntnis der Wahrheit sowie 1760 eine Schrift uber die Allgemeine Betrachtungen uber die Triebe der Thiere Mit diesem umfangreichen und vielseitigen Werk galt Reimarus bereits zu Lebzeiten als einer der wichtigsten Vertreter der aufgeklarten Popularphilosophie Sein bedeutendstes Werk jedoch die Apologie oder Schutzschrift fur die vernunftigen Verehrer Gottes ein antichristliches Pamphlet ungekannter Scharfe 2 an der er von 1736 bis 1768 parallel zu seinem offiziellen Werk gearbeitet hatte wagte Reimarus zu Lebzeiten nicht zu veroffentlichen weil er um seine burgerliche Existenz furchtete Er war sich bewusst dass die damalige Generation noch nicht fur die bibel und religionskritische Schrift bereit war welche sich gegen den Biblizismus und die lutherische Orthodoxie wandte und letztlich in grundsatzlicher Negation des christlichen Offenbarungscharakters mundete Damit enthielt die Schrift auch Sprengstoff fur die gottgewollte absolutistische Kleinstaaterei in Deutschland Reimarus schrieb im Vorbericht zur Apologie 3 Die Schrift mag im Verborgenen zum Gebrauch verstandiger Freunde liegen bleiben mit meinem Willen soll sie nicht durch den Druck gemein gemacht werden bevor sich die Zeiten nicht aufklaren Die von Lessing veroffentlichten Fragmente BearbeitenNach Reimarus Tod gelangte Gotthold Ephraim Lessing uber dessen Kinder mit denen er befreundet war in den Besitz einer fruheren Fassung der Apologie und begann ab 1774 stuckweise Auszuge aus der Schrift zu veroffentlichen Um die Familie Reimarus zu schutzen gab er jedoch nicht den Namen des Verfassers bekannt Tatsachlich reagierten die Vertreter der Orthodoxie vor allem Johann Melchior Goeze Johann Heinrich Ress Johann Balthasar Luderwald und Johann Daniel Muller emport auf die Veroffentlichung der Fragmente durch Lessing Der durch Goeze von der Theologie auf die Politik ausgeweitete erbitterte Streit zog sich bis 1780 hin 4 Erst 1814 als Albert Hinrich Reimarus die vollstandige Handschrift der Apologie der Hamburger Bibliothek vermachte bestand endgultige Klarheit uber die Identitat des Verfassers Der zu Lebzeiten hoch angesehene Gelehrte Reimarus wurde daraufhin posthum ausserst kontrovers diskutiert Fragmente eines Wolfenbuttelschen Unbekannten Bearbeiten Die Veroffentlichung der Reimarus Fragmente durch Lessing unter dem Titel Fragmente eines Wolfenbuttelschen Ungenannten von denen er sagt sie seien mit der aussersten Freimutigkeit zugleich aber mit dem aussersten Ernste geschrieben ohne Spottereien und Possen 5 verursachte den sogenannten Fragmentenstreit die wohl grosste theologische Kontroverse im Deutschland des 18 Jahrhunderts Ausgangspunkt der Argumentation von Reimarus war die Feststellung dass in vielen aufgeklarten europaischen vor allem protestantischen Staaten verschiedene christliche Konfessionen und auch Juden toleriert wurden in Russland sogar Muslime nicht jedoch die Anhanger einer naturlichen vernunftigen Religion welche sich nicht auf eine Offenbarung grundeten Eine reine vernunftige Religion zu haben und zu uben ist wenigstens in der Christenheit nirgend erlaubt 6 Selbst die alten Israeliten hatten betende Fremdlinge die Noahs Religion also der von Reimarus so genannten naturlichen vernunftigen Religion anhingen und keine Gotzen anbeteten vor den Toren des Tempels geduldet auch wenn sie die judischen Regeln nicht beachteten Die zeitgenossischen Prediger wollten jedoch die Menschen zuerst zur blinden Akzeptanz ihrer von Kindheit an ausgeubten Religion notigen und ihnen die vernunftige Einsicht bis zu einem reiferen Alter versparen Ihnen werde die Vernunft als schwache blinde verdorbene und verfuhrerische Leiterin vorgestellt sie helfe angeblich nicht zur Seligkeit 7 Reimarus kritisiert die theologische Schulmeisterei Man konne unverstandigen Kindern leicht ein Blendwerk wie den Schrecken vor der Holle vormachen Doch konne Gott den Weg zur Seligkeit nicht vom Verstandnis der Offenbarung abhangig gemacht haben So sei die Halfte der neugeborenen Kinder in den grossen Stadten bis zum vierten Lebensjahr gestorben hier zieht Reimarus sogar Statistiken heran nur ein Drittel erreiche das zehnte Lebensjahr mit dem etwa das selbststandige Denken einsetze 8 Reimarus zeigt dass die Auffassung dieser Prediger wonach der naturliche Mensch unfahig sei den Geist Gottes zu erfassen und nur durch Gehorsam die Offenbarung erlangen konne auf einer Fehlubersetzung und Fehlinterpretation des 1 Korintherbriefs beruht Paulus meine hier die fleischlich gesinnten Menschen die voller Affekte und Arglist seien und die Wirkungen des Geistes Gottes nicht wahrnehmen konnten Auch solle die Vernunft Paulus zufolge nicht unter den Gehorsam Christi gestellt werden sie solle vielmehr die Korinther zum Gehorsam Christi uberzeugen 2 Brief des Paulus an die Korinther 9 Gemeint sei also nicht der Gehorsam des blinden Glaubens Die Regeln welche die Natur bestimmen seien nicht falsch sonst mussten Noah und seine Nachkommen die die Offenbarung noch nicht empfingen von Natur aus verdorben sein Eine geoffenbarte Religion die alle Menschen zweifelsfrei glauben konnten gebe es nicht sie musste in sich vollig widerspruchsfrei und vernunftig sein Ihre Existenz ware ein ubernaturliches Wunder Dass aber Gott bestandig ubernaturliche Wunder tun sollte entsprache nicht seinem Wesen sonst hatte er die Menschen nicht mit den Mitteln zur naturlichen Erkenntnis wie den Augen ausgestattet Gott wurde nicht fur jeden Menschen einen Engel vom Himmel kommen lassen der ihn leitete und zupfte Auch hatte er die Offenbarung nicht durch wenige Menschen oder Volker an andere weitergegeben da sie dadurch weniger glaubwurdig erschienen zumal sich nicht nur die Offenbarungen verschiedener Volker sondern selbst die Lehren von Paulus und Jacobus widersprachen 10 Nur der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele sei bei allen Volkern verbreitet nach Aussage des Pausanias zuerst bei den Indern und Chaldaern nach Aussage Herodots bei den Agyptern Cicero zufolge bei allen Nationen 11 Dass aber Mose uberhaupt eine in diesem Sinne seligmachende Religion hat offenbaren wollen kann Reimarus nicht erkennen Auch Jakob fordere von Gott nur Brot und Kleider keine Seligkeit Die von Moses Gesetz vorgeschriebenen Gebrauche zeigten nicht mehr Weisheit und Verstand als die heidnischen auch er verspreche alles was auf der Welt angenehm sein mag und drohe mit allem was in diesem Leben furchterlich und erschrecklich sein kann er motiviere die Israeliten also mit leiblichen Strafen und Belohnungen dieses Lebens Nicht ein einziger Segen oder Fluch Moses sei auf Seligkeit oder Verdammnis nach diesem Leben gerichtet er versuche nur mit Verstandesgrunden die levitischen Gebrauche beim Gottesdienst und damit die Verehrung seines Gottes statt der der heidnischen Gotter durchzusetzen Der Geruch von dem verbrannten Fette beim Opfer sei aber derselbe Dieser Gestank und Schmauch sei der Vollkommenheit Gottes unwurdig Die feigen Israeliten seien aber selbst durch die ihnen eroffnete Hoffnung auf Milch und Honig 12 nicht bereit gewesen das Land der Kinder Enaks zu erobern Sie seien lieber 40 Jahre in der Wuste umhergeirrt Hatten Mose und Josua sie nicht wie die Druiden die Kelten erfolgreich ermuntern konnen sich durch tapfere Taten ein besseres Leben nach dem Tode zu verdienen Das taten sie aber nicht 13 Auch daruber wie die Frommen im Vergleich zu den Gottlosen belohnt werden sollen schweige sich das Alte Testament aus Mit dem Ende des Lebens seien stets auch Tugend und Hoffnung am Ende So droht Jesaja den Sundern nur dass ihre Missetat nicht solle vergeben werden bis ihr sterbet Auf die von Ijob und anderen immer wieder gestellte Frage warum es den Frommen nicht besser als den Gottlosen ergehe antwortet die Schrift nichts oder allenfalls dass es ihnen selbst in diesem Leben oder dass es ihrem Samen Nachfahren einstmals besser gehen werde Mehr als das Letztere wagen auch fromme Manner in ihrer Sterbestunde nicht zu erhoffen woraus Reimarus ubrigens im Anschluss an den Pentateuch Kommentar des Jean Leclerc schliesst dass es zu Moses Zeiten und auch spater noch keine Vorstellung von der ewigen Seligkeit bei den Israeliten gab 14 Vielmehr sei das Alte Testament aus der Perspektive des Neuen Testaments falsch interpretiert und sogar falsch ubersetzt worden Den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele hatten die Israeliten erst nach der Babylonischen Gefangenschaft von den Chaldaern oder anderen Volkern ubernommen Dieser hat tatsachlich erst seit dem 1 Jahrhundert v Chr eine grossere Rolle gespielt Im Funften Fragment 15 zahlt Reimarus zehn Widerspruche in den Auferstehungsberichten der Evangelien einzeln auf So sei es unverstandlich dass Matthaus zufolge die Hohepriester noch vor den Aposteln von der Auferstehung gewusst haben sollen wenn Jesus seine Auferstehung diesen gegenuber angekundigt hatte Die Apostel hatten nichts getan um den Anschein eines Betruges durch den Raub des Leichnams Jesu zu vermeiden teilten sie doch selbst zunachst die Auffassung dass der Leichnam geraubt worden sei Statt von Jesu Auferstehung zu sprechen klagten sie zunachst daruber dass ihre Hoffnung auf Erlosung mit dem Tode Jesu erloschen sei Matthaus und Johannes die anders als Markus und Lukas von sich sagen Jesus selbst gekannt zu haben berichten von keiner Himmelfahrt sondern nur von seinem Verschwinden Die verschiedenen Erzahlungen der Auferstehung widersprachen sich in Personen Zeit Ort Weise Absicht Reden Geschichten so mannigfaltig und offenbar dass man dem Zeugnis der Apostel bzw der Evangelisten nicht trauen konne 16 Reimarus ausfuhrlich begrundete Zweifel an der Gottlichkeit der Offenbarung an Wundern wie dem Durchzug der Israeliten durch das Rote Meer die von ihm pedantisch auf ihre Plausibilitat in quantitativer geographischer und zeitlicher Hinsicht uberpruft werden 17 und insbesondere an der Glaubwurdigkeit der von ihm ebenso sorgfaltig analysierten widerspruchlichen Uberlieferungen der Auferstehungsgeschichte 18 fuhren ihn zu der These Dass der Beweis aus der Schrift fur die Auferstehung Jesu vor dem Richterstuhl der Vernunft in Ewigkeit nicht bestehen kann 19 Reimarus deistische Religionskritik diente als Ausgangspunkt fur die nachfolgende Leben Jesu Forschung und setzte erhebliche Impulse fur die historisch kritische Arbeit an den Schriften des Alten und Neuen Testamentes Die Wolfenbutteler Fragmente sorgten seit dem Zeitalter der Aufklarung bis in die neuere Zeit fur Unruhe unter den kirchlich organisierten Christen so dass die gesamte Apologie des Reimarus im Umfang von 1500 Seiten erst 1972 in Deutschland veroffentlicht werden konnte In seinen kritischen Bemerkungen zu den Fragmenten Gegensatze des Herausgebers fordert Lessing dem es um die Kritik der Buchstabenglaubigkeit der orthodoxen Theologen einerseits aber vor allem eines allzu rationalistischen nicht auf die Bibel gestutzten Religionsverstandnisses der Neologen andererseits ging die Vernunft musse bereit sein sich vom Gehorsam des Glaubens gefangen nehmen zu lassen Zwischen der gefuhlten Offenbarung und dem Buchstaben der Schriften der Offenbarung bestehe ein Unterschied Die Seligkeit sei nicht an die muhsame Erforschung dieser Schriften sondern an die herzliche Anteilnahme jener der Offenbarung gebunden 20 Sicherlich seien dem israelitischen Volk auch die Gotter der Heiden Gotter gewesen und ihr eigener lediglich der weiseste und machtigste doch es sei nach dem Babylonischen Exil der transzendentalen Wahrheit der Einheit Gottes Schritt fur Schritt naher gekommen Die Offenbarung sei ein allmahlicher Erziehungsprozess gewesen wobei er der Vernunft eine wichtige Rolle in diesem Prozess zuweist War fur Reimarus das Fehlen der Idee des ewigen Lebens ein Beweis dafur dass die Evangelien nicht einer gottliche Offenbarung entsprungen sein konnen so betrachtet Lessing die Idee des ewigen Lebens als Resultat dieses Erziehungsprozessen Die im vierten Reimarus Fragment festgestellte Tatsache dass im Alten Testament der Bewegungs Grund fur den Gehorsam gegen Gott nur leibliche Strafen und irdische Belohnungen seien wird von Lessing als eine erste Stufe dieses moralischen Erziehungsprozesses gewertet wie sie typisch fur die Kindheit sei 21 Der im Alten Testament zu findende Hinweis dass die Sunden der Vater bis ins dritte und vierte Glied geracht wurden sei nur eine Vorubung auf die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele 22 und die Widerspruche in der Auferstehungsgeschichte seien nicht die der Zeitzeugen sondern der spateren Geschichtsschreiber Eine allzu einformige Uberlieferung sei eher verdachtig als eine voller Verschiedenheiten 23 Fur Lessing sind die von Reimarus vorgetragenen Argumente selbst noch Ausdruck des Denkens der lutheranischen Orthodoxie die einen jeden Evangelisten in jeder Sylbe retten will um daraus eine widerspruchsfreie Synthese herzustellen Diese Harmonisierung konne nicht gelingen sie nahme als reine Konstruktion jedem Evangelisten das Seine und daher mache auch die Suche nach minimalen Widerspruchen wenig Sinn 24 In der Akzeptanz mehrerer Evangelien in ihrer Widerspruchlichkeit zeigt sich die hohe Ambiguitatstoleranz Lessings die der lutherischen Theologie der Zeit provozierend erschien Von dem Zwecke Jesu und seiner Junger Bearbeiten In dem spater 1778 ebenfalls von Lessing veroffentlichten Fragment Von dem Zwecke Jesu und seiner Junger 25 wird deutlich dass Reimarus in der geringen Glaubwurdigkeit der von seinen Jungern uberlieferten Auferstehungsgeschichte geradezu eine Bestatigung des Selbstverstandnisses und Anspruchs Jesu als weltlicher Befreier Israels und Erneuerer der judischen Religion sieht im Gegensatz zur spater durch die Apostel verbreiteten Version vom leidenden geistlichen Erloser Durch die Lehre Jesu seien zwar auch die Heiden zum Reiche Gottes eingeladen worden er habe die Reduzierung der judischen Religion auf die Einhaltung ausserlicher Zeremonien zu uberwinden versucht Allerdings habe er keine neuen Zeremonien gestiftet die zur Aufhebung judischer Gesetze dienen sollten Das gelte auch fur das Abendmahl Die Taufe im Namen einer gottlichen Dreifaltigkeit sei eine spatere Fehlinterpretation der Geist des Herrn meine nur eine besondere Begabung und Sohn Gottes sei nur ein Ehrentitel Die von Jesus verheissene Erlosung beziehe sich nur auf das Volk Israel Sie sei von den Juden zunachst eindeutig als weltliche Erlosung von weltlicher Knechtschaft durch machtige Taten eines Messias verstanden worden nicht als geistliche Erlosung der ganzen Menschheit Erst als die weltliche Erlosung ausblieb und Hame und Spott uber den Tod des angeblichen Konigs der Juden einsetzten hatten die Apostel und Evangelisten die Lehre vom leidenden geistlichen Erloser der ganzen Menschheit geschaffen Sie liessen diejenigen Elemente der Erzahlung weg die nicht in dieses Bild passten und fugten andere hinzu die die ursprunglichen Absichten Jesu mit Ausnahme einiger aus Unachtsamkeit stehengebliebener Reste des alten systema Narrativs oder Lehrgebaudes nicht mehr erkennen liessen 26 Seine Absicht sei gewesen ein weltliches Reich zu errichten und Israel zu befreien auch mit aufruhrerischen Massnahmen wie der Verbreitung von Unruhe im Tempel seinen Einzug nach Jerusalem und die Mobilisierung der Massen zu Ostern Erst kurz vor seinem Tode seien ihm ernste Zweifel am Erfolg gekommen Da den Jungern die Auferstehung Jesu von ihm nie wirklich verheissen worden sei wurden sie entweder von der Entdeckung des leeren Grabes uberrascht vermutlich hatten sie den Leichnam sogar selbst gestohlen Ausser ihnen habe spater niemand behauptet den angeblich Auferstandenen gesehen zu haben Die Wiederkehr Jesu und die Errichtung des weltlichen Konigreichs der Israeliten sei dann von den Aposteln immer weiter in die Zukunft verschoben worden Zur Begrundung dieser Verschiebung der Wiederkehr des Messias konnten sie an die Uberlieferung einer judischen Minderheit anknupfen wonach er zweimal erscheinen werde das erste Mal arm und unerkannt auf einem Esel reitend das zweite Mal aber als triumphierender Herrscher Diese Erzahlung hatten die Apostel die als Junger Jesu ihre fruheren Gewerbe aufgegeben hatten zu einer fur sie finanziell eintraglichen rein geistlichen Erlosungslehre und zur Kritik der judischen Theologie weiterentwickelt Die Religion Jesu sei nicht die der Christen gewesen 27 Werkverzeichnis BearbeitenAbhandlungen von den vornehmsten Wahrheiten der naturlichen Religion 1754 Die Vernunftlehre als eine Anweisung zum richtigen Gebrauch der Vernunft in der Erkenntnis der Wahrheit 1756 Allgemeine Betrachtungen uber die Triebe der Thiere hauptsachlich uber ihre Kunsttriebe Zum Erkenntniss des Zusammenhanges der Welt des Schopfers und unser selbst 1760 28 Apologie oder Schutzschrift fur die vernunftigen Verehrer Gottes geschrieben 1735 1767 68 als Gesamtwerk bekannt seit 1814 erstmals vollstandig gedruckt 1972 und von Gerhard Alexander ediert Im Insel Verlag Frankfurt Kleine gelehrte Schriften Vorstufen zur Apologie oder Schutzschrift fur die vernunftigen Verehrer Gottes Hrsg von Wilhelm Schmidt Biggemann Veroffentlichung der Joachim Jungius Gesellschaft der Wissenschaften Hamburg 79 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1994 656 S ISBN 3 525 86270 9 Abhandlungen von den vornehmsten Wahrheiten der naturlichen Religion Funfte Auflage durchgesehen und mit einigen Anmerkungen begleitet von Johann Albert Heinrich Reimarus 1729 1814 Hamburg Bohn 1781 704 S Gegenschrift BearbeitenEiner der scharfsten Kritiker Lessings und Reimarus war der Radikalpietist Johann Daniel Muller 1716 bis nach 1785 aus Wissenbach Nassau dem heutigen Ortsteil von Eschenburg Er veroffentlichte anonym die Schrift Der Sieg der Wahrheit des Worts Gottes uber die Lugen des Wolfenbuttelschen Bibliothecarii Gotthold Ephraim Lessing und seines Fragmenten Schreibers d i Hermann Samuel Reimarus in ihren Lasterungen gegen Jesum Christum seine Junger Apostel und die ganze Bibel 1780 29 Trivia BearbeitenNach Hermann Samuel Reimarus ist die Reimarusstrasse in der sudlichen Hamburger Neustadt Portugiesenviertel benannt Hermann Samuel Reimarus war einer der Initiatoren der 1765 gegrundeten Patriotischen Gesellschaft Nach ihm ist der Reimarus Saal im Gebaude Trostbrucke 6 in Hamburg benannt Literatur BearbeitenWilhelm Buttner Hermann Samuel Reimarus als Metaphysiker Schoningh Paderborn 1909 Diss Wurzburg 1908 Dirk Fleischer Reimarus Hermann Samuel In Neue Deutsche Biographie NDB Band 21 Duncker amp Humblot Berlin 2003 ISBN 3 428 11202 4 S 337 f Digitalisat Ulrich Groetsch Hermann Samuel Reimarus 1694 1768 Classicist Hebraist Enlightenment Radical in Disguise Brill Leiden 2015 ISBN 978 90 04 27299 6 Dieter Huning Stefan Klingner Hrsg Hermann Samuel Reimarus 1694 1768 Naturliche Religion und Popularphilosophie Berlin Boston 2022 ISBN 978 3 11 065213 0 Werkprofile Philosophen und Literaten des 17 und 18 Jahrhunderts Bd 18 Wulf Kellerwessel Hermann Samuel Reimarus Bibel und Religionskritik In Aufklarung und Kritik Bd 17 2010 H 1 S 159 169 Dietrich Klein Hermann Samuel Reimarus 1694 1768 Das theologische Werk Mohr Siebeck Tubingen 2009 ISBN 978 3 16 149912 8 Martin Mulzer Reimarus Hermann Samuel In Michaela Bauks Klaus Koenen Stefan Alkier Hrsg Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet WiBiLex Stuttgart 2006 ff Raimund Lachner Hermann Samuel Reimarus In Biographisch Bibliographisches Kirchenlexikon BBKL Band 7 Bautz Herzberg 1994 ISBN 3 88309 048 4 Sp 1514 1520 Artikel Artikelanfang im Internet Archive Jurgen Overhoff Reimarus Hermann Samuel In Franklin Kopitzsch Dirk Brietzke Hrsg Hamburgische Biografie Band 4 Wallstein Gottingen 2008 ISBN 978 3 8353 0229 7 S 278 280 Carl von Prantl Reimarus Samuel In Allgemeine Deutsche Biographie ADB Band 27 Duncker amp Humblot Leipzig 1888 S 702 704 Werner Raupp Reimarus Hermann Samuel 1694 1768 In Heiner F Klemme Manfred Kuhn Hrsg The Dictionary of Eighteenth Century German Philosophers Bd 3 London New York 2010 ISBN 978 0 8264 1862 3 S 923 928 Harald Schultze Reimarus Hermann Samuel In Theologische Realenzyklopadie Bd 28 1997 S 470 473 Johann Anselm Steiger Bibliotheca Reimariana Die Bibliothek des Hamburger Aufklarers und Gelehrten Hermann Samuel Reimarus 1694 1768 In Wolfenbutteler Notizen zur Buchgeschichte ISSN 0341 2253 Bd 30 2005 H 2 S 145 154 Peter Stemmer Weissagung und Kritik Eine Studie zur Hermeneutik bei Hermann Samuel Reimarus Vandenhoeck und Ruprecht Gottingen 1983 Reimarus Fragmente In Heiner Jestrabek Fruhe deutsche Religionskritik Matthias Knutzens Flugschriften Von den 3 Betrugern Moses Jesus Mohammed Reimarus Fragmente Reutlingen 2014 ISBN 978 3 922589 55 6 S 126 184 Einzelnachweise Bearbeiten Auslandische Mitglieder der Russischen Akademie der Wissenschaften seit 1724 Hermann Samuel Reimarus Russische Akademie der Wissenschaften abgerufen am 19 Oktober 2015 englisch a b Hannes Kerber Rezension von Ulrich Groetsch Hermann Samuel Reimarus 1694 1768 Classicist Hebraist Enlightenment Radical in Disguise In Philosophisches Jahrbuch Band 123 Nr 1 2016 S 256 academia edu Lacher 1994 Zum Verlauf und zur Chronologie vgl G E Lessing Werke Bd VIII Munchen 1976 Bearbeiter Helmut Gobel Anhang S 586 ff G E Lessing Hrsg Vorbemerkung zu Von Duldung der Deisten Fragmente eines Ungenannten Werke Bd VII Bearbeiter Helmut Gobel Munchen 1976 S 313 G E Lessing Hrsg Von Duldung der Deisten Fragment eines Ungenannten In Werke Bd VII Munchen 1976 S 320 G E Lessing Hrsg Ein Mehreres aus den Papieren des Ungenannten Werke Bd VII 1976 Erstes Fragment S 332 f Lessing Werke Bd VII 1976 Zweites Fragment S 353 ff Lessing Werke Bd VII 1976 Erstes Fragment S 338 Lessing Werke Bd VII 1976 Zweites Fragment S 344 ff Zitat S 346 Lessing Werke Bd VII 1976 Viertes Fragment S 422 f gemeint ist das verheissene Land in dem laut biblischer Uberlieferung Milch und Honig fliessen 2 Mose 33 3 EU Lessing Werke Bd VII 1976 Viertes Fragment S 398 402 Lessing Werke Bd VII 1976 Viertes Fragment S 404 f Lessing Werke Bd VII 1976 Funftes Fragment S 426 ff Lessing Werke Bd VII 1976 Funftes Fragment S 426 ff Zitat S 455 Lessing versucht in seiner Auseinandersetzung mit Goeze die von Reimarus aufgezeigten Widerspruche die vorher noch nirgends so deutlich auseinander gesetzt worden seien sprachanalytisch und logisch zu erklaren G E Lessing Eine Duplik In Werke Bd VIII S 30 ff Zitat S 44 Lessing Werke Bd VII 1976 Drittes Fragment S 388 ff Lessing Werke Bd VII 1976 Funftes Fragment S 455 Aus der Apologie oder Schutzschrift fur die vernunftigen Verehrer Gottes Lessing Gegensatze des Herausgebers Werke Bd VII S 467 Siehe auch G E Lessing Die Erziehung des Menschengeschlechts Lessing Gegensatze des Herausgebers Werke Bd VII S 487 Lessing Gegensatze des Herausgebers Werke Bd VII S 490 G E Lessing Eine Duplik In Werke Bd VIII S 72 Lessing Werke Bd VII Von dem Zwecke Jesu und seiner Junger S 492 ff Lessing Werke Bd VII S 537 ff Lessing Werke Bd VII S 565 f 574 Online Allgemeine Betrachtungen uber die Triebe der Thiere hauptsachlich uber ihre Kunsttriebe Zum Erkenntniss des Zusammenhanges der Welt des Schopfers und unser selbst in der Google Buchsuche 2 Auflage Hamburg Johann Carl Bohn 1762 Vgl zum Lessing und Reimarus Gegner Johann Daniel Muller die Abhandlung von Reinhard Breymayer Ein unbekannter Gegner Gotthold Ephraim Lessings Der ehemalige Frankfurter Konzertdirektor Johann Daniel Muller aus Wissenbach Nassau 1716 bis nach 1785 Alchemist im Umkreis Johann Wolfgang Goethes Kabbalist separatistischer Chiliast Freund der Illuminaten von Avignon Elias Elias Artista In Dietrich Meyer Hrsg Pietismus Herrnhutertum Erweckungsbewegung Festschrift fur Erich Beyreuther Koln Pulheim Brauweiler und Bonn 1982 Schriftenreihe des Vereins fur Rheinische Kirchengeschichte Band 70 S 109 145 dazu S 108 Schattenriss von Johann Daniel Muller Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Hermann Samuel Reimarus Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Literatur von und uber Hermann Samuel Reimarus im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Werke von und uber Hermann Samuel Reimarus in der Deutschen Digitalen BibliothekWerke Digitalisate Transkripte Werke bei archive org Teil der von Lessing veroffentlichten Fragmente mit Kommentar Vom Zwecke Jesu und seiner JungerNormdaten Person GND 118599259 lobid OGND AKS LCCN n83069153 VIAF 84211863 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Reimarus Hermann SamuelKURZBESCHREIBUNG Gymnasialprofessor in Hamburg fur orientalische Sprachen Verfechter des Deismus Wegbereiter der wissenschaftlichen BibelkritikGEBURTSDATUM 22 Dezember 1694GEBURTSORT HamburgSTERBEDATUM 1 Marz 1768STERBEORT Hamburg Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Hermann Samuel Reimarus amp oldid 234995773